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Mehrfachbeauftragung | 04/2022

Gestaltung öffentlicher Platz Landhausstraße / Bahnhofstraße in Heidelberg

1. Rang

BIERBAUM. AICHELE. landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Ein neuer PLATZ für Heidelberg
Der neue Platz komplettiert ein System aus Freiräumen, welches einerseits eine neue Verbindung der Landhausstraße an die Kurfürsten-Anlage ermöglicht und gleichzeitig als Platz einen neuen Wohlfühlort entlang der langen Kurfürsten-Anlage bietet. Um einen wertvollen Freiraum für die Bürger*innen zu erhalten wird der Platz als autofreie Fläche vorgeschlagen, die die Konnektivität an die nördliche Schwanenteich-Anlage und an die wertvolle Bebauung der Weststadt erfahrbar macht. Aus dieser Intention resultiert ein Freiraum, der aus abwechslungsreichen Atmosphären besteht, die den natürlichen Wegebeziehungen und Sichtachsen folgen.
Mit vielfältigen Nutzungsangeboten und Aufenthaltsbereichen soll ein neuer urbaner Freiraum für Alle in der Heidelberger Weststadt geschaffen werden. Das Konzept vereint sowohl die programmatischen (Nutzungsvielfalt, Flexibilität) als auch die ökologischen Anforderungen (Klimaresilienz, Klimaausgleichs-/-komfortraum) und schafft durch seine Gestaltung einen modernen, zukunftsfähigen Platz, der „Natur und Mensch“ in den Mittelpunkt stellt. Der neue Platz bietet die Chance Stadtnatur zu erleben, Menschen zu treffen, zu spielen oder einfach durchzuatmen. Durch eine enge Verwebung mit seinem städtebaulichen und sozialen Umfeld soll der Platz zukünftig eine starke übergeordnete Funktion hinsichtlich Verbindung und Vernetzung der angrenzenden Stadträume übernehmen und zum "Impulsgeber" für mehr Grün und Aufenthaltsqualität in den angrenzenden Quartieren werden.

GESTALTERISCHES GESAMTKONZEPT
Die räumliche Komposition des Platzes setzt sich aus drei Hauptelementen zusammen: der steinerne Boden mit einem ruhigen Rahmen und einer lebendigen Platzintarsie, die grünen Schollen als Stadtnatur und Retentionsmulden, die Baumhaine als schattenspendendes Dach und Klimaregulatoren.
Als Reaktion auf den Muschelkalksockel des Gerichtsgebäudes wird als Platzrahmen ebenfalls ein Plattenbelag aus Kalksteinplatten wie zB Muschelkalk in freien Längen vorgeschlagen, der zum einen den Freiraum wie ein hochwertiges Passepartout einfasst und zum anderen den angrenzenden Gebäuden eine repräsentative Adresse verleiht. Gleichzeitig bietet diese Struktur eine klare Zonierung und Zuordnung gewisser Funktionen wie Außenflächen für die Gastronomien, Rettungswege o.ä. Der Platzbereich wird bewusst bis an die Straßenkante geführt um eine Maximierung der Platzfläche und eine deutliche Präsenz entlang der Bahnhofstraße zu erreichen. Zur Platzmitte schlagen wir einen deutlichen Maßstabssprung in der Materialität vor. Ein richtungsloses gesägtes Natursteinpflaster inszeniert die Platzmitte, entschleunigt und verleiht dem Ort eine wohnliche und natürliche Atmosphäre.
Die strengen Geometrien der Bebauung und der Platzfläche werden durch die grünen Schollen gebrochen, sie stellen auf natürliche Weise die Wegeverbindungen zu den angrenzenden Quartieren her und schaffen mit ihren Verdichtungen und Aufweitungen abwechslungsreiche Aufenthaltsorte. In der Perspektive Richtung Schwanenteich-Anlage scheinen die Grünflächen alle miteinander zu verschmelzen und stellen so einen optischen wie atmosphärischen Zusammenhang her. Mit der Setzung der Schollen erreichen wir eine gewisse Abschirmung zur Bahnhofstraße und einen grünen Filter zur Platzmitte sowie den Flächen für die Außengastronomie. Die Schollen vor dem Justizgebäude reagieren in ihrer Setzung auf das große Eingangsportal ohne den Eingang über zu inszenieren. Bequeme Sitzbänke umspielen die Grünflächen und bieten den Nutzer*innen viel Aufenthaltsqualität und spannende Blickbezüge. Den Gastronomien wird eine weitere Scholle als flexibel nutzbare Fläche vorgelagert. Gestalterisch folgt sie den übrigen Elementen, wird jedoch in wassergebundener Decke vorgeschlagen, sodass die Wege- und Blickbeziehungen zu den Erdgeschosszonen der neuen Bebauung gewährleistet sind und weitere Aufstellmöglichkeiten zur Außenmöblierung bestehen. Der Bereich wird mit zwei Gehstufen terrassiert um genug Bodenaufbau für einen lichten Baumhain aus kleinwüchsigeren Gehölzen als Partner des großen Solitärs in der Aussparung in der Tiefgarage zu ermöglichen.
Die nördliche Scholle in der städtebaulichen Fuge wird analog zu dieser Scholle in wassergebundener Decke vorschlagen um die Transparenz und Anbindung zur Kurfürsten-Anlage zu verbessern und die erforderlichen Fahrradstellplätze außerhalb des Hauptplatzbereiches zu organisieren. Der Bestandsbaum wird erhalten und mit weiteren Bäumen zu einer Baumgruppe ergänzt.
Der Platz erhält zur Mitte hin eine leichte Mulde, sodass sich dort anfallendes Oberflächenwasser temporär anstauen und verdunsten kann. Über Notüberläufe wird das überschüssige Regenwasser den Vegetationsflächen bereichsweise zugeführt, wo es ebenfalls über ein Mulden-Rigolen-System versickern kann. Das Oberflächenwasser des Platzes sowie der angrenzenden Bebauung kann in Zisternen gesammelt und zur Regenwasserbewirtschaftung genutzt werden. An warmen Sommertagen könnte ein Wasserspiel mit Fontänen und Nebeldüsen aktiviert und so zum Ort des Spielens und der Identifikation werden. Gleichzeitig kann die Verdunstungskälte zu einer Verbesserung des Platzklimas beitragen.
Die Vegetationsschollen werden mit pflegeextensiven Stauden/ Gräsern und Gehölzen bepflanzt, sodass eine spannende räumliche Abfolge zwischen offeneren und geschützteren Freiräumen entsteht. Die intensive Begrünung dient auch dazu, die Biodiversität zu erhöhen, das Mikroklima zu verbessern und Nahrungs- und Überwinterungsmöglichkeiten für Nutzinsekten u.ä. zu schaffen. Das natürliche Erscheinungsbild der Baumhaine soll durch eine Mischung an Sorten und Qualitäten zusätzlich gestärkt werden.
Der Platz ist komplett barrierefrei gestaltet und Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen vorbehalten. Durch die Anordnung der Fahrradparker im Norden wird der Radverkehr weitestgehend aus dem Zentrum des Platzes genommen und eher an den westlichen Platzrand konzentriert um Nutzungskonflikte zu vermeiden.
Da Teile der Lüftungsöffnungen nahezu in der Platzmitte zu erwarten sind schlagen wir vor einen Teil davon auf die südliche Seite der Tiefgarage zu verlagern. Somit erreichen wir eine nahezu unsichtbare Einbindung der Lüftungsöffnungen in die Grünflächen.
Der Straßenraum der Bahnhofstraße wird in seinem Querschnitt dem westlichen Abschnitt angepasst vorgeschlagen um ein einheitliches Bild zu erhalten mit Erhalt der Bestandsbäume in der Straßenmitte. Die diagonalen Stellplätze werden als Längsparker auf der südlichen Straßenseite angeordnet.

IDEENTEIL
Der Ideenteil wird als temporärer Quartiersgarten mit einem sehr extensiven Charakter vorgeschlagen. Grünflächen durchbrechen den Asphalt, Wiesenflächen blühen und dienen als Insektenweiden. Nachdem die Grundstrukturen aus Grünflächen und Baumpflanzungen durch die Stadt hergestellt sind können die Bürger*innen der Weststadt und anderen angrenzenden Quartiere über Partizipationsprozesse einen Ort der Gemeinschaft und Kommunikation schaffen. Baumaterialien wie Holz werden zur Verfügung gestellt und in der Gemeinschaft zur individuellen Möblierung des Gartens ausgebaut. Liege- und Sitzmöbel, Hochbeete für urban gardening und Spielmöglichkeiten bieten den Bewohner*innen durch die Aneignungsmöglichkeiten und Nutzungsoffenheit einen wichtigen Ort der Identifikation.
Auch hier sollten aufgrund des hohen Versiegelungsgrades der angrenzenden Freiflächen offene Wiesenflächen und Muldenflächen zur Regenwasserspeicherung und Bewirtschaftung geschaffen werden. Zisternen können das Wasser speichern, um in Trocken- und Hitzeperioden eine Bewässerung des Platzes und der Flächen für urban gardening gewährleisten zu können.

AUSSTATTUNG / MATERIALITÄT
Der neue Platz soll durch seine Ausstattung und Materialität einen warmen, natürlichen und „wohnzimmerartigen“ Charakter erhalten. Dabei achten wir aufgrund des hohen Nutzungsdrucks auf Robustheit, Nachhaltigkeit und Langlebigkeit. Für die Platzränder schlagen wir einen hellen Plattenbelag aus Kalksteinplatten wie zB Muschelkalk in freien Längen vor. Für die Platzfläche ist ein gesägtes Natursteinpflaster aus zB Dolomit im wilden Verband vorgesehen. Dessen hohe Albedo Zahl wird hier auch den ökologischen Anforderungen der Zukunft gerecht. Im Bereich der überbauten Baumscheiben wird der Versiegelungsgrad der befestigten Flächen durch Flächen aus wassergebundener Wegedecke reduziert.
Die Sitzbänke werden aus zertifizierten, heimischen Hölzern auf einer leichten Stahlrundrohrkonstruktion vorgeschlagen. Für die Fahrradstellplätze wird die Verwendung von Anlehnbügeln aus Stahl gemäß dem Ausstattungskatalog vorgesehen.
Das Lichtkonzept legt besonderen Wert auf eine abwechslungsreiche und stimmungsvolle Inszenierung des Platzes in den Abendstunden. Der Platz soll als das zweite Wohnzimmer wahrgenommen werden. Um das zu erreichen werden die Platzflächen mit asymmetrischen Mastleuchten (Selux Olivio) in ein sanftes Licht getaucht.
Die Baumhaine werden durch punktuelle Akzentbeleuchtung betont und entfalten so auch in den Abendstunden ihre räumliche Wirkung.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit präsentiert sich durch ein städtebaulich freiraumgestalterisch klar definiertes Konzept. Mit der Leitidee (Stadt-) Natur und Mensch wird ein aktuelles Thema aufgegriffen, mehr Grün im öffentlichen Raum zu platzieren, den Anforderungen der Klimaanpassung gerecht zu werden und den öffentlichen Raum nutzbar und lebendig zu gestalten.

Stadträumlich betrachtet wird die gestalterische Struktur der Schwanenteichanlage aufgegriffen und im urbanen Kontext durch Pflanzinseln in Form von ‚grünen Schollen‘ auf den Platz übertragen. Bei genauerer Betrachtung scheinen die Randeinfassungen in ihrer Bewegtheit jedoch übertrieben; sie könnten in einfacherer Form dem Gesamtbild mehr Ruhe und Wirkung verleihen und sich besser in den quadratisch ausgeformten Platzteppich einfügen. Insgesamt bildet er mit seiner Passepartout-artigen Einfassung eine ansprechende Mitte aus. Der ungerichtete mit Muschelkalk versehende Pflasterbelag vermittelt dabei eine angenehme Atmosphäre. Die Einbauten, Bänke und Wasserelement tragen zur Belebung dieses öffentlichen Ortes bei. Das Fontainenfeld wird grundsätzlich begrüßt, löst jedoch eine intensive Diskussion bezüglich Wartung und Sicherheit auf. Gekonnt wird die Topografie in die Bewegungslinien des Bodenbelags integriert. Die Baumhaine schaffen einen räumlichen Rahmen und erzeugen an heißen Tagen genügend Schatten. Zu prüfen wäre, ob der geforderte Baum mit Baumbeet in der TG an der richtigen Stelle liegt.

Die freien Vorzonen vor den Gebäuden werden durch ein ansprechendes Pflastermaterial aufgewertet und lassen die Fassaden in den Raum wirken. Die Akzentbeleuchtung auf dem Platz wird begrüßt.

Die Funktionen der Wegebeziehungen über den Platz hinweg sind gewährleistet ohne die Intimität des Ortes zu stören. Begrüßt wird das Vegetationsband mit Bänken an der Kurfürsten Anlage.

Die Bepflanzung mit Bäumen und Stauden, trägt dem Wunsch nach biodiversen Strukturen Rechnung und lässt im ansonsten urban geprägten Stadtraum Vielfalt zu. Die Bestandsbäume werden gewürdigt und erhalten. Dank der muldenartigen Ausbildung der Schollen kann Wasserretention ermöglicht und der Platz etwas gekühlt werden.

Im Ideenteil trägt eine eher wenig festgelegte Gestaltung dazu bei, einen Quartiersplatz zu entwickeln, der temporäre Nutzungen zulässt. Auch provisorische Einbauten sind willkommen; sie können als Aneignungsorte der Bürger verstanden werden. Die Urban-Gardening-Kisten bieten Anknüpfungspunkte für den weiteren Partizipationsprozess.

Nicht nachvollziehbar sind die Stadtnaturbeete in ihrer Ausformung, obwohl verstanden wird, dass diese ohne Aufwand hergestellt werden können.

Die Arbeit insgesamt überzeugt durch ihre städtebauliche Integration, durch die Atmosphäre des Platzes und durch die Berücksichtigung klimaangepasster Maßnahmen. Lediglich hinsichtlich des Ideenteils gab es kontroverse Diskussionen bezüglich des Gestaltungsausdrucks.

Mit der Umsetzung dieser Ideen kann in Heidelberg ein weiterer Identität stiftender Baustein, ein öffentlicher Plätze mit zukunftsorientierter Ausrichtung entstehen.

Lageplan

Lageplan

Schnitt

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