Niedersächsischer Staatspreis für Architektur 2008

gebaut – zerstört – ergänzt – erweitert

Die Planung des Gemeindezentrums für die Johannes- und Matthäusgemeinde stellt die Fortschreibung der Geschichte eines denkmalgeschützten Ensembles in Hannover dar. In die, 1906 entstandene und im 2. Weltkrieg bis auf den Turm und den Chor zerstörte, Kirche wurde in den siebziger Jahren ein moderner Kirchenbau aus gestockten Betonscheiben eingefügt. Dieser Wiederaufbau wurde als eine Verbindung von Tradition und Moderne in kirchlicher, denkmalpflegerischer und baukünstlerischer Hinsicht betrachtet. Um 2007 die Integration eines Gemeindezentrums zu ermöglichen, sollten nun diese beiden Zeitschichten durch sensible Erweiterungen ergänzt werden.

Seit sich die Gemeinde entschieden hat, ihre Kirche einer flexiblen und zukunftsoffenen Nutzung zuzuführen und in den Kirchenbau ein Gemeindezentrum zu integrieren, entstand die Konzeption einer Verbindung der Vor- und Nachkriegsgeschichte und der Gegenwart. Es ging darum eine Architektur zu schaffen, die ein Zusammenkommen verschiedener denkmalgeschützter Bauten ermöglicht. Drei Elemente prägen das neue Gemeindezentrum. Zwei seitliche Anbauten ergänzen den Kirchturm und nehmen die Plätze der historischen Treppentürme ein. Der Glasfaserbeton der Anbauten setzt die Reihe der modernen Materialien fort. So wie die gestockte Oberfläche des Betons der 1970er Jahre den Einklang zwischen Naturstein und Beton herstellen sollte, schreiben heute die anthrazitfarbenen Glasfaserbetonplatten diese Materialität fort. Der eingeschossige Zwischenraum zwischen dem Kirchenschiff der 1970er Jahre und dem alten Kirchturm wird um zwei gläserne Geschosse aufgestockt. Das verbindende Element ist der Kirchturm, in dem sich das zentrale Treppenhaus und der Aufzug befinden. Das alte Portal im Turm wurde wieder geöffnet und bildet nun wie früher den Eingang, der heute allerdings in das Gemeindezentrum führt und nicht mehr wie zur Jahrhundertwende direkt in den Kirchenraum. Die Reaktivierung des Portals setzt auch im Außenbereich Zeichen. So entstand auf der Spitze des dreieckigen Grundstückes ein neuer Vorplatz, der städtebaulich die Insellage des Gebäudes betont.

Außer in der Höhe zeigen sich die Anbauten von außen in zwei unterschiedlichen Formen. Auf der einen Seite schiebt sich ein Bügel über die ehemalige Sakristei, auf der anderen Seite folgt der Anbau dem Straßenverlauf und endet in einem spitzen Winkel. Die Anbauten setzen ein zeitgenössisches Verbindungsglied zwischen historischer Bausubstanz und moderner 70er Jahre Architektur.
Da sich die allgemeinen Nutzungen in den Anbauten konzentrieren, erscheinen sie auch räumlich vom sakralen Bereich getrennt. Der große Gemeindesaal befindet sich im 3. Obergeschoss zwischen Turm und Kirchenschiff. Er öffnet sich mit einem neuen verglasten Durchbruch zum Kirchenraum und nimmt so die Verbindung zwischen Kirche und Gemeindezentrum auf.
Die alten Bauteile bleiben überall erkennbar. Alte Außenwände werden zu Innenwänden. Besonders überraschend ist dies in den Räumen der alten Sakristei erlebbar. Im Jugendraum werden die alten Wände zur Innenraumgestaltung. Alle Details, wie z. B. Kapitelle oder die alte Treppenspindel der früheren Turmfassade befinden sich jetzt in den Innenräumen. Gleichzeitig sorgen die neuen Fenster für spannende Ausblicke in die Umgebung. Der Fußboden aus anthrazitfarbenem Zementestrich zieht sich als durchgängiges Element durch alle Räume in Turm, Anbauten und Aufstockung und schafft so die Verbindung der vorgefundenen, unterschiedlichen Materialien. Neu hinzugefügte Bauteile sind als moderne Stahlelemente ablesbar, ebenso wie die neuen statischen Elemente im Inneren, die in Sichtbeton ausgeführt wurden.