modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Nichtoffener Wettbewerb | 05/2021

Gestaltung neuer U-Bahnhof Martinsried in Planegg

1. Preis / Zuschlag

Gruber + Popp Architekt:innen BDA

Architektur

Arup Deutschland GmbH

Lichtplanung

ARCHITECTURE2BRAIN - architekturdarstellungen

Visualisierung

Erläuterungstext

Standort Martinsried
U-Bahnhaltestellen sind Transferräume: öffentliche Räume, die täglich von einer Vielzahl Menschen frequentiert werden. Für die Ankommenden sind eine inklusive Orientierung und eine angstfreie Wegeführung maßgebend. Alle Abfahrenden benötigen eine Atmosphäre mit hoher Aufenthaltsqualität, welche das Warten verkürzt.
Mit der Verlängerung der U-Bahnlinie U6 wird der Wissensstandort Martinsried mit der Stadt München vernetzt und verbindet zukünftig die beiden Forschungs- und Universitätsschwerpunkte Martinsried und Garching.  
Entsprechend wird bei beiden Endhaltestellen auch der Übergang in die Umgebung gespiegelt: Das prägnante Dach der U-Bahnaufgänge der Haltestelle Garching, welches auch als »Wiesenpolster« zum Verweilen einlädt, findet sein Pendant in Martinsried mit den organisch geformten Tageslichtöffnungen. Durch die besondere Lage der neuen Haltestelle direkt unter einem Landschaftsraum können diese in den Freiraum integriert werden. Die technisch notwendigen Elemente der Rauchabzugsöffnungen werden durch weitere Tageslichtöffnungen ­ergänzt und nutzbarer Teil des Landschaftsparks. Es entsteht eine »Freiraumlounge« — zum Warten auf den nächsten Anschluss oder für eine Mittagspause.

Raumkonzept Haltestelle
Für die Gestaltung der Erweiterung wurden die bestehenden Haltestellen analysiert und zu neuen Bausteinen der U-Bahn zusammengefügt: Sichtbeton, Tageslichtöffnungen, Leuchtstoffröhren und Sitzmöbel finden sich in Martinsried wieder und formen sich zu einer eigenständigen Identität der Haltestelle.
Die unverwechselbare Verortung ergibt sich durch die Analyse des Forschungsschwerpunktes — Neurobiologie — am Standort. Die Decke mit ihren charakteristischen Öffnungen erinnert an Zellstrukturen unter dem Mikroskop.
Die unterschiedlichen notwendigen Elemente — Rauchabzugsöffnungen, Tageslichtöffnungen, Akustikelemente und Beleuchtung — werden zu einem gestalterischen Gesamtkonzept zusammengeführt. Sechs verschiedene Typen dieser zellartigen Formen wurden dazu nach ­parametrischen Prinzipien im Deckenspiegel angeordnet, wobei jede der Zellen jeweils eine Funktion hat: die Tageslichtversorgung, die Entrauchung, die Schallminderung (Hochtöne/Tieftöne) und die elektrische Beleuchtung. Die neuen Sitzelemente sind direkt unter den Tageslichtöffnungen platziert und ermöglichen Sichtbeziehungen mit dem Außenraum.
Die Hintergleiswände sind aus hellem Sichtbeton, entsprechend der Konstruktion des Rohbaus. Die zurückhaltende und ruhige Gestaltung wird nur durch die Beschriftung ergänzt. Hier laufen zwei unterschiedlich farbige Schriftzüge ineinander — und laden zum Entschlüsseln ein.
Ergänzt wird die Haltestelle durch einen hellen Gussasphaltboden, der als leichtes Band durch die Haltestelle führt. Das taktile Leitsystem ist als graues Relief in den Boden eingelassen; die leuchtend gelben Sitzmöbel bilden einen erfrischenden Kontrast zur ruhigen Umgebung.

Konstruktion
Es gibt sechs unterschiedliche Elemente, für die sechs Schalungen gebaut werden müssen.
Die Geometrie der Elemente wurde so gewählt, dass die Schalungsoberfläche nur einfach gekrümmt ist; die Schalhaut kann aus konventionellen Materialien hergestellt werden.
Im Rahmen des Wettbewerbs, daher ohne Kenntnis des Deckentragwerks, schlagen wir vor, die Abdrücke der Beleuchtungs- und Akustikzellen außerhalb der vorgegeben Deckengeometrie abzubilden.
Wir schlagen daher vor, die Decke auf der Unterseite um 40 cm zu verstärken. Im Rahmen der statischen Entwurfsplanung kann dieses Maß sicherlich minimiert und damit die Raumhöhe maximiert werden. Die Grundinstallation der Haltstelle erfolgt unterhalb des Bahnsteigs.
Die Installation in der Stahlbetondecke mittels Lehrrohren beschränkt sich auf die Versorgung der Beleuchtung (Normal-, Not-, Sicherheitsbeleuchtung) und der Zugzielanzeiger. Auf horizontale 90° Bögen kann vollständig verzichtet werden (Nachzugöffnungen im Abstand unter 10,00 m, Deckel in den Akustikzellen, mit Akustikmaterial belegt, entsprechend RinAU 2019 [MVG]). Alle eingesetzten Leuchten sollen die Schutzklasse 2 und eine Schutzart von mindestens IP66 (Hochdruckreinigung) aufweisen. Generell soll außer einer einfachen Installation auch die leichte Zugänglichkeit für Wartung und Revision vorausgesetzt sein.

Lichtkonzept
Für die Beleuchtung werden röhrenförmige Leuchten frei in der Deckenvertiefung angeordnet, ähnlich der Organelle in einer Zelle. Dank ihrer Geometrie streuen die Wandungen der Vertiefung das Licht und lenken es wie ein großflächiger Reflektor Richtung Bahnsteigebene. Trotz der scheinbar unregelmäßigen Verteilung der Leuchten im gesamten Deckenspiegel können sowohl die erforderliche horizontale Beleuchtungsstärke als auch die geforderte Gleichmäßigkeit des Lichts auf dem Bahnsteig erreicht werden.
Alle Leuchten sind direkt auf dem Beton und damit zurückversetzt in der Vertiefung montiert, um die skulpturale und organische Erscheinung der Decke zu unterstützen.
Innerhalb der Öffnungen für die Entrauchung, welche als organisch geformte Schächte ausgebildet sind, wird das Prinzip der freien Anordnung röhrenförmiger Leuchten in die Vertikale übertragen. Ähnlich einem Mobile sind die Leuchten in der Mitte des Schachts an eine starre, aber filigrane Stabkonstruktion montiert. So werden die Wandungen der Entrauchungsöffnungen sanft aufgehellt.
Wie auch die Entrauchungsöffnungen treten die Schächte für die Tageslichtversorgung im oberirdischen Stadtraum in Erscheinung.
Dank ihrer transparenten Verglasung erlauben sie vom Bahnsteig aus den direkten Ausblick in den Himmel und schaffen so einen Bezug zum Außenraum, zur Tageszeit und zum Wetter. Das Tageslicht mit seiner hohen Lichtqualität und wohltuenden Dynamik wirkt sich gleichzeitig positiv auf das Wohlbefinden der Nutzer und auch auf die Raumqualität aus. Die Oberlichter sind nach Norden orientiert und so geformt, dass nur diffuses Tageslicht in den Innenraum gelangen kann und störende Blendungen der Zugführer durch direkte Sonnenstrahlung ausgeschlossen werden.
Im Bereich der Treppenanlage, deren oberirdischer Abschluss ebenfalls organisch ausformuliert ist, werden in Anlehnung an die Beleuchtung über der Bahnsteigebene die gleichen Leuchtentypen an der Decke frei angeordnet. Für den nicht überdachten Teil werden Mastleuchten als Teil der Außenbeleuchtung zum Einsatz kommen. Um den Aufwand bei Installation, Wartung und Reinigung der Beleuchtungsanlage größtmöglich zu minimieren, kommt ein einziger Leuchtentyp zum Einsatz. Es handelt sich dabei um ein robustes Standardfabrikat mit LED-Retrofit-Leuchtmittel. Einige Leuchten der Allgemeinbeleuchtung werden zudem als Sicherheitsbeleuchtung geschaltet.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Gesamtkonzept wirkt stimmig und fügt sich gut in den Park des neuen Uni-Ensembles ein. Die Assoziation an Zellstrukturen unter dem Mikroskop wirkt stimmig und stellt einen nachvollziehbaren Bezug zum Ort her.
Im Inneren prägen organische Deckenaussparungen und Deckenöffnungen den neuen Bahnhof. Sie beinhalten auf sinnfällige Weise alle Nutzungselemente wie Entrauchung, Akustik und Beleuchtung. Oberlichter stellen einen Bezug zur Außenwelt her, Aussparungen für Kunstlicht und Leuchten in den Lüftungsschächten ergänzen das Lichtkonzept und sorgen für eine gleichmäßige Ausleuchtung.
Der Entwurf kommt ohne weitere Gestaltungselemente aus und schafft so auf einfache Weise einen zurückhaltenden aber doch atmosphärischen Innenraumcharakter.
Durch die Eigenständigkeit der Deckenstruktur können Möblierung und Ausstattungselemente unabhängigund nach technischem Erfordernis platziert werden.
Eine jederzeit nachträglich mögliche Bestückung der Deckenaussparungen lässt eine nachhaltige Nutzung erwarten.
Die zellartige Struktur überzeugt auch oberirdisch. Hier fügen sich die Entrauchungskuppel und Oberlichter organisch in die Landschaft ein und lassen eine sinnfällige und hochwertige Nutzung der Freibereiche erwarten.
Die gewählte Deckenkonstruktion lässt sich mit üblichen Schalungskörpern wirtschaftlich in Ortbeton herstellen, auch wenn die statische Konzeption der Decke durch die neue Anordnung der Öffnungen vermutlich neu berechnet werden müsste.
Insgesamt ein klarer und überzeugender Beitrag.