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Mehrfachbeauftragung | 03/2022

Neugestaltung Innenraum Heiliggeistkirche Heidelberg

Plan 1

Plan 1

3. Rang

Schilling Architekten

Architektur, Innenarchitektur

Erläuterungstext

Heiliggeist Heidelberg

 

Grundgedanken | Man könnte unserem Architekturkonzept den Satz Albert Einsteins voranstellen: „Mache die Dinge so einfach wie möglich, aber nicht einfacher!“.


In der Tat geht es bei dieser Aufgabenstellung, genauso wie in Einsteins Empfehlung, in Wirklichkeit um Komplexität: Einfachheit ohne Vereinfachung.


Alles, was in dem einzigartigen historischen und räumlichen Kontext der Heiliggeistkirche heute und in Zukunft ergänzt oder verändert wird, sollte zukunftsfähig sein und mit dem Anspruch auf ein besonders hohes Qualitätsniveau geschehen. Dies bedeutet, dass gültige Lösungen für jeden Bereich und für jedes Detail auch in der Folgezeit intensiv erkundet, diskutiert oder weiterentwickelt werden.


Gleichzeitig ist es wichtig, den Grundstein für ein robustes, tragfähiges Gesamtkonzept zu legen, welches im Detail fortgeschrieben werden kann, ohne die eigentlichen Grundsätze aus dem Blick zu verlieren.


Unser Entwurf versteht sich in diesem Sinne nicht als fertige Lösung, sondern er will dazu beitragen, einen guten Leitfaden zu finden und, auch auf Basis bisheriger Überlegungen und Vorgaben, die weitere Richtung zu klären. Insbesondere sollen dabei die konkreten räumlichen Potenziale im Gesamtzusammenhang aufgezeigt und lesbar gemacht sowie einzelne Lösungsmöglichkeiten im Gesamtkontext dargestellt werden.


Raumerfahrung | Ausgehend von der Leitidee eines ganzheitlichen Raums, der sich auf vielfältige Weise und aus vielfältigen Perspektiven heraus den unterschiedlichsten Nutzenden und Betrachtenden erschließt, sorgen die starken Bildpotenziale des Bauwerks als verlässliche Grundkonstante für authentische und ganzheitliche Orientierung.


Sowohl die einzelnen Raumbereiche mit ihren Eigenschaften als auch die Bezüge und Übergänge zwischen den Raumbereichen mit ihrem Ereignispotenzial bilden gleichwertig den Stoff für die Nutzungsstruktur und die Erzählung des multiperspektivischen und multimedialen Raums.

Die Nutzungsstruktur soll daher dem Bauwerk und seinen Potenzialen folgen, in Form einer nahezu selbstverständlich erscheinenden Inszenierung und Erfahrbarmachung dessen was da ist.


Alles wird gut | Die Ausgestaltung im Sinne von Möblierung, Ausstellungskonzepten, Kunstwerken und sakralen Gegenständen soll auf höchstem Niveau erfolgen.


Dies kann bedeuten, dass der Altar ein Kunstwerk von international anerkannter aktueller künstlerischer Qualität ist, welches allein schon einen Besuch in der Heiliggeistkirche wert wäre. Dies gilt ja in übertragenem Sinne auch für die Orgel, welche als einzigartiges Instrument, zugeschnitten auf den Raum, viele Musikinteressierte anziehen kann.


Aber auch zweckmäßigere Dinge wie die Bestuhlung sollen dem konzeptionellen Grundgedanken des Raums folgen und gleichzeitig eine sehr hohe Designqualität haben.


Auch das Ausstellungskonzept mit seinen vielschichtigen didaktischen und technischen Anforderungen bedarf einer sorgfältigen weiteren Entwicklung.

Die Aufgabe ist es, die vielen unterschiedlichen Aspekte zu einem stimmigen architektonischen Ganzen zusammenzuführen, den konzeptionellen Rahmen zu entwickeln und alle Beteiligten einzubinden.


Es geht darum, einen ganzheitlichen guten Raumklang zu erzeugen, zu dem viele unterschiedliche Stimmen von jeweils großer Ausdruckskraft und Qualität in ganz unterschiedlicher Weise beitragen können. Einen multiperspektivischen und multimedialen Raum.   


Ankommen | Der Eingangsbereich unter der Westempore erhält eine einladende, zwanglose Atmosphäre mit schöner Möblierung, die zum Verweilen einlädt. Er hat Ähnlichkeit mit einem Museumsshop mit Selbstbedienungscafé. Man kann sich hier informieren, an einem langen Tisch oder an kleineren Tischen einen Kaffee trinken. Von hier aus gelangt man über Treppen und Aufzug zu der Ausstellung auf den Emporen oder zur Kirchturmbesteigung.


Durch großzügige Verglasungen erhält man Einblick in die Seitenschiffe und durch eine mittleres, außerhalb von Veranstaltungen offenstehendes, Portal betritt man das Mittelschiff, von wo aus der Rundgang im Kirchenraum startet.


Ein neu geschaffener gläserner Windfang schafft mehr Freiheiten für die innere Raumkonstellation und die Verbindung zwischen Eingangsbereich und Kirchenraum.   


Stationen | Der Kirchenraum eröffnet unterschiedliche Möglichkeiten der Erfahrbarkeit. Grundsätzlich gibt es daher nicht den einen vorgeschriebenen Weg, auf dem sich die Besuchenden durch den Raum bewegen. Dennoch kann ein intuitiver Rundgang beschrieben werden, den die Meisten aufgrund der Raumkonstellation und Möblierung wahrnehmen werden.


Für die Gäste beginnt ein möglicher Rundgang mit vielfältigen Raumerfahrungen am Eintritt in das Mittelschiff. Von diesem Punkt aus ergibt sich ein wesentlicher erster Eindruck und Überblick. Über das nördliche Seitenschiff mit Ausstellungen und Sehenswürdigkeiten wird man in den Chorbereich geleitet. Hier erschließt sich der Sakralraum, den man bereits im Mittelschiff erlebt hat, in seiner eindrucksvollen Gesamtheit. Auf dem Rückweg durch das südliche Seitenschiff hat man Gelegenheit zu Ruhe und Besinnung.  


Orgel | Die Anordnung und Auslegung der Orgel orientiert sich an den bisherigen Planungen und Erkenntnissen. Der Blick auf das Westfenster wird freigehalten. Es erfolgt eine kompakte und sinnvolle Anordnung der einzelnen Register.


Die Verbindungsbrücke zwischen den beiden oberen Emporen der Bibliotheca Palatina wird hinter der Orgel angeordnet und im Bereich des Offenbarungsfensters als strukturelle Glaskonstruktion ausgebildet, um das Fenster nicht zu beeinträchtigen. Gleichzeitig haben die Ausstellungsbesucher Gelegenheit, das Fenster aus der Nähe zu betrachten. Die Orgel wird rückseitig abgeschirmt und kann auch während der Öffnungszeiten der Ausstellung gespielt werden.


Die Prospektgestaltung bringt die Schönheit des Instruments in seiner reinen Form zum Ausdruck und spiegelt gleichzeitig dessen innere Struktur wider.  


Bibliotheca Palatina | Für die didaktische, grafische, interaktive und gestalterische Auslegung der Ausstellung sind vertiefte Untersuchungen erforderlich.

Dazu beinhaltet unser Konzept die mögliche Idee, Raumkörper anzuordnen, in deren Außenfläche analoge Informationen integriert werden und in deren Innerem ein mediales Erlebnis unter kontrollierten akustisch-visuellen Raumbedingungen möglich ist.


Ergänzt würde dies durch Bereiche für Vorträge an den Stirnseiten der Emporen, Lesebereiche entlang des Mittelschiffs, Ruhebereiche und museumsdidaktische Installationen. Die Vergoldung der Raumkörper könnte Assoziationen zur Buchkunst des Mittelalters wecken und eine geheimnisvolle immaterielle Lichtwirkung erzeugen.


Lichtkonzept | Die gesamte Beleuchtung könnte nach aktuellen technischen, energetischen und gestalterischen Standards überarbeitet werden. Dazu wird LED-Technik mit intelligenter Steuerung eingesetzt, welche im Rahmen der unterschiedlichen Nutzungsszenarien jede Stelle im Raum erreichen und jede erforderliche Lichtstimmung erzeugen kann. Die Lichtquellen werden in unscheinbarer, blendfreier Form aus den Gewölben abgehängt oder auf den Gesimsen und Vorsprüngen platziert. Die Methodik hat sich in vielen Kirchen inzwischen bewährt. Aufgrund der Fülle der möglichen Lichtstimmungen ist es notwendig, diese sehr bewusst einzusetzen.


Barrierefreiheit | Zur barrierefreien Erschließung der Bibliotheca Palatina wäre die Option eines Aufzugs in Form einer gläsernen Kabine an der Nordseite sinnvoll. Dies würde nur in sehr geringem Umfang in die Bausubstanz eingreifen und gleichzeitig eine einladende Außenwirkung erzeugen. Die Fassade des historischen Bauwerks würde nicht gestört, da es sich um eine klar ablesbare, aber auch minimale Ergänzung im Sinne des zeitgemäßen Bedarfs handelt.



Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser:innen von Projekt 0001 schlagen keine fertige Lösung vor, sondern wollen einen Leitfaden formulieren, als Basis eines Prozesses, der gemeinsam mit der Bauherrin beschritten werden soll: der Weg als Ziel. 

Dazu werden Vorschläge zu Erschließung und Barrierefreiheit, Raumstationen und Bilblioteca Palatina, Lichtkonzept, Materialität etc. erarbeitet. Ausgehend von der Leitidee eines ganzheitlichen Raums, sollen mit den vorgeschlagenen Eingriffen die Potentiale des Raums in ihrer Wahrnehmung durch die verschiedenen Nutzer bestärkt werden. Um diesen stimmigen „Raumklang“ zu erzeugen, schlagen die Verfasser:innen verschiedene Eingriffe vor, die künstlerisch und handwerklich „auf höchstem“ Niveau ausgeführt werden sollen. 

Eine barrierefreie Erschließung der Emporen wird durch einen Lift gewährleistete, der als Glaskörper an der Nordfassade montiert werden soll. Im Innenraum überwinden zusätzliche kleine Rampen die bestehenden Stufen. Um den verschiedenen Ansprüchen von Ausstellungen, Präsentation und Kommunikation gerecht zu werden, wird eine breite Palette von unterschiedlichen Möbelelementen angeboten. Da diese vor allem im Seitenschiff aufgestellt werden, muss geprüft werden, ob es weiterhin möglich bleibt, auch eine Bestuhlung für 800-900 Personen anzubieten. 

Im Sinne einer Sammlung von Vorschlägen, die diskursiv vertieft werden sollten, ist konsequenterweise ein übergeordnetes Konzept nicht erkennbar. Die Jury sucht jedoch mehr als nur eine Handlungsweise, lassen doch die einzelnen Vorschläge keine innere Verbindung erkennen. Die Themen sind zwar richtig benannt, - ankommen, ausstellen, belichten etc. - aber sie lassen den inneren Zusammenhang, der die Idee einer ganzheitlichen Wirkung eingeschrieben ist, nicht erkennen. Vielmehr wirkt auch der vorgeschlagene Einsatz der goldenen Farbe als zusätzliche Idee, die ein neues Thema eröffnet. Es kann jedoch nicht Ziel sein, noch mehr Elemente in den Raum zu stellen, sondern es sollte vor allem der Raum sprechen. 

Die Jury lobt jedoch ausdrücklich den Umgang mit der Gestaltung der Orgel, die den Prospekt als Staffelung von Quadern neu interpretiert und die Orgel damit als erlebbaren Raum- und Klangskulptur interpretiert. Nicht nur, wie vorgeschlagen, international renommierte Kunst, sondern der Raum und sein Klang bleiben die Hauptattraktion und Beweggrund, die Kirche zu besuchen.

Plan 2

Plan 2