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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2022

Neugestaltung Marktplatz in Sindelfingen

3. Preis

Preisgeld: 15.000 EUR

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Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Sindelfinger Kaskaden

Die lang diskutierte Tiefgaragensanierung dient als Anlass, den Marktplatz einhergehend mit einer zeitgemässen Neugestaltung klimaresilient für die Entwicklungen der nächsten mindestens 25 Jahre zu qualifizieren.
Im Zusammenspiel aus dem Ingenieurbauwerk Tiefgarage und der Platzgestaltung wird eine innerstädtische Klimamaschine entwickelt.

Klimaresilienz - Form follows Climate
Der wichtigste Schritt hierzu ist ein integrales Wassermanagement, bei dem alle Oberflächenwasser der öffentlichen Flächen gesammelt und über Schwammstadt-optimierte Baumstandorte zeitversetzt nach Zwischenspeicherung wieder dem natürlichen Kreislauf zugeführt werden. So wird der gesamte Niederschlag innerstädtisch für das lokale Mikroklima aktiviert.

In die Topographie integrierte Klimainseln dienen als Wasserspeicher, Aufenthaltsbereiche mit kommerzfreien Angeboten in unterschiedlichen Sitz- und Liegehöhen, sowie Fahrradabstellplätzen. Sie integrieren bestehende und ergänzende Baumstandorte mit Schwammstadt-Wurzelräumen und gewährleisten so eine natürliche Verschattung sowie ein angenehmes Aufenthaltsklima entlang der nördlichen Platzkante, wobei die fassadennahe Anlieferung und die fussläufige Durchgängigkeit erhalten bzw. bis zum Alten Friedhof ausgebaut werden.

Städtebauliche Idee
Ziel ist es, über die Klimaresilienz hinaus mit der Neugestaltung des Marktplatzes eine nachhaltige städtebauliche Weiterentwicklung der Sindelfinger Innenstadt einzuleiten. Hierzu wird als wichtigster Baustein die Gelenkfunktion des Marktplatzes und der unteren Planie zwischen Bahnhof, Altstadt und alten bzw. neuem Rathaus endlich gebührend entwickelt.
An dieser stadtstrategisch sowie städtebaulich sensiblen stelle wird künftig die sanfte Mobilität Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr haben.
Ohne Eingriff in die Grundstruktur der Marktplatz-Tiefgarage erfolgt künftig deren südliche Zu- und Ausfahrt über eine Rampe in der vom Durchgangsverkehr befreite Bahnhofstrasse. Ab dem ersten UG dient die bestehende Spindel weiter der internen Erschliessung.

Das städtebauliche Gelenk zwischen Marktplatz, unterer Vorstadt und Altstadt wird als Initiator einer Aufwertung der Planie interpretiert. Hier könnte der Neubau eines zeitgemäßen Geschäftshaus z.B. den „Sindelfinger Altstadtarkaden“ mit belebter Erdgeschossnutzung als Mittler dienen.

Die Bahnhofstrasse, sowie die in der weiteren Folge die vom Durchgangsverkehr befreite Planiestraße werden als grüne Stadtstrassen weiterentwickelt. Die Mercedesstrasse wird zum grünen Boulevard, einem durchgängigen Baumhain mit eingeschriebenen Verkehrsfunktionen für ÖPNV, sanfte Mobilität und MIV.

Auf dem Marktplatz selbst ist der motorisierte Verkehr künftig Gast: die Anlieferfunktion sowie das Marktgeschehen bleiben in bisherigem Umfang möglich, die Planiestrasse ist in die Platzoberfläche integriert. Ziegel- und Böblinger Strasse sind ebenso mit Schwerlast-befahrbarem Platzbelag ausgestattet und gemeinsam mit dem Rathausplatz beispielsweise als Verkehrsberuhigter Geschäftsbereich gewidmet, um auch hier die Rückkehr der Menschen in den Strassenraum aktiv zu fördern.
Durch diese Massnahme wird der Marktplatz in neuer Form als zusammengehöriger Platzraum im Zentrum Sindelfingens ablesbar und das Rathaus entsprechend an die historischen Stadtfunktionen fussläufig angebunden. Über das Vegetationskonzept wird der Marktplatz zudem Teil eines grosszügigen, zusammenhängendem Freiraumsystems vom Bahnhof über Altstadt und Planie bis hin zum Rathaus und dem Alten Friedhof.


Materialkonzept
Verschattung und Bepflanzung, Kühloasen: Für den Sindelfinger Marktplatz wird eine vegetative Verschattung konzeptioniert. Dabei wird möglichst viel Baumbestand erhalten und zu funktionierenden urbanen Gehölzgruppen ausgebaut. Im Süden ergibt sich somit ein in die Topographie integrierter durchgängig schattiger Aufenthaltsbereich mit zahlreichen SItzmöglichkeiten. Grossbäume werden dabei mit entsprechendem Leichtsubstrat-Aufbau nur im Lastabtragenden Außenmauerbereich, halbseitig angebunden an den anstehenden Boden situiert. Den Klimahain ergänzen aufgeastete Großsträucher und mehrstämmige, schirmförmige Baumguppen zu  unterpflanzten Klima-Inseln. In kaskadenartiger Abstufung stehen diese Klimainseln als vegetative Kühloasen untereinander in einem Überlaufsystem in Verbindung. Die Unterpflanzung mit Farnen (Anbindung an den Friedhof), Gräsern (zentraler Platzbereich) und Sumpfpflanzen (im Bereich der unteren Deponie) unterstützt in Kombination mit einer Sprühnebel-Bewässerung den kühlen Aufenthaltsbereich im Klimahain.
An der südexponierten Nordseite des Platzes werden Einzelbäume zu kleinen, schattenspendenden Baumgruppen, frei im Belag stehend ebenfalls nach dem Schwammstadtprinzip ergänzt. Wo zusätzlich nötig bzw. gewünscht werden kommerzielle Aufenthaltsbereiche über einheitliche Sindelfinger Schirme ausgestattet. Eine minimal ausgebildete Wasserrinne kann in Form einer Intarsie in den Stadtboden als raumgliederndes Element zusätzlich mit einem dezenten, solargetriebenen Wasserfilm für Erfrischung entsprechend dem Sonnenverlauf sorgen.

Gestaltung mit Wasser: Die freie, multifunktionale Platzfläche des Marktplatzes wird künftig durch die Neuinterpretation des Freundschaftsbrunnes geprägt: Zentral vor dem historsichen Rathaus positioniert, erhält der Brunnen unter Beibehaltiung von Brunnenstube und -technik eine Ergänzung in Form von Bodendüsen, die mit den PassantInnen interagieren: Bewegungen auf dem Platz initiieren über die Somemrmonate ein interaktives, bespielbares Wasserspiel. Die inszenierung weitet den Kühleffekt der bestehenden Brunnenanlage bis tief in die Platzfläche.

Am westlichen Ende im Übergang zu Altstadt und Bahnhofstrasse erhält die Planie als visuellen Abschluss des arkadenartigen Wasserkreislaufs ein bepflanztes Freibecken, in dem überschüssige Oberflächenwasser vegetativ gereinigt, bevor sie in einer Zisterne neben der Tiefgarage für die Bewässerungsanlage zwischengespreichert werden.
So wird das zeitgemäße Wassermanagement im Stadtraum erfahrbar und zum verbindenden Highlight der Platzgestaltung.

Oberflächenmaterialität: Während der ertüchtigte Oberbau nach Sanierung der Tiefgaragendecke wiederverwendet werden kann, erhält der Marktplatz einen neuen, barrierefreien Stadtboden: europäischer, in Beige- und Grautönen changierender Granit verbindet die Nord- und Südseite des Platzes in einem mit durch die Topographie inszenierten Reihenverband ähnlich einem Pixelparket. Die Farbverteilung spiegelt dabei die Nutzungsschwerpunkte und Gliederung in freie Platzfläche und Aufenthaltsbereiche / Gebäudevorzonen wieder, ohne diese merklich zu unterteilen.
Die durchgängigen Längsfugen des Granit-Verbandes werden mit einem gewellten Fugenstab ausgebildet, so dass die Fuge einerseits normgerecht für dauerhafte Standfestigkeit des Schwerlast-befahrbaren Stadtbodens, andereseits ddie dazu zunächst wiedersprüchliche normgerechte Versickerung gewährleisten kann. Aus der Verknüpfung von unterirdischen und oberflächlichen Funktionen resultiert die abschnittsweise verkippende Ausrichtung der Entwässerungsfugen entsprechend der unterirdischen Prallbleche, die das Wasser in der Drainschicht der gedichteten  TG-Decke entsprechend ihrem Gefälle zu den Vegetationsinseln und den dort situierten Schwammstadtspeichern führen. Klimaresilienz wird so gestalterisch ablesbar: ein Pixelparkett geleitet BesucherInnen des Marktplatzes vom Bahnhof oder aus der Altstadt kommend dezent verkippend

Ausstattung und Möblierung: An der Oberfläche treten diese Speicherelemente als Klimainseln in Erscheinung, deren Einfassungen (heller europäischer Granitstein) sich entsprechend der Topographie aus der Platzfläche herausschieben und Aufenthalt in unterschiedlichen Sitzhöhen anbieten. Serielle Holzauflagen als Sitzmodule mit Hölzern aus dem Sindelfinger Stadtwald ergänzen diese kommerzfreien Beobachtungs- und Aufenthaltsbereiche. In der Topographie der Klimainseln können zudem beispielsweise über ein Beteiligungsverfahren entwickelte Spielelemente im Sinne einer bespielbaren Innenstadt integriert werden und so das Einkaufserlebnis Innenstadt Altersgruppen übergreifend attraktivieren.

Lichtkonzept: Das Beleuchtungskonzept unterstütz die Intention des räumlichen Zusammenspannens des zentralen Sindelfinger Platzes: Mastleuchten mit Auslegern flankieren den Marktbereich beidseits, wobei die integrierten, schwenkbaren LED-Leuchtmodule zum einen den öffentlichen Raum normgerecht und entsprechend dem allgemeinen Sicherheitsgefühl energiesparend im Alltag wie auch zu Events ausleuchten, zum anderen jedoch wichtige Trägergebäude wie das historische Rathaus oder das neue Gegenüber der Sindelfinger Altstadtarkaden durch entsprechende Ausrichtung der LED-Spots akzentuieren können. Die Lichtpunkthöhen gleichen dabei das Höhengefälle das Marktes aus, so dass künftig ein spezifischer Lichtraum den zentralen Platz Sindelfingens fasst und zwischen Rathausumfeld, den angrenzenden Strassenräumen und Altstadt vermittelt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser entwickeln mit den „Sindelfinger Kaskaden“ ein ambitioniertes und auf der Höhe der Zeit stehendes Konzept für die Neugestaltung des Marktplatzes in Sindelfingen.

Ein barrierefreier Teppich spannt sich von Fassade zu Fassade, verweist lesbar in Richtung Altstadt und integriert gestalterisch dezent die noch erforderlichen querende Verkehre in Nord-Süd Richtung. In einem eloquenten graphischen Spiel durch dunklere Beimengungen im Belag werden die Vorzonen zu den Gebäuden markiert – ruhigere Bereiche für Auslagen, Gastronomie und non-kommerzielles Sitzen im Lichten Schatten der Bäume. Auch wenn im Norden vielleicht ein etwas mehr an Großgrün möglich gewesen wäre, so entwickeln sich hier die Baumkulisse im ansprechend lässigen Spiel mit der Unterbauung bodenbündig und im lebendigen spielerischen Dialog mit den Fassaden.

Mit großen und auch merklich aufschwingenden Hochbeeten, kraftvollem Grün und filigranen und transpirierenden Staudenmatten entwickelt sich entlang des Südlichen Randes ein gestalterisch wie auch unter dem Aspekt der Klima Resilienz ein den Marktplatz zukünftig prägendes grünes Band. Die Integration des Regenwassermanagement ist gut durchdacht und schlüssig in die Abfolge von Bauminseln und Zwängen der Tiefgarage eingepasst.

Durch die räumliche Kraft dieses Bandes rückt allerdings die südliche Bebauung visuell in deine zweite Reihe, ein direkter Dialog von EG zu Platz, beispielsweise durch Gastronomie wird deutlich erschwert.

Kritischer wird die Verschiebung des Brunnes diskutiert, da sich dessen Mehrwert hinsichtlich räumlicher Situierung im Platz, axialer Ausrichtung auf die Galerie und der Kosten der Jury nicht erschließt. Die belgleitenden Nebeldüsen bewirken in heißen Tagen ergänzend Kühlung, sind jedoch mit Blick auf die Beeinträchtigung der intendierten Nutzung und der Folgekosten fraglich. Für die Verbindung zur Innenstadt wird ein neues Shopping gelenk vorgeschlagen – inhaltlich sicherlich dankenswert, in der dargestellten städtebaulichen Setzung und der architektonischen Sprache jedoch zu hinterfragen. Wenngleich die um die TG Rampe verorteten Stufen Großzügigkeit vermissen lassen, so ist diese in der räumlichen Öffnung richtigerweise zu finden. Die ergänzende alternative Darstellung mit einer Verlagerten TG bedingt hier nur marginale räumliche Vorteile und versperrt in der neuen Einfahrt zur Planie doch unangemessen deutlich. Die Arbeit bewegt sich in Gestehungs- wie Unterhaltskosten in einem dem Ort angemessenen Bereich. Die zukünftige Bespielung ist aufgrund fehlender Barrieren flexibel und im Sinne der Aufgabenstellung.

Die Arbeit entwickelt so einen spannenden, der aktuellen Diskussion von Klimaschutz und Klimaresilient gerecht werdenden und gestalterisch ein für eine zeitgemäße Platzgestaltung entsprechendes Bild, dessen Schwäche im Wesentlichen in der funktionellen Verknüpfung zur Altstadt und insbesondere im Dialog der südlichen Bebauung mit dem Platzraum liegen.