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Award / Auszeichnung | 11/2021

AIV-Bauwerk des Jahres 2020

Quartier Alter Wall 2 - 32

DE-20432 Hamburg, Alter Wall

Preis

gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner

Architektur

Art-Invest Real Estate

Bauherren, Projektentwicklung

SMV Bauprojektsteuerung Ingenieurgesellschaft mbH

Projektsteuerung

GuD Planungsgesellschaft für Ingenieurbau mbH

Tragwerksplanung

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Büro-, Verwaltungsbauten; Groß- und Einzelhandel, Museen, Ausstellungsbauten

  • Projektgröße:

    32.000m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2016
    Fertigstellung: 10/2020

Projektbeschreibung

Hinter den Absperrungen am Alten Wall 2–32, zwischen Hamburger Rathaus und Alsterfleet, ragte hinter dem Bucerius Kunst Forum nur noch eine 150 Meter lange, von einem Stahlgerüst gehaltene, historische Fassade in die Höhe. Mittlerweile sind die Arbeiten zur Erneuerung des gesamten Gebäudeblocks weit vorangeschritten: Der Rohbau mit allen Etagen ist fertiggestellt und die Fassadensicherungen entlang des Alten Walls werden abgebaut. Am 14. Juli feierte das neue Ensemble im Herzen der Hansestadt Richtfest.

Im 19. Jahrhundert eine zentrale, lebendige Straße mit Ladengeschäften und Restaurants, wurde der Alte Wall inmitten der Hamburger Innenstadt im 20. Jahrhundert nur noch von Banken und Kontoren genutzt und verlor dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung an Attraktivität. Im Zweiten Weltkrieg büßte er zudem noch seine historischen Fassaden am Alsterfleet ein.

Mit dem Neubau nach Plänen der Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) kehrt die Geschäftigkeit in den Straßenzug neben dem Rathaus zurück. Der Gebäudeblock hinter der denkmalgeschützten Fassade am Alten Wall 2–32 wird gänzlich neu organisiert: Anstelle von Büros werden im Erdgeschoss künftig wieder Geschäfte, Cafés und die neuen Ausstellungsflächen des Bucerius Kunst Forums zum Flanieren und Verweilen einladen. Eine viergeschossige Tiefgarage unterhalb des Wasserpegels des Alsterfleetes bietet ausreichend Parkplätze. Der Alte Wall wird völlig vom Verkehr entlastet und wieder zu dem lebendigen Boulevard, der er ursprünglich war, diesmal sogar ausschließlich für Fußgänger. Über eine Passage durch das Zentrum des neuen Quartiers eröffnet sich eine ganz neue Verbindung quer durch die Innenstadt: vom Großen Burstah durch den Rathaushof hindurch, über eine neue Fußgängerbrücke, die über das Alsterfleet zu den Alsterarkaden führt, zum Neuen Wall.

In den oberen sechs der insgesamt neun oberirdischen Geschosse des Neubaus bildet ein zentraler langgestreckter Innenhof mit Glasdach die Mittelachse und sorgt für natürlich belichtete Büroräume. Das Bucerius Kunst Forum zieht vom Kopfbau am Rathausmarkt zur mittigen Passage im Haus am Alten Wall 12. Auf insgesamt vier Stockwerken bietet das Forum neben geräumigen Ausstellungssälen ein Auditorium, eine Malschule und einen Shop.

Die historischen Gebäude und Natursteinfassaden am Alten Wall und an der Adolphsbrücke werden als Baudenkmale saniert. Fleetseitig prägt Naturstein die neuen Fassaden, die in Höhe und Staffelung an die bestehenden Nachbarbauten anschließen. Die neue Passage vom Großen Burstah zum Neuen Wall, der wiederbelebte Baublock Alsterfleet und die Läden und Restaurants am Boulevard bringen mit Kunst und Kommerz neues Leben in die Mitte der Stadt. Die Fertigstellung ist für die zweite Jahreshälfte 2018 geplant.

Beurteilung durch das Preisgericht

LAUDATIO Wolfgang Keen

Der Alte Wall entstand um 1480 als Teil einer Befestigungsanlage der Stadt Hamburg, die sich zu diesem Zeitpunkt als Zentrum mittelalterlichen Handels von Feinden umgeben sah. Durch die Stadterweiterung wurde ein nordwestlich vorgelagerter Neuer Wall errichtet. Der Alte Wall war also in seiner Funktion überflüssig und wurde deshalb ab 1560 eingeebnet und als Straße ausgebaut. Diese Straße hieß wegen ihrer schlechten Beschaffenheit im Volksmund lange Zeit „Dreckwall". Es entstanden Bauplätze an der neu angelegten Straße.
Ende des 17. Jahrhunderts kam dann der Name „Wallstraße" auf und schließlich wurde die Straße 1710 in „Alter Wall" unbenannt. Dass dieser Name sich jedoch nicht sofort durchsetzte, zeigt eine Passage aus dem satirischen Versepos „Deutschland – Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine. Der Dichter beklagt die Zustände gleich nach dem Großen Hamburger Stadtbrand, der in 1842 wesentliche Teile der Altstadt zerstörte:

Und der Dreckwall, wo ist der Dreckwall hin?
Ich kann ihn vergeblich suchen!
Wo ist der Pavillon, wo ich
Gegessen so manchen Kuchen?

Solche Erinnerungen an das bis dahin bereits rege Leben am „Alten Wall" führten wohl dazu, dass die Straße nach dem Großen Brand ähnlich ihrer vormaligen Lage wieder aufgebaut wurde.

In dieser Zeit entwickelte sich der Alte Wall zum einem pulsierenden Großstadtboulevard, auf dem sich das städtische Leben abspielte. In Läden machten die Hamburger ihre Besorgungen und trafen sich in den Cafés zu Tee, Kaffee und Gebäck. Die direkte Nachbarschaft zur Börse machten den Alten Wall zu einer belebten Handelslage in der Innenstadt. Flankiert vom beeindruckenden Neubau des Hamburger Rathauses, der Ende des 19. Jahrhunderts fertiggestellt war, erhielt der Alte Wall sein heutiges Gesicht, geprägt von der Architektur klassischer Kontorhäuser.

Das Kontorhaus am Alten Wall 12 wurde als herausragendes Beispiel der Architektur dieser Zeit bis 1909 von den Architekten Emil Schaudt und Emil Janda errichtet. Die Fassade ist dreigeteilt und wird von den jeweils hervorstehenden Konsolen dominiert. Die großzügige Ausbildung manieristischer Architekturdetails machten es gleichwohl zu einem der kostspieligsten Gebäude Hamburgs in dieser Zeit.

Nach dem zweiten Weltkrieg geriet die Straße jedoch als attraktive Geschäftsadresse wieder in Vergessenheit. Die bisher so funktionsreiche und belebte innerstädtische Nutzung wurde ersetzt. Der Alte Wall und seine traditionsreichen Gebäude waren bis zu Ihrer Umgestaltung vor Allem ein Standort von Banken.

In 2014 erwarb der Bauherr Art-Invest Real Estate den gesamten Block Alter Wall 2-32. Ziel der Projektentwicklung sollte sein, das ursprünglich geschäftige Leben am Alten Wall wiederneu zu entdecken. Bereits im Architekturwettbewerb und später dann im Dialog mit Denkmalschutz, Bauherr und der Hamburger Stadtplanung entwickelte das Architekturbüro gmp das Gesamtkonzept. Der Entwurf sollte sowohl dem Vermächtnis des Ortes gerecht werden, als auch das Gebäude öffnen und passierbar gestalten.

- Das Nikolaiquartier sollte städtebaulich über den neuen Boulevard Alter Wall an den Neuen Wall angebunden werden.
- Die Kultur sollte zentral zugänglich in den Mittelpunkt des Gebäudes rücken, um damit gleichwertig zu Politik und Börsenhandel in Erscheinung zu treten.
- Die denkmalgeschützten Fassaden und Gebäudeteile sollten so instandgesetzt und modifiziert werden, dass sie den Anforderungen an die modernen Nutzungen gerecht werden.
- Das vormals dunkle Gebäude mit vielen gefangenen Räumen sollte mehr Licht bekommen, bestmögliche Transparenz und vielleicht sogar ein bisschen Leichtigkeit bieten.

Ein hoher Anspruch! Eine Menge Arbeit! Bei der Größe dieses Projektes mussten nicht nur viele Details gelöst werden. Die Komplexität aller ineinandergreifenden Einzelmaßnahmen erforderte eine umfängliche Vorbereitung und eine sehr gute Kommunikation aller Beteiligten. Zunächst mussten die denkmalgeschützten Fassadenfronten derart gesichert werden, dass diese während der nicht immer ganz erschütterungsfreien Bauphase nicht zu Schaden kommen. Die danach beginnende Entkernung war wohl eher als Rückbau, denn als Abbruch zu verstehen. Große Teile der Bestandsfassade sollten in das zukünftige Tragwerk des Gebäudes integriert werden. Die Schnittstellen durften nicht gestört sein.

Auch der Spezialtiefbau hatte auf dem nach dem Abbruch zur Verfügung stehenden
ca. 2.700 m² großen Grundstück eine spannende Aufgabe zu lösen. Die 4 Untergeschosse der 220 Stellplätze zählenden Tiefgarage und das Sockelgeschoss mussten im Bauzustand durch eine Trogbaugrube mit 42 m tiefen und 1m dicken Schlitzwänden gesichert werden. Dabei war eine Zufahrt und Anlieferung lediglich über zwei vorab hergestellt Öffnungen in der Bestandsfassade und dahinter liegende Baggerpodeste möglich. Zum Glück half hier der bindige Hamburger Baugrund als horizontale Abdichtung des Trogs.
Der Neubau des Gebäudes ließ also einige Zeit auf sich warten. Gut Ding will Weile haben. Denn nach der Fertigstellung wurde das Gebäude seinen hohen Ansprüchen gerecht. Das Nikolaiquartier wurde durch den zum Boulevard ausgebauten Alten Wall städtebaulich angebunden. Die neue öffentliche Tiefgarage trägt dafür Sorge, dass der Alte Wall Boulevard sein darf und nicht Verkehrsfläche ist. Ein kleiner Baustein für eine autofreie Innenstadt.
Über die Bucerius-Passage im Gebäude Alter Wall 12 und über die neue „Marion-Gräfin-
Dönhoff-Brücke" über das Alsterfleet werden die Gebäude am Neuen Wall angebunden. Durch den Umzug des Bucerius Kunst Forums vom Alten 2 in den Alten Wall 12 wurde zudem die Kultur in den Mittelpunkt des Gebäudes gerückt und durch die neuen Wegeführungen en passant erreichbar.
Die Fassade wurde denkmalgerecht instandgesetzt und offener gestaltet, so dass sich die
Ladengeschäfte, Restaurants und Cafés auf der Erdgeschossebene des Boulevards präsentieren können. Heinrich Heine hätte daran seine Freude gefunden und hätte, nach dem Flanieren auf dem Alten Wall, hier so manchen Kuchen gegessen. Den gibt es z.B. im Wallter's Wine Beef Kontor als Nachtisch. Hab extra noch mal nachgeschaut.
Die vormals kleinteiligen und dunklen Innenhöfe der einzelnen Gebäude wurden Teil des
Abbruchs. Im Neubau ist der Innenhof in einem großen Raum zusammengefasst und im ersten Obergeschoss steht das hierdurch gebildete Atrium zur Nutzung für Veranstaltungen zur Verfügung. Der Neubau wirkt im Inneren transparent und lichtdurchflutet.
Der Kopfbau am Rahhausmarkt steht nicht nur bezüglich seiner Fassade unter Denkmalschutz. Im Foyer der ehemaligen Reichsbank befand sich ein mit Mosaiken reich verzierter Raum, der sich auf mehreren Stützen ruhend über vier Stockwerke abbildet und unter dem darüber liegen-den Lichthof mit Glasdach abschließt. Im Rahmen der denkmalgerechten Instandsetzung wurde das so genannte Oktogon von seinen umschließenden Wänden befreit und bietet nun, im neuen Glanz, auch neue Blickrichtungen.
Dieses Bauwerk hat alles geschafft, was es sich vorgenommen hat. Die Menschen, die mit viel visionärer Energie, persönlichem Engagement, Kreativität und Ingenieurverstand dazu beigetragen haben, verdienen unsere Anerkennung.