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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2022

Neugestaltung der zentralen Fußgängerzone in Ulm

Perspektive Hirschgasse

Perspektive Hirschgasse

Anerkennung

Preisgeld: 9.100 EUR

Franz Reschke Landschaftsarchitektur GmbH

Landschaftsarchitektur

Anselm von Held | Tageslichtstudien | Kunstlichtplanung | Lichtsimulationen

Lichtplanung

Irriproject Ingenieurbüro für Bewässerung | Wassertechnik

Wasserbau

Erläuterungstext

Annäherung und Konzept - Wie sieht sie aus, die Zukunft unserer Innenstädte? Das Phänomen und Erfolgsmodell Fußgängerzone ist mittlerweile etwas in die Jahre gekommen... Ladengeschäfte, Gastronomie, öffentlicher Raum. Was passiert im und ab dem ersten Obergeschoss? Wo wollen wir zukünftig einkaufen, arbeiten, leben?Welche Rolle spielt der öffentliche Raum?Welche Rolle das Grün in der Stadt?Welchen Beitrag kann die Gestaltung leisten? Es gibt für die ‘Ausgestaltung der Zukunft’ nicht die eine, universelle und fixe Lösung - diese sind auch weiterhin ortsspezifisch zu suchen und vielleicht nicht mehr mit der Halbwertszeit ‚für immer‘. Es bedarf eines Konzeptes für den öffentlichen Stadtraum, für das Grün in der Stadt, für attraktive Angebote für Alle. Ein entwurflicher Ansatz der dabei hilft flexibel zu bleiben und ‘vernünftig’ reagieren zu können.

Wir unterscheiden grundsätzlich in dauerhafte und mobile Komponenten: Belagsflächen ausrobustem und hochwertigem Naturstein, teilweise bewegliches Stadtgrün und Freiraummobiliar. Alle Flächen, Einbauten und Konstruktionen sind reversibel, umbau- und wiederverwendbar. Sie lassen so ein hohes Maß an Veränderung zu und tragen zu einem sinnhaft- nachhaltigen Materialkreislauf und Lebenszyklus bei.

Freiraumkonzept - Der Fußgängerzone kommt hohe, gesamtstädtische Bedeutung zu:Ob im Alltag oder bei Festen, für Gäste als auch BewohnerInnen Ulms: der Auftakt eines Besuchs der Innenstadtist an die urbane Sequenz zwischen Bahnhofs- und Münsterplatz gekoppelt. Einheitlich im Material, leicht changierend im Format verbindet zukünftig ein ruhiger Stadtteppich in warmgrauem Granit zwischen Bahnhofs- und Münsterplatz. Der Bestand des Albert-Einstein-Platzes wird so selbstverständlich integriert. Ein im Material leicht abgesetztes, mittig geführtes Boulevardband zoniert das Profil der Fußgängerzone in primäre Bewegungs- und Ruhebereiche. Mobiliar, Stadtgrün und freie Bespielbarkeit werden im Boulevardband zusammengeführt und locker gestellt, seitlich flankiert von Gehbereichen und Flächen für die notwendige Andienung. Die bestehenden Platanenbeete bilden, neu gefasst und mit großzügigem Aufenthaltsangebot ergänzt, fixe Setzungen auf dem mittigen Boulevardband, ergänzt um neue Baumpflanzungen in Bereichen an denen es der dichte Leitungsbestand zulässt. Auf den dazwischen liegenden Abschnitten ist eine saisonal und anlassbezogen mobile Ausstattung als Kombination von verschieden großen Pflanzbehältern und Sitzangeboten vorgesehen, ergänzt um großformatige Sonnenschirme für heiße Sommertage. Diese Elemente können, reversibel und beweglich, auf die verschiedenen Ansprüche über den Jahresverlauf bzw. in den kommenden Jahren reagieren.
Die beiden Stadtplätze an der Deutschhausgasse und der Glöckerstraße treten hervor als Versätze und Verzweigungen im Stadtraum. Sie werden als gegensätzliches Duett vielfältig bespielbarer ‘Platzbühnen‘ herausgearbeitet. Als ‚Grüne & Blaue Bühne‘ bereichern sie die urbane Vielfalt: Licht und schattig, hart und weich. Sie sind lebendige Treffpunkte für die Stadtbevölkerung. Atmosphärisch verbindet sie die Nähe zum Wasser - der kühlende Schatten silbrig-laubiger Bäume, das frisch-feine Nass des Nebels. Beide Plätze werden jeweils mit einer Belagsintarsie gestaltet: Die knirschende wassergebundene Decke vis-a-vis des kleinen Platzcafés an der Deutschhausgasse, die flexibel bespielbare, kreisrunde Bühne an der Glöcklerstraße mit ihrem niveaugleichen Wasserspiel. Der Übergang zur Neuen Straße wird zurückhaltend umgestaltet und der Bereich in seiner Funktion als Mobilitätsschnittstelle qualifiziert. Die Querung der Blau wird freigehalten und der Fluss so verbessert erlebbar.

Klimaanpassende Maßnahmen und Nachhaltigkeitsaspekt - Insbesondere im Hinblick auf den hochverdichteten innerstädtischen Raum, Starkregenereignisse und Hitzestress – besitzt das Stadtgrün einen besonders hohen Stellenwert. Den zukünftigen Anforderungen wird durch eine nur teilweise sichtbare, gleichermaßen zukunfts- und leistungsfähige grünblaue Infrastruktur begegnet. Großformatige Staurigolen mit vorgeschalteter Filterung dienen als Speicher für Niederschläge, das über das Promenadenband begleitende Schlitzrinnen gewonnene Wasser wird dezentral über Entnahmestellen zur Bewässerung der mobilen Grünflächen und der neuen und bestehenden Bäume und Pflanzflächen bereitgestellt(tlw. direkt über Baumrigolen). Ein Notüberlauf der Rigolen kann in den Kanal bzw. in die Blau erfolgen. Der großzügige Schatten der bestehenden und neu gepflanzten Bäume begleitet die Flanierenden locker versetzt und lässt attraktive Aufenthaltssituationen entlang des Boulevardbandes entstehen. Der hohe Albedowert des neuen Stadtbelages trägt zusätzlich zur Reduktion der Aufheizung bei. Drei schlichte Trinkbrunnen bieten erfrischende Abkühlung im Umfeld der Platanenbeete und -bänke. Alle Möbel werden nach Möglichkeit mit wieder verwertbaren Materialien hergestellt.

Aussagen zur Materialität, Begrünungs- und Möblierungselementen - Es wird ein differenziertes Möblierungskonzept für die Ulmer Fußgängerzone vorgeschlagen: hochwertig, robust, dauerhaft und gleichermaßen reversibel: (Ulmer Schachteln 2.0). In markanter und individueller Gestalt bespielen 24 Schachteln aus gefaltetem Stahl, grafisch in schwarz/weiß gestaltet durch Studierende der HfG Ulm, das Boulevardband. Mal dicht gestellt, mal spielerisch gereiht. An den Beeten fixierte Sitzauflagen bieten vielfältige Aufenthaltsmöglichkeiten für Alle. Individuell und spontan bewegliche Stühle und Hocker (analog der Roten Stühle am Münster) ergänzen das Angebot. Hierbei ist eine Kooperation mit dem Einzelhandel denkbar, aber nicht zwingend (Einstellen der Stühle in den Abendstunden). Die Möblierung wird in Blautönen vorgesehen. Hierbei wird Bezug auf die feinsinnigen Farbkonzepte Otl Aichers für die Olympiade 1972Bezug genommen. Auf den Plätzen an der Deutschhausgasse und der Glöcklerstraße bieten großformatige Platzbänke die Möglichkeit für Aufenthalt im Alltag und bei Veranstaltungen auf den beiden Platzbühnen (Konzerte/Spiel/Theater/Boule).

400m-Spaziergang - Willkommen in Ulm, willkommen in der Innenstadt, willkommen in der Fußgängerzone.Aus- oder abgestiegen, flanierend hinein entlang des leicht geschwungenen Promenadenbandes.Der Stadtraum präsentiert sich aufgeräumt und strukturiert. Die lockere Sequenz aus Plätzen wird durch den differenzierten Baumbesatz und Blick zum Ulmer Münster geprägt und belebt. Instagramable – oder einfach zum Stehenbleiben, Hinschauen, Verweilen. In Ihrer Ausgestaltung und Atmosphäre different, bilden die Plätze spielerische Momente im Stadtraum – laut, leise, erfrischend. Kurze, grüne Pause im lichten Schatten - weiter geht’s. Eine Ausstellung –mitten in der Stadt. Scheint doch viele Leute zu interessieren. Die Fußgängerzone Ulms wird zukünftig wieder als einheitlicher Freiraum differenzierter Atmosphären erlebbar. Ein Spaziergang, eigentlich ‚nur 400m lang’ – kann durch die vielfältigen Angebote, durchaus länger dauern, dafür aber kurzweilig und kommunikativ sein.

Details - Im Bereich des Busparkplatzes an der Blau bietet eine neue Mobilitätsstation ergänzende Infrastrukturen (Ladestation, WC, ggf. Werkstatt). An den weiteren Zugängen zur Fußgängerzone werden jeweils Bügel für Fahrräder vorgesehen. Für Veranstaltungen werden dezentral Infrastrukturen in Unterflurschränken vorgesehen. Es werden einheitlich schlanke Leuchten mit wartungsarmer, energieeffizienter und insektenfreundlicher LED-Technik verwendet (Lichtpunkthöhe ca. 5m, an Plätzen ca. 6,5 m). Für eine hohe Aufenthaltsqualität wird eine warmweiße Lichtfarbe mit sehr guter Farbwiedergabe vorgesehen. Die Leuchten werden in den linearen Abschnitten wechselseitig und auf den Plätzen frei in den Randbereichen verortet. Die Innenstadteingänge und Plätze werden durch eine leicht hellere Ausleuchtung betont. Alle Flächen sind bei jeder Witterung und für alle Nutzergruppen ohne Einschränkung sehr gut nutzbar. Ein taktiles Leitsystem wird zurückhaltend mittels einer Fräsung im Pflaster vorgesehen. Die Übergänge zu den umgebenden Verkehrsflächen werden durch flache Borde (2cm) taktil spürbar abgesetzt. Ein schlicht gestaltetes Stadtinformationssystem weist auf Sehenswürdigkeiten, Angebote und Veranstaltungen hin.

Wirtschaftlichkeit / Unterhaltung / Nachhaltigkeit - Es wird ein dauerhafter und hochwertiger, offenfugiger und somit tlw. versickerungsfähiger Natursteinbelag vorgesehen. Dieser kann die unvermeidlichen Nutzungsspuren und Verschmutzungen als Patina weitgehend adaptieren. Alle Einbauten sind auf eine lange Lebensdauer, eine wertige Alterung und auf eine materialbezogene Trennbarkeit und nach Möglichkeit der Wiederverwendbarkeit ausgelegt. Es sind durchgehend robuste und bewährte Bauweisen sowie dauerhafte und mit verhältnismäßigem Mittelaufwand unterhaltbare Flächen und Ausstattung vorgesehen. Nach Möglichkeit werden die vorhandenen Tragschichten erhalten bzw. wiederverwendet, was zur Wirtschaftlichkeit des Vorhabens beitragen kann. Vorgaben für die Gestalt der Aus- und Werbeanlagen des Einzelhandels werden über ein Gestalthandbuch festgelegt. Schlicht-weiße Möbel, Schirme und Markisen tragen zu einem einheitlichen und hochwertig-zeitlosen Gesamtbild bei. Die Freisitzflächen werden vorgelagert zum Gebäude vorgesehen (Breite ca. 2m) sind belagsgleich gestaltet und werden von störenden Einbauten freigehalten.

* Arbeitstitel ‚MEHR BLAU’ – Die Fußgängerzone und die charakteristische Platzsequenz zwischen Bahnhofs- und Münsterplatz stellt einen der öffentlichsten Räume Ulms dar. Mit dem vorliegenden Entwurf und den Überlegungen zu dessen flexiblen Bespielbarkeit und deren im Hinblick auf Stadtklima und Materialkreisläufe vernünftigen Ausgestaltung wird diese als Ort des zukunftsgewandten Stadtlebens gestärkt. Der Arbeitstitel ‚Mehr Blau‘ meint das Öffentliche, das Flanieren und Verweilen, das agile Arbeiten und Handeln, einen urbanen Stadtraum mit einem hohen Grünanteil mit einer leistungsfähigen blauen Infrastruktur.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser*innen stellen sich die offene Frage, wie sehen unsere Städte in Zukunft aus. Die Arbeit will keine universelle und fixierte Lösung anbieten, sondern flexibel bleiben. Daher setzt der Entwurf seinen wesentlichen Schwerpunkt auf den Wechsel von dauerhaften sowie mobilen und temporären Elementen und arbeitet diese detailliert aus.
Räumlich wird die Breite der Fußgängerzone durch ein mittig liegendes Band gegliedert, das die Laufbereiche vor den Geschäften von Aktivitäts- und Ruhezonen trennt. Grundgerüst und dauerhaftes Rückgrat der Gestaltung bildet ein durchgehender warmgrauer, gebänderter Stadtteppich aus Naturstein. Mittig werden vier, im in Belag leicht abgesetzte Boulevardbänder gelegt, die Aktivitätszonen markieren. In dieses Band werden neben dem Mobiliar auch die neuen Baumpflanzungen als raumbildendes Gerüst gesetzt. Die Fußgängerzone erhält 10 neue Bäume, von denen 4 allerdings im Bereich von Leitungstrassen liegen und geprüft werden müssten. Der Baumbestand wird fast vollumfänglich erhalten und respektiert.
Im Kreuzungsbereich Wengengasse, Glöcknerstraße, Bahnhofstraße wird eine blaue Bühne inszeniert, die in Form eines bodenebenen Wasserspiels mit Fontänen und Nebeldüsen an sommerlichen Tage Abkühlung anbietet und zum Spielen und Verweilen einlädt. Der Raum ist multifunktional gedacht und soll auch als Bühne genutzt werden können. Auch der Platz an der Deutschhausgasse wird als Duett mit Baumpflanzungen als Grüne Bühne hervorgehoben. Das Duett bildet sinnhafte Fugen in der Bandstruktur.
Den Auftakt und Antritt an der südlichen Glöcklerstraße bildet ein bisher wenig ausformuliertes Fahrradhub. Antworten für eine attraktive Adressbildung bleiben offen.
Leitidee der Gestaltung bilden die sogenannten „Ulmer Schachteln“, die als reversible, bewegliche und temporäre Elemente in den Stadtraum gestellt werden. So bieten die Verfasser*innen in 2 Szenarien Raumsituationen für den Frühling bei 20 Grad und den Sommer bei 35 Grad an. Im Sommer ergänzt dieses mobiles Grün in Form von blühenden Stauden und schirmförmigen mehrstämmigen Großsträuchern das dauerhafte grüne Grundgerüst. Die „Ulmer Schachtel“ lehnt sich dabei im Stil der „ulmischen“ Tradition an und wird in schlichter schwarz-weißen Stahlkonstruktion entworfen. Zwischen die mobilen Begrünungselemente mischt sich ein differenziertes bewegliches Mobiliar an blauen Stühlen und Hockern. Dadurch erhält die Mittelachse ein dynamisches und auch temporäre und saisonal wechselndes individuelles Bild, das sich über die Jahre mit sich verändernden Rahmenbedingungen sicherlich gut bespielen lässt. Dennoch wird sowohl der organisatorische Aufwand der wechselnden Möblierung als auch die Nachhaltigkeit kritisch diskutiert, da das dauerhafte grüne und stadtklimatisch wirksame Grundgerüst mit nur 6 realisierbaren erdgebundenen großen Baumneupflanzungen als sehr sparsam angesehen wird. Denn die Chance bleibt ungenutzt, an weiteren Standorten Bäume zu pflanzen die über Jahrzente im Stadtraum wachsend und große Mengen an und Co2 binden und zur Abkühlung beitragen. Die Idee das Regenwasser in unterirdischen Zisternen auch für die Bewässerung der mobilen Elemente zu nutzen, wird an sich positiv gesehen, eine direkte Wasserzufuhr über Gefälleausbildung in dauerhafte bodengebundene Baumquartiere wird dennoch nachhaltiger bewertet.
Funktional entstehen einzelne Fragestellungen beim Einfahrtsbereich der Glöcklerstraße oder der Führung der Radwegachse. In Bezug auf Barrierefreiheit bleibt die im Text erwähnte Umsetzung auf den Plänen gestalterisch offen. Ein dezentes Beleuchtungskonzept wird angeboten.
Die Arbeit stellt einen interessanten und bereichernden Beitrag in Bezug auf Wandelbarkeit und den Spielerischen Umgang mit Möblierung und Gestaltung von Aufenthaltsbereichen dar. Dennoch wird die Gewichtung der reduziert gehalten dauerhaft raumprägenden und klimatisch wirksamen Planzungen im Verhältnis zu temporär Inszenierung kritisch hinterfragt.
Lageplan

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