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Award / Auszeichnung | 11/2021

AIV-Bauwerk des Jahres 2020

Erweiterung Heilwig-Gymnasium

DE-22297 Hamburg, Wilhelm-Metzger-Straße 4

Preis

Winking · Froh Architekten

Architektur

Landesbetrieb SBH | Schulbau Hamburg

Bauherren

WETZEL & VON SEHT

Tragwerksplanung

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Schulen

  • Projektgröße:

    1.390m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2018
    Fertigstellung: 01/2020

Projektbeschreibung

Heilwig-Gymnasium, Neubau von Klassenräumen und Sporthalle

Die Erweiterung am Heilwig-Gymnasium liegt innerhalb des vorgegebenen Baufeldes östlich der bestehenden Sporthalle. Aufgrund der knappen Schulhofflächen wird ein sehr kompakter Baukörper entwickelt, der die Nutzungen stapelt. Der Neubau bleibt zu dem Schulhof gerichtet in der Flucht der vorhandenen Sporthalle. Der Eingangsbereich schließt direkt an die Stirnseite an und ist gegenüber der Hauptfassade eingerückt. Es entsteht eine einladende Eingangssituation, die sich neben dem Bestand zurücknimmt.

Innere Disposition
Die beiden Nutzungen für Sport und Klassenräume werden übereinander geschichtet. Die Sporthalle wird knapp zur Hälfte in das Gelände eingegraben. Bei der ohnehin umlaufenden Prallwand ist dennoch die natürliche Belichtung oberhalb des Geländes möglich.
Die Klassenräume sind in einer Ebene oberhalb der Sporthalle angeordnet. Entsprechend der Konstruktion gliedert sich die Fläche in drei Bereiche. Im Nordosten und im Südwesten jeweils zwei Klassenräume mit einer Vorzone. In der Mitte der Erschließungsbereich mit den flexibel schaltbaren Flächen für Differenzierung. Bei einer möglichen flexiblen Trennwand lässt sich die gesamte Mittelzone auch als zusammenhängende Fläche nutzen
Durch die Anordnung der Haupttreppe mit einem Aufzug als Durchlader kann neben den Ebenen des Neubaus auch die Hallenebene der Bestandshalle barrierefrei erschlossen werden. Hierfür wird anstelle der Tür aus dem Geräteraum eine neue Tür direkt zu dem Hallenraum hergestellt. Über den Aufzug mit einer Kabinengröße von 2,15 x 1,2 Meter können neben Sportgeräten auch kompakte Hubsteiger in die beiden Hallen befördert werden. Allein für Barren und Schwebebalken ist ein gesondertes Hubwerkzeug notwendig. Bei dem Neubau erfolgt dies über die Außentreppe.

Brandschutzkonzept
Der Erschließungsbereich mit der Haupttreppe wird als notwendiger Treppenraum im Sinne der HBauO ausgebildet. Die Klassenräume bilden mit der Vorzone einen Brandabschnitt von ca. 400m² als „großes“ Kompartment. Dem entsprechend führt aus dieser Fläche ein zweiter baulicher Rettungsweg über die Dachterrasse direkt nach außen. Die Sporthalle im Untergeschoss erhält neben der Anbindung an die Haupttreppe im Norden eine Außentreppe.

Konstruktion und Material
Der geplante Neubau ist im Sockelbereich eine massive Stahlbetonwanne, welche in der Ebene der Klassenräume von zwei raumhohen Hauptträgern überspannt wird. Diese „Vierendelträger“ haben regelmäßige Öffnungen und sind damit ein begehbares Tragwerk. Zwischen den Hauptträgern und den Stirnseiten entstehen Deckenfelder mit je 9,0m Spannweite. Diese sind mit vorgefertigten Hohlkammerelementen geplant. Alle weiteren Trennwände sind nicht tragend geplant und bieten flexible Nutzungsmöglichkeiten. Der gegenüber einem konventionell ebenerdigem Bau höhere konstruktive Aufwand wird in weiten Teilen durch die Reduktion der Fassaden- und Dachflächen wieder kompensiert. Die Fassaden bilden das konstruktive System im übertragenen Sinn nach außen ab. Flächige Wandscheiben aus hellem Ziegel wechseln mit zusammenfassten Bereichen der Fenster. Diese erhalten eine Verkleidung aus hellen Werkstoffplatten mit konischen Fensterlaibungen. Der Bezug der Materialien zu dem Bestand schafft eine selbstverständliche Verbindung zwischen Alt und Neu, eine gebaute Verbindung von Geschichte und Gegenwart.

Beurteilung durch das Preisgericht

LAUDATIO Mathias Hein

Um die besondere Qualität des Erweiterungsbaus für das Heilwig-Gymnasium zu begründen, muss man auf den Schulbau der Nachkriegsjahre in Hamburg zurückblicken.

Paul Seitz, Erster Baudirektor und Leiter des Hochbauamts von 1953 bis 1963 unter Oberbaudirektor Werner Hebebrand, entwickelte in dieser Zeit ein baukastenartiges Typensystem für den Schulbau in Hamburg. Klassen- und Fachraumpavillons, Kreuzbau und Turnhalle wurden in weitläufig angelegten, teilweise parkartig anmutenden Lernlandschaften vielfach wiederkehrend und unterschiedlich kombiniert über die gesamte Stadt verteilt errichtet.

Die besondere Qualität der mit diesem Grundprinzip angestrebten Weiterentwicklung der reformpädagischen Ansätze des Schulbaus der 1920er Jahre unter Fritz Schumacher entwickelt sich aus der aufgelockerten Anordnung der Bautypen mit überdachten Verbindungswegen auf dem Schulgelände. Zwischen den Gebäuden ergeben sich unterschiedliche, individuell gestaltete Umgebungsräume, zahlreiche Grünflächen, Schulhöfe und kleinere Innenhöfe, die auch für den Unterricht im Freien geeignet sind.

Alle Innenräume der Typenbauten verfügen über großzügige, stets zweiseitige Befensterung für natürliche Belichtung, Querlüftung und Blickverbindungen in den begrünten Außenraum.

Zitat aus HAMBURG UND SEINE BAUTEN 1954-1968:
„Der Weg war schwer, angesichts der chaotischen Zerstörungen des Weltkriegs mit der katastrophalen Raumnot in den Schulen und den noch unzureichenden Baumitteln, einen neuen, in die Zukunft weisenden Anfang zu finden. Er führte zur Abkehr von Mammutgebäuden, zur Auflockerung in kleinere Einheiten und zur Einbettung in eine grüne Atmosphäre."

Und an anderer Stelle: „Es ging um die Entwicklung einer Bauweise mit hohem Nutzeffekt, die in der architektonischen Gestaltung der Gebäude sachlich und frei von unnötiger und teurer Repräsentation bleibt und die in ihren Konstruktionsprinzipien nicht übersteigert ist."

Die 1970 am Heilwig-Gymnasium realisierte Turnhalle des Typenkatalogs - auch Seitzhalle genannt - ist mit außenliegendem Tragsystem und raumhoher Befensterung besonders markant. In diesen Bezug stellt sich der unmittelbar benachbarte Erweiterungsbau der Architekten Winking und Froh.

Der Neubau benennt als seinen Referenzpunkt die originalgetreu sanierte und unter Denkmalschutz stehende Turnhalle sehr, klar ohne sich anzubiedern oder unterzuordnen. Er stellt sich in den Kontext und nimmt im Dialog gleichzeitig einen eigenen Standpunkt ein.

Diese Haltung zweier „Brüder im Geiste" ist an folgenden Entwurfsmerkmalen des Neubaus ablesbar:

- an dem aus der Bauflucht weit zurückspringenden Verbindungsbau, der zwei eigenständige Baukörper nebeneinander stehen lässt
- an der großflächig auf den Gebäudeseiten eingesetzten, gleichmäßig getakteten Befensterung im Wechselspiel mit scheibenartig geschlossenen Mauerwerksflächen
- an den baukastenartigen Konstruktions- und Fensterelementen als verwandte aber unterschiedlich ausformulierten Fassadenkomponente
- an der einheitlichen Höhenentwicklung bei unterschiedlicher Dachform
- an der absolut einheitlichen Farb- und Materialabstimmung

Um die durch verschiedene Zubauten der vergangenen Jahrzehnte inzwischen eingetretene Verknappung der Freiflächen auf dem Schulgelände zu minimieren, wurde das Bauprogramm auf zwei Ebenen untergebracht. Die Höhe der Seitzhalle wird durch das Einsenken der unteren Ebene mit der neuen Turnhalle in das Gelände eingehalten. Die darüberliegenden Fachräume sind mit bodentiefen Fenstern großzügig belichtet. Im Verbindungsbau sind Erschließung, Treppenhaus, Aufzug und WC-Anlage untergebracht.

Der Erweiterungsbau des Heilwig-Gymnasiums ist eine Hommage an den von Paul Seitz entwickelten Schulbau der Nachkriegsjahrzehnte. Ihm gelingt als Bauwerk des Jahres 2020 das seltene Kunststück des Zusammenwirkens von Alt und Neu im Sinne einer wechselseitigen Aufwertung.