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Award / Auszeichnung | 07/2021

Bayerischer Landschaftsarchitektur-Preis 2020

Baumkirchen Mitte – Ökologische Vorrangfläche

DE-81673 München, Mattoneplatz

Gewinner des Bayerischen Landschaftsarchitektur-Preises 2020

mahl gebhard konzepte

Landschaftsarchitektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Landschaft und Freiraum

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2013
    Fertigstellung: 01/2019

Projektbeschreibung

Baumkirchen Mitte – Ein neues Quartier entsteht

Auf dem 15 Hektar großen Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerkes München 4 in Berg am Laim entsteht seit 2013 das Stadtquartier „Baumkirchen Mitte“. Fast 70 Jahre lang wurden hier Lokomotiven und Güterwaggons rangiert und repariert. Nun bietet das Areal Raum für etwa 1.300 Einwohnerinnen und Einwohner, Arbeitsplätze, Einzelhandel und öffentliche Grünflächen.
Grundlage für das Bebauungsplanverfahren war ein 2010 von der Landeshauptstadt München und der CA Immo durchgeführter städtebaulicher und landschaftsplanerischer Ideenwettbewerb, aus dem der Entwurf von Peter Ebner & Friends und von Mahl Gebhard Konzepte siegreich hervor ging. Die Freiflächen mit ihren integrierten Spielflächen sollen die Anwohner sowie Besucher zum Verweilen und Erholen einladen.

Der Bestand ein „hot spot“ der Biodiversität

Pflanzenwuchs auf aktiven Bahnflächen unterliegt permanenter Störungen. Fallen Bahnflächen aus der Nutzung, so reagiert die Vegetation relativ rasch darauf. Deshalb sind die stillgelegten Gleisanlagen heute von mosaikartiger Vegetation geprägt und erhalten ihren eigenen Charme durch die offenen Ruderalflächen, die sich mit aufkommenden Birken und rahmenbildenden, älteren Gehölzen abwechseln.
Kurzum: Das Bahnbetriebswerk entwickelte sich durch die Stilllegung zu einer naturnahen Bahnbrache. Humusarme Substrate (z.B. Gleisschotter) speichern kaum Wasser und begünstigen dadurch schüttere Magerrasen. So ist hier ein „hot spot“ der Biodiversität entstanden, das dem Areal in Kombination mit der belassenen Gleisanlage eine besondere Identität verleiht. Mehrere geschützte Tierarten haben aufgrund der für sie idealen, trockenen und heißen Standortbedingungen und der Kombination aus lückiger, niedriger Vegetation und besonnten Säumen und Gebüschen einen Vorkommensschwerpunkt. Zahlreiche Insekten wie die Blauflügelige Ödlandschrecke und die Blauflügelige Sandschrecke, aber auch kleine Wirbeltiere wie die Zauneidechse können auf der Vorrangfläche beobachtet werden - sie sind streng geschützt (§7 (2) 14, BNatSchG).

(Pflege)Konzept

Um diesen naturnahen Trockenstandort mit seiner hohen Artenvielfalt zu erhalten, wurde ein Pflege- und Entwicklungskonzept aufgestellt. Die Sukzession führt ohne weitere Pflege zu waldartigen Beständen, weshalb die immer wiederkehrende Zurücknahme des Gehölzaufwuchses und die Freihaltung geeigneter, besonnter Standorte wichtige Maßnahmen darstellen.
Im Bereich der Sukzessionsflächen wird das Totholz belassen, um Insekten und kleinen Wirbeltieren Unterschlupf zu bieten. Die Rohbodenrotation bietet nicht nur Reptilien wie der Zauneidechse einen idealen Standort, um ihre Eier in die sandigen Böden zu legen.

Minimaler Eingriff - Monitoring und Erlebnispfad

Mittels aufwändigem Monitoring und eigens entwickelter Stege konnten naturschutzfachliche Belange eingehalten werden und dennoch die Fläche für Anwohner als naturnaher Erholungsraum barrierefrei erschlossen werden. Der enorme Höhenunterschied zwischen Wohnbebauung und ökologischer Vorrangfläche konnte mit Rampen ausgeglichen werden. Der Erlebnispfad im tieferliegenden Gleisbereich ist auf der Westseite über Treppen und an der Ostseite durch eine barrierefreie Rampe erreichbar. Der aufgeständerte Weg führt vorbei an der historischen Eisenbahn-Drehscheibe, mit der früher Waggons und Lokomotiven bewegt wurden. Hier ist eine Tribüne entstanden, sodass die Lokdrehscheibe als Freilufttheater dienen kann.

Beurteilung durch das Preisgericht

Einen durchgängig gestalteten und vielseitig programmierten urbanen Park sucht man vergeblich auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks München 4. Stattdessen wird der Besucher auf fast 6.000 Quadratmeter mit verwunschener, beinahe unberührter Natur und einem Hauch von Industrie-Romantik belohnt.
Hier, wo im 19. Jahrhundert Lehm abgebaut wurde und später fast 70 Jahre lang Lokomotiven und Güterwaggons rangierten, schuf Andrea Gebhard mit Ihrem Team von Mahl Gebhard Konzepte einen besonderen Lebensraum für seltene Tierarten: Zauneidechse, Ödlandschrecke und Sandschrecke sonnen sich auf den kargen Schotterflächen zwischen rostroten Gleisen, weißen Birkenstämmen und offenen Ruderalflächen.

Verwunschen und urban zugleich präsentiert sich der Ort dem Besucher, dem dank eines sensiblen Erschließungskonzeptes der Zutritt gewährt und das Flanieren und Verweilen ermöglicht wird. Hier, inmitten von überwucherten Holz- und Stahlrelikten, wird Geschichte erzählt und ökologisches Bewusstsein vermittelt.
Ein Ort scheinbar im Dornröschenschlaf und doch ein Konzept, das sich am Puls der Zeit orientiert, denn die Arbeit verdeutlicht die besondere Verantwortung der Landschaftsarchitektur für die soziale, ökologische und nachhaltige Qualität von Freiräumen und ihrer städtebaulichen Einbindung.

Möge die Auszeichnung dieses Projektes ein Impuls sein für die Implementierung und Wertschätzung ökologischer Vorrangflächen im Kontext von Klimawandel, Artensterben und zunehmender Urbanisierung - denn wir brauchen mehr solcher erlebbarer „Hotspots der Biodiversität“.


Kategorie Wohnumfeld

Es ist ein ungewöhnliches Wohnumfeld, welches in dem neuen Quartier Baumkirchen Mitte entstanden ist und welches wohl kaum jemand dort erwarten würde. Die Bedürfnisse der ursprünglichen Bewohner, die die Fläche seit der Einstellung des Bahnbetriebswerks vor fast 20 Jahren erobert und zu ihrem Zuhause gemacht haben, hatten Priorität – und so freuen sich Zauneidechse, Ödlandschrecke und Sandschrecke über den Erhalt dieses besonderen Ortes.

Das Quartier lebt von Kontrasten: Dichte und Urbanität treffen auf Natur und verwunschene Unberührtheit. Ganz bewusst wird keine Verzahnung dieser beiden Lebensräume herbeigeführt, vielmehr setzte das Büro Mahl Gebhard Konzepte auf die Etablierung eines guten nachbarschaftlichen Verhältnisses. Und so dürfen sich die neu zugezogenen menschlichen Bewohner in ausgewiesenen Bereichen dieses Hotspots der Biodiversität tummeln, anstatt wie oft üblich nur über einen Zaun hinweg seltene Flora und Fauna bewundern zu können.
Es gibt viel zu entdecken, wenn man an einem sonnigen Sommerabend über die langen Betonstege schlendert, die behutsam in das sensible Gebiet implementiert wurden. Vorbei führt der Weg an allerlei von Grün überwucherten Holz- und Stahlrelikten. Schienen, Bahnschwellen, Leuchten, Kabeltrommeln und die markante Lokdrehscheibe versprühen einen Hauch von Industrie-Romantik.

Andrea Gebhard und das Team von Mahl Gebhard Konzepte bedienen sich dieser charmanten Unaufgeräumtheit, um die Geschichte des Ortes zu erzählen. Mit viel Gespür nimmt sie Anwohner und Besucher mit auf eine kleine Reise in die Welt von seltenen Pflanzen- und Tierarten und schaffen auf beispielhafte und mutige Weise ein Wohnumfeld, das hoffentlich auch in der Bevölkerung Akzeptanz und Wertschätzung für ökologische Flächen inmitten dichter urbaner Quartiere fördert.