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Offener Wettbewerb | 06/2022

Weissenhof 2027 – Städtebauliche Weiterentwicklung Weissenhofsiedlung in Stuttgart

Ankommenssituation am "Weissenhof-Platz"

Ankommenssituation am "Weissenhof-Platz"

Anerkennung

Preisgeld: 2.000 EUR

metris studio für architektur, stadt und landschaft | Bartels, Erl, Nichtern Partnerschaft mbB Architekt:innen und Stadtplaner:innen

Stadtplanung / Städtebau, Architektur

Steffen Becker

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

MISSING LINKS ... TIME TO CONNECT

Der Entwurf MISSING LINKS ... TIME TO CONNECT formuliert städtebauliche und freiräumliche Vorschläge, die in der Tradition der Weissenhof-Siedlung als Symbol des Aufbruchs gelesen werden wollen.
2022, alles ist vorhanden, oft mehr als notwendig. Eigentlich fehlt nichts und trotzdem spüren wir Schwächen, Funktions- und Gestaltungsmängel, irgendetwas fehlt. Der Weißenhof stellt sich als ein Konglomerat unterschiedlichster Mikroquartiere dar. Die Diversität des Stadtteils, sozial, programmatisch, aber auch architektonisch und bautypologisch ist die Ausgangslage von MISSING LINKS. Das Nebeneinander von Funktionen, Programmen, historischen Schichten und Milieus, nicht das Miteinander, prägt den Stadtteil.
Der Entwurf etabliert MISSING LÍNKS als Verbindungsteile, sog. KONNEKTOREN die einen neuen Zusammenhalt zwischen Gestern, Heute und Morgen auf der sozialen, programmatischen und räumlichen Ebene definieren. Damit möchte der Entwurf als Beitrag verstanden werden, der die Transformation des Fordismus einer überkommenen Moderne zu einer Suffizienz der Postwachstumsära unterstützt.
Ziel muss es sein die Heterogenität und Diversität des Stadtteils als elementare Grundlage für ein generationenübergreifendes, multifunktionales, vernetztes Quartier herauszuarbeiten und mit räumlich präzise gesetzten Interventionen Impulse zu setzen, die neue Verknüpfungen auf unterschiedlichen Ebenen aktivieren.

DER TRANSFORMATIONS-LINK - NACHHALTIGKEIT AUSBALANCIEREN

Zukunftsfähige Stadtplanung ist ganzheitlich nachhaltig. Nicht nur ökonomisch und ökologisch sondern auch sozial. Sie muss interaktiv und integrativ funktionieren, den Stadtraum adaptiv und resistent denken, prozessorientierte und holistische Lösungen für den Umgang mit Digitalisierung, Klimawandel und Globalisierung finden.
Die Werkbundsiedlung war für die Stadtverwaltung damals ein Experiment, für das sie „ungeachtet aller Warnungen [...] von Skeptikern und Reaktionen [...] Mittel zur Verwirklichung zur Verfügung stellte [...](1.)
Heute braucht es wieder diesen Mut der öffentlichen Hand, zukunftsweisende Konzepte konsequent zu verfolgen. Zukünftige Bau- und Architekturkonzepte bedeuten vor allem Bestehendes zu nutzen und weiterzuentwickeln sowohl baulich, freiräumlich und verkehrlich, so wenig wie möglich invasive Planung. Wenn eingegriffen wird, dann muss mit dem Rückbau, mit den nicht mehr benötigten Bauelementen etwas Neues entstehen. Die Materialien müssen möglichst vor Ort belassen werden (In-Situ-Verfahren). Die Kreislaufwirtschaft beim Bauen muss uneingeschränkt und sofort standardisiert und verbindlich etabliert werden.

(1.) Zitat: Walter Rietzler, 1930 in „Die Werkbundsiedlung auf dem Weißenhof - 100 Jahre zeitnah!“, Publikation des Deutschen Werkbundes Baden-Württemberg, Hersg. Stadtgruppe Stuttgart
 
DER SOZIAL-LINK - STADTRAUM IST „DEMOKRATIE-KATALYSATOR“

Atmosphärischer, öffentlicher Raum ist die Schnittstelle einer offenen pluralistischen Gesellschaft, dessen Wert für das Gemeinwohl nicht gegen kurzfristige ökonomische Betrachtungen aufzuwiegen ist.
Ein Stadtraum für alle ist Austausch- und Berührungspunkt für verschiedene Nutzer:innengruppen, Bewohner:innen, Nachbar:innen, Senior:innen, Studierende und Beschäftigte der ABK, Vereine, Initiativen und die IBA 27. Damit ist der Dialog aller Akteure:innen im Prozess grundlegender Baustein aller Veränderungen.

DER DENKMAL-LINK - DISKURS STATT MUSEALE KONSERVIERUNG

Ein „Bekenntnis“ zur klassischen Moderne heute muss bedeuten kritische Fragen zu stellen und dem ideellen, Reform-Geist von 1927 wieder Leben einzuhauchen. Perspektivische Transformation statt retrospektive museale Konservierung des denkmalgeschützten Bestandes als Erbe der Moderne. Dabei fördert die Umsetzung zeitgenössischer, innovativer Ideen, Räume und Architekturen eine bewusst erlebbare Auseinandersetzung mit den Ideen und Kontroversen der Vergangenheit. Das neue Narrativ entspricht dabei einer kritischen Bestandsaufnahme der Moderne. Während die Neuinterpretation des klassisch-modernen Motivs von recyclefähigen Solitären im Park der Fortschreibung eines ganzheitlichen städtebaulichen Konzepts dient, ist die bewusste Leerstelle Bruckmannweg 10 wesentlicher Bestandteil der Historie der Weißenhofsiedlung. Das zukünftige Experimentierfeld WOHNEN wandert an die Stelle des Experimentierfeldes der Ausstellung von 1927.

URBANE MERIDIANE und TRANSFORMATIVE AKUPUNKTUR, IMPULSE und KONNEKTOREN

Urbane Meridiane sind so etwas wie die „Energielinien“ des städtischen Raums.
Sowohl freiräumlich als auch verkehrlich charakterisieren sie wichtige Wege im städtischen Gefüge, die die einzelnen Quartiere und unterschiedlichsten Stadt- und Freiräume verknüpfen. Um MISSING LINKS vor Ort zu konkretisieren, ist es wichtig entlang dieser urbanen Meridiane präzis zu lokalisieren, wo starke Impulse notwendig sind, um entsprechend in die Umgebung wirken zu können, um Räume, Programme und damit Menschen zu aktivieren. Dabei sind die neuen Architekturen als gebaute Konnektoren zu verstehen, die mit ihren Programmen und perforierten Erdgeschosszonen dem öffentlichen Raum und den Mikroquartieren Orientierung und Halt geben. Vegetation, Oberflächengestaltung und Freiraumangebote werden zu weiteren konnektiven Elementen, die programmatisch die öffentlichen Nutzungen des ABK- Erweiterungsbaus und des Besucher- und Informationszentrums im öffentlichen Freiraum erweitern.

EBENE STÄDTEBAU UND ARCHITEKTUR

Die Typologie der Zeile als universelle Figur der Moderne wird im Sinne einer städtebaulichen Akkupunktur „on point“ eingesetzt. Mit dem BIZ, dem Neubau 3 der ABK sowie einem Experimentierfeld WOHNEN entstehen drei neue Architekturen, die das Quartier nicht nur im Erdgeschoss aktivieren. Auf Basis einer nachhaltigen, seriellen und modularen Bauweise entstehen flexible Grundrisse und die Voraussetzung für hybrid-genutzte Gebäude. R3 als Konstruktions- + Baustoff-Kreislaufstrategie garantiert effiziente Energie- und Umweltwerte. Dabei steht das BIZ als „Konnekt_Tor“ in Form eines modularen (zusammengesteckten) Holzbaus für REDUCE. Das Experimentierfeld Wohnen basiert auf REUSE und nutzt ein R- Betonskelett aus Abbruchteilen des Keramik- und des Bildhauerbaus. Der Neubau 3 der ABK wiederum wird im In-Situ-Verfahren aus urbanen Minen „gewonnen“ und somit beispielgebend für ein radikales RECYCLING. Die Neubauten sind damit auf der Suche nach einer neuen architektonischen Ästhetik für die Postwachstumsära.
EBENE FREIRAUM UND FREQUENZ
Multifunktionale, offene und barrierefreie Treffpunkte im Freiraum beleben Siedlung und Akademie gleichermaßen. Unterschiedliche Qualitäten und Gestaltungen ermöglichen verschiedene Nutzungen und wechselnde Bespielung. Der Freiraum Weißenhof versteht sich als Konnektor der größeren Freiräume Killesbergpark (nicht bespielbar aufgrund Gestaltung) im Westen und die Wiesen (nichtbespielbar aufgrund der Topographie) im Osten. Die neue Campus-Meile mit der „Assembly Lane“ spielen dabei eine wichtige Rolle als vernetzendes Rückgrat des Quartiers. Die vielfältigen Angebote schaffen im gesamten Quartier attraktive Reize und führen zu unterschiedlichen Nutzungs- und Aufenthalts-Frequenzen im öffentlichen Raum. Ein Freiraum-„Teppich“ legt sich durch das Quartier und interpretiert jeweils die verschiedenen Zonen. Dabei unterscheiden sich Auftakte und Ankunfts-Situationen vom Campus- Garten, aber auch von Elementen wie der Assembly-Lane und vielen Aktivatoren auf Erdgeschossleben.

EBENE NUTZUNGEN UND PROGRAMMATIK

Der öffentliche Raum des Weißenhofs vernetzt nicht nur Killesbergpark und Wiese, sondern vernetzt den Campus-Garten mit den Panorama-Punkten am Grünsaum. Die Brenzkirche wir integrierter, lebendiger Quartierstreff und stellt neben der ABK und des Konnekt_Tor (BIZ) weitere Räume für die Nachbarschaft zur Verfügung.
Mit dem BIZ, den Bauten und Ausstellungsflächen der ABK, dem Experimentierfeld Wohnen, der Lehrstelle für die „Stugginale“, dem Weissenhofmuseum und der Architekturgalerie entsteht ein intensives Netz für Kunst, Architektur und Städtebau auf dem Weißenhof.

Unter dem Stichwort „Stugginale“ versteht MISSING LINKS eine Art Mini-Biennale, die von den drei Stuttgarter Hochschulen für Architektur (ABK, HFT und Uni Stuttgart Fakultät für Architektur und Städtebau) abwechselnd genutzt werden kann.

EBENE MOBILITÄT UND VERKEHR

MISSING LINKS verfolgt eine offenes System für MIV und Fußverkehr unter starker Einbindung des Radverkehrs. Insgesamt wird das Parken im Straßenraum reduziert. Vor allem an den prominenten Stellen der Weißenhofsiedllung, aber auch die Stellplätze auf „innenliegenden Hofflächen“ der ABK werden zurückgebaut. Dafür werden die bestehenden TG-Plätze optimiert und Alle allen zur Verfügung gestellt. Damit erhalten sharing-Konzepte zugunsten der Reduktion privater Fahrzeuge im öffentlichen Raum den Vorrang und unterstützen alternative Mobilitätskonzepte. Die zentrale Bushaltestelle wird umgebaut und an den Rand der Fahrbahn gelegt. Somit wird auch der Blick auf das BIZ und die Orientierung beim Ankommen auf dem Weißenhof erleichtert. Für ein erweitertes und attraktives Fußwegenetz sind mehrere neue Fußgänger-Übergänge notwendig, die auch als verkehrsberuhigende Maßnahmen gesehen werden können.
Als Leitsystem entsteht ein sog. „Narrative Path“, der alle wesentlichen Elemente verbindet und zu spezifischen Spots und Orte führt mit unterschiedlichem Charakter. Dabei können jeweils Themen wie z.B. Nachbarschaft, Ausblick/Panorama, Kunst/Ideenraum, Fotospot akzentuiert werden
Der „Narrative Path“ verbindet nicht nur die Puzzleteile der Nachbarschaft räumlich, sondern auch die historische Entwicklung mit der Gegenwart und Zukunft der Siedlung als „Zeitreise“. Alle Akteure vor Ort sind eingeladen durch gemeinsame Gestaltung bei der Vernetzung mitzuwirken.

Beurteilung durch das Preisgericht

Mit der Leitidee „Missing Links“ setzen sich die Verfassenden zum Ziel, das über die Jahrzehnte entstandene heterogene Konglomerat des Weissenhofs mit Hilfe von Verbindungselementen, den „Konnektoren“, auf freiräumlich, städtebaulich und sozialer Ebene wieder zusammenzufügen und schaffen so eine interessante Vision 2027. 

Als Reminiszenz zur universellen Figur der Moderne wird die Zeile als Typologie reduziert und stringent verwendet. Funktion, Konstruktion und Materialität werden neu interpretiert und mit den Anforderungen von heute sinngemäß versehen. Die drei Konnektor-Gebäude, das BIZ, der Neubau 3 der ABK und das experimentelle Wohngebäude werden souverän und präzise und mit angemessener Körnung gesetzt. Unterstützt wird diese gelungene Setzung von einem durchdachten Freiraumkonzept, welches Platzräume und Raumverknüpfungen gut anordnet, allerdings wirkt die Detailierung teilweise chiffrenhaft und mit der Vielfalt an Angeboten überzogen. Das Mobilitätskonzept mit einem Ankommensbereich an der Birkenwaldstraße, der Verkehrsberuhigung „Am Kochenhof“ und „Am Weißenhof“ ist entwicklungsfähig. Der Quartiersplatz an der Brenzkirche in Verbindung mit dem Vorhaben des Bürgertreffs ist spannend und ausbaufähig. 

Das neue BIZ platziert sich mit schlankem Baukörper gegenüber dem historischen Akademiegebäude, lässt wohltuend Abstand und fasst als Torgebäude den neuen Weissenhofplatz. Allerdings entsteht durch die Dreigeschossigkeit und Länge eine visuelle Abriegelung des in den Stadtraum wirkenden Altbaus. Die Trennung zwischen AKA und Siedlung wird kontrovers diskutiert. Die gegenüberliegende kleinteilige Wohnbebauung der Weissenhofsiedlung wird durch den Maßstab der Zeile in seiner Körnung gestört und erfährt durch die Torsituation eine nicht nachvollziehbare Position. 

Der Neubau 3 der Akademie mit seiner deutlichen Höhenentwicklung zur Stresemannstraße ist verständlich und bindet trotzdem mit guter Maßstäblichkeit an die Akademie an. Vorgelagert entsteht ein Platz als Auftakt zur Assembly Lane, die die Rückseite der Akademie wohlwollend aktiviert und eine neue Promenade zur Weissenhofsiedlung schafft. Die Öffnung des Multiplatzes zur Stresemannstraße als Auftakt zur Assembly Lane ist leider nicht nachvollziehbar, da die Besucherströme von einer starkbefahrenen Verkehrssituation empfangen werden und auf die geschlossene abweisende Rückseite der Killesberghöfe gelenkt werden. Der experimentelle Wohnbau beschreibt den Übergang zur Weissenhofsiedlung und ist dort vorstellbar. Das dafür vorgesehene Programm überzeugt. 
Die neue Fußwegverbindung nördlich des Corbusier-Hauses wird kritisch gesehen. 

Mit der Entscheidung, die Zeile als Typologie zu verwenden, gelingt es einerseits selbstverständlich an den städtebaulichen Kontext anzuknüpfen, allerdings entsteht durch diese reduzierte Nachverdichtung kein Angebot den Campus der Zukunft weiterzuentwickeln. Es ist zu erwarten, dass die benötigten Flächen deutlich unterschritten werden.

Die „Konnektor“ Vision zum Weissenhof 2027 überzeugt mit präziser städtebaulicher Setzung, großzügigen Freiräumen und ist eine gut durchdachte Arbeit mit lässiger Ausformulierung. Die Strategie mittels Zeilentypologie die Missing Links anzubieten, löst leider Zwänge und Irritationen im Städtebau aus und erscheint als flexibler Rahmen für zukünftige Visionen zu starr. 
Neue "Campus-Meile" an der ABK mit dem "Multi-Markt" und der anschließenden "Assembly-Lane"

Neue "Campus-Meile" an der ABK mit dem "Multi-Markt" und der anschließenden "Assembly-Lane"

Gesamtplan

Gesamtplan

Städtebauliche Neuordnung

Städtebauliche Neuordnung

Neubauten als Bindeglieder

Neubauten als Bindeglieder

Konnektoren auf verschiedenen Betrachtungsebenen

Konnektoren auf verschiedenen Betrachtungsebenen

Stoffkreislaufstrategie der Neubauten

Stoffkreislaufstrategie der Neubauten

Auszüge der Prozessstrategie "Zurück in die Zukunft"

Auszüge der Prozessstrategie "Zurück in die Zukunft"

Blick von Osten

Blick von Osten

Blick von Süden

Blick von Süden

Blick von Westen

Blick von Westen

Blick von Norden

Blick von Norden

Blick vom Weissenhof Richtung Besucher*innen-Zentrum "Konfekt_Tor"

Blick vom Weissenhof Richtung Besucher*innen-Zentrum "Konfekt_Tor"

Ankommenssituation am "Weissenhof-Platz"

Ankommenssituation am "Weissenhof-Platz"

Blick vom Weissenhof Richtung Experimentierfeld Wohnen + ABK-Neubau

Blick vom Weissenhof Richtung Experimentierfeld Wohnen + ABK-Neubau

Blick entlang der neuen "Campus-Meile" Richtung Weissenhof

Blick entlang der neuen "Campus-Meile" Richtung Weissenhof

Campus-Mitte

Campus-Mitte

Ausstellungsfeld "Stugginale" am Bruckmannweg 10

Ausstellungsfeld "Stugginale" am Bruckmannweg 10

Gesamtgefüge

Gesamtgefüge