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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2022

Neugestaltung der zentralen Fußgängerzone in Ulm

Anerkennung

Preisgeld: 9.100 EUR

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Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Die neue Blaue
eine resiliente Fußgängerzone als (Wasser)speicher für Ulm

Mit der Neugestaltung der Ulmer Fussgängerzone ergibt sich die Möglichkeit der grundliegenden Klimaertüchtigung des öffentlichen Raums als Beitrag zu einer resilienten Innenstadt. Darüber hinaus strebt der Entwurf die größtmögliche räumliche Offenheit und Nutzungsflexibilität sowie Adaptierbarkeit für mehrere Generationen an. Hierzu wird ein durchgängiger Bodenbelag von Fassade zu Fassade sowie ein möglichst Einbauten-freier Stadtraum mit punktuell deutlich verstärkten Aufenthaltsmöglichkeiten vorgeschlagen.

Form Follows Climate
Auf Basis der Klimaanalyse im Bestand in Überlagerung mit Parametern wie Bewegungsabläufen, Blickbeziehungen und funktionalen Anforderungen ergibt sich ein prinzipielles Verorstungsprinzip, das gestalterisch weiterentwickelt als spezifischer Code in den öffentlichen Stadtraum eingeschrieben wird. Es entsteht ein längsgestreckter, auf den Münsterplatz zuführender, hybrider Freiraum mit platzähnlichen Intarsien und vielfältigen Aufenthaltsangeboten.

Grundlage ist ein urbanes Wassermanagement, das alle Oberflächenwässer (und optional schrittweise erweitert um die angrenzenden Dachwässer) zwischenspeichern und über vegetative Verdunstung dem öffentlichen Raum rückspeisen kann.
Als weitere Klima-Anpassungsmassnahme wird die Ergänzung des Baumbestandes unter Beibehaltung der wichtigen Blickbeziehungen in Kombination mit schrittweise ausbaubaren Fassadenbegrünungen vorgeschlagen. Es ergibt sich eine grüne Klammer in einem Wechselspiel aus Fassadengrün und freistehenden Baumpflanzungen, die über ihre Evaporationskühlung die südexponierten Fassaden und den vorgelagerten Stadtraum klimatisch ertüchtigt und neue, passiv gekühlte Aufenthaltsbereiche anbietet.

Vorhandene, erhabene Pflanzflächen werden in beweguzngsoptimierten Geometrien mit neuen Sitzrändern inklusive Holzauflagen in unterschiedlichen Sitzhöhen funktional ertüchtigt und mittels Unterpflanzung mit Gräsern und Farnen atmosphärisch in urbane Oasen mit hoher Attraktivität und Lenkungsfunktion im Sinne zeitgemäßer Klimainseln weiterentwickelt. Die bedarfsweise über das implementierte Schwammstadtprinzip hinaus zuschaltbare Bewässerung erfolgt analog zur ergänzenden Wasserzufuhr für die Fassadenbegrünung über Sprühnebel-Düsen, so dass sich zusätzlich zu einer aktiven Kühlung auch ein optischer Erfrischungseffekt einstellt.
Der Baumbestand an der Einmündung der Deutschhausgasse wird als derzeitiger urban heat spot zu einem ebenerdigen Klimahain im Schwammstadtprinzip mit sickerfähiger Kiesabstreu ergänzt. Kommerzfreier Aufenthalt und in Kombination mit urbanem Kinderspiel sind hier mögliche Nutzungsschwerpunkte.

Dieses aktive Wasserkühlsystem wird mittels Brunnenelement komplettiert: Ein Wasserspiegel nutzt im besonders überhitzten Kreuzungsbereich Hirschstrasse / Wengengasse / Glöcklerstrasse die bestehende Wassertechnik des Brunnens weiter: Als Bodenintarsie überzieht ein dünner Wasserfilm den Stadtboden. In der Formgebung nimmt er sich kreuzende Bewegungslinien auf und entflechtet den Kreuzungsbereich räumlich; er reflektiert das Fotomotiv des Münster fotogen in die Fussgängerzone und interagiert mit dem querenden Radverkehr über Bewegungsmelder: Interaktiv lösen herannahende RadlerInnen ein Wassersignal in Form von Sprühnebel im Bereich der Einfassung aus. Es entsteht ein Merkzeichen, das zugleich orientiert und signalisiert. Die geradlinige Querung mit hoher Geschwindigkeit ist über diese Gestaltungselement unterbunden, der Kreuzungsbereich erhält eine neue, verkehrstechnische Aufmerksamkeit und kühlt zugleich den markanten urban heat spot aus der Klimaanalyse.

Als intelligenter Stadtboden spannt sich ein hell-beige changierender Pixelparket aus Granitstein mit hohem Albedo im Reihenverband von Fassade zu Fassade auf. Akzentuiert wird dieser in Aufenthalts- und Übergangsbereichen über den Wiedereinbau (re-Use) vorhandener dunkler Granitplatten in Form akzentuierender, sich verdichtender Reihen. In Aufenthaltsbereichen sind diese zudem mit einer grünen, sickerfähigen Fuge versehen, so dass sie hier zu einer selbstverständlichen Reduktion der Fortbewegungsgeschwindigkeiten über ihre raueren Oberflächen beitragen und darunterliegende Baumquartiere gemäß dem Schwammstadtprinzip direkt versorgen. Das Pixelparket spiegelt in der Farbnuacierung die Bewegungslinien intuitiv wieder, so dass eine selbstverständliche Orientierung im Raum mit schnellerer Fortbewegung im Zentrum und beidseitigen Flanier-Zonen sowie eingeschriebenen Aufenthaltsbereichen entsteht.
Der Stadtboden präsentiert sich dabei als langlebig, barrierefrei und nutzungsoffen. Sehbehinderten-Leitsystem und Kennzeichnung der Aussengastronomie bzw. -auslagen werden über ein Stecksystem mittels bronzener Einsteckwinkel in den schmalen Fugenräume markiert, so dass die Zonierung dauerhaft jedoch flexibel auf sich wandelnde Nutzungen und Ansprüche im Sinne einer zeitgemässen Multicodierung reagieren kann.


Ausstattungskonzept: Möblierung und Beleuchtung
Der Entwurf öffnet den Raum von Fassade zu Fassade und verortet zugleich neue, möglichst multicodierte Angebote an Aufenthalt und Spiel. Einbauten für Sitzen und Spiel werden dabei jeweils mit vegetativen Ergänzungen gebündelt und über ein geweitetes, durchgrüntes Fugenbild mit einer gröberen Rauigkeit akzenturiert. In diesen versickerungsoffenen Zonen kommen zudem vermehrt dunklere Steine auch aus dem Grantitbestand zum Einsatz, die die Verschmutzungsresistenz ind en schattigen Aufenthaltsbereichen erhöhen, ohne neue Hitzespots auszubilden.
Auch in Bereichen mit vorgeschlagener Fassadenbegrünung werden Vegetations- und Aufenthaltsbereiche gekoppelt: freie Drehstühle oder Fassadenbänke schützen den Stamm- und Wurzelbereich der Rankpflanzen und ermöglichen kommerzfreies Rasten im Grünen.
Das Beleuchtungskonzept ergänzt den grünen Barcode der Fussgängerzone: für die größtmögliche Durchgängigkeit, barrierefreiheit und Nutzungsoffenheit wird, wo immer möglich, eine fassadengebundene Beleuchtung vorgeschlagen: Den oberen Abschluss der Rankkonstruktion säumen moderne, längliche LED-Fassadenstrahler mit blendfreier Linsentechnik und standartisierten, wartungsarmen Leuchtmitteln, die eine dezente, normgerechte , auf das Münster hinführende Lichtebene in den öffentlichen Raum einziehen.  Selbtverständlich kann dies eLeuchte auch Fassadenbegrünung den ausleuchtungstechnsichen Lückenschluss ausfüllen.
Diese spezifische Ulmer Innenstadt-Leuchten-Familie wird um einen freistehenden Mastleuchten-Typus ergänzt, um im Bereich von unzugänglichen Fassaden unabhängig und normgerecht ausleuchten zu können. Die Lichtfarbe der LED-Spots ist dabei warmweiss und möglichst insektenfreundlich. Mit einer speziellen Linsentechník kann eine zeitgemäße Blendfreiheit sowie, wo immer gewünscht, auch die Akzentuierung einzelner Fassaden sichergestellt werden.
Die Möbel selbst basieren auf einer Stahlunterkonstruktion wahlweise über ein Stecksystem im Stadtboden oder mit der Fassadenbegrünung an den Wänden montierbar mit Holzauflagen auf heimischen Thermohölzern. Die Möbelfamilie kann dabei unterschiedlichste Anforderungen und Ausformulierungen berücksichtigen und eher als komfortables Stadtsofa oder als Spielgerät in Erscheinung treten. Über die modulare Konstruktion dieser öffentlich angebotenen Treffpunkte wird das höchstmögliche Mass an Flexibilität und Adaptierbarkeit im Sinne einer aktive gelebten und wechselnd bespielten Fussgängerzone sichergestellt.
Auch der neue Balkon über dem Fluss artikuliert sich mit seinen Sitzauflagen in dieser hölzernen Haptik. Mittels Absenkung im Brückenbereich ähnlich einem landschaftlichem A-HA sind die Aufenthaltsbereiche über dem Wasser aus den Bewegungsströmen ausgenommen

Erschliessung und Barrierfreiheit
Ziel des Entwurfes ist die Qualifikation des markanten Stadtraums als langfristig funktionaler Innenstadtbereich, der unterschiedlichsten NuzerInnengruppen und -Ansprüchen möglichst vollumfänglich gerecht wird und bei selbstverständlicher Gestaltungsqualität ein maximales Mass an Flexibilität implementiert. Über ein Stecksystem wird die Sehbehinderten-Leitlinie nicht nur normgerecht im Stadtraum lesbar, sondern auch zum spezifischen optischen Leitelement für sehende Menschen. Zusammen mit den Einsteckwinkeln der Aussengeschäftsflächen und den ebenfalls bronzefarbenen Lampen spannen die Bodenintarsien einen gänzlich neuen, funktionalen und zugleich edlen Rahmen für die Blicke auf die Besonderheiten der Ulmer Innenstadt und ermöglichen ein hohes Maß an Barrierefreiheit und Selbstverstöändlichkeit der organisatorischen Abläufe. Vegetative Ergänzungen sind entsprechend repräsentaiv hoch aufgeastet und abgestimmt auf die Anforderungen von Ver- und Entsorgung sowie Feuerwehr.
Im Bereich der Einmündung der Glöcklerstrasse auf die Neue Strasse wird das Shared-Space-Pinzip zugunsten einer Klärung der Ein- und Ausfahrssituation über einen kurzen Abschnitt räumlich gefasst: RadfahrerInnen erhalten einen über Bodenintarsien (wiederverwendeter BAckstein könnte hier zum Einsatz kommen) erkennbaren Zuweg innerhalb einer ergänzten Doppelbaumreihe. Busse orientieren sich über die entsprechend breitere Platzfläche Richtung Busterminal.

Vegetationskonzept
Alle Bestandsbäume werden erhalten und im Sinne einer Generationen-Pflanzung mit jüngeren Stadtbäumen ergänzt. Ein wichtiges Auswahlkriterium ist dabei eine möglichst hohe Verdunstungsrate, damit die Grünelemente möglichst rasch ihren Anforderungen als Grüne Klimamaschienen im öffentlichen raum nachkommen können. Ind en Aufenthaltsbereichen können Mehrstämmige Bäume mit hohem Kronenansatz die bestehende Typologie atmophärisch ergänzen. Für die Fassadenberankung wird nach Klärung der Pionierfassaden ein Konzept unterschiedlichster Wuchshöhen und jahreszeitenaspekte entwickelt. Auch die gezielte Integration von Werbe-Schriftzügen ist denkbar. Ziel ist es, über die Grünen Klammern neben eine nachhaltigen Prägung des Stadtraums auch beteiligten Firmen die Möglichkeit zur Teilhabe an einem spezifischen Ulmer Weg einzuräumen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Ziel des Entwurfes ist die gestalterische Zusammenfassung der drei betroffenen Straßenzüge zu einer gestalterischen Einheit. Ein Bodenbelag aus beigem Granit in querlaufenden Reihen von Fassade zu Fassade bildet eine durchgängige Grundlage, die die verschiedenen stadträumlichen Situationen und heterogenen Fassaden zusammenbindet. Rhythmisiert wird die Fläche durch eine Bänderung aus dunkleren Granitplatten sowie längs verlaufenden Klinkereinstreuseln, die aus den bestehenden Belägen hergestellt werden, die Fläche gliedern und die Hauptgehbereiche betonen sollen. Die Verwendung von Bestandsmaterialien als „Re-use“ wird positiv aufgenommen. Inwieweit das neue „Pixel-Parkett“ tatsächlich die gewünschte Wertigkeit erreichen kann wird kritisch diskutiert.
Die Pflanzung von ergänzenden Bäumen berücksichtigt überwiegend die durch die umfangreichen technischen Rahmenbedingungen eingeschränkten Standorte. Eine Umsetzung erscheint daher unproblematisch möglich. Die angekündigte Vielfalt aus unterschiedlichen Bäumen mit hoch- und mehrstämmigem Wuchs lassen eine gute Kombination mit den Bestandsbäumen erwarten. Leider ergeben sich aber gerade in der Hirschstraße dadurch größere Lücken in der Bepflanzung, die aufgrund des Fehlens anderer Gliederungs- und Möblierungselemente vielleicht etwas zu pragmatisch erscheinen.
Die Ergänzungen im Einfahrtsbereich zur Glöcklerstraße werden stadträumlich begrüßt, kollidieren allerdings mit den erforderlichen Aufstellbereichen der Feuerwehr.
Der Erhalt aller bestehenden Bäume wird ausdrücklich honoriert. Die Baumquartiere werden - wo aufgrund der Bestandssituation erforderlich – durch höherliegende Betonelemente mit integrierten Sitzelementen eingefasst, die sich mit ihrer polygonalen Ausführung gut in die bestehenden Wegesysteme einfügen. Die neuen Pflanzungen erhalten ein niveaugleiches Baumquartier mit großen, offenen und versickerungsfähigen Fugen, die das Oberflächenwasser in den Wurzelbereich bringen sollen und sich aber zum Teil stark in die Wegebeziehungen erstrecken. Es wird bezweifelt, ob dieses Element eine gute Antwort für den urbanen Kontext liefert. Das im Text erwähnte Stecksystem für das Sehbehinderten-Leitsystem ist leider in den Plänen nicht gut erkennbar.
Die Anlage eines niveaugleichen Klimahains mit versickerungsfähigem Boden in der Einmündung Deutschhausgasse ist eine gute Antwort für den spezifischen Ort zu sein und bietet mit den vorgesehenen Spielelementen einen attraktiven Ort innerhalb der Fußgängerzone.
Unter dem Stadtboden befinden sich umfangreiche technische Einbauten zur Sammlung und Speicherung des Regenwassers, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema erkennen lassen.
Für den zentralen Knotenpunkt wird die Anlage einer Wasserfläche mit unterschiedlichen Qualitäten vorgeschlagen, die den zentralen Ort gestalterisch gut besetzt. Allerdings wird durch dieses Element das derzeit schon hohe Konfliktpotenzial aus unterschiedlichen funktionalen Anforderungen eher verstärkt und die Realisierung an dieser Stelle damit kritisch gesehen. Für Beleuchtung und Möblierung werden für Ulm neue Elemente vorgeschlagen, die für die verschiedenen Orte gute Lösungen beinhalten und auch partielle Fassadenbegrünungen mit integrierten Sitzmöbeln ermöglichen.
Insgesamt bietet der Entwurf eine gute und umsetzbare Grundlage für die gestellte Aufgabe.