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Nichtoffener Wettbewerb | 06/2022

Landmarken – Landschaftliche Lösungen für fünf „magische“ Orte in Niedersachsen

Visualisierung

Visualisierung

1. Preis / Standort "Borkum"

Preisgeld: 6.000 EUR

RABE LANDSCHAFTEN | ARGE STUDIO URBANE LANDSCHAFTEN

Landschaftsarchitektur

Observatorium

Kunst

Erläuterungstext

Ein Tor zum Wattenmeer für die Watteinstiegsstelle im Ortsteil Reede

Mit der Wattbühne wird an der Watteinstiegsstelle die Magie und die Verletzlichkeit des Wattenmeeres mit den logistischen Einrichtungen für Touristengruppen in Einklang gebracht. Bei unserem Arbeitsbesuch zeigt sich, wie eine Gruppe in Empfang genommen wird, balancierend die Schuhe wechselt, eingewiesen wird und erwartungsvoll auf das Watt hinausgeht. Der karge Parkplatz am Fuß des Deichs ist trotz des rauschenden Verkehrs und des kalten Windes ein fröhlicher Ort. Als eine Kleinbahn voller Touristen vorbeifuhr, ist das Spektakel komplett. Bevor der Zauber des Wattenmeeres einsetzt und der Reiseleiter vorzubereiten und werden dabei von anderen Touristen beobachtet. Es ist eine theatralische Erfahrung, zu sehen, wie sich die Menschen in den wenigen Minuten verhalten, bevor die Magie des Wattenmeeres beginnt: Ankunft, Orientierung, Gespanntsein, Neugier, Gespräch, Umkleide, Einführung, Ausgang. Diese vorgeschriebenen und sich wiederholenden Handlungen vor den Kulissen von Sandsaum, Deich, Salzwiese und Watt brachten uns auf die Idee, eine Bühne zu entwerfen, eine Wattbühne unter freiem Himmel. Die Wattbühne ist das Wahrzeichen, das dem Paradoxon von Weite und Gruppendynamik, von Natur und menschlichem Handeln Gestalt verleiht.

Die Bühne fungiert als Schwelle, die das Welterbe, die Gezeiten und ihren unberührten Charakter einerseits und die Infrastruktur für Tourismus und Wasserschutz andererseits trennt und verbindet. Wenn man die Schwelle betritt, lässt man die Welt hinter sich und betritt eine filigrane Architektur, die an allen Seiten offen ist. Auf dieser Schwelle finden der Wissenstransfer und die Vorbereitung auf das Abenteuer statt. Abenteuer statt. Blickt man von der Schwelle auf die unberührte Natur, ist es allen klar, dass die eine Stufe runter ein Schritt in die Unberührtheit des Meeresgrundes bedeutet.

Die Wattbühne ist an einem Kulissenbauwerk eines Theaters mit perspektivischer Wirkung angelehnt. Die Kulissen werden nach hinten niedriger und das Podest schmaler. Beim Vorbeifahren an der Wattbühne schaut man zunächst seitlich durch die Kulissen auf Bühne und Watt. Die Kulissen schließen die Durchsicht allmählich, bis man sich auf der Sichtachse befindet. Danach öffnen sich die wiederum. So verleiht die Wattbühne den Passanten ein dynamisches und faszinierendes Spiel mit der Wahrnehmung. 

Die Kulissen spielen mit dem Paradoxon von Weite und Geborgenheit. Bei der Ankunft rahmen sie den Blick auf Himmel, Horizont und Wattenmeer ein – das Watt und der Himmel bilden den Bühnenprospekt. Erst beim Betreten der Bühne öffnen sich die seitlichen Blicke. Das Wattenmeer wird durch die erhabene Bühne sichtbar und der Besucher fühlt sich auch sichtbarer. Die Aufmerksamkeit der Benutzer gilt aber auch der Gruppe und dem Wattführer. Die Bühne zum Watt ist eine Landmarke, die das Watt in bescheidener Form inszeniert und eine Plattform für Begegnung und Logistik schafft. Die Kulissen bieten Platz für die notwendigen Einrichtungen und Bänke. Sie bieten etwas Schutz vor Sonne, Wind und Regen. Die einfachen praktischen Einrichtungen „hinter den Kulissen“ dienen den manchmal großen Besuchergruppen bei ihrer Verwandlung vom Passanten zum Gruppenteilnehmer unter Anleitung eines Wattführers.

Der Anfang der Wattwanderung und die Rückkehr mit verdreckten Füßen wird mit einer Prise Humor inszeniert und macht das touristische Treiben zu einer Szene. Die Erkenntnis, dass das Tor zum Watt eine für sie gemachte Bühne ist, macht aufmerksam auf ihr eigenes Verhalten unterm freien Himmel. Die Spannung vor dem Betreten des Wattes wird somit erhöht. Bei der Rückkehr erleben die Besucher die Umkehrung der perspektivischen Zuspitzung: Die Staffelung der Kulissen kehrt sich um und öffnet sich in die Alltagswelt. Die leicht theatralischen Anspielungen bieten reichlich Anlass, sich zu fragen, ob man in der „Komödie des Watteinstiegs und des Wattausstiegs“ Schauspieler oder Staffage ist. Und welche Rolle man im Drama der Landschaft spielt, in der das Watt Hauptrolle, Hintergrund und Handlung darstellt.

Materialität

Plattform, Kulissen, Bänke, Schrank, Fußreinigungsbecken und Dächer sind aus einem Material: gebrauchte Holzpfähle aus Azobe Hartholz, dessen Farbe zwischen hellgrau und dunkelbraun rangiert. Die Zwischenräume der modularen Kulissen lassen sich bedarfsgerecht anopassen; als Stauraum oder Sitzmöglichkeiten. Diese Pfähle schützen normalerweise Kaimauern – die robuste Ausstrahlung mit Verweis auf das Maritime passt hervorragend zu der Atmosphäre des Ortsteils Reede. Überall im Wattenmeer markieren diese Pfähle die Trennung von Land und Wasser und signalisieren an der Watteinstiegsstelle, dass man das Festland verlässt. Auch der Geruch und die Haptik tragen wesentlich dazu bei. Azobeholz ist angenehm für die Füße und braucht wie unverwüstlich. Es wird keinerlei Fundament für die Wattbühne benötigt, die Pfähle werden unmittelbar in den Sand gerammt.

Für die Plattform werden die Pfähle gerade gesägt, damit sie lückenlos an aneinander anschließen. Für die Kulissen ist keinerlei Behandlung notwendig, die schmalen Ritzen sorgen für einen lebendigen Anblick. Die Oberkanten der Kulissen werden schräg abgesägt, um die Tiefenwirkung zu erhöhen.

Die Bühne steht auf kiesigem, muschel- und natursandigem sich verändernden Grund als Kontrast zum Deichbollwerk. Der Übergang vom Festland zum Watt ist damit flißend und landschaftlich gestaltet. Dies gilt auch für den Weg von der Landmarke ins Watt, der sich langsam von einer kiesigen, muschelsandigen Oberfläche in den natürlichen Meeresboden verwandelt. Dem Ort bleibt damit auch seine Kargheit im funktionierenden und praktisch gestalteten Umfeld erhalten. In der ungebundenen Fläche sind Azobehölzer in den Boden eingelassen oder vereinzelt als Bänke ausgestaltet, die die Transformation von der Alltags- in die Wattwelt erlebbar machen. Ein Zebrastreifen bezieht sich auf die Bühnenperspektive, verlangsamt die Autos und lenkt die Besucher*innen. Die Fahrradstellplätze sind entlang des Radweges angeordnet. Auch ihre Ausrichtung lenkt den Blick auf die Bühne. Die barrierearme Erschließung der Bühne erfolgt seitlich über die Kulissen.

Die beiden neuen Bushaltestellen werden ebenso in der Holzoptik wie auch das Toilettenhaus erstellt. Auch der Bus wendet über einen Grandplatz um das Bushaus. Die PKW-Stellplätze und die Bushaltestelle sind auslobungsgemäß hinter den Hochwasserschutzanlagen angeordnet und nehmen zugleich abschließbare Stauräume für Wertsachen auf, die auch den Bedarf der stark belebten Landmarke aufnehmen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Mit der Wattbühne wird eine Landmarke vorgestellt, die den Blick ins Watt pointiert, den Treffpunkt in die Weite sichtbar markiert, den Gruppen einen Auftritt gibt und vielfältige Funktionen vereint. Sie wird von der Straße zum Watt hin niedriger und schmaler. Von der Bahn aus gut zu sehen, lenkt sie den Blick in Richtung Watt und macht neugierig auf den Weg dahin. Vom Watt ausgehend ist sie Orientierungspunkt und gibt eine Perspektive für den Rückweg. Der Sammlungspunkt für die Wattführungen ist deutlich markiert, zeigt zugleich Zurückhaltung. Das Event ist nach wie vor die Landschaft.

Die konsequente Form, die an eine Kulisse angelehnt ist, sowie die Materialität aus gebrauchtem Azobe-Hartholz zeigen ein sehr gutes Zusammenspiel mit der Landschaft, schaffen Aufmerksamkeit und binden sich zugleich in die Landschaft ein. In die Kulissenseiten sind die Funktionalen Anforderungen wie Bänke, Schränke, Waschmöglichkeiten und Unterstand geschickt untergebracht. Zugleich konzentriert sie sich in der Ausgestaltung auf das Wesentliche.

Kritisch wird die Dimensionierung der skulpturalen Setzung diskutiert und die Frage, ob die Seitenansichten der hölzernen Bühne von der Straße aus betrachtet attraktiv genug sind. Die Rahmung der Zufahrt mit sehr schlichten Kleinbauwerken (Buswarte- und Toilettenhaus) an der Straße scheint nicht gelungen. An der Dimension der Wattbühne sowohl an Breite als auch an Tiefe sollte daher im Weiteren noch gearbeitet werden. Die Nebengebäude sollten gestalterisch angemessen eingebunden werden. Ein barrierefreier Zugang ein Stück ins Watt hinein wäre zu ergänzen.

Die Jury ist mehrheitlich davon überzeugt, dass die Wattbühne eine hervorragende Antwort auf den Ort formuliert und als Landmarke sehr gut wirken wird.
Abgabeplan 01

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Abgabeplan 02

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