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Nichtoffener Wettbewerb | 05/2021

Neugestaltung der Holstenstraße in Kiel

Visualisierung Holstenplatz

Visualisierung Holstenplatz

2. Preis

WES LandschaftsArchitektur

Landschaftsarchitektur

Hans-Hermann Krafft

Landschaftsarchitektur

SMAQ Architektur und Stadt

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

Ingenieure RINNE & PARTNER

Verkehrsplanung

Erläuterungstext

Die Umgestaltung der Kieler Innenstadt setzt nicht nur Akzente für die direkte Nachbarschaft, sondern schafft einen Ort für Kultur und Begegnung mit weit größerem Einflussbereich. Die Vorstadt und Altstadt bilden die Entrées für Millionen Touristen, die über den Hafen und Bahnhof in der Stadt eintreffen. Dieser Funktion entsprechend repräsentieren die neuen Freiräume um den Holstenplatz und die Holstenstraße herum Kiel als attraktives Reiseziel mit vielfältigem Kulturangebot sowie städtischen Veranstaltungen: Museen, Themenmärkte bis hin zur Kieler Woche und das alltägliche Stadtleben, das sich nun unter der großen, freigeräumten Baumhalle noch vielfältiger und lebendiger entfalten kann, laden zur Wiederentdeckung der Innenstadt ein. Das neue Zentrum erhält einen wiedererkennbaren Charakter, wird aufgeräumt, gestalterisch beruhigt und wertet so die Kieler Innenstadt als Ganzes auf. Die spezifischen stadträumlichen Qualitäten von Altstadt und Vorstadt werden städtebaulich in Gassen, Wege, Aufweitungen und Plätze typologisiert und voneinander abgesetzt. Die Materialitäten sind dazu bewusst reduziert und die Ausstattungselemente an präzis ausgewählten Orten komprimiert.

Städtebauliche Idee
KULTURRAUM KIELER INNENSTADT
Die Holstenstraße bildet von der Altstadt ausgehend den Kern einer Stadtachse, die parallel zur Hafenmole die Kiellinie im Norden mit dem Hauptbahnhof verbindet. Obwohl die direkten Zugänge zum Hafen durch Barrieren, wie den Hafenzäunen und der verkehrsreichen Kaistraße verwehrt bleiben, bieten die zum Wasser hin ausgerichtete Stadtstruktur und die großen, zum Greifen nah erscheinenden Kreuzfahrtschiffe immer wieder klare Bezüge zu Kiels Identität als Hafenstadt. Zusammen mit vielfältigen Kultur- und Kunstinstitutionen entlang dieser Achse zeichnet sich ein stadträumliches Szenario ab, das die Kieler Innenstadt als kulturelles Zentrum für Besucher und Einwohner gleichermaßen versteht. Der bestehende Einzelhandel kann sich für eine eigenständige Zielgruppe neu aufstellen, ohne mit bereits funktionierenden Zentren, wie der Holtenauer Straße, zu konkurrieren. Die Kieler Innenstadt schärft damit ihre historische Bedeutung als gesellschaftliches Zentrum und interkultureller Treffpunkt am Hafen. Die begleitenden Freiräume erhalten klar differenzierte freiräumliche und städtebauliche Identitäten. Ihr Zusammenspiel unterstützt auf städtebaulicher Ebene das anvisierte Szenario und schafft freiräumlich unterschiedliche Atmosphären, vielfältige Angebote und abwechslungsreiche Stadtbezüge. Der Neubau am Holstenplatz ist dabei sowohl städtebaulich als auch funktional ein strategiescher Baustein und Zeichen für die neue Ausrichtung der Innenstadt.

Holstenplatz
GRÜNE KULTURHALLE UND STADTBÜHNE
Der Holstenplatz wird aus dem Bestand zu einem großzügigen, baumüberstandenen, urbanen Platz als Bühne oder Stadtparkett weiterentwickelt. Das um einige Bäume ergänzte Baumdach setzt den prägenden räumlichen Akzent und bildet ein Dach, unter dem sich die Akteure der Stadt versammeln können. Eine subtile, materielle und topographische Differenzierung markiert ihn innerhalb der umgebenden Stadträume. Präzise gesetzte Sitzbänke und Podeste sowie Nuancierungen im Pflaster strukturieren die ansonsten freie Fläche und laden zur Aneignung ein, ohne wichtige Erschließungsachsen oder die bestehende Marktnutzung zu behindern. Der Holstenplatz kann so auch seine Funktion als Mobilitätsknoten wahrnehmen und profitiert sogar von der dadurch generierten Frequenz. Ein Wasserspiel im Norden dieser stätischen Bühne, durch einen Lichtspot bei Dunkelheit hervorgehoben, zentriert die Fläche und wird im Zusammenspiel mit unterschiedlichen Sitzelementen und der Gastronomie zum Treffpunkt für Jugendliche, zum Musizieren, Tanzen, reden, sehen und gesehen werden. Die Fläche kann bei Veranstaltungen genutzt werden, da sie bodenbündig im Platzbelag liegt. Der Altbaumbestand wird nahezu vollständig erhalten und durch Neupflanzungen ergänzt. Die durch die Baumaßnahme der Fußgängerbrücke gefährdeten Bäume entfallen im Entwurf, auch zugunsten der städtebaulichen Form des Baumdachs.

STADTGALERIE UND NEUBAU
Architektonische Ergänzungen akzentuieren die Raumkanten des Platzes und ergänzen wichtige städtebauliche Funktionen. Der Neubau am Heinrich-Ehmsen-Platz bringt neue Wohnnutzungen auf bis zu 1400 m² ins Kieler Zentrum. Im EG bieten sich Gewerbeeinheiten als Mobilitäts-Schaufenster (Verkaufsstelle der Kieler Verkehrsbetriebe), Gastronomie oder Lokalwarenläden für die Kreuzfahrttouristen an. Eine neue Attika auf der Stadtgalerie passt die Traufhöhe besser an die Platzdimensionen an. Die neue Dachterrasse mit Veranstaltungsräumen bietet neue Möglichkeiten der Kunstvermittlung mit dem Blick über das Kieler Panorama mit seinen Klinkertürmen, der erhöhten Altstadt und den Grünflächen dahinter.

Heinrich-Ehmsen-Platz
GRÜNER QUARTIERS-TREFF
Durch den Neubau erhält auch der Heinrich-Ehmsen-Platz eine neue, eigenständige Identität. Er wird zum kleinen, ruhigen Quartiersplatz für die neuen Anwohner und ein Rückzugsort mit Hafenblick für Passanten und Besucher der Galerie und der Innenstadt. Die dichtere Bebauung und kleinteiligere Gestaltung mit Hochbeeten, Großsträuchern und freier Baumsetzung macht ihn zum Gegenpol des großen, lebhaften Holstenplatzes. Damit ist er eine ideale Ergänzung der bestehenden Freiraumtypologien der Kieler Innenstadt.

Holstenstraße
BUMMELMEILE UND HISTORISCHE NABELSCHNUR
Bereits seit der Gründung Kiels dient die Holstenstraße als wichtigster Zugang zur Altstadt und führte später vom Stadtschloss über den Markt bis in die Vorstadt zum Markt. Eine breite Gosse in der Mitte der Holstenstraße markiert diese historische Achse und schafft ein einheitliches Erkennungsmerkmal über die Zäsur des Kleinen Kiels und die eigenständigen Materialkonzepte der Vorstadt und Altstadt hinweg (s. weiter unten). Um zwischen den unterschiedlich weit voneinander entfernten Fassaden und deren variierenden Traufhöhen Kontinuität zu schaffen, reicht der Bodenbelag durchgehend von Fassade zu Fassade. Eine schlichte Traufe fängt Fassadenrücksprünge auf.

Andreas-Gayk-Straße
UMWELT UND GESELLSCHAFTSTRASSE
Die reduzierte Verkehrsfläche an der Andreas-Gayk-Straße schafft Raum um das Thema Umwelttrasse vielfältig zu interpretieren und weiter zu entwickeln. Auf 4 bis 11 Metern Breite ist auf der Nordseite Platz für Retensionsvolumen, grüne Biodiversität zur Verbesserung des Stadtklimas, aber auch für diverse Freizeitangebote im Grünen (z.B. Spiel, Sport, Nachbarschaftsterrassen etc.) sowie funktionale Belange wie Anlieferungsbuchten. Eine Baumreihe, teilweise in Kombination mit Parkmöglichkeiten, säumt die Südseite und macht die Andreas-Gayk-Straße zur Grünen Promenade mit Symbol- und Vorbildcharakter.

Mobilität
INKLUSION ALS GESTALTLEITFADEN
Inklusion und Barrierefreiheit überlagern das Konzept nicht als zusätzliche Ebene, sondern sind in die Gestaltung integriert. Die zentrale Gosse der Holstenstraße ist frei von Einbauten, hat taktile Elemente und ist farblich vom Pflaster abgesetzt. Am Holstenplatz führt die Einrahmung des Stadthains die Leitlinie fort. Integrierte Aufmerksamkeitsfelder markieren Übergänge zum Brückenbauwerk und den Haltestellen. Auch die große Stadtbank vor dem Neubau ist Teil des Leitsystems und verlängert die an den Grünflächen der Andreas-Gayk-Straße entlang geführte Leitlinie. Falls nötig, kann die Traufe an den Fassaden für Sehbehinderte taktil abgesetzt und kontrastreich ausgeführt werden. Die Einrahmung des vorhandenen Pflasters am Asmus-Bremer-Platz durch das neue, ebene Vorstadt-Pflaster macht auch hier eine barrierefreie Querung möglich und verzahnt Neues und Altes subtil. Gleiches gilt für den Übergang zum Europaplatz in Richtung Arena.

Materialkonzept
DIE LEINWAND FÜR ANEIGNUNGSPROZESSE
Das reduzierte Materialkonzept ist die Grundlage für die vielfältigen Nutzungen der Innenstadt und kann als Leinwand für Aneignungsprozesse gelesen werden. Große Platten mit Kreuzfugen unter dem Stadthain auf dem Holstenplatz markieren ihn als flächige Stadtbühne.

VORSTADT UND ALTSTADT
Die vorgeschlagenen Materialien sind so angelegt, dass sie über die Wettbewerbsgrenzen hinweg als neuer Standard für die jeweiligen Stadträume eingesetzt werden können. Warmgraue, leicht strukturierte und changierende Betonplatten bieten einen soliden, modernen Boden für die Vorstadt. Der gerichtete Reihenverband betont die Linearität der Räume und Sichtbeziehungen zum Hafen. Die Farbigkeit setzt die Platten vom kühleren grau des Kleinen Kiel-Kanals ab. Die Altstadt erhält dagegen einen Belag aus Natursteinpflaster. Das hochwertigere Material würdigt den Ort als historischen Kern der Stadt und nimmt farblich Bezug zu den Pflasterbelägen in Kiel wie sie in der Dänischen Straße oder auf dem Alten Markt vorhanden sind. Der Verband kann gleichwohl auf Plätzen als auch Gassen verwendet werden und wird mit linearen Gossen strukturiert.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit besticht durch ihre klare Ausdeutung der Raumfolge mit freiraumplanerischen Mitteln. Mit den Raumbildungen durch die Baumhaine und Reihungen sowie die gut proportionierten Zuschnitte des Flächenlayouts, entstehen Räume, die Halt und Orientierung geben. Das steinerne Plateau mit dem Platanenhain ordnet auf eindeutige Weise den Holstenplatz und schafft offene Räume der Bewegung und schattige Räume des Aufenthalts. So klar das räumliche Volumen des Baumhains den Platz strukturiert – durch das Ausfüllen der ganzen Längsachse fehlen dem Platz dadurch etwas die Offenbereiche und Raumeröffnungen in diesem Platzbereich.

Die Idee der aufgewölbten Ebene löst das Problem der Höhenlage der Bäume auf barrierefreie und entspannte Weise, obwohl die optische Wirkung nicht alle Mitglieder in der Jury überzeugt. Das lineare Element, der von den Verfasser*innen so genannten „Gosse“, stellt ein subtiles Rückgrat der Holstenstraße dar und bildet ein brauchbares Leitsystem. Sowohl die Benennung, als auch die Funktion als Abwasserführung lassen jedoch an der positiven Imagewirkung zweifeln.

Der Umgang mit den Baumsetzungen in den Straßenräumen ist souverän und trägt den differenzierten Anforderungen Rechnung. Die asymmetrische Behandlung der Andreas-Gayk-Straße ist räumlich gelungen, allerdings werden hier auch Stellplätze (Behindertenstellplätze, Taxi) vermisst. Keine Sympathien lösen die in der Visualisierung dargestellten Kübelpflanzen in der oberen Holstenstraße aus.

Die Entwicklung durchgängiger Beläge von Fassade zu Fassade findet Zustimmung auch die Differenzierung der Formate und Zuordnung unterschiedlicher Materialien für Platzteppich und Altstadtbereich. Der hohe Anteil an Beton als Material wird dabei allerdings als etwas kühl und wenig ortsspezifisch diskutiert.

Einen besonders wertvollen Diskussionsbeitrag liefert die Arbeit für den Heinrich-Ehmsen-Platz. Mit dem Kulturgebäude wird hier ein Stadtbaustein implementiert, der dem Holstenplatz eine klare räumliche Fassung und zusätzliche attraktive Randnutzungen bietet. Dieser städtebauliche Vorschlag kann allerdings auch längerfristig verfolgt werden. In der Folge allerdings fehlen hier Angebote für neue Mobilitätsformen die andernorts verwirklicht werden müssten.

Die Ausbildung der Bushaltestellen fällt sehr bescheiden aus. Insbesondere die Überdachungen dürften etwas länger sein. Aussagen zum barrierefreien Umstieg von der Straßenbahn in den Bus werden vermisst.

Insgesamt eine Arbeit die durch klare räumliche Setzungen und elegante Geometrien überzeugt und vielleicht nicht an allen Stellen das atmosphärisch Mögliche einlöst.
Lageplan Ausschnitt

Lageplan Ausschnitt

Visualisierung Holstenplatz

Visualisierung Holstenplatz

Visualisierung

Visualisierung

Lageplan M1:200

Lageplan M1:200

Lageplan

Lageplan

Lageplan M1:500

Lageplan M1:500

Funktionsdiagramme

Funktionsdiagramme

Lageplan Ausschnitt

Lageplan Ausschnitt