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Nichtoffener Wettbewerb | 04/2022

Wohnen und Räume für Bürger am Bahnhof in Steinhöring

Perspektive

Perspektive

Anerkennung

Preisgeld: 3.000 EUR

H2M Architekten

Architektur

HinnenthalSchaar Landschaftsarchitekten GmbH

Landschaftsarchitektur

TRAGRAUM Ingenieure PartmbB

Tragwerksplanung

Peter Corbishley Modellbau

Modellbau

Erläuterungstext

Städtebau – ‚Einfach‘ Weiterbauen

 

Leitbild des Entwurfs ist ein behutsames Weiterbauen und Einfügen am ehemaligen Molkereigelände unter Wahrung der Charakteristik und des ortstypischen Maßstabs. Das Kopfgebäude der Molkerei wird erhalten, Potentiale werden genutzt. Als Schmuckstück mit Strahlkraft wird der Bestand am Ortsrand städtebaulich freigestellt. Durch die präzise Setzung der beiden ‚einfachen‘ Wohngebäude im Westen mit ortstypischen Satteldächern wird der Ortsrand neu definiert. Es entstehen neue Räume und Treffpunkte für Bürger und Bewohner mit qualitativ hochwertigen Freianlagen und einer neuen Zugänglichkeit zur Ebrach.

 

Bestand – Bürgersaal und Heimatverein

 

Das Kopfgebäude der historischen Molkereigebäude ist ortsprägend und stellt für die Bürger von Steinhöring über seinen historischen Wert einen Identifikationsort dar. Der Erhalt des Gebäudes ist somit für die Akzeptanz einer neuen Baumaßnahme und eines neuen Treffpunkts von wichtiger Bedeutung. Das Kopfgebäude wird als Adresse des neuen Quartiers erhalten, behutsam saniert und weitergebaut. Ein neuer Baukörper ergänzt das Molkereigebäude mit folgenden Funktionen: Eingang zum Bürgersaal, Foyer, Erschließung mit Treppe und Aufzug, sowie den erforderlichen Nebenräumen für Bürgersaal und Heimatverein. Der Anbau wird auf das Notwendigste reduziert und die Potentiale des Bestands werden genutzt. Die Bestandsräume im Erdgeschoss werden dem Heimatverein zur Verfügung gestellt. Die historische Raumaufteilung wird dabei wieder hergestellt: eine Dauerausstellung dient im durchgesteckten Raum als Verteiler zu Arbeits-, Büro- und Lagerraum. Zusätzliche Lagerräume werden über die historische Treppe im Keller zugänglich gemacht. Das Obergeschoss wird von Zwischendecken befreit, es entsteht ein neuer großzügiger Raum mit konstruktivem Dachtragwerk, der als multifunktionaler Bürgersaal genutzt werden kann. In Kombination mit dem neuen Foyer im Anbau, das räumlich zuschaltbar ist und den ergänzenden Nebenräumen entstehen flexible Nutzungsmöglichkeiten. Die bestehende Treppe dient als zweiter baulicher Rettungsweg für den Bürgersaal im Obergeschoss. Die Potentiale des Bestandsgebäudes werden ideal genutzt, sodass eine Sanierung des Gebäudes wirtschaftlich vertretbar ist. Durch die Aktivierung bestehender Ressourcen bleibt die Identifikation mit dem alten Ortskern erhalten.

 

Die historische Putzfassade des Bestandsgebäudes mit den charakteristischen Rampen, dem Balkon, Rampendach und kleinteiligen Fensteröffnungen wird bewahrt und behutsam saniert. Der Anbau wird als konstruktiv eigenständiges Holzgebäude ergänzt. Das Thema ‚Weiterbauen‘ bleibt in der Wahl des Fassadenmaterials, einer Tannenschalung, sowie durch große Fensterformate ablesbar. Eingänge und Fenster können je nach Bedarf durch Schiebeläden geöffnet und geschlossen werden und stellen neben dem Fassadenmaterial ein verbindendes Element zum Wohnungsbau dar.

 

Unter Berücksichtigung der Empfehlungen in der Voruntersuchung wird die Dachkonstruktion über dem neuen Saal zurückgebaut und als zimmermannsmäßiger Holzpfettendachstuhl neu errichtet. Sprengwerke auf einem Ringbalken stellen die stützenfreie Lastabtragung zwischen den Außenwänden sicher. Das gewählte Dachtragwerk spiegelt die ursprüngliche Tragkonstruktion unter Verwendung üblicher Baustoffe wider, was eine Ausführung durch regionale Zimmermannsleute ermöglicht. Die massiven Stahlträgerdecken über dem Keller und Erdgeschoss werden durch geeignete Maßnahmen ertüchtigt, während die auskragenden Konstruktionen wie Balkone und Rampen durch neue Bauteile ersetzen werden müssen. Der neue zweistöckige Anbau wird in Holzbauweise errichtet. Lediglich die Gründungsbauteile und der Aufzugsschacht sollen in Stahlbeton errichtet werden. Somit kann die Aussteifung das Anbaus sichergestellt werden. Das Dachtragwerk sowie die Decken werden in diesem Gebäudebereich in Massivholzbauweise, die Außenwände in Holzständerbauweise vorgesehen. Die Gründung des Anbaus erfolgt mittels Streifenfundamenten auf punktuell angeordneten Tiefengründungen.Für die energetische Sanierung des Bestandsgebäudes ist eine mit dem Schwerpunkt auf die schadensvermeidende Erhaltung ausgelegte Optimierung der Außenbauteile vorgesehen. Dabei werden die Außenwände außenseitig instandgesetzt, raumseitig sind kapillaraktive Innendämm-Maßnahmen mit z.B. einer Lehmdämmung vorgesehen, die den Feuchtehaushalt des Bauteils möglichst gering beeinflussen und gleichzeitig den Wärmeschutz verbessern.

 

Wohnen


Durch die präzise Setzung von zwei Baukörpern entsteht ein neues Wohnquartier mit zeitgemäßen und bezahlbaren Wohnungen, die den Ortsrand nach Westen definieren. Die beiden ‚einfachen‘ dreigeschossigen Häuser fügen sich mit der gewählten Kubatur in den Kontext der umgebenden Einfamilienhäuser ein und ergänzen die Bestandshäuser, ohne zu konkurrieren. Es entsteht ein identitätsstiftendes Quartier für alle Bevölkerungsgruppen und -schichten. Das Satteldach entspricht der Dachlandschaft des Bestands und der Umgebung. Die Dachneigung der Neubauten orientieren sich an der regional typischen Dachneigung von circa 20 Grad und ermöglichen es dabei das Dachgeschoss als Vollgeschoss ausführen zu können und zugleich einen idealen Einstrahlwinkel der PV- und Solarmodule auf den Dachflächen zu gewährleisten.

 

Alle Wohnungen halten ihr Gesicht in die Sonne und sind nach Süden, Osten bzw. Westen sowie in die Umgebung orientiert. Die Grundrisse sind klar zoniert: Bäder und Nebenräume liegen am Kern, der Wohn-Essbereich ermöglicht qualitätsvolles Wohnen und orientiert sich nach Westen oder Süden. 

Durch eine vorgelagerte Schicht erhalten alle Wohnungen einen privaten Freibereich in Form von überdeckten Terrassen und Loggien nach Süden und Westen. Wohnungen und Treppenräume werden barrierefrei ausgeführt. Der Laubengang als halböffentlicher Raum dient als Kommunikationszone für die Bewohner und verbindet sich mit dem Wohnhof. Sitzbänke vor den einzelnen Wohnungen laden zum Verweilen und ‚Ratschen‘ ein. Je Geschoss werden über den Laubengang 4 bzw. 5 Wohneinheiten erschlossen. Das nördliche Gebäude erhält auf Grund der Hochwassersituation und einem flächensparenden Umgang der Kubatur keine Unterkellerung. Ein eingeschossiges Nebengebäude übernimmt die Funktionen der Abstell-, Müll- und Technikräume, sowie Platz für Kinderwägen und Fahrräder. Das südliche Gebäude erhält eine Teilunterkellerung für Abstellräume und Technikflächen. Das Erdgeschoss der neuen Wohngebäude mit den jeweiligen privaten Freibereichen ist jeweils um circa 15-20 cm zum umgebenden Außenraumgelände angehoben, um einer Überschwemmung bei Hochwasser vorzubeugen.

 

Der Wohnungsbau mit Holzfassaden nimmt das Thema regionales und ökologisches Bauen auf. Durch die Tannenschalung mit unterschiedlichen Lasuren, entsteht ein einheitliches, freundliches und zeitgemäßes Erscheinungsbild. Die bodentiefen Holzfenster schaffen eine offene und freundliche Atmosphäre und geben den Wohnungen viel Licht und einen hohen Alltagswert. Die vorgelagerten ‚Grünen Zimmer‘ ergänzen die Wohnräume um einen qualitativen Freibereich. Mobile Schiebeläden dienen als Sonnen- und Sichtschutz. Durch die Möglichkeit der individuellen Anordnung entsteht zu den Gartenbereichen ein spielerisches Fassadenbild.

 

Die beiden 3-geschossigen nicht bzw. teilweise unterkellerten Gebäude werden als Holzkonstruktion vorgesehen. Die Gründungsbauteile werden in Stahlbetonbauweise errichtet. Die gewählte Holzbauweise ermöglicht einen hohen Vorfertigungsgrad, welcher einen sehr wirtschaftlichen und lärmreduzierten Bauablauf sicherstellt. Die Dachkonstruktion wird als Sparrendach mit Zwischendämmung und Auflagern auf Außen- und Innenwänden ausgeführt. Die vertikale Lastabtragung wird mittels Holzständerwänden sichergestellt und ermöglichen unter Verwendung nachhaltiger Baustoffe einen hohen Energiestandard. Die Decken werden zur Einhaltung der Brand- und Schallschutzanforderungen als Massivholzdecken konzipiert. Die Aussteifung erfolgt mittels der Dach- und Deckenscheiben in Verbindung mit den Holzständerwänden. Durch die gewählte Holzbauweise wurden die auftretenden Gebäudelasten maximal reduziert. Somit kann trotz des anstehenden Baugrunds, welcher zur Aufnahme von Gebäudelasten ungeeignet ist, die Gründung durch eine elastisch gebettete Bodenplatte erfolgen. Die erforderliche Tragfähigkeit des Baugrunds wird durch eine Bodenverbesserung mittels CSV- oder Rüttelstopfverfahren sichergestellt. Die kompakte Kubatur und Holzkonstruktion ohne Verbundstoffe, ermöglichen ein ‚einfaches Bauen‘ und somit eine nachhaltige und wirtschaftliche Erstellung durch lokale Firmen. Ein betriebsoptimierter Unterhalt wird erwartet. Die Gebäude werden in die Gebäudeklasse 3 eingestuft. Der 1. Rettungsweg erfolgt über das Treppenhaus. Der 2. Rettungsweg erfolgt über die Anleiterung mit der Steckleiter.

Für die neuen Wohnhäuser wird ein Standard KfW-Effizienzhaus 40+ vorgesehen. Der Dämmstandard wird an die Passivhausqualität angenähert. Die Baukörper weisen ein sehr geringes Verhältnis zwischen der wärmeübertragenden Umfassungsfläche und dem Gebäudevolumen auf (A/V-Verhältnis), es handelt sich um kompakte Gebäude. Die Orientierung der Wohnräume ermöglichen eine sehr gute Belichtung. Solare Wärmegewinne werden genutzt. Die vorgelagerte Balkonschicht gewährleistet an heißen Sommertagen eine direkte Sonneneinstrahlung und ist somit passiver Sonnenschutz. 

 

Freiraumkonzept

 

Durch die angestrebte Setzung der Baukörper entsteht im Freiraum eine klare Zonierung. Nördlich des umgenutzten Kopfbaus des ehemaligen Molkereibetriebs entsteht eine öffentlich nutzbare Platzfläche mit angeschlossenem Zugang zum Wasser. Der Platz ist angemessen dimensioniert und bietet den gewünschten Raum für kleinere Veranstaltungen und Konzerte. Mittig zwischen den beiden Wohnhäusern und dem nördlich eingefügten Nebengebäude ergibt sich ein begrünter Wohnhof mit Kinderspiel- und wettergeschütztem Aufenthaltsbereich. Weiter nördlich, zwischen Wohnbebauung und Ebrach eröffnet sich ein dritter, größerer Freiraum, der ebenfalls zur Naherholung der Bewohner dient. Hier gibt es Flächen für Bauerngärten, einen Grillplatz und eine Freizeitwiese. Darüber hinaus gibt es eine neue Rad- und Fußwegeverbindung Richtung Westen mit einer Brücke über den Nebenarm der Erbrach. Eine breite, geschwungene Hauptwegeverbindung durchzieht das neue Wohnquartier von der Bahnhofstraße im Osten bis zum Ortsrand im Westen und ist ausreichend dimensioniert um durch Feuerwehr, Müll oder Umzugs-LKW befahren werden zu können. Der Besucher- und Anwohnerverkehr via PKW ist über eine parallel zur Bahntrasse verlaufende Parkplatzanlage im Süden des Wettbewerbsgebiets abgewickelt. Die damit verbundene, neue Erschließungsstraße gewährleistet Anschluss für Landwirtschaftsfahrzeuge und bietet praktikable Erweiterungsmöglichkeiten für zukünftiges Ortswachstum nach Westen. Das Wohnquartier ist zur Steigerung der Freiraumqualität ansonsten autofrei konzipiert. Den westlichen Abschluss macht eine von Süden nach Norden verlaufende Wegeverbindung, die dem aufgeweiteten und nun mehr mäandrierenden Bachlauf folgt. Eine naturnahe Aufweitung und Bepflanzung des ursprünglichen Ackergrabens erhöht dessen Wert als ökologischer Lebensraum und generiert einen landschaftlichen Ausblick mit hoher Aufenthaltsqualität. Über das durch die Uferaufweitungen gewonnene Volumen kann der durch die Neubebauung entstehende Verlust an Retentionsraum für ein HQ100 ausgeglichen werden.


Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit zeichnet sich durch eine klare Zonierung von mit Kultur und Gesellschaft-Funktionen um den neuen Bürgersaal und den zum Ortsrand hin angeordneten Wohngebäuden mit zugehörigen Gemeinschaftsflächen aus.

Der Kopfbau der alten Molkerei wird erhalten und mit einem Anbau versehen. Im Erdgeschoss finden die Räume des Heimatvereins Platz. Im Obergeschoss wird der Bürgersaal über den Anbau mit Lift und großzügigem Foyer erschlossen. Der Saal kann erweitert werden, entspricht aber selbst dann nicht den geforderten Flächen im Raumprogramm. Der Anbau wirkt von außen wie ein Fremdelement zum Bestand und ist ausschließlichen auf die Funktion als Foyer und dem Saal dienenden Räumen reduziert. Er schafft es in seiner Proportion nicht das Molkereigebäude in seiner ursprünglichen Kubatur identitätsstiftend zu ergänzen. Die Kombination von Alt und Neu wird hinsichtlich Dachform und Materialität in Frage gestellt. 

Die Stellplätze sind im Süden entlang der Bahn angeordnet und nicht überdacht. Ihre Zufahrbarkeit als Senkrechtparkplätze wird aufgrund der bestehenden Platzverhältnisse in Teilen angezweifelt. Fahrradstellplätze sind in überdachter Form vorhanden. Der zentrale Platz im Norden des Bürgersaals wird räumlich durch das Wohngebäude gut gefasst und öffnet sich mit Sitzstufen zur Ebrach. Der direkt im Osten angrenzende Gemeinschaftsraum ist richtig situiert. 

Die Wohnanlage funktioniert eigenständig und definiert einen klaren Ortsrand. Die Wohnungen sind in Ausrichtung zur Landschaft, ihrer Belichtung und Proportionen angemessen und funktionieren gut. Die Bauweise ist einfach und kompakt. Die Wohngebäude weisen einen angemessenen Abstand zum östlichen Bestandsgebäude auf und formulieren einen Gemeinschaftshof mit Spielplatz. Im Norden wird der Hof durch ein Nebengebäude mit Abstellräumen, Müll und Fahrradabstellflächen begrenzt ist. Dessen Dimension und räumliche Qualität wird hinsichtlich der beherbergten Funktionen kritisch gesehen. Die Flächen der Privatgärten sind etwas zu formalistisch. Die Anordnung des Weges im Westen, entlang des Baches wird für Ortsrand und angrenzende Gärten als störend empfunden. Der Freiraum im Nordwesten hat hohe Qualität. Die geringe Flächenversiegelung und die vorgeschlagene Holzbauweise sind nachhaltig. Der Umbau des Bestandsgebäudes sowie die Wohngebäude sind wirtschaftlich zu realisieren.

Insgesamt stellt die Arbeit einen interessanten Ansatz zur Vereinbarkeit von Kultur mit hoher öffentlicher Funktion und Wohnen in Gemeinschaft in ihrer klaren räumlichen Trennung dar. Der Anbau des Bestandgebäudes sowie die strenge rechteckige städtebauliche Setzung der Gebäude am Ortsrand wird jedoch kritisch gesehen. 


Lageplan

Lageplan