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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2021

Neugestaltung Fußgängerzone Bergheim

Anerkennung

Preisgeld: 9.700 EUR

club L94

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Die Innenstadt von Bergheim mit der zentralen Fußgängerzone steht neben der Sanierung ihrer in die Jahre gekommenen Ausstattungselementen vor einer noch viel weitreichenderen Umgestaltung der zentralen Einzelhandelslagen. `Der Handel im Wandel hat in vielen Städten schon vor der Corona Pandemie` begonnen und dokumentiert sich auch in der Bergheimer Innenstadt über Leerstände und rückläufigen Geschäftsbesatz. Der stationäre Einzelhandel wird seit einigen Jahren durch die wachsende Bedeutung des Onlinehandels und den damit verbundenen Veränderungen im Einkaufsverhalten herausgefordert. Aber auch die direkten Anforderungen an die Möglichkeiten zur Nutzung des öffentlichen Raumes haben sich in der Pandemie gezeigt.
Der Wandel in den Innenstädten neue attraktive multifunktionale Räume zu schaffen wird die Stadtentwicklung in den nächsten Jahren antreiben. Das bedeutet, dass unsere zentralen Lagen in Zukunft neben den Nutzungen wie produzierendes Gewerbe, Einzelhandel Dienstleistung und Verwaltung gleichermaßen mit Wohnungen, Gastgewerbe und Freizeitangeboten ausgestattet werden müssen.
Konzept
Das landschaftsarchitektonische Konzept zur Umgestaltung der Bergheimer Fußgängerzone basiert auf zwei grundsätzlichen Ansätzen. Zum einen soll der Innenstadtbereich als Gesamtkonzept eine nachvollziehbare ganzheitliche Gestaltsprache sprechen und dabei die Charaktere und Atmosphären der verschiedenen Raumbilder herausarbeiten. Zum anderen soll der öffentliche Raum stärker entsiegelt und begrünt werden und eine breitere Nutzungsmischung in den Aufenthaltsbereichen für Bewohner*Innen und Besucher*Innen vorhalten. Vor dem Hintergrund der dreifachen Innenentwicklung soll der zentrale Stadtraum von Bergheim zukunftsgerecht für viele neue Nutzungen im Sinne der Gemeinwohlorientierung ausgestattet sein.
Raumbilder
Der Entwurf zoniert den Stadtraum vom Aachener Tor bis zum Kölner Tor und der angrenzenden neuen Bahnhofs Mall durch die Schaffung verschiedener Raumbilder, die sich von der historisch gewachsenen Altstadt, der kleinen Erft und der Neustadt mit Verwaltung und Einzelhandel ableitet. Diese Raumbilder zeigen eigene Atmosphären und bedienen spezifische Anforderung wie Naturerleben, Rückzug und Ruhe am Erftpavillion, Gastronomie, Kunst und Kultur in der Altstadt, Der Bürgergarten an der Stadtverwaltung dient sowohl als Präsentationsraum aber auch als Wartebereich für die Besucher der verschiedenen Ämter. Die Besucher- und Bewohnergärten in der Hauptstraße am Kölner Tor sind vielseitig gestaltet. Das Bergheimer Bächle ist ein attraktives Wasserspiel und kühlt den Raum an heißen Sommermonaten.

Gestaltungslinie Bergheimer Bänke
Das Gestaltungskonzept für die Bergheimer Fußgängerzone spricht auf der einen Seite eine einheitliche Farb- und Materialsprache, auf der anderen Seite kann es sich die formale Ausprägung in den verschiedenen Raumbildern verändern. Die Elemente erhalten eine Auflage aus heimischer Holzart wie Douglasie und sind aus pulverbeschichtetem Stahl gebaut.
Während die Sitz- und Aufenthaltselemente in der Altstadt unter den Bäumen rund gestaltet sind werden die Elemente im Band der Bewohner- und Besuchergärten rechteckig gestaltet sein. Die Sitzobjekte sind mit Rückenlehnen und Handauflagen seniorengerecht gestaltet.
Auch die Spiel- und Ausstattungselemente, Handläufe, Fahrradständer Mülleimer und Absperrpfosten sind in das Farb- und Materialkonzept integriert.


Das Bergheimer Bächle
In der breiten Hauptstraße der Neustadt wird das Bergheimer Bächle als urbanes Wasserband die Attraktivität der heutigen Einkaufsstraße erhöhen und in den heißen Sommermonaten ein beliebter Abkühlungsort sein. Auch wenn das Bächle seinen Namensursprung eher im Ländle hat können wir assoziativ die vielen Seen und Flussauen der Erft im landschaftlichen Übergang zum Niederrhein thematisieren. Die Mühlenkanäle und Abzweige der Erft waren auch in Bergheim präsent, auch wenn nicht gerade an dieser Stelle der Stadt ein solcher Wasserlauf nachgewiesen werden kann. Das kleine Bachprofil ist ca 13 cm tief. Dadurch kann es bei Bedarf wie ein Bordstein auch überfahren werden. In regelmäßigen Abständen gibt es kleine Deckel aus Stahl, die eine barrierefreie Querung des Wasserlaufs ermöglichen. Über die Sohle des Profils, die in regionalem Naturstein hergestellt wird, plätschert ein ca. 5 cm hoher Wasserfilm.
Bei Starkregenereignissen kann das ganze Profil kurzzeitig mit Wasser volllaufen bevor es an den Überläufen ansteht und dann in den Kanal abgeleitet wird. Eventuell könnte in das Profil eine Lichtlinie eingelassen werden, die in den Abendstunden nochmal einen besonderen Reiz erzeugen kann.

Aufenthalts- und Nutzungsqualität für alle Altersgruppen
Die Fußgängerzone wird als stark durchgrünter öffentlicher Raum in den heißen Sommermonaten für Touristen und Bewohner gleichermaßen ein attraktiver Begegnungsraum werden. Neben guten gastronomischen Sitzbereichen ist die Fußgängerzone auch mit freien Sitzmöbeln ausgestattet, die zum Verweilen einladen. Auch für Kleinkinder werden Spielstationen verteilt und im Band der Bewohner und Besuchergärten können auch ältere Kinder an Tischtennisplatten oder kleinen Kletter- und Boulderelementen ihre Kräfte messen. Im Bereich der Erft steht das Naturerleben im Vordergrund. Auf einem kleinen informellen Pfad sind die Kinder zur Erftsafari eingeladen. Hier können sie auf Entdeckungstour nach Insekten oder Amphibien gehen.

Barrierefreiheit und Sicherheitsgefühl
Die Orientierung und Nutzung des öffentlichen Raumes soll für Geh- und Seheingeschränkte Besucher verbessert werden. Die Oberflächen der Natursteinplatten sind im Altstadtbereich gesägt und haben somit einen hohen Gehkomfort. In der Neustadt wird ein Betonstein eingebaut, der die Formate der zuletzt eingebauten Platten weiterführt. Die Orientierung für Sehbehinderte erfolgt entlang der Fassaden oder in der Mittellinie entlang der Entwässerungsrinnen, die mit ausreichend Kontrast und einer 2 cm tiefen Kantenführung gut zu ertasten ist. Die gängigen taktilen Aufmerksamkeits- und Leitstreifen werden auf ein Minimum reduziert, um die neugestalteten Oberflächen nicht unnötig mit Linien zu zerschneiden. Nur den in sensiblen Übergangsbereichen und an Kreuzungen und zur hin Leitung der öffentlichen Einrichtungen sind Leitstreifen im Boden zu integrieren.
Insgesamt werden in regelmäßigen Abständen seniorengerechte Sitzobjekte für kleine Pausen angeboten. Bereiche die mit Stufen eingefasst sind, wie der Bürgergarten an der Stadtverwaltung sind inklusionsgerecht auch ebenerdig zugänglich. Sitz- und Tischgruppen im Band der Besucher- und Bewohnergärten können teilweise mit Rollstuhl unterfahren werden.
Eine gleichmäßige Beleuchtung der Flächen unterstützt die Barrierefreiheit und das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum. Die klare Zonierung der Querschnitte führt auch zu einer guten Möglichkeit die offenen Bereiche bei Veranstaltungen entweder als Havarie- Trasse für Rettungswagen frei zu halten oder sie bei geschlossenen Veranstaltungen gezielt zu besetzen. Die regelmäßigen Einbauten in den Seitenstreifen können auch bei Amokfahrtszenarien als Schutzstreifen genutzt werden.

Leit- und Informationssystem
Ein neues Leitsystem kann in die Gestaltungslinie der Bergheimer Bänke integriert werden. Stadtinformationen können auf pulverbeschichteten Stahltafeln frei aufgestellt werden oder an Fassaden oder Mauern angebracht werden. Die Stahltafeln können mit Siebdruck gestaltet und beschriftet werden und einfach bei Bedarf überlackiert oder auch ausgetauscht werden.

Klimagerechte Gestaltung und Urbane Resilienz
Im Sinne der Leibilder der Neuen Leipzig Charta wird die Fußgängerzone von Bergheim ein Baum überstellter und in großen Teilen entsiegelter lebenswerter Stadtraum, dessen Gestaltungskonzept auf ein Quartier ausgerichtet ist, das nutzungsgemischt, gemeinwohlorientiert für Zusammenhalt und Transformation stehen kann. Der Großteil der gesunden Stadtbäume kann in das Konzept integriert werden. Nur die kleinen Zierbäume wie Kugelahorne etc. werden durch mittelgroße Stadtbäume ersetzt. Die neu gepflanzten Baumarten wie z. B. Sophoren, Gledistien, Ahorne oder Zelkoven sind Stadtklima angepasst und Stress resistent. Die Baumlinien werden aus verschiedenen Baumarten erstellt um sie anpassungsfähig zu halten und auch um ihnen die Strenge zu nehmen. Die Baumgruben werden mit Rigolen-Systemen kombiniert und an der offenen Rinne angeschlossen. Zudem kann bei Starkregenereignissen ein Teil der Wässer in Tiefbeeten vorgehalten werden, so dass im Sinne der Sponge-City Wasser verdunsten oder versickern kann.

Bürgerwünsche
Im Vorfeld zum Wettbewerb wurden in konsultativen Bürgerbeteiligungen die Wünsche der Bewohner abgefragt, dokumentiert und zusammengefasst. Viele der Bürgerwünsche können in die Konzeption integriert werden. Der Großteil der gesunden Stadtbäume bleibt erhalten. Die kleinen Zierbäume wie Kugelahorne etc. werden durch mittelgroße Stadtbäume ersetzt. Somit werden viele neue Schattenplätze entstehen und auch der gewünschte Wasserlauf kann mit dem Bergheimer Bächle umgesetzt werden. Das alte Kölner Tor wird mit Zierkirschen und Lichtlettern im Boden subtil inszeniert. Insgesamt wird die Fußgängerzone über die glatten Oberflächen deutlich Barriere ärmer und erhält mit den Sitz- und Spielobjekten viele neue Möglichkeiten sich im öffentlichen Raum auszuruhen und das lebendige Treiben zu beobachten.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit 1674 schlägt vier sehr prägnante Raumcharaktere für die Bergheimer Innenstadt vor:
- den Naturraum Kleine Erft,
- die sogenannte Altstadtstube,
- den Bergheimer Bürgergarten vor dem Rathaus sowie
- die Neustädter Besucher- und Bewohnergärten.
Damit reagiert der Entwurf gekonnt auf die unterschiedlichen architektonischen Qualitäten und prägt eigenständige Teilräume aus. Eine durchgängige Zonierung der Fußgängerzone mit einem mittleren Bewegungsbereich und Seitenbereichen sowie ein einheitlicher Bodenbelag aus Grauwacke halten die Räume zusammen.
Die Altstadt wird steinern ausgeprägt. Damit wird ihrem historischen Charakter maximal Rechnung getragen. Die Fußgängerzone wird hier sparsam durch Bäume rhythmisiert. Hängeleuchten über-spannen den Raum von Fassade zu Fassade, was jedoch einen Eingriff in die teils denkmalgeschütz-ten Gebäude bedeutet und eine Zustimmung der Eigentümer:innen voraussetzt.
Demgegenüber wird der Bereich der Neustadt deutlich grüner ausgeprägt. Ein Band aus Tiefbeeten mit Bäumen (Gleditschien, Ahorn, Schnurbäume, Zelkoven), unterbrochen von vielfältigen Nutzungs-angeboten wie Tischtennisplatten und Spielgeräten, verläuft im südlichen Bereich. Auf Höhe des Hu-bert-Rheinfeld-Platzes wäre dies aufgrund der darunter verlaufenden Kanalisation allerdings schwierig umzusetzen. Nördlich davon schlagen die Entwurfsverfasser:innen ein sehr langes Wasserbecken vor, das 13 cm tief und 90 cm breit ist. Diese Breite erscheint dem Preisgericht zu groß und seine Leere im Winter problematisch. Die Jury hätte sich das Band der „Bewohner- und Besuchergärten“ eher im nördlichen Bereich vorstellen können, wo sich vorrangig auch die Wohngebäude befinden.
Vor dem Medio Rhein Erft-Bau und dem Rathaus wird ein Baumhain vorgeschlagen, der als „Präsentations- und Warteraum“ fungieren soll. Hierfür wird eine wassergebundene Wegedecke vorgesehen. Dass dieser Bereich als „Bürgergarten“ und das Band in der Neustadt als „Bewohner- und Besuchergärten“ tituliert wird, wirkt irritierend, da eine aktive Mitwirkung von Bürger:innen nicht vorgesehen ist. Dahingegen versprechen die mit der „Gestaltungfibel“ vorgeschlagenen Angebote vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für unterschiedlichste Gruppen, die den Raum beleben würden.
Die Herstellungskosten halten sich im Rahmen und die Unterhaltung erscheint bis auf das in der Pflege sehr aufwändige Wasserband angemessen.
Während die Arbeit mit ihren grundsätzlichen entwurflichen Entscheidungen und Gestaltqualitäten überzeugt, verliert sie in der Durcharbeitung an Konsequenz und wirft Fragen bezüglich der Umsetzung auf.