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Award / Auszeichnung | 09/2022

Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur 2022

Hotel Wilmina

DE-10627 Berlin, Kantstraße 79

Gewinner

GRÜNTUCH ERNST ARCHITEKTEN

Architektur

Wilmina GmbH

Bauherren

atelier le balto

Landschaftsarchitektur

Büro Christian Meyer Garten- und Bepflanzungsplanung

Landschaftsarchitektur

GTB – Berlin Gesellschaft für Technik am Bau mbH

Tragwerksplanung

Ingenieurbüro Weltzer

TGA-Fachplanung

Patricia Parinejad

Fotografie

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Tourismus, Gastronomie

  • Projektgröße:

    3.530m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 04/2022

Projektbeschreibung

Das Hotel Wilmina mit dem Restaurant Lovis im ehemaligen Frauengefängnis Charlottenburg ist Teil eines denkmalgeschützten Ensembles aus dem 19. Jahrhundert. Hinter ineinanderfließenden Höfen und üppigen Gärten verborgen, wurde das Gebäude im sensiblen Dialog mit den vorhandenen Räumen und Spuren früherer Nutzung behutsam in einen kontemplativen Rückzugsort mitten in Berlin transformiert.

Um die Balance zwischen historischer Konservierung und wandlungsfähiger Wiederbelebung zu halten, erforderte es eine Auseinandersetzung mit der materiellen und kulturellen Substanz. Durch sensible Interventionen mit gezielten Öffnungen, Aufbauten, Überlagerungen, Verschiebungen und Durchdringungen wurden die bestehenden Strukturen erweitert und neu programmiert.

Den vier Bestandsebenen wurde ein neues Penthouse-Geschoss hinzugefügt und im Zellentrakt jeweils mehrere der ehemaligen Gefängniszellen verbunden zu komfortablen Hotelzimmern. Um mehr Tageslicht in die Zimmer hereinzulassen und einen Ausblick in den Hof zu gewähren, wurden die Maueröffnungen der kleinen, hoch liegenden Zellenfenster erweitert und zugleich die schweren Natursteinbänke nach unten versetzt. Die prägenden Gitter im oberen Fensterteil blieben erhalten.

Der ehemalige Schleusenhof wurde überdacht und als Restaurant gestaltet. Die vorgefundene urbane Wildnis im zentralen Hof wurde durch einen angelegten Staudengarten auf den jahrzehntelang versiegelten Flächen bis an die Umfassungsmauer erweitert. Erschlossen wird das Restaurant durch einen neuen Erweiterungsbau, der das ehemalige Gericht und Gefängnis verbindet. Dessen neue, raumbildende Mauer fügt sich ganz unbemerkt in den inzwischen üppig bewachsenen, großen Gartenhof ein. Sie besteht aus alten Ziegelsteinen, die aus den Wandöffnungen der Zellentrennwände stammen. Das Konzept zielt auf nachhaltigen Materialgebrauch und folgt der übergeordneten Strategie, im gesamten Gebäude authentische Spuren der Vergangenheit zu erhalten, um Räume für die gelebte Gegenwart zu schaffen, ohne dabei jedoch die Geschichte zu vergessen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Wilmina, Berlin
Das Hotel Wilmina befindet sich in einem ehemaligen Frauengefängnis in Berlin. Grüntuch Ernst Architekten haben das Projekt selber initiiert und sich dem schwierigen Erbe des Baudenkmals angenommen. Durch das konsequente Hinzufügen einer neuen Zeitschicht ist es gelungen, mit nur wenigen baulichen Eingriffen und maximalem Substanzerhalt einen ehemals beklemmenden Ort der Justiz in einen innerstädtischen Ruheraum zu transformieren. Das Gebäude ist ein hervorragendes Beispiel für die Nachverdichtung im Gebäudebestand mit minimalem C02-Fußabdruck bei gleichzeitiger Entsiegelung und Renaturierung von Flächen.

Der Gebäudekomplex wurde 1896 als Strafgericht mit Gefängnis von den Architekten Adolf Brückner und Eduard Fürstenau errichtet. Im Vorderhaus an der westlichen Kantstraße war das Schöffengericht untergebracht, im angegliederten Seitenflügel befanden sich die Tageszellen. Über einen Innenhof gelangte man zum Quergebäude mit Schleusenhof und dem Hinterhaus, in dem sich das Frauengefängnis befand. Hier waren während des zweiten Weltkriegs unter anderem Widerstandskämpferinnen der Roten Kapelle inhaftiert. Das Gebäude wurde bis 1985 als Gefängnis genutzt und stand seitdem leer. Bis 2010 befanden sich im Gerichtsgebäude Grundbuchamt und Archiv des Stadtbezirks Charlottenburg.

Die Hofdurchfahrt des Gerichtsgebäudes, das heute als Veranstaltungsort und Bürogebäude genutzt wird, führt in einen renaturierten und entsiegelten Innenhof. Wie ein verwunschener Garten bildet dieser einen Gegensatz zum Repräsentationsbedürfnis des aus dunklem Ziegelstein errichteten Gebäudekomplexes. Die Fassadenberankungen konnten auch während der Baumaßnahmen weitestgehend erhalten bleiben. Zusammen mit intensiv und extensiv begrünten Flachdächern sind 30 Prozent der Gebäudehülle begrünt.

Der vormalige Schleusenhof beherbergt heute das Restaurant. Von dort gelangte man früher in die Zellentrakte. Für den Hauptzugang in das Hotel wurde eine Fensteröffnung am Gartenhof zur Tür erweitert. Die Hotelgäste werden dort von einem hellen, hohen Raum empfangen, der sich in eine Kaminlounge und in den Bibliotheksbereich öffnet. Eine Treppe führt in das Atrium, das Herzstück des Gebäudes im ehemaligen Zellentrakt, wo sich heute Hotelzimmer in unterschiedlichen Größen befinden.

Partieller Rückbau von Zwischenebenen und Zwischenwänden, hell geschlämmtes Mauerwerk und die unterseitige Vergrößerung der Fenster schaffen unter Berücksichtigung der Anforderungen des Denkmalschutzes eine behagliche Atmosphäre. Überall im Haus sind die Zeitschichten präsent, ohne dabei aufgesetzt museal oder dekorativ zu wirken. Ein Treppenhaus und original erhaltene Zellen erinnern an die Geschichte des Hauses. Die Aufstockung wurde thermisch hoch gedämmt ausgeführt, unter Einsatz von nachhaltigen natürlichen Materialien wie Massivholz und Metall und mit Verzicht auf Verbundbaustoffe.

Durch die behutsame Konversion der denkmalgeschützten Struktur wurden CO2-Emissionen, Bauschutt und der Aufwand für An- und Abtransport im Vergleich zu einem möglichen Neubau signifikant reduziert. Im Gebäude abgebrochenes Material wie Ziegel oder Treppenstufen wurden vor Ort wiederverwendet. Die thermisch wirksame Masse der bestehenden Bausubstanz führt zu einer passiven Regulierung der klimatischen Bedingungen und zu einem robusten Verhalten, so dass die Anforderungen an die technische Gebäudeausrüstung auf ein Minimum reduziert und ein konsequenter Low-TechAnsatz verfolgt wurde. Die Innenhöfe bieten einen akustischen Schutz, so dass auch nachts eine natürliche Fensterlüftung problemlos möglich ist. Die intensive Begrünung sowohl im Innenhof als auch in dem kleinen umschlossenen Garten fördert die Biodiversität und schafft ein angenehmes Mikroklima.

Wilmina ist ein einzigartiges architektonisch-dialektisches Ensemble aus kulturgeschichtlichem Bewusstsein und zugewandtem Ort. Das Projekt regt nicht nur zum Nachdenken über das Wesen von Gemeinschaft, Generationen und städtischen Gegensätzen an. Es zeigt ganz beiläufig auf, welche ökologischen Möglichkeiten die Neuprogrammierung auch von herausforderndem baulichem Erbe bietet, und ist damit ein im besten Sinnen nachhaltiges Architekturprojekt.
Hotel Wilmina, Zimmer

Hotel Wilmina, Zimmer

Hotel Wilmina, Atrium

Hotel Wilmina, Atrium

Hotel Wilmina, Penthouse-Fassade

Hotel Wilmina, Penthouse-Fassade

Hotel Wilmina, Gartenhof mit Blick ins Restaurant Lovis

Hotel Wilmina, Gartenhof mit Blick ins Restaurant Lovis

Hotel Wilmina, Restaurant Lovis

Hotel Wilmina, Restaurant Lovis

Hotel Wilmina, Atrium

Hotel Wilmina, Atrium

Hotel Wilmina, Gartenlobby

Hotel Wilmina, Gartenlobby

Zeichnungen

Zeichnungen