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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2022

Entwicklung Gesundheitscampus Marbach

Anerkennung

Preisgeld: 10.000 EUR

H|G HĂ€hnig | Gemmeke Architekten und Stadtplaner Partnerschaft mbB

Stadtplanung / StÀdtebau

ErlÀuterungstext

Marbach – GrĂŒner Campus

Die fortschreitende Alterung unserer Gesellschaft, verbunden mit den ökologisch-klimatischen Entwicklungen aufgrund des Klimawandels stellen nicht nur die die Stadt- und Freiraumplanung in Marbach vor große Herausforderungen. Im Vergleich zu einer Zeit vor ca. 150 Jahren hat sich die Lebenserwartung bei unserer Geburt verdoppelt. Auch die Art und Weise des Älterwerdens ist eine andere geworden: Das Bewusstsein fĂŒr Gesundheit, gesunde Lebensweisen sowie soziale und nachhaltige Lebensformen werden immer wichtiger. Ein qualitĂ€tvolles, belebtes und vielfĂ€ltiges Lebensumfeld ist daher insbesondere fĂŒr die Nutzergruppe des Gesundheitscampus in Marbach von großer Bedeutung.

Der „grĂŒne Campus Marbach“ erfĂŒllt genau diese Anforderungen an ein hochwertiges Wohn-, Arbeits- und Lebensumfeld. Die Nutzungsbausteine der Gesundheits-, Pflege- und Bildungsangebote verzahnen sich mit den ortsprĂ€genden Freiraumpotenzialen in dieser besonderen GelĂ€ndesituation am Rande der Kernstadt Marbachs und kreieren somit eine ganz besondere QualitĂ€t und Adresse.

Eingebunden in die, den Ort prĂ€gende, grĂŒne Hangsituation mit Blick auf die historische Altstadt Marbachs entsteht aus der Verbindung von erhaltenswerten Bestandsbauten und neu arrondierten Bausteinen ein Gesundheitscampus mit Alleinstellungsmerkmal. StĂ€dtebauliche Synergieeffekte innerhalb der Campusstruktur sowie zwischen dessen Umfeld prĂ€gen den Charakter des Gesundheitszentrums. Dabei spielt die direkte (Blick)Beziehung zur „Schillerstadt“ eine besondere Rolle, welche durch die Integration sich wiederholender Aussichtsbalkone als besondere Freiraumelemente stets in Szene gesetzt wird. Insbesondere der im Westen der Campus-Achse liegende Campus-Balkon mit dessen ausladender Geste inszeniert diesen zentralen Gedanken der Verbindung. Von jeder Stelle, jedem GebĂ€ude aus soll der Bezug zur historischen Altstadt ĂŒber DachgĂ€rten mit sĂŒd-orientierten GebĂ€udeeinschnitten oder den Freiraumelementen hergestellt werden.

Die nördlichen Nutzungsbausteine Pflege, Betreutes Wohnen und Pflegeschule können als Cluster auf die bestehenden Gehölzstrukturen und Baumstandorte reagieren. Der prĂ€gende Gehölzbestand fördert die regionale BiodiversitĂ€t und erhĂ€lt als bedeutendes Freiraumelement einen wesentlichen, ortsprĂ€genden Charakter. Diese QualitĂ€t wird gestĂ€rkt und bis zur Campusachse erlebbar gemacht. Eine Verzahnung von GrĂŒnraum und Stadtraum, urbanem Flair und lĂ€ndlichem Treiben wird auch ĂŒber neue Wegeverbindungen gestĂ€rkt und ermöglicht. Kaltluft kann entstehen, abfließen und das gesamte Gebiet abkĂŒhlen.

Über die „grĂŒnen Pavillons“ erhalten die Gehölzstrukturen eine urbane Kante, die Freiraumelemente schieben sich wie „grĂŒne Finger“ in den Campus Boulevard und erschaffen eine hohe AufenthaltsqualitĂ€t im Gebiet. Innerhalb der GrĂŒnen Pavillons werden ergĂ€nzende Versorgungsangebote fĂŒr die jeweiligen Nutzungsbausteine angeboten. Ein Marktstand mit regionalen Produkten, Milch-, Eier- und Wurstautomaten, eine Paketstation sowie eine DIY Werkstatt ergĂ€nzen den bereits geplanten Nutzungsmix am Ort. Damit entsteht eine „Stadt der kurzen Wege“, welche nicht nur fĂŒr Bewohner wie Besucher der Gesundheits-, Pflege- oder Bildungseinrichtungen dient, sondern alle BĂŒrger Marbachs auf einen Besuch einlĂ€dt. Ein attraktiver Anziehungspunkt fĂŒr Jung und Alt, zum Verweilen und Heilen, zum Alt werden oder Jung bleiben.

Die verschiedenen Nutzungs-Cluster, die vorgeschlagenen, eingeschossigen, grĂŒnen Pavillons, und die bestehenden wie neu geplanten Gehölzstrukturen, verzahnen sich entlang einer gemeinsamen Campus-Achse und binden wie selbstverstĂ€ndlich die bestehenden Bausteine aus Ärztehaus, OP-RĂ€umen und aufgestockten KrankenhausgebĂ€ude ein. Der Erweiterungsbau fĂŒr das Ärztehaus mit Patientenhotel sowie der Akademie ergĂ€nzen die stĂ€dtebauliche Struktur auf der SĂŒdseite des neuen Gesundheitscampus und bieten aus der Altstadt heraus ein einheitliches, harmonisches Panorama mit grĂŒner Kulisse. Die Neubauten vernetzen sich sowohl ĂŒber ihre Ausrichtung und Orientierung sowie ĂŒber direkte VerbindungsgĂ€nge im UG mit den bestehenden Nutzungen. Somit können Synergien und Schnittstellen aus Altem und Neuem entstehen. Alle GebĂ€ude reagieren auf die Hangsituation mit entsprechenden Grundrissorientierungen.

Die Entscheidung einer zentralen Stellplatzanlage fĂŒr die sĂŒdlichen Nutzungsbausteine (Pflege, Gesundheit, Ärztehaus) unter Akademie und neuem Ärztehaus schafft Potentiale fĂŒr eine autoarme Entwicklung auf dem Campus. Die Anfahrbarkeit der geforderten StellplĂ€tze, der Rettungswache und der Energiezentrale erfolgt ĂŒber die bestehende Straße „Im BahnmĂŒller“ und ermöglicht damit die Konzeption eines autoarmen Gesundheitscampus mit einer Adressbildung aller GebĂ€ude ĂŒber den öffentlichen Raum. Auf dem Gesundheitscampus entstehen attraktive, vielfĂ€ltig bespielbare öffentliche RĂ€ume im Vorfeld der geforderten Nutzungsbausteine. Die nördlich der Campusachse gelegenen Nutzungsbausteine werden durch mögliche Stellplatzangebote in den Hang-Geschossen ergĂ€nzt. Hier bilden die im EG anfahrbaren StellplĂ€tze zugleich einen verbindenden „grĂŒnen Garten“ fĂŒr die weiter nördlich, hangaufwĂ€rts gelegenen Cluster - GebĂ€ude.

FĂŒr Fuß- und Radverkehr sowie fĂŒr den landwirtschaftlichen Nutzverkehr werden darĂŒber hinaus bestehende Wegebeziehungen aufgenommen, weitergefĂŒhrt, in’s Gebiet hineingeleitet und gestĂ€rkt. Die Haupterschließungsstraße „Am Alten Markt“ bildet die direkte und einzige Verbindung in die Innenstadt. Um diese Verbindung optimal zu nutzen wird eine Bushaltestelle auf dem Campus Balkon angeboten. Am neuen AnknĂŒpfungspunkt von Campusachse (Panoramastraße) und „Am Alten Markt“ ist zugleich auch die direkte Verbindung zur S-Bahn Haltestelle verortet. Damit wird die ÖPNV-Anbindung des gesamten Quartiers deutlich gestĂ€rkt. ZusĂ€tzlich gibt es auf dem Campus ein breites Angebot an FahrrĂ€dern, LastenrĂ€dern und Sharing Fahrzeugen, die ĂŒber den attraktiven, öffentlichen Zugang im AkademiegebĂ€ude direkt an den Campus angebunden sind.

Das Energetische Konzept des zukĂŒnftigen Gesundheitscampus beruht auf dem Zusammenspiel verschiedener Teilelemente. HauptenergietrĂ€ger ist dabei die Solarenergie zur Warmwasser- und Stromerzeugung fĂŒr die neuen und bestehenden GebĂ€ude auf dem Campus. Die PVT-Elemente erzeugen Strom, welcher in der Energiezentrale neben der Quartiersgarage zwischengespeichert werden kann um ĂŒberschĂŒssige Energie fĂŒr die E-MobilitĂ€t bereit zu halten. Ein NahwĂ€rmenetz sorgt fĂŒr die Verteilung innerhalb des Gebietes, ein FernwĂ€rmeanschluss bildet dann den back-up fĂŒr mögliche EnergieengpĂ€sse.

Verzahnt in den örtlichen Landschaftsraum bettet sich der zukĂŒnftige Gesundheitscampus Marbach rĂŒcksichtsvoll in die bestehende Topografie ein und interagiert als neues Glied des stĂ€dtebaulichen Kontexts mit der historischen Schillerstadt. Der belebte, grĂŒne Campus mit Ausblick wird neuer Auftakt, Anziehungspunkt und Highlight fĂŒr die Stadt Marbach. Ein Ort fĂŒr alle. Ein Ort fĂŒr neue (MobilitĂ€ts-)Konzepte, vielfĂ€ltige Lebensweisen in einem qualitĂ€tvollen Umfeld zum Wohnen, gesund werden, Arbeiten und Lernen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Entlang eines neuen Campus-Boulevard entwickeln die Verfasser ein stĂ€dtebaulich klares und funktional schlĂŒssiges Konzept, mit dem es gelingt, aus der heterogenen BestandprĂ€gung ein neues, maßstĂ€blich stimmiges Gesamtensemble vis-a-vis der Marbacher Altstadt zu schaffen. Nachvollziehbar gruppieren die Verfasser alle Nutzungseinheiten mit ihren Zugangsbereichen entlang des Boulevards und schaffen so eine gute Orientierung und differenzierte Nachbarschaften. Die zwischen den GebĂ€uden angeordneten FreirĂ€ume sind wohl proportioniert und der stĂ€dtebaulichen Struktur angemessen. Von den Aussichtsterrassen zwischen den GebĂ€uden bietet sich ein reizvoller Ausblick auf die historische Altstadt.

Im Umgang mit dem Bestand formulieren die Verfasser eine klare Haltung: im Sinne einer ressourcenschonenden Entwicklung werden Teile des GebĂ€udebestands zwar einbezogen, durch Anbauten und Aufstockungen jedoch in GĂ€nze dem neuen Erscheinungsbild untergeordnet. Sehr bedauert wird, dass in der Konsequenz sĂ€mtliche BezĂŒge zur Geschichte des Ortes verloren gehen. Auch wird kritisch hinterfragt, ob fĂŒr die Konsequenz des Konzeptes ein Ersatz des Kitabausteins tatsĂ€chlich zwingend wĂ€re.

Bestandswohnnutzungen im Norden bleiben vollstÀndig erhalten. Allerdings gelingt es den Verfassern kaum, diese in Dialog mit den Neubaunutzungen zu bringen.

Die erforderlichen funktionalen Anforderungen werden im Wesentlichen berĂŒcksichtigt. Medizinische Nutzungen werden sinnvoll benachbart. Wohnnutzungen zu Nachbarschaften im lĂ€rmabgewandten Landschaftsraum gruppiert. Sind diese Wohn-Cluster stĂ€dtebaulich auch schlĂŒssig gesetzt, werfen die typologischen VorschlĂ€ge teilweise noch erhebliche Fragen hinsichtlich Dichte, Orientierung und NutzugsflexibilitĂ€t auf. Eine Weiterentwicklung scheint hier jedoch möglich.

Sehr selbstverstĂ€ndlich findet die Arbeit einen behutsamen Umgang mit dem Landschaftsraum, in den die Cluster geschickt eingewoben werden. Umso mehr ĂŒberzeugt, dass den Verfassern dabei eine klar ablesbare Struktur und Adressbildung gelingt. Jedoch fĂ€llt auf, dass diesem behutsam diesen Ansatz geschuldet nicht alle erforderlichen AnsprĂŒche des Raumprogramms abgebildet werden können - im Bereich der Pflegeeinrichtung und den ReserveflĂ€chen bleibt die Arbeit erkennbar unter den Forderungen. Die Positionierung der GebĂ€udestruktur lĂ€sst einen weitgehenden Erhalt des wertvollen Baumbestandes und der VegetationsflĂ€chen zu. Hierdurch bietet sich die Möglichkeit die geplanten Neubauten in den hochwertigen Bestand einzufĂŒgen und damit ein nachhaltiges und von Beginn an stark durchgrĂŒntes Quartier zu schaffen. Durch die beiden nördlichen ParkflĂ€chen wird ein großzĂŒgiger und fĂŒr die Bewohner gut nutzbarer GrĂŒnraum geschaffen, der sich zugleich durch eine gute Anbindung an die angrenzende Landschaft auszeichnet. Die Pavillon-Strukturen im Übergang von Freiraum und Boulevard können nicht ĂŒberzeugen.

Parkierungsangebote und Rettungszufahrt werden topografisch geschickt im Sockel gelöst und mit AufgĂ€ngen auf die Balkonterrassen verknĂŒpft. Nachvollziehbar werden unter zwei der drei Cluster weitere Parkierungsmöglichkeiten (TG) angeboten und sichern so eine komfortable Erreichbarkeit. Gleichwohl muss auf dem Boulevard mit Fahrverkehren und WendevorgĂ€ngen gerechnet werden, die Sicherheit und QualitĂ€t der AufenthaltsrĂ€ume einschrĂ€nken könnten.

Als selbstbewusstes, maßstĂ€blich aber wohl gesetztes Ensemble lassen die unterschiedlichen Raumabfolgen und FreirĂ€ume durchaus eine hohe AufenthaltsqualitĂ€t und Nutzungsdifferenzierung erwarten. In Gestalt und Funktion bildet die Arbeit durchaus ein solides GrundgerĂŒst, das aber in seinem Umgang mit diesem identitĂ€tsgeprĂ€gten Ort nicht vollstĂ€ndig ĂŒberzeugen kann.