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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2022

Neugestaltung der zentralen Fußgängerzone in Ulm

ein 3. Preis

Preisgeld: 18.200 EUR

Atelier Loidl

Landschaftsarchitektur

Atelier Tata

Visualisierung

Erläuterungstext

Neugestaltung der Fußgängerzone Ulm

Mit einer einheitlichen Gestaltung und klaren Aufteilung wird die Ulmer Fußgängerzone zu einem öffentlichen Begegnungs- und Gemeinschaftsraum für Nachbarn und Gäste. Anhand eindeutiger Mittel entstehen abwechslungsreiche Orte der Interaktion und des Miteinanders, angepasst an die jeweilige Situation. Dabei werden die Themen Identität, Orientierung, Klimaanpassung und Kommunikation Grundlage für die Gestaltung und maßgeblich für die zukünftigen Entwicklung einer attraktiven und einladenden Innenstadt.

Stadtraum und Stadtgestaltung - Zusammenhalt durch Eindeutigkeit
Die Ulmer Fußgängerzone verbindet als zentrale Achse den Hauptbahnhof mit dem Münster. Als wichtiger Baustein einer langfristigen Innenstadtentwicklung reiht sie sich eine Kette von Plätzen, die als Ensemble ein prägnantes Zentrum mit attraktiven öffentlichen Räumen ausbilden. Dabei werden die einzelnen Orte durch eine jeweils eigenständige Gestaltung und Identität definiert.

Durch die gezielte Reduktion der gestalterischen Mittel erhält die Ulmer Innenstadt einen übergeordneten Zusammenhang und Wiedererkennungswert. Hinsichtlich der Materialwahl werden die gestalterischen Mittel präzise gewählt und auf das Notwendige reduziert. Dabei erhält die Fußgängerzone eine einheitliche und dennoch prägnante, eigenständige Gestaltung, die ihrer besonderen Bedeutung gerecht wird.

Entlang der zentralen Achse als Leitlinie wird ein Granitsteinbelag im Reihenverband verlegt. Die Steine mit variierender Breite zwischen 30-50cm und changierender Farbgebung vermitteln in ihrer Körnung zwischen dem Pflaster auf dem Albert-Einstein-Platz und den Platten auf dem Münsterplatz. Der einheitliche Einsatz von Granitstein schafft angenehme Übergange, die sich durch die Varianz der Farbgebung, der Körnung und dem Verband dennoch deutlich voneinander absetzten und eine atmosphärische Abfolge von öffentlichen Räumen inszeniert.

Mobilität und Erreichbarkeit - Das Leitsystem als Rückgrat der Fußgängerzone
Der Charakter der Fußgängerzone wird durch die Entwicklung einer autofreien und umweltfreundlichen Innenstadt gesichert. Dabei wird Inklusion und Barrierefreiheit auch im Sinne einer guten Orientierung innerhalb der Stadt verstanden. Für den Fußverkehr wird ein barrierefreies Leitsystem entwickelt das an das Wegenetz der Innenstadt angeknüpft. Das taktile Blindenleitsystem wird zentral positioniert und zusammen mit der Linienentwässerung entwickelt. Das Leitsystem verdeutlicht dabei die Achse zwischen Hauptbahnhof und Münster und wird zum Rückgrat der Fußgängerzone.

An die Fußgängerzone grenzen zentrale Orte mit Verteiler- und Umsteigefunktion wie der Hauptbahnhof mit Tramstation und dem Parkhaus Deutschhaus an. Ergänzt wird das Angebot mit einem Mobility-Hub als Erweiterung zum bestehenden Busbahnhof mit Taxi- und Behindertenstellplätzen, sowie Elektro- Ladestationen für Räder und PKWs. Um den Radverkehr attraktiver zu gestalten wird darüber hinaus das Angebot an Fahrrad- und Rollerstellplätzen ausgebaut und an wichtigen Kreuzungen und Zuwegen mit E- Bike Ladestationen ergänzt. Innerhalb der Fußgängerzone wird eine zentrale Fahrgasse für Liefer-, Abfall und Rettungsfahrzeuge frei gehalten.

Im Beleuchtungskonzept kommen schlichte, schlanke Stelen mit modernster LED Technik zum Einsatz. Diese gewährleisten eine gezielte Ausleuchtung des Bodens mit erstklassigem Sehkomfort und hoher Sicherheit sowie eine vorbildliche Abschattung nach oben zum Schutz des Nachthimmels und der Insekten. Die Leuchten orientieren sich an dem einheitlichen Beleuchtungssystem der Ulmer Innenstadt. Um dem Wasserspiel auch bei Nacht Bedeutung zu verleihen wird dies von Innen illuminiert. Mit einer Dimmung lässt sich das vorgestellte Beleuchtungskonzept sowohl in den Nachtstunden nach unten dimmen, als auch für Eventzwecke heller machen.

Ökologie und Klima - Die Grüne Innenstadt wird zur Ulmer Visitenkarte
Langfristig ist die Frage der Klimaanpassung maßgebliche Grundlage für die Qualität der Freiräume. Möglichkeiten zur Entsiegelung und Beiträge zur Verdunstung und damit Abkühlung der Stadtzentren sollten ausgeschöpft und ästhetisch in die Gestaltung integriert werden. Dabei können attraktive Aufenthaltsbereiche bei einem angenehmen Stadtklima entstehen.

Die Ulmer Fußgängerzone wird zum Vorzeigeprojekt vielfältiger Begrünungkonzepte. Der Anspruch an Themen wie Ortsbezug, Biodiversität und Klimaanpassung werden an diesem Ort sichtbar und stärken dessen Identität als Grüne Visitenkarte der Stadt.
Die bestehende Platane gilt als dürreresistent und wird als einheitliches Gehölz entlang der Fußgängerzone ergänzt. Dabei wird auf unterirdische Versorgungsleitungen und Blickachsen vor allem Richtung Münster geachtet. Die bestehenden Hochbeete werden zusammengefasst und erhalten eine topografische Pflanzung aus pflegeleichten, extensiven Halbschattenstauden in Kombination mit Gräsern und Farnen. Die Auswahl beschränkt sich dabei auf heimische Wildstauden mit besonderem Ortsbezug.

Hinsichtlich der vertikalen Begrünung werden zwei Systeme je nach Fassadentyp vorgeschlagen. Die großen, geschlossenen Fassaden der Kaufhäuser im Westen der Fußgängerzone bieten die Möglichkeit einer eindrucksvollen, flächigen Begrünung mit einem Kastensystem ähnlich einer vorgehängten Fassade. Dem gegenüber steht die bodengebundene Fassadenbegrünung, die aufgrund der belebten Erdgeschosszone und großen Schaufensterfronten nur punktuell und säulenartig eingesetzt wird.

Nutzung und Soziales - Individuelle Einheitlichkeit
Mit einfachen Mitteln werden Aufenthaltsbereiche gestaltet, die Begegnungen fördern, sowie ein Gefühl des Miteinanders und der Zusammengehörigkeit herstellen. Dabei wird ein Aufeinandertreffen von Menschen inszeniert und das Entstehen von Kommunikation, Interaktion sowie gegenseitigem Erleben gefördert. Eine schlichte und zeitlose Gestaltung mit hochwertigen Materialien und einer vielfältigen Begrünung versprechen ein hohes Maß an Aufenthaltsqualität, die kurzzeitige Trends übersteht und dennoch flexibel auf zukünftige Entwicklungen reagieren kann.

Die Positionierung der Aufenthaltsbereiche orientiert sich in erster Linie an den Standorten der Bestandsgehölze. Diese werden mit Elementen auf der Nord- und Südseite der Fußgängerzone ergänzt, sodass ein angenehmer alternierender Bewegungsfluss entsteht, der zum schlendern durch die Stadt einlädt.

Die Aussengastronomie gliedert sich in diesen Rhythmus ein. Dafür wird der Gastronomiebereich auf eine Schirmbreite begrenzt. Darüber hinaus kann optional über Bodenhülsen ein Kordelsystem vorgesehen werden, dass eine einheitliche Zonierung bereit stellt und dennoch flexibel auf Veränderung der Gebäudenutzung reagieren kann.

Die einzelnen Aufenthaltsbereiche sind angepasst an die jeweilige Situation entlang der Fußgängerzone und bieten eine hohe Varianz an Sitzmöglichkeiten und Blickwinkel. Die bestehenden Platanen auf erhöhter Ebene werden topografisch mit Granitsteinelementen eingefasst. Lang gezogene Holzauflagen mit Lehne laden zum kurzen Verweilen und Beobachten entlang der Straße ein. Wichtige Kreuzungsbereiche der Seitengassen erhalten durch großzügige Elemente programmatische Schwerpunkte. Großflächige Holzplattformen bieten Möglichkeiten der Entspannung aber auch Raum für Veranstaltungen, Feste und Nachbarschaftstreffen. Das Wasserspiel mit seitlichen Sitzkanten und variierenden Wasserdüsen schafft ein interaktives und spielerisches Angebot in zentraler Lage der Fußgängerzone. Der Bezug zur Blau als direkt daran angrenzender innerstädtischer Erholungsraum wird mit einer langen Panoramabank inszeniert. Zusammen entsteht eine vielfältiger Katalog an Ausstattungselement, der durch seine kontrastreichen Formen abwechslungsreiche Orte anbietet und dennoch anhand einer einheitlichen Gestaltung und Materialwahl als zusammenhängendes Ensemble ablesbar ist.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf versteht die Fußgängerzone als einheitlichen Stadtraum, welcher den Bahnhof im Westen mit dem Münsterplatz im Osten verbindet. Die Verfasser setzen dieses städtebauliche Motiv mit einer einheitlichen Belagsgestaltung aus changierendem Granitstein im Reihenverband um. Überraschenderweise verzichtet der Entwurf auf verknüpfende Gesten mittels Stadtbäumen und macht stattdessen das ohnehin notwendige taktile Blindenleitsystem zum gestalterischen Rückgrat der Fußgängerzone. Dieses zieht sich als breiteres Belagsband mit einem eleganten Schwung mittig durch die Fußgängerzone und bindet geschickt die Nebenstraßen an. So entsteht ein großzügiger, zunächst offener und gut lesbarer Stadtraum, in den dann in größeren Abständen Aufenthaltsbereiche eingefügt werden, die jeweils aus drei neuen Bäumen und unterlagernden Pflanzbeeten mit umlaufenden Sitzbänken bestehen. Damit gelingt es den Verfassern auf geschickte und ortsspezifische Weise, den Stadtraum zu rhythmisieren und einen mäandrierenden Bewegungsraum vorzuzeichnen, der durchaus geeignet ist, die Aufenthaltsqualität der Ulmer Fußgängerzone zu erhöhen. Auch der Blick aus der Hirschstraße auf das Ulmer Münster wird freigehalten.
Durch die starke Reduktion wird die Fußgängerzone in die Lage versetzt, weitere Elemente, die einen solchen Raum oft überlasten (Werbung, temporäre Auslagen) aufzunehmen; gleichzeitig wird die nüchterne Formensprache kritisch diskutiert. Kritisch wird auch die vorgezeichnete klimatische Situation in der Fußgängerzone bewertet. Zwar schlägt der Entwurf auch großflächige Fassadenbegrünungen vor, die geringe Beschattung durch großkronige Straßenbäume lässt aber eine starke Erwärmung und Einschränkungen in der Aufenthaltsqualität besonnter Bereiche erwarten.
Die Gestaltung der Glöcklerstraße überzeugt. Ein neues begehbares Wasserspiel markiert geschickt den Eingang der Fußgängerzone. Eine langgezogene Panoramabank leitet die Besucher weiter bis zur Brücke über die Blau, die so in das Gesamtgefüge eingebunden wird.
Der Entwurf kann auch in funktionaler Hinsicht überzeugen. Alle Baumneupflanzungen sind umsetzbar; die Erschließungswege und Feuerwehraufstellflächen werden weitgehend berücksichtigt. Zusätzliche Angebote für das Fahrradparken werden gemacht.
Insgesamt überzeugt der Entwurf durch eine zurückhaltende, auf Reduktion gestalterischer Mittel setzende Haltung. So entsteht ein eleganter, gut akzentuierter und vielfältig nutzbarer Stadtraum, der so auch ohne größere Abstriche umsetzbar ist. Gleichzeitig führt der reduzierte Einsatz zu einer eingeschränkten Klimaperformance und der Kritik mangelnder Angebote für Spiel und Aufenthalt.