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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2021

Städtebauliche Entwicklung „Quartier Düsseldorfer/Bottroper Straße“ in Stuttgart-Bad Cannstatt

2. Preis

Preisgeld: 36.000 EUR

happarchitecture. JJH Architektengesellschaft mbH

Stadtplanung / Städtebau, Architektur

HKK Landschaftsarchitektur GmbH

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Städtebau

Die Stärkung der nachbarlichen Gemeinschaft im Quartier und der Erhalt des alten Baumbestands auf dem Grundstück sind die bestimmenden Elemente unseres Wettbewerbsbeitrags. Schon das Freiraumkonzept von 2010 und seine Umsetzung als Kernprojekt der städtebaulichen Entwicklung der Sozialen Stadt zielte auf das Zusammenleben in Gemeinschaft im Hallschlag. Daran anzuknüpfen und den Gedanken der integrativen Qualität gemeinschaftlich nutzbarer Freiräume weiterzuentwickeln, ist Ausgangspunkt für den Entwurf.

Das Quartier zwischen dem Römerkastell und der Düsseldorfer Straße gruppiert sich nach Innen um einen 5.000 Quadratmeter großen, intensiv begrünten Hof. Eine geschützte Oase, ein Ort für Spiele, Treffpunkt für alle Bewohner und großer Gemeinschaftsgarten, der gemeinsam bewirtschaftet werden kann. Der geräumige Gartenhof ist sonnig und wird durch die Baukörper abgeschirmt. Privatgärten sind den Erdgeschoßwohnungen vorgelagert, im Zentrum liegen Flächen, die vielfältig gemeinschaftlich genutzt werden können. Hohe Bäume spenden im Sommer Schatten und Kühle, Fugen zwischen den Häusern sorgen für guten Luftaustausch. Diese Qualität wird von den Baukörpern zurückgespielt, die sich mit grün berankten Loggien, Balkonen und Terrassen zum Hof öffnen. So entsteht eine Insel der Ruhe, Geborgenheit und Naturverbundenheit. Das ausgewogene Verhältnis von Öffnung und Schließung der Baukörper rund um den Hof erlaubt ein Höchstmaß an Privatheit ohne Abschottung. Die übersichtliche und klare räumliche Zuordnung trägt zur funktionierenden Sozialkontrolle bei und fördert die Entwicklung gelebter Nachbarschaften.

Am Nastplatz öffnet sich das Quartier nach Außen mit einer zur Straße leicht erhöhten Piazza, zweiseitig einge-fasst von den Neubauten und nach Südosten von einer schönen Baumgruppe beschattet, die dort erhalten werden kann. Die Sockelzonen der Neubauten um die Piazza sind öffentlich genutzt. Café- und Gastronomie profitieren von einem großzügigen, verkehrsfreien Vorplatz. Rund um den Platz liegen zentral Beratungsstellen und Quartierseinrichtungen wie das Familienzentrum (HzE), aber auch die Zugänge zur Tiefgarage und den Mobilitätsangeboten (Carsharing, Lastenräder, Elektromobilität). Im Hof liegen gemeinschaftlich nutzbare Räu-me im EG der Häuser Typ 3, die von den Bewohnern gemietet werden können.

Die kleinere Gebäudegruppe oberhalb der Piazza schließt das Quartier mit einer eigenen Identität nach Norden ab. Am markanten Kreuzungsbereich von Düsseldorfer und Bottroper Straße entsteht ein kleiner Vorplatz, von dem aus weitere Sozialeinrichtungen (betreute Wohnungen) erschlossen werden. Ein schöner Gemeinschafts-raum im Erdgeschoß öffnet sich nach Süden zum Garten.

Von der Piazza führt ein direkter Weg zum Nastplatz über den ampelgesteuerten Fußgängerüberweg an der Bottroper Straße. Eine breite Passage, entlang der in den Sockel- und Erdgeschosszonen wohnungsergänzende und nicht störende gewerbliche Nutzungen sowie Dienstleistungen und Gemeinschaftsbüros vorgeschlagen werden, verbindet leicht ansteigend die Piazza mit der Düsseldorfer Straße. Hierüber und über den Helga-Feddersen-Weg ist das Quartier großräumig vernetzt mit den übergeordneten Grünverbindungen und Parks.

Das städtebauliche Konzept ist vom Wunsch nach größtmöglichem Erhalt der Bäume bestimmt, vor allem ent-lang der Straße Am Römerkastell. Die Bebauung reagiert auf den vorgegebenen engen Rhythmus hoher Bäume mit einer Reihung kleiner Höfe. Die T-förmigen Grundrisse der Häuser erlauben es, platzsparend zu er-schließen und die charakteristische giebelständige Bauweise des Hallschlags in eine neue Gebäude-struktur zu übertragen. Sie wird zum identitätsstiftenden Grundmotiv des Quartiers. Der gesamte Hof ist auf das Niveau der Düsseldorfer Straße angehoben, sodass mit geringem Aufwand an Erdbewegungen eine übersichtliche, kon-struktiv von der aufsteigenden Bebauung unabhängige Quartiersgarage entsteht, die auch Platz für Bedarfe aus der Nachbarschaft hat. Die notwendigen Rettungswege werden zum Schutz der Vegetation überwiegend bau-lich nachgewiesen.

Mit einer der innerstädtischen Lage angemessene Dichte wird bei angenehmer Privatheit, großzügiger Begrü-nung und qualitätvollen Räumen das gewünschte breite und bezahlbare Wohnangebot in kleinräumiger Mi-schung abgebildet. 3-und 4-Spänner-Grundrisstypen überwiegen, eine gute Abschirmung der Nachbarwohnun-gen untereinander ist gegeben. Die Hausgemeinschaft umfasst ca. 15 bis 20 Wohnungen. Sie bleibt weitestge-hend unter sich, nur so kann sie sich als solche begreifen, entfalten und dabei einen Ort der Vielfalt erzeugen, der der Unterschiedlichkeit der Lebensauffassungen, Kulturen und Weltbilder ihrer Bewohner entspricht.

Architektur

Der Entwurf zielt auf ein der exponierten städtebaulichen Lage angemessen eigenständiges, jedoch immer auf Ensemblewirkung mit der Nachbarschaft ausgelegtes Gesamterscheinungsbild. Vertrautheit, Maßstäblichkeit und Proportion sind dabei Schlüsselbegriffe, an denen sich die Gestaltung orientiert. Das Quartier wird nicht als Großform aufgefasst, sondern als gegliedertes, differenziert gestaltetes Ganzes, als Ensemble von Häusern, die in Materialität und Gestaltung aufeinander Bezug nehmen, aber auch jeweils eine gewisse Eigenständigkeit bewahren. Grundidee ist die klare Ablesbarkeit von einzelnen Häusern mit einer überschaubaren Anzahl von Wohnungen, Keimzelle einer funktionierenden Nachbarschaft, die je nach individuellem Temperament Öffnung und Privatheit erlaubt.

Die Fassadengestaltung trägt dazu bei. Sockel, Hauptfassade und Dachabschluss sind im Straßenraum als horizontale Schichtung ablesbar, die auf die Höhenentwicklung der Nachbargebäude sensibel eingeht. Loggien und Balkone sind eine Fortsetzung des privaten Wohnbereichs ins Freie. Der Klinkersockel bildet die stabile Basis. Besonderer Wert wird auf die sorgfältige Gestaltung einladender Hauseingänge gelegt, jeweils mit über-dachten Vorbereichen für die Briefkästen und Klingelanlagen. In den Hausfluren befindet sich Räume, die als Müllraum oder zum Abstellen von Kinderwagen oder Rollstühlen genutzt werden können.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Neubebauung des Areals greift die Atmosphäre des beginnenden 20. Jahrhunderts auf. Ein großer baulich gefasster Hof prägt das neue Quartier, die Gebäudetypologie des Satteldachhauses ist Grundlage dieser Fassung. Firsthäuser greifen zahnartig Richtung Römerkastell im Südosten und zur Düsseldorfer Straße im Nordwesten aus und erlauben, Bestandsbäume am Straßenraum in diese bauliche Fassung zu integrieren – ob dieser Vorschlag in der Umsetzung Bestand haben kann, wird angezweifelt. Der streng eingerahmte weite Innenhof stellt sich als eine beeindruckende und großzügige Fläche mit hoher Qualität dar. Er steht vor allem den Hausgemeinschaften im Blockrand zur Verfügung und ist damit eine wertvolle Ergänzung im Freiraumangebot zwischen „Auf der Steig“ und dem Nastplatz. Eine große und durchgängige Tiefgarage unter dem Hof verhindert allerdings, Bäume mit direktem Kontakt zum Erdreich zu pflanzen und klimaaktive Flächen zu erstellen.

Ein zweiter, deutlich kleinerer Hof im Nordosten bildet die Kulisse zum sinnfällig dimensionierten städtischen Nastplatz sowie zur Bottroper Straße. Er verwendet ebenfalls das Motiv der vorgeschobenen Firsthäuser, dieses Mal ohne das Argument der Integration der Bestandsbäume, sondern in Fortsetzung der Satteldachkulisse im Hallschlag. Diese Verzahnung mit der Stadt erzeugt in beiden Höfen Baukörper mit einer stark aufgefächerten Fassade. In der Diskussion um energieeffiziente Baukörper ist dies kritisch zu betrachten. An der Düsseldorfer Straße entstehen durch die Geschlossenheit der Anlage verschattete Vorbereiche. Die determinierende Gebäudegeometrie betrifft ebenfalls die Figur der Dächer. An der Einmündung der Düsseldorfer Straße inszeniert ein axialsymmetrisches Gebäude mit hervorgehobenen privaten Freiräumen den Auftakt ins Quartier – es wird auch hier die Frage der Angemessenheit kontrovers diskutiert.

Zwischen beiden Höfen führt eine aufsteigende Passage in Fortsetzung der nördlichen Begrenzung des Römerkastells zur neuen Grünverbindung „Auf der Steig“. Allerdings neutralisiert das dazwischenliegende Grundstück diese urbane Geste und verhindert die von den Verfassern postulierte Durchlässigkeit - auch hier wird diskutiert, ob diese städtische Inszenierung im Gestus angemessen ist.

Die vorgeschlagene Architektur orientiert sich am Bild der historischen und repräsentativen, aber auch dem kritisch diskutierten Bild einer aufgesetzt wirkenden historisierenden Stadt: Ein Sockelgeschoss spiegelt die Größe des Hofes in den städtischen Raum und fasst die darauf positionierten Gebäude zu einem Stadtblock zusammen – in den eingezogenen Sockelzonen werden zur Straße orientierte Kleinwohnungen angeboten, die als Teil des Sockels den Eindruck des Stadtblocks prägen werden. Auch der dreieckige Vorbereich am Nastplatz wird so zur Bastion gefasst und zu einem vom Verkehr enthobenen und gut zur Sonne orientierten städtischen Ort. Das Satteldach als wesentliches Element des Entwurfs ist im Innenhof durch Einschnitte und Vorbauten in seiner Erscheinung stark beeinträchtigt. Die Grundrisse sind mit hoher Professionalität entwickelt, sie reagieren z.B. auf die Orientierung und die Positionierung der Gebäude. Im Rahmen der Diskussion um die Verdichtung der Stadt schafft das Projekt mit dem vorgeschlagenen großzügigen und repräsentativen Hof einen sehr positiven Beitrag und erinnerungswürdigen Ort. Allerdings könnten einige der Folgeentscheidungen – wie zur Gebäudekubatur oder zum Umgang mit dem Hof - nicht nur im Sinne einer großbürgerlichen Repräsentanz, sondern auch im Sinne einer klimaaktiven Stadt stärker entwickelt werden.