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Nichtoffener Wettbewerb | 08/2021

Fassade Vorklinikum der Stiftungsuniversität zu Lübeck

1. Preis

Preisgeld: 31.000 EUR

Behnisch Architekten

Architektur

ee concept gmbh

Energieplanung

knippershelbig GmbH

Fassadenplanung

Erläuterungstext

Der Campus der Universität zu Lübeck wird im Zuge einer Umstrukturierung um Forschungs- und Lehrein-richtungen erweitert. Diese Maßnahmen zur Modernisierung der Universität sollen auch den bestehenden Gebäudekomplex der vorklinischen Institute umfassen – untergebracht sind hier die Institute der Phy-sik/Chemie, Molekularbiologie/Biochemie und Anatomie/Biologie. Die in den Jahren 1978-1984 errichteten Gebäude sind mittlerweile veraltet, flächenmäßig unterdimensioniert und entsprechen nicht mehr den heu-tigen Anforderungen an Energieverbrauch, Brandschutz und Barrierefreiheit. Die Aufgabenstellung des Wettbewerbs fragt nach Ideen für einen Masterplan, nach dem eine bauliche und technische Sanierung sowie funktionale Umgestaltung der Institute in Teilabschnitten über einen Zeitraum von 15 Jahren realisiert werden können.

Als wesentliche Zielsetzung des Wettbewerbs nennt der Auslober eine nachhaltigkeitsorientierte Planung. Die hier ausgearbeitete Entwurfsidee stellt diese Forderung in den Mittelpunkt. Von der bestehenden Struktur bleibt so viel wie möglich erhalten, ältere Elemente jedoch, die nicht mehr dem Standard entspre-chen, werden erneuert. Das Gebäude wird bis auf seine Primärstruktur zurückgebaut. Die Brüstungen, die zukünftig als thermische Masse dienen, werden in den neuen Entwurf integriert – der Abbruch somit auf ein Minimum begrenzt, Ressourcen eingespart. Entfernte Materialien wie Fassadenbekleidungen sollen im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung recycelt und wiederverwendet werden. Durch eine Minimierung des beheizten Volumens ergeben sich weitere Energieeinsparmöglichkeiten – die Treppenhäuser liegen zukünftig außerhalb der thermischen Hülle.

Um die Fassade zukunftsweisend und entsprechend den energetischen Anforderungen zu gestalten, entwi-ckelt der Entwurf ein einfaches, aber hocheffektives modulares System, das sich auch leicht auf andere Gebäudetypologien übertragen lässt. Eine vorgelagerte Pfosten-Riegel-Konstruktion, basierend auf einem 3,60-Meter-Raster, ergänzt den Bestand. Die integrierten, neuen Fensterbänder mit Zweifach-Isolierverglasung und manuell öffenbaren Dreh-Kipp-Elementen erhalten einen zusätzlichen, außenliegen-den Sonnenschutz aus einer textilen Struktur, dem eine weitere Haut in Form von einer Prallscheibe als Windschutz hinzugefügt wird. Die so entstehenden Kastenfenster bilden eine „Klimabox“. Im Sommer kann die warme Abluft durch öffenbare Klappen nach oben entweichen, während im Winter bei geschlossenen Kastenfenstern die so entstehende Dreifach-Isolierverglasung für optimalen Wärmeschutz sorgt. Der inte-grierte, textile Sonnenschutz ist mit einer individuellen, die Effektivität steigernden Bedruckung exakt auf die zu erwartende Sonneneinstrahlung angepasst. Vom Innenraum lässt dieser textile Sonnenschutz mit seiner netzartigen Struktur Ausblicke zu – er ist transparent. Von außen betrachtet bildet er eine sichtbare Hülle aus, mit einer Bedruckung, die graduell und geschossweise auf die Himmelsrichtung zugeschnitten ist.

Die neue, vorgesetzte Pfosten-Riegel-Struktur schenkt dem Bestand eine klar umrissene Kontur. Im Bereich der Treppenhäuser – die aus der thermischen Hülle herausgenommen werden, um Energie einzusparen – werden Netze als Rankhilfen gespannt. Eine üppige, gestaltprägende Begrünung kann sich hier über die gesamte Gebäudehöhe ausbreiten. Die Grundrissfläche wird auf jeder Etage in Form von Balkonen vergrö-ßert: Es entstehen attraktive Außenräume, die aufgrund der grünen Bepflanzung besonderen Charme aus-strahlen und den Nutzer*innen zusätzlichen Aufenthaltsraum schenken. Zwei der Gebäude werden um ein weiteres Vollgeschoss aufgestockt, alle drei Gebäude um ein Staffelgeschoss für die Technikflächen erwei-tert. Der umlaufende Außenraum ist als Dachterrasse gestaltet und entwickelt mit seiner Begrünung den besonderen Reiz eines intimen Laubengangs. Die ergänzte Pfosten-Riegel-Konstruktion – die auch die Dachfläche vergrößert – dient gleichzeitig als Tragsystem für die auf dem Dach angeordneten Photovolta-ik-Elemente. Eine zusätzliche extensive Begrünung an der fünften Fassadenfläche wirkt sich optimierend auf das Mikroklima aus.

Die Sanierung schafft Adressbildung und schenkt dem bislang unauffälligen Gebäudekomplex ein präg-nantes, sympathisches Äußeres. Wie eine grüne Klammer ummanteln die bepflanzten Bereiche den Gebäu-dekern und sorgen im Sommer ohne zusätzlichen Energieaufwand für wohltemperierte Aufenthaltszonen. Die neue Fassade fasst das Ensemble optisch als eine harmonische Einheit zusammen und integriert es in die gebaute Umgebung. Pflanzenwuchs und ein natürliches Ambiente kommen auch übergeordnet dem Campus zugute. Mit einem geringen Einsatz an Energie und Ressourcen – der Entwurf nutzt große Teile des Bestands – zeugt das Gebäude von hoher Funktionalität, bietet Nutzerkomfort und Behaglichkeit. Es entsteht eine moderne, neue Forschungsumgebung, die mit ihrer architektonischen Qualität Wiederer-kennbarkeit garantiert und gleichzeitig eine attraktive Anlaufstelle auf dem Campus bildet.

Wirtschaftlichkeit
Die entwickelte Fassadenstruktur lässt Anpassungen an geänderte Nutzungsanforderungen im Inneren mit nur geringem Aufwand zu. Die Orientierung am 3,60-Meter-Raster ermöglicht eine flexible Nutzung als Labor- oder Bürostruktur. Die vorgefertigten Module garantieren schnelle Bauzeiten und somit wenig Stö-rungen für die angrenzenden Nutzungen. Das Prinzip basiert auf einfachen, effektiven Maßnahmen, ist händisch bedienbar und lässt sich ohne weiteres auf andere Gebäudetypen übertragen.


Energiekonzept
Iterativer Optimierungsprozess: Der Optimierung des thermischen Komforts, der Tageslichtverfügbarkeit sowie der Energiebedarfe kommt in der weiteren Bearbeitung eine besondere Bedeutung zu. Die Ther-misch-dynamische Simulation sollte zeitgleich, iterativ mit der Tageslichtsimulation und Energiebilanzierung nach GEG durchgeführt werden, um eine Optimierung der Arbeitsbedingungen im Kontext der CO2-Emissionen und Lebenszykluskosten erwirken zu können.

Wärme: Verfügbare Wärme wird durch Freilegung der Speichermassen (Deckenplatten / Brüstungen) nutzbar gemacht. Der Treppenraum wird aus der thermischen Hülle herausgenommen, um das aktiv be-heizte Gebäudevolumen zu minimieren. Dabei strebt der Entwurf die Unterschreitung der energetischen Anforderungen nach GEG um mindestens 30% an. Der angestrebte U-Wert opak liegt bei ca. 0,196 W/(m²K), der U-Wert transparent bei ca. 1,00 W/(m²K) für das Fenster sowie ca. 2,8 W/(m²K) für die Prall-scheibe.

Kälte: Der windgeschützte, außenliegende, robuste Sonnenschutz aus einem graduell bedruckten Screen schützt bedarfsgerecht vor Solarstrahlung. Der Abschattungsfaktor wird durch die Druckdichte geschoss-genau erzeugt, es entsteht ein Dichteverlauf von oben nach unten. Die handlichen Lüftungsklappen dienen der wetter- und einbruchsgeschützten Nachtauskühlung, durch die die Speichermassen des Bestandes effizient entladen werden können. Die Öffnungen sind so angeordnet, dass eine effiziente Durchströmung der Räume gewährleistet werden kann. Die Querlüftung über die Flurzonen kann in Abstimmung mit dem Brandschutz realisiert werden. Die angestrebten Werte stellen sich wie folgt dar: Gesamtenergiedurchlass-grad Prallscheibe 0,8,
Gesamtenergiedurchlassgrad Fenster 0,5, ergibt Total 0,4 (0,8*0,5).

Luft: Die handlichen, gut zu bedienenden Lüftungsklappen gewährleisten eine effiziente natürliche Belüf-tung der Räume, die durch die vor den Öffnungen angeordneten Prallscheiben auch bei hohen Windge-schwindigkeiten gewährleistet werden kann.

Licht: Die Öffnungen werden im Kontext des vorliegenden Bestandes sturzfrei angeordnet, um die Tages-lichtverfügbarkeit am Arbeitsplatz zu maximieren. Es wird ein Lichttransmissionsgrad für Fenster von min-destens 0,75 angestrebt.

Strom: Die Dachfläche des Bestandes wird durch die addierten Aufbauten vergrößert, so dass die Maxi-mierung der PV-Fläche auf etwa 1.100 m2 erzielt werden kann. Es wird angenommen, dass eine Nennleis-tung pro Gebäude von ca. 127 kWp für die hausinterne Versorgung erzeugt werden kann. Aufgrund der Nutzung ist zu erwarten, dass der Eigennutzungsgrad maximal sein wird, eine Amortisation der maximier-ten PV-Fläche wird somit zeitnah erreicht werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit nimmt das Bestehende auf und entwickelt es im besten Sinne nachhaltig weiter.

Sie erhält die Primärstruktur der Hauptbaukörper vollständig und erneuert die Fassade in der aus den Bestandsgebäuden übernommenen Logik der Bandfassade. Dabei lockert sie diese mit einer Kombination verschiedener funktionaler Elemente wohltuend auf, die gleichzeitig geeignet sind alle Versorgungs- und Schutzfunktionen der Fassade bei geringem Energieeinsatz zu gewährleisten. Die Treppenhäuser werden ebenfalls erhalten und konsequenterweise aus der thermischen Gebäudehülle ausgegliedert.

Ergänzend zu diesen ruhigen und klärenden Maßnahmen wird eine Holzstruktur an den Stirnseiten und im Dachgeschoss eingeführt, die zum einen der Begrünung der Fassade und der Photovoltaik auf dem Dach als Traggerüst dient und zum anderen im Bereich der Treppenhäuser und auf dem Dach attraktive Kommunikationsbereiche anbietet. Damit erhalten die Gebäude auf unaufdringliche Weise einen nachhaltigen Charakter, der mit dem Angebot zur sozialen Interaktion in gebäudebezogenen Freiflächen, der positiven Beeinflussung des Mikroklimas durch die Begrünung und der Maximierung der Photovoltaikfläche, und damit der erneuerbaren Stromerzeugung, auch nachhaltige
Wirkung entfaltet.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen haben somit einen hohen Identifikations- und Nutzwert und werden in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit als angemessen angesehen. Mit Blick auf die Lebenszykluskosten werden aber einzelne Aspekte wie die Langlebigkeit der Holzstruktur, der Reinigungsaufwand der transparenten Prallscheibe und der Pflegeaufwand für die Begrünung vom Preisgericht kritisch diskutiert.

Die Verfügbarkeit der Materialien ist nach Einschätzung der Jury über mind. 15 Jahre gegeben.

Die Arbeit zeigt eine klare Haltung, ist gut durchgearbeitet und schlägt eine Lösung vor, die nachhaltige Entwicklung sowohl auf der Ebene der tatsächlichen Wirksamkeit wie auch als Ausdruck umsetzt.