modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Diskursives, städtebauliches Gutachter*innenverfahren | 06/2021

Am Sandhaus - Neues Stadtquartier in Berlin-Buch

Vogelperspektive

Vogelperspektive

Teilnahme

rheinflügel severin

Stadtplanung / Städtebau

A24 Landschaft

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

IDEE

Die von eiszeitlicher Morphologie geprägte Landschaft des Barnims bildet mit ihren urzeitlichen Relikten den Ausgangspunkt für das Entwicklungskonzept zum Quartier Am Sandhaus. Dabei wird die Vielfalt der vorgefundenen Landschaftstypen erhalten und für die Zukunft gesichert. Dies schafft ein tragfähiges Grundgerüst, mit dem das neue Wohnquartier eine Liaison eingeht. Der Städtebau setzt auf kompakte urbane Siedlungskörper mit maximaler Durchmischung, den weitgehenden Erhalt der Waldflächen und das miteinander in Beziehung setzen der einzelnen Nachbarschaften. Die Vernetzung erfolgt über die Freiräume, die auch zur Gliederung der baulichen Strukturen beitragen und einen Bezug zur Landschaft herstellen. Gliederung und Landschaftsbezug sind prägende Element des Entwurfs und spielen bei der Identitätsbildung des Quartiers eine entscheidende Rolle. Neben dem unmittelbaren Aufeinandertreffen von verdichteter Stadt und offener Landschaft entstehen vielfältige Kombinationen räumlicher Strukturen. Die abwechslungsreiche Verknüpfung unterschiedlicher Nachbarschaften, der Freizeitlandschaft und der Wildnislandschaft führt zu einer Multikodierung mit unverwechselbaren Stadträumen im Westen von Berlin-Buch. Die 3 Nachbarschaften verfügen über je eine eigene Identität, verstehen sich aber dennoch als Teile eines größeren Ganzen.


NACHBARSCHAFTEN

Sporn_Die westlichste Nachbarschaft ist fast vollständig von Wald umgeben und nach dem Prinzip eines Straßendorfs organisiert. Nach außen öffnet sich die Bebauung zur umgebenden Landschaft, um die BewohnerInnen an dieser besonderen Lage teilhaben zu lassen. Die Erschließungsachsen in Ost-West-Richtung sind durchgesteckt, um von den Fledermäusen als Flugkorridor genutzt werden zu können. Zentraler Treffpunkt mit Aufenthaltsqualität für alle BewohnerInnen der Nachbarschaft ist der Platz im Süden in Verbindung mit der neuen Grundschule einschließlich Sporthalle und Kita. Ergänzend hierzu wird auf der Nordseite an der Hobrechtsfelder Chaussee ein kleiner Ankunftsplatz angeboten, dessen Fläche als Wendeplatz für den Bus dient. Ein Hochpunkt markiert die Eingangssituation und steht in Nachbarschaft zur Quartiersgarage, die im Sinne der Verkehrsvermeidung unmittelbar an der Hobbrechtsfelder Chaussee liegt und das Quartier vor Straßenlärm schützt.

Korpus_ Ausgangspunkt dieser Nachbarschaft sind die beiden sanierten Plattenbauten in der Straße Am Sandhaus. Die vorgeschlagene Bebauung ergänzt diese hinsichtlich ihrer Linearität entlang der Straße und bettet sie zugleich in den neuen Kontext ein. Auch in dieser Nachbarschaft liegt der Schwerpunkt des urbanen Charakters auf dem zentralen Straßenraum. Die baulichen Strukturen öffnen sich analog zum Sporn nach außen, werden hier aber über eine Reihe von Punkthäusern abgeschlossen. So ergibt sich eine nach außen geöffnete Blockstruktur und trägt dem Anspruch Rechnung, möglichst vielen BewohnerInnen Blick- und Wegebeziehungen zum Landschaftsraum anzubieten. Zentrum der Nachbarschaft ist ein Platz auf der Höhe der sanierten Plattenbauten. Ein zweigeschossiger Gastro-Pavillon steht als Referenz an die Moderne auf dem Platz und korrespondiert mit den beiden Scheiben, deren Belichtung hierdurch nicht beeinträchtigt wird.

Kopf_ Annähernd in der Form eines Sterns nimmt diese Nachbarschaft die verschiedenen Richtungen auf, die aus der Umgebung resultieren und hier zusammengeführt werden. Die Bebauung gibt sich in der Nähe zum S-Bahnhof konsequent urban mit leicht geöffneten Blockrändern. Ein zentraler Platz mit Nahversorgungsangeboten für das gesamte Quartier fungiert als Gelenk bzw. Knotenpunkt im Nahmobilitätsnetz. So wird vor allem die Straße Am Sandhaus mit dem S-Bahnhof verknüpft. Die Nachbarschaft hält ausreichend Abstand zum Abenteuerspielplatz und verfügt zur besseren Vernetzung über zwei Satelliten, die sich unmittelbar am S-Bahnhof befinden. Südöstlich der bestehenden Grundschule nutzt ein Block mit Einzelhandel im Erdgeschoss das Grundstück des heutigen Flachbaus besser aus. Entsprechend dazu wird am südlichen S-Bahnausgang eine weitere Inselbebauung vorgeschlagen, die sich als Tor und Adresse für das gesamte Quartier versteht. Analog zur Nordseite des Sporns wird auch hier ein Ankunftsplatz mit Hochpunkt vorgeschlagen. Ein sozio-kulturelles Zentrum ergänzt den Platz und soll in unmittelbarer Nachbarschaft zum Naturerfahrungsraum Synergien ermöglichen.


FREIRÄUME

Abenteuerspielplatz und NER_ Beide Einrichtungen verbleiben zusammen mit dem Kindergarten auf dem Areal. Die Fläche wird nach Nord- und Südosten um weniger nutzungsintensive Bereiche erweitert, sodass die Biotopfläche an der kleinen Wiltbergstraße in geschützter Form integriert werden kann. Die Fläche liegt zentral zwischen der Nachbarschaft „Kopf“, dem S-Bahnhof und der bestehenden Grundschule. Neben der Einbindung in das Quartier und den gesamten Stadtteil ist die Verknüpfung mit dem offenen Landschaftsraum bedeutsam. Das Areal öffnet sich nach Südwesten zu einer offenen Parkwiese und den Wetlands der Moorlinse. Auf der Nordseite trägt ein streifenartiger Wildnispark zur Verknüpfung mit den großzügigen Waldflächen im Norden bei, wodurch sich der Abstand zur angrenzenden Bebauung erhöht.

Wildnisparks_ Alle Nachbarschaften sind durch deutliche Zäsuren voneinander getrennt, wodurch eine klare Gliederung, aber auch wertvolle Verbindungen zwischen dem Wald im Norden und der offenen Landschaft im Süden entsteht. Die Grünverbindungen dienen vor allem der Biotopvernetzung und sollen die ungestörte Wanderung von Pflanzen und Tieren ermöglichen. Die Wildnisparks mit ihren geringen Eingriffen in den bestehenden Naturhaushalt schaffen einen neuartigen Parktypus, der gleichermaßen Pflanzen, Tiere und BewohnerInnen des Quartiers zur Verfügung steht. Dabei werden im Westen die kleinteiligen, silbergrasreichen Pionierflure erhalten und sollen sich weitestgehend ungestört weiter entwickeln können. Erschlossen wird die Fläche behutsam über Stege und kleine Holzdecks mit Picknickplätzen. Die Präsenz von Wildnis und Naturerfahrung prägt so das Leben in den neuen Quartieren.

Wetlands_ Im Süden wird das Quartier von Wetlands begleitet, die das gesammelte Regenwasser in einer modellierten Landschaft auffangen und versickern. Das Regenwasser wird von den befestigten Flächen und Dächern im Quartier über Mulden-Rigolen-Systeme und unterirdische Leitungen entlang des natürlichen Gefälles zu den topografischen Tiefpunkten im südlichen Plangebiet geführt. So entsteht ein naturnahes Feuchtgebiet, das vom Quartier aus erlebbar ist und zur Stützung des Wasserhaushaltes insbesondere der Moorlinse und Waldzunge beiträgt. Die Verdunstung sorgt zusätzlich für einen geregelten Wärmeaustausch mit den angrenzenden Quartieren. Plattformen am Siedlungsrand dienen der Vogelbeobachtung aus sicherer Entfernung. Als Sichtschutz und Puffer zur Moorlinse wird auch der Baumbestand erhalten.

Freizeitband_ Den Bereich zwischen Bebauungs- und Waldkante besetzt ein Freiraumband mit verschiedenen quartiersnahen Nutzungen. Orte für Spiel und Sport wechseln sich mit Gemeinschaftsgärten ab. Hier können auf nachbarschaftlicher Ebene verschiedene Formen der Teilhabe und des Miteinanders ermöglicht werden.

Quartiersloop_ Ein Rundweg erschließt als Promenadenloop die Freizeitlandschaft und verknüpft diese mit den einzelnen Nachbarschaften. Auch die Sportflächen der Grundschule sind daran angeschlossen und können außerhalb der Schulzeiten durch Vereine genutzt werden. An ein einigen Stellen weitet sich der Loop und bietet zusätzlich multifunktional nutzbare Ruhe- und Bewegungselemente an. Der Verlauf ist so gewählt, dass ein abwechslungsreicher und räumlich vielfältiger Parcour entsteht, welcher urbane Plätze ebenso kreuzt wie landschaftlich geprägte Bereiche, wodurch die Sphären von Wohnen, Arbeiten und Freizeit bestmöglich miteinander verbunden werden.


VERKEHR

Innere Erschließung_Da der MIV keine tragende Rolle bei der Erschließung des Quartiers spielen soll, wird zwischen der inneren und äußeren Erschließung unterschieden. Die innere Erschließung erfolgt primär über ein Nahmobilitätsnetz, das sich vom S-Bahnhof bis zur Hobrechtsfelder Chaussee im Norden erstreckt. Dabei sind auch die Querverbindungen nach Osten vor allem zur Wiltbergstraße von Bedeutung. Das Nahmobilitätsnetz besteht aus einem differenzierten Wegeangebot. Ein wesentliches Element dieses Systems ist der vorgeschlagene Promenadenloop, welcher im Süden in beide Fahrtrichtungen für den Radverkehr ausgebaut sein soll. Dies ermöglicht eine sichere und schnelle Anbindung des Quartiers an den S-Bahnhof welcher auf der Westseite ein lineares Fahrradparkhaus erhält. Darüber hinaus ergänzen Fuß- und Radwege, Mischverkehrsflächen und straßenbegleitende Gehwege das System und machen es zu einer effizienten Struktur.

Äußere Erschließung_Bei der äußeren Erschließung wird der MIV aufgrund der Randlage, vor allem zur Vernetzung mit dem Umland, eine gewisse Bedeutung behalten, wenn auch durch die S-Bahnanbindung eine hervorragende Erschließung über den Umweltverbund gewährleistet ist. Für den MIV gibt es eine einfache, wie wirtschaftliche Trassenführung, welche von einer durchgängigen Befahrbarkeit zwischen Hobrechtsfelder Chaussee und Wiltbergstraße ausgeht. Quartiersfremder Durchgangsverkehr wird durch die Einfügung mehrerer Schrittgeschwindigkeitszonen, vor allem in den Platz- und Querungsbereichen verhindert. Optional wäre eine Trennung des MIV im Bereich einer Grünzäsur mit einer Schleuse für Busse, Müll- und Rettungsfahrzeuge realisierbar. Die konsequente Unterbringung des ruhenden Verkehrs in Quartiersgaragen ist ein Schlüssel zur Reduzierung des MIV im Modal-Split, sodass der Fußweg zum eigenen Fahrzeug mindestens so lang ist wie zur nächsten Bushaltestelle. Entsprechend der unterschiedlichen Entfernung zum S-Bahnhof wurde für die Nachbarschaften ein unterschiedlicher Stellplatzschlüssel entwickelt. Er beträgt für den Sporn 0,8, für den Korpus 0,6 und für den Kopf 0,4 Stellplätze pro Wohneinheit. Insgesamt ergibt sich im Radius von 600 Metern vom S-Bahnhof eine Erreichbarkeit von über 1.250 Wohneinheiten und damit zu mehr als der Hälfte aller Wohnungen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Städtebauliches Konzept
Die Verfasser*innen gliedern den Siedlungsstrang durch mehrere deutliche grüne Zäsuren (Wildtierparks) in drei Teilquartiere unterschiedlicher Identitäten und Dichten. Die Bebauungsdichte nimmt dabei von der S-Bahn zum Wald hin ab, sodass im nahen Umfeld der S-Bahn ein autoarmes Quartier mit hoher Dichte ermöglicht wird. Die drei Teilgebiete verfügen jeweils über einen eigenen, internen öffentlichen und gefassten Platz, der neben öffentlichen Programmen auch die Mobilitätsräume mit den Freiraumsystemen verbindet. Das Gesamtgebiet erhält drei Eingangssituationen – zwei an den beiden S-Bahn-Ausgängen und einen an der Hobrechtsfelder Chaussee. Der Platz am nördlichen S-Bahnhof wirkt allerdings zu beengt, um die Ziel- und Quellverkehre aufzunehmen sowie den intermodalen Umstieg zu ermöglichen.

Grün- und Freiräume
Die internen Quartiersplätze sind gut vernetzt und unterstützen das Entwurfskonzept der drei Inseln. Sie sind als Quartiersmitten begrüßenswert, wurden jedoch hinsichtlich ihrer Anzahl, Größe und Differenzierung kritisch diskutiert. Es wurde infrage gestellt, ob eine kontinuierliche Belebung der Plätze in der Größe gewährleistet werden kann. Die beiden grünen Zäsuren wirken in ihrer Funktion und Gestaltung noch nicht abschließend geklärt, wobei die östliche grüne Fuge zudem nicht mit den bereits existierenden Grünräumen übereinstimmt. Das Angebot an Sportflächen entlang des nördlichen Waldrandes erscheint umfangreich und wirft die Frage der Betreibung dieser Flächen auf. Die Einbindung des NER / ASP in den Landschaftsraum sowie die Verbindung des südlichen SBahnausgangs zur Straße Am Sandhaus erscheint in ihrer Dimensionierung und Wegeführung gelungen.

Verkehre
Das Gebiet wirkt insgesamt stark erschlossen. Dabei ergeben sich Doppelungen, die noch zu prüfen bzw. weiter zu qualifizieren sind. Dies betrifft vor allem die südliche Führung des Loops parallel zur Straße Am Sandhaus. Hier entsteht einerseits eine interessante Durchwegung der tiefen Wohnblöcke, andererseits könnte die Ausführung als starke Fuß-und Radwegeverbindung hier zu einer konkurrierenden Situation mit der Haupterschließung führen. Grundsätzlich wird ein integrierter Ansatz bevorzugt, bei dem die Straße Am Sandhaus als Haupterschließung für alle Verkehrsteilnehmenden genutzt wird. Der nördlich der Bebauung verlaufende Loop wird grundsätzlich in Frage gestellt. Der Bereich zwischen der neuen Grundschule und der dazugehörigen Sporthalle darf nicht durch den Loop getrennt werden. Positiv angemerkt wird die beidseitige Bebauung entlang des Straßenabschnitts zwischen Straße Am Sandhaus und der Hobrechtsfelder Chaussee. Der Grad der Öffentlichkeit entlang der privaten Wohnhöfe und die Erschließungsfunktion des Loops für die Punkthäuser wurden kontrovers diskutiert. Die Quartiersgaragen an den Eingängen erscheinen sinnvoll eingebettet, die mittig gelegene Garage Am Sandhaus bringt allerdings zusätzliche Verkehre in die Mitte des Areals.

Baustrukturen
In S-Bahn-Nähe entsteht ein verdichtetes Quartier mit einer urban wirkenden Blockrandstruktur. Diese ermöglicht einerseits die gewünschte städtebauliche Dichte in S-Bahn Nähe, die Bebauungsstrukturen wirken jedoch zum Teil sehr geschlossen und erinnern an innerstädtische Typologien. Die offenen U-förmigen Bebauungsstrukturen in den westlichen beiden Quartieren und deren großzügige Öffnungen zum Landschaftsraum lassen eine hohe Wohnqualität bis in die Tiefe der Blöcke vermuten. Die Waldgrenzen im Norden des Gebietes werden überwiegend mit Abstand respektiert. Die vorgeschlagene Bebauung rückt möglichst weit von der bestehenden Waldkante nach innen und verringert so den Waldeingriff. Der Baukörper am nördlichen S-Bahnausgang rückt mit seiner Baukante bis an die Straße heran, hier wäre mehr Freiraum wünschenswert. Der hohe Anteil an Gewerbeflächen spiegelt den Wunsch der Verfasser*innen nach mehr Öffentlichkeit/ Urbanität, ist im Kontext des Ortes jedoch zu überprüfen.

Insgesamt überzeugt der Entwurf durch seine klar gegliederte Grundstruktur, die städtebauliche Dichteverteilung und die damit verbundene Ausbildung differenzierter Quartiere. Die Anzahl, Dimension und Funktion der innenliegenden Platzräume sowie die Führung und Gestaltung des südlichen Loops wären im weiteren Verlauf zu qualifizieren.
Schwarzplan

Schwarzplan

Kontext

Kontext

Lageplan

Lageplan

Platzperspektive

Platzperspektive