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Nichtoffener Wettbewerb | 10/2021

Erinnerungsort Zwangsarbeiter*innenlager in Neuaubing

Lageplan

Lageplan

Anerkennung

Preisgeld: 3.500 EUR

Grassinger Emrich Architekten GmbH

Architektur

ALN Architekturbüro Leinhäupl+Neuber GmbH

Architektur

mahl gebhard konzepte

Landschaftsarchitektur

TAMSCHICK MEDIA+SPACE GmbH

Szenographie

Erläuterungstext

Statement „Schau hin – Hör zu – Mach mit“

Der Erinnerungsort Neuaubing ist nicht nur eine Gedenkstätte eines Zwangsarbeiterlagers, sondern ein Ort, der viele Geschichten erzählt. Die Geschichten handeln von jenen, deren Leben sich gegen ihren Willen dramatisch verändert hat, die von ihren Familien und ihrem Zuhause getrennt wurden, von Zwang und Leid, aber auch von der Aneignung eines Ortes und einer neuen Deutungsgebung. Der Erinnerungsort Neuaubing veranschaulicht, berichtet und macht deutlich – subtil, eindrücklich und würdevoll - sodass jeder vor Ort die Möglichkeit hat hinzusehen, hinzuhören und mitzumachen. Damit sich die Vergangenheit nie mehr wiederholt und dennoch unvergessen bleibt.

Allgemeine Beschreibung des Konzept: Erinnern, Heilen und Begegnen

Erinnerung, Heilung und Begegnungen – diese drei Säule stützen das Konzept des vorliegenden Entwurfs für den Erinnerungsort Neuaubing. Als Ort des Gedenkens wird durch behutsame Sanierungen die Geschichte der Vergangenheit und die damit verbundenen Gräuel des NS-Regimes in der Gegenwart platziert und kontextualisiert – als Brücke zwischen damals und heute. Dabei soll aktiv hinterfragt und angeregt werden, um unser heutiges Zusammenleben und die Demokratie in den Fokus zu rücken, um die Vergangenheit nie mehr zu wiederholen und die Geschichten der Opfer und Helden zu erzählen.
Gleichzeitig schafft es die Natur einen Heilungsprozess innerhalb der Gedenkstätte in Gang zu setzen: dabei wird das Vergangene nicht überdeckt und ausradiert, sondern die aktive Integration der Natur entwirft stattdessen neue Zukunftsvisionen und lässt Besucher bewusst auf Spurensuche gehen. Dadurch entsteht dort nicht nur ein Ort zum Erinnern, sondern ein Lebensraum für Pflanzen und Tiere – eine Umgebung, die nicht nur die Vergangenheit hinterfragt, sondern im Kontext der Nachhaltigkeit auch die Zukunft miteinbezieht und die Bedeutung dieser aufzeigt. Das macht die Gedenkstätte zu einem Ort, der Engagement für das Vergangene und das Zukünftige bietet.
Zudem ist der Erinnerungsort ein Zeichen der ständigen Begegnung und der Kommunikation: für AnwohnerInnen, BesucherInnen, KünstlerInnen und Kinder tritt dieser als lebendiges Museum hervor. Die Aktivität und das Umdenken der Menschen ermöglichen es diesen Raum mit Demut, Reflexion und dem Bewusstsein für die Vergangenheit, Gegenwart sowie die Zukunft zu füllen. Die Gedenkstätte ist ein Zeichen der beständigen Veränderung und verdeutlicht dadurch, wie dieser Raum als eigenständiges Biotop für Freizeit, Kunst und vor allem Bildung entwickelt hat.
Zudem wird mit den Zeitschichten der Vergangenheit und Gegenwart gearbeitet: während die Layer der Vergangenheit sich aus dem ursprünglichen Zustand zur NS-Zeit, der anschließenden Rückeroberung der Natur und der Umfunktionierung durch den Menschen seit dem Ende des Kriegs zusammensetzt, bestehen die Layer der Gegenwart aus den Sanierungsarbeiten im Kontext des Denkmalschutzes, der Gestaltung der Freiflächen zur Stärkung der Natur und der Konzeption der Ausstellung mit Hilfe eines Erinnerungspfads für die Spurensuche.

Gestaltung der Freianlagen: Die Natur als natürlicher Heilungsprozess

Die Neugestaltung der Außenanlagen zielt darauf ab den durch Sukzession entstandenen Naturraum zu erhalten und zu schützen. Dieser gilt nicht nur als wichtiger Lebensraum für die lokale Fauna, sondern steht gleichzeitig für die Rückeroberung der Natur an einem Unort wie dem Zwangsarbeiterlager Neuaubing. Die Natur nimmt den Raum in Folge des Heilungsprozesses vor Ort ein und verwandelt den negativ konnotierten Raum zu etwas Positivem.
Die bestehende Wegeverbindung zwischen Neuaubing und Freiham als Verlängerung zur Giechstraße macht Passanten subtil auf die Gedenkstätte aufmerksam: im Boden eingelassene Stahlplatten bauen dabei auf das Konzept Schau hin – Hör zu – Mach mit, wodurch sich die Ausstellung äußerst behutsam für Passanten bemerkbar macht und als Layer der Gegenwart wahrgenommen werden kann. Die vor der Baracke 2 platzierte Infostation dient als Auftakt für die Ausstellung und dient als Ausgangspunkt für das neu integrierte Wegenetz. Zudem werden an dieser Achse der Hauptpavillon des Erinnerungsortes, die bestehende Kinder- und Jugenfarm sowie ein Café mit zwei Außenterrassen angebunden.
Der einstige Exerzierplatz inmitten des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers hat sich über die Jahrzehnte hinweg zu einem eigenständigen Biotop herausgebildet, wodurch der Transformationsprozess vor Ort deutlich wird. Um diesen eigenständigen Lebensraum zu stärken, werden extensiv zu pflegende Wildpflanzungen angelegt und Nistplätze als gestalterische Maßnahmen angebracht. Ein leicht erhöhtes Stegesystem, das auf den Wegen von 1946 basiert und somit auf den Layer der Vergangenheit hinweist, macht die neu geschaffen Begegnungslandschaft außerdem punktuell erlebbar und greift die Interaktion zwischen der Natur und der Geschichte auf. Der Erinnerungspfad führt durch die gesamte Anlage und verknüpft die Baracken, die einzelnen Stationen sowie die Einmannbunker im Außenraum miteinander. Der Einsatz von Metallgittern und der damit einhergehende Belagswechsel unterstreicht die intuitive Wegeführung, um BesucherInnen die Spurensuche in die Vergangenheit zu ermöglichen. In einem Bereich schneidet der Steg in die Topografie ein. Dadurch entsteht eine Art Grubensituation, die ein neues Raumerlebnis und Verständnis ermöglicht und zeitgleich den Blick auf die Sichtachse zwischen den Baracken 5 und 9 offenbart.
Für die KünstlerInnen werden neben einer neu errichteten Terrasse im Nordosten der Baracke 6 auch einzelne kleine Stationen entlang des Erinnerungspfads angeboten, an denen wechselnde künstlerische Interventionen den Raum beleben.

Umgang mit Bestand: Behutsame Sanierung

Im Fokus steht die behutsame Sanierung der Baracken, welche in ihrem aktuellen Zustand belassen und von nachträglichen Anbauten befreit werden. Dabei steht das sichtbar machen und abstrahieren des historischen Ensembles im Fokus. Von außen werden die Fassaden inklusive der Fenster und Türen in den ursprünglichen Zustand rückgebaut. Für die neue Nutzung werden lediglich wenige notwendige Öffnungen hinzugefügt. Auch im Inneren liegt der Fokus auf den Ursprung der Baracken: es werden Wände auf den bauzeitlichen Zustand zurückgeführt und die neuzeitlichen Böden werden durch Holzdielen ersetzt, wobei fehlende Spuren des historischen Grundrisses mit Nägeln im Holzboden ergänzt werden. Weiter ist das Freilegen und Ertüchtigen der Dachstühle Bestandteil der Sanierungsarbeiten.
Wesentlicher Bestandteil des vorliegenden Konzepts ist die Begrünung der Baracken: Kletterpflanzen wachsen entlang der Fassaden und machen den Heilungsprozess durch die Natur deutlich. Über die Jahre sollen so die zum Innenhof orientierten Fassaden überwuchern. Um den entsprechenden Denkmalschutz zu gewährleisten, werden Stahlgitterstrukturen als Hülle um die Baracken angebracht, die berankt werden. Die dadurch entstehenden Laubengänge machen die Baracken partiell erlebbar und betonen die Integration der Natur innerhalb des Entwurfs. Gleichzeitig wird die Kraft der Natur betont und ein positives Mikroklima an einem Ort der Resilienz geschaffen. Einzig Baracke 5 ist von der Berankung ausgenommen, da diese als Exponat Teil der Ausstellung ist. Ergänzend dazu werden Vordächer für die Außenarbeitsbereiche für Kunstschaffende als stählerne Konstruktion mit Glasdach ausgeführt. Um die Ablesbarkeit der Baracken zu gewährleisten, ist die Begrünung der Vordächer nicht vorgesehen.
In Reminiszenz an die Baracken 9 und 10 werden Pavillons als offene Stahlkonstruktionen mit flexibler Nutzungsmöglichkeit nachgezeichnet. Diese Neubauten aus Stahl und Holz dienen als Interaktionsfläche (Baracke 9) und als Kunstpavillon (Baracke 10) und umrahmen das Biotop im Kontext der Begegnungslandschaft. Die Baracke 9 bietet dabei als Kommunikationsareal Platz für Groß und Klein: Spielmöglichkeiten, eine Sitzlandschaft sowie Aufenthaltsbereiche schaffen einen Raum, der durch die individuelle Aneignung von Menschen lebt. Die Baracke 10 als Kunstpavillon bietet KünstlerInnen viel Raum und kann durch mobile Wände flexibel genutzt werden. Beide Pavillons bauen durch transparente Fassadenbestandteile eine Sichtbeziehung zum neuen Quartier Freiham auf, wodurch ein Austausch mit dem Leben innerhalb des Stadtviertels geschieht.

Materialität

Die neu eingesetzten Materialien, wie Spiegel, Glas, Holz sind natürliche und maximal naturbelasse Materialien, welche Demut gegenüber der Erinnerungsstätte und der damit verbundenen Vergangenheit demonstrieren. Handwerklich wird das verwendete Material entsprechend der damaligen Nutzung verarbeitet, wie beispielsweise als unbehandelter Stahl oder als raues Holz. Die Materialwechsel machen die verschiedenen Layer der Vergangenheit und Gegenwart sichtbar und für BesucherInnen greifbar.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit geht davon aus, dass ein Ort viele Geschichten erzählt. Am Erinnerungsort Neuaubing soll Unsichtbares sichtbar werden, als Ort der Begegnung und Kommunikation. Sie differenziert Zeitschichten des historischen Ensembles in Form der unterschiedlichen Artikulation im Umgang mit dem Bestand.
Das Konzept hinterfragt heutige Formen des Zusammenlebens und basiert auf Begriffen, wie „Erinnerung, Heilung und Begegnungen“. Natur wird als ‚Heilungsprozess‘ interpretiert. Eine Spurensuche für Besucher, als Zeichen des Engagements für Vergangenes und Zukünftiges, ist Vision dieser Arbeit.
Die städtebauliche Einbindung dieser Arbeit ist gut durchgearbeitet. Die räumliche Aufweitung zwischen den Baracken 5 und 2 als platzartige Fläche und Treffpunkt für Gruppen erscheint geglückt.
Die Baracken 9 und 10 werden als Pavillions mit offener Stahlstruktur interpretiert, in der Baracke 2 entstehen Räumlichkeiten für Veranstaltungen und vorgelagerter Introstation, in der Baracke 5 szenographische Stationen. Die übrigen Baracken werden über vorgelagerte laubengangartige Stahlgitterstrukturen begrünt, was als ‚Heilungsprozess‘ interpretiert wird.
Die Anfahrbarkeit der Baracke 7 wird hinterfragt. Die Materialwahl mit Stahl, Glas und Holz erscheint möglich, wie auch die Erhöhung der Wege im Inneren des Gebäudeensembles um teilweise 30cm.
Aus szenografischer und denkmalpflegerischer Sicht wird aber, trotz der ökologischen Vorzüge dieses Transformationsprozesses, die unterschiedliche Behandlung des Ensembles, als auch die Interpretation als ‚Heilungsprozess‘ kritisch gesehen. Das Überwuchern könnte als Verstecken wahrgenommen werden. Auch die Behandlung der Baracken 9 und 10 als identische Stahlstrukturen erscheint fragwürdig.
Blick zum Eingang A

Blick zum Eingang A

Eingang ins Areal

Eingang ins Areal

Lageplan

Lageplan

Blick auf Baracke 5

Blick auf Baracke 5

Bespielung des Außenraums

Bespielung des Außenraums

Ausstellung Baracke 5

Ausstellung Baracke 5