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Award / Auszeichnung | 10/2022

Architekturpreis des Landes Sachsen-Anhalt 2022

Das authentische Keramik-Wandrelief wurde freigelegt und schmückt den Eingangs- und Informationsbereich mit der zentralen Infotheke.

Das authentische Keramik-Wandrelief wurde freigelegt und schmückt den Eingangs- und Informationsbereich mit der zentralen Infotheke.

Stadtbibliothek Lutherstadt Wittenberg

DE-06886 Lutherstadt Wittenberg, Schlossstraße 7

Engere Wahl

Peter Zirkel Gesellschaft von Architekten mbH

Architektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Bibliotheken, Mediatheken

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2020
    Fertigstellung: 01/2022

Projektbeschreibung

Bibliotheken im Wandel
„Der Mensch und das Buch“ – diesen programmatischen Titel trägt ein sozialistisches
Wandbild aus 195 Keramikplatten, das von den Künstlern Karlheinz Wenzel und Karl Kothe von 1962-64 geschaffen und im Ausleihraum der Stadtbibliothek Wittenberg als Kunst-am-Bau-Projekt während der Errichtung des Gebäudes angebracht wurde. Auf dem Bild sind 13 Personen dargestellt, die in verschiedenen Tätigkeiten und Lebensphasen auf den Gebrauch des Mediums Buch zurückgreifen. Neben dem kulturellen Anspruch unterstreicht es ebenso die gesellschaftspolitische Absicht, der Bibliothek als öffentliches Gebäude auch eine ideologische (sozialistische) Dimension zu verleihen. Stand in der Erbauungszeit des Gebäudes noch ganz das Buch im Zentrum der räumlichen Konzeption der Bibliothek, so hat sich dieses Paradigma heutzutage durch die ständige Verfügbarkeit des Internets und der digitalen Medien grundlegend verändert. Dieser als „digitaler Wandel“ beschriebene Prozess machte auch vor der Stadtbibliothek Wittenberg keinen Halt und muss - neben dem damaligen, baufälligen Zustand vieler Räume - als der eigentliche Impuls für die Bauaufgabe angesehen werden.

Neuer Raumbedarf
Die veränderte inhaltliche Ausrichtung der programmatischen Bibliotheksarbeit bedingt
unmittelbar auch den Bedarf an einem zeitgemäßen und erweiterten Raumprogramm.
Dieses soll nicht mehr nur den klassischen Wissenszugang in Form von Lesesälen
ermöglichen, sondern neben der Bereitstellung niederschwellig zugänglicher Orte für den
individuellen und gemeinschaftlichen Aufenthalt ebenso auch öffentliche Räume für
Werkstätten und produktive Freizeitgestaltung (Stichwort Makerspace) sowie adäquate
Flächen für unterschiedliche Veranstaltungsformate wie beispielsweise Lesungen,
Vorträge, Konzerte und vieles mehr umfassen. Dagegen entsprach die bestehende
räumliche Trennung der einzelnen Funktionsbereiche und die teilweise sehr kleinteilige
Raumstruktur dem erweiterten und veränderten Raumbedarf nicht mehr.

Synthese statt Antithese
Die Identifikation der bisher nur unscharf vorhandenen Raumcharaktere stellte den
wichtigsten Ausgangspunkt für die Neustrukturierung der Bibliothek dar. Zudem erforderte
das erweiterte Raumprogramm und die Notwendigkeit der besseren Verflechtung aller
Funktionsbereiche eine differenzierte Betrachtung der Bestandsräume. Das spezifische aber verborgene architektonische Potenzial des 60er-Jahre Baus sollte entdeckt, respektiert, hervorgehoben und interpretierend fortgeführt, nicht aber durch neue Eingriffe überlagert oder gar diskreditiert werden. Als Orientierungspunkt für die gestalterischen Entscheidungen diente uns dabei die Leichtigkeit atmende, flache, schattenlose
Bildästhetik des Wandreliefs sowie die dezent vorhandene Architektursprache des
sozialistischen Neoklassizismus.

Bauliche Interventionen
Das Bestandsgebäude wurde ursprünglich 1961-64, unweit von Marktplatz und Schloss,
als Ersatzneubau in der mittelalterlich geprägten Wittenberger Altstadt errichtet und hatte
seitdem kaum bauliche Veränderungen erfahren. Der ungenügende bauliche Zustand vieler Räume verlangte neben den veränderten Nutzungsanforderungen nach einer
grundlegenden Sanierung der Bibliothek. Um die Adressbildung an der Schlossstraße zu stärken und einen barrierefreien Zugang zur Bibliothek zu schaffen, wurde die bestehende aber unbefriedigende Eingangssituation neu geordnet. Unter Berücksichtigung der denkmalpflegerischen und städtebaulichen Belange wurde der Bibliothekseingang an die westliche Brandwand verlegt und räumlich vom bisher gemeinsam mit den Wohnungen genutzten Hauseingang getrennt. Im repräsentativen und zur Schlossstraße gelegenen Schaufensterraum wurden die Bereiche der Kinder- und Jugendbibliothek sowie die Zeitungs- und Magazin-Lounge eingerichtet, die zwar einen lärmintensiveren aber auch lebendigen Gebrauch mit sich bringen und damit den öffentlichen Charakter der Stadtbibliothek unterstreichen. In der unmittelbar südlich angrenzenden „Ausleihraum-erweiterung“ befindet sich der Informations- und Selbstverbuchungsbereich mit einer zentralen Infotheke als erster Anlaufpunkt für die Nutzer. Der größte bauliche Eingriff des Projektes konzentrierte sich auf den Abriss der beiden engen Verbindungsflügel zwischen Vorderhaus und Hofgebäude. Diese wurden durch den neu geschaffenen, zentralen Lesesaal ersetzt. Zukünftig als „Lesehof“ und damit als räumliche Erweiterung des Lesesaals in den Außenraum konzipiert, blieb der zentrale Lichthof trotz einer flächigen Verkleinerung erhalten. Dieser räumlich eingeschlossene „Lesehof“ und die an allen Wänden umlaufenden Bücherregale – entsprechend dem klassischen Motiv der „Bücherwand“ – verleihen dem Lesesaal eine deutlich introvertierte räumliche Prägung. Auch hier ermöglicht die Möblierung unterschiedliche Nutzungsformate, deren Schwerpunkt jedoch auf konzentriertem Arbeiten liegt. An der Schnittstelle zum östlich anschließenden Hofraum ist der neue Makerspace als erkerartige Erweiterung an den Lesesaal angegliedert. Seine baulich-räumliche Ausformulierung reagiert sowohl auf die unregelmäßigen, kleinteiligen Anbauten im Innenbereich der Blockrandbebauung als auch auf die durch den WC-Trakt vorgegebene, periphere Lage der Nebenräume. Die großflächig verglaste Fassade sorgt durch den hohen Tageslichteinfall für optimale Arbeitsbedingungen im Makerspace. Gleichzeitig unterstreicht ihre von der restlichen Ostfassade deutlich differenzierte Erscheinung die zukünftig immer wichtiger werdende Bedeutung dieses neuen Nutzungsangebotes im erweiterten Kosmos der Bibliotheksarbeit. Im südlich anschließenden Hofgebäude wurde die vormals kleinteilige Raumstruktur im Erdgeschoss für die Unterbringung des Multifunktionsraumes und der Sachliteraturbestände aufgebrochen. Diese Räume profitieren zukünftig von ihrer attraktiven Lage an der Südfassade und einem unmittelbaren Sichtbezug zum südlich gelegenen Gartenbereich. Durch die Herstellung des neuen öffentlichen Süd-Zugangs zur Bibliothek wurde ein weiterer barrierefreier Eingang geschaffen. Dies ermöglicht zudem die separate Nutzung des Multifunktionsraumes für vielfältige Veranstaltungen unabhängig von den Öffnungszeiten der Bibliothek. Der neue Eingang wird von einem filigranen, auskragenden Vordach und der vorspringenden Fassade des Makerspace räumlich gefasst. Hier ist im Windfang der Rückgabeautomat aufgestellt, der den Nutzern mit Hilfe der digitalen Bibliothekskonzeption und RFID-Technik eine autonome Medienrückgabe rund um die Uhr ermöglicht. Gleichzeitig stellt der neue Zugang auch die Erschließung der zur Bibliothek gehörenden Verwaltungsräume sicher, die im Obergeschoss des Hofgebäudes in einer großzügigeren Raumsituation zusammengeführt worden sind. Zur Ergänzung des Raumangebotes und Aufwertung des neuen Zugangs von der Wallstraße, wurde die südlich vorgelagerte, bisher ungenutzte und unattraktive Grundstückshälfte zu einem Lesegarten umgestaltet. Dessen landschaftsarchitektonische Gestaltung speist sich aus städtebaulichen und denkmalpflegerischen Vorgaben für die Grundstücke an der Wallstraße, welche dem Vorbild der auch landwirtschaftlich genutzten Gärten in Randlage der mittelalterlichen Altstadt folgen. Konkret bedeutet dies eine Mischbepflanzung mit Streuobst-Bäumen im Südbereich und unregelmäßige Gartenpflanzungen am Übergang zur Hofbebauung. Hier bietet sich den Nutzern durch diverse Sitzmöbel und in Ergänzung zum Lesehof ein zusätzliches Angebot unterschiedlicher Aufenthaltsplätze im Freien.

Medienbestand
In der Bibliothek finden ca. 19.000 Medien, ca. 1.000 Zeitschriften und Magazine sowie ca. 5.300 CDs einen neuen Platz. Der digitale Bestand umfasst 20 Laptops, drei VR-Brillen, diverse Maker-Boxen, drei Roboter, diverses mechanisches und elektrisches Werkzeug, einen 3D-Drucker, einen Lasercutter und eine digitale Nähmaschine. Sämtliche Ausleihen, Verbuchungen und Rückgaben können durch die RFID-Technik, „smart-shelfes“, ein intelligentes Bücherregal und den Rückgabeautomaten unabhängig vom Bibliotheks-Personal erfolgen.

Zusammenfassung
Die nur unscharf vorhandenen Raumcharaktere wurden mittels der baulichen Interventionen gestärkt und bildeten den Ausgangspunkt für die funktionale Neustrukturierung der Bibliothek. Den Schaufensterraum kennzeichnet seine großzügige räumliche Offenheit. Der Erhalt des charakteristischen Wandbildes, die freigelegte und wiederhergestellte Kassettendecke sowie die Gipsstuckprofilierungen an den Säulen und Wänden tragen zur spezifischen, an die Leichtigkeit der bauzeitlichen Architektur erinnernden Atmosphäre bei. Dagegen erhält der zentrale Lesesaal aufgrund seiner Lage zwischen dem bestehenden Treppenhaus und den Hof- und Nebengebäuden eine introvertierte Prägung, welche durch das Motiv des vollständig eingeschlossenen Lichthofes verstärkt wird. Die Räume im Hofgebäude hingegen werden stärker auf den südlich anschließenden Gartenbereich orientiert.
Die Schaufensterfront öffnet die Bibliothek zum Straßenraum der Schlossstraße.

Die Schaufensterfront öffnet die Bibliothek zum Straßenraum der Schlossstraße.

Die wohnzimmerartige Möblierung und die Kinderbibliothek unterstreichen den öffentlichen Charakter des an der Schlossstraße gelegenen Schaufensterraumes.

Die wohnzimmerartige Möblierung und die Kinderbibliothek unterstreichen den öffentlichen Charakter des an der Schlossstraße gelegenen Schaufensterraumes.

Die Möbel der Kinderbibliothek sind in ihrer formalen Gestaltung spielerischer angelegt als diejenigen der übrigen Räume.

Die Möbel der Kinderbibliothek sind in ihrer formalen Gestaltung spielerischer angelegt als diejenigen der übrigen Räume.

Die Sitzstufenmöbel in der Leseecke sind modular aufgebaut. Dies ermöglicht unterschiedliche Leseveranstaltungen für kleinere Gruppen.

Die Sitzstufenmöbel in der Leseecke sind modular aufgebaut. Dies ermöglicht unterschiedliche Leseveranstaltungen für kleinere Gruppen.

Herzstück der Bibliothek ist der zentrale Lesesaal mit einem integrierten Lichthof. Klassische Bibliotheksarbeitsplätze unterstreichen die ruhige Arbeitsatmosphäre.

Herzstück der Bibliothek ist der zentrale Lesesaal mit einem integrierten Lichthof. Klassische Bibliotheksarbeitsplätze unterstreichen die ruhige Arbeitsatmosphäre.

Die vormals kleinteilige Raumstruktur im Erdgeschoss des Hofgebäudes wurde aufgebrochen und bietet nun einem Multifunktions- und Veranstaltungsraum platz.

Die vormals kleinteilige Raumstruktur im Erdgeschoss des Hofgebäudes wurde aufgebrochen und bietet nun einem Multifunktions- und Veranstaltungsraum platz.

An der Südfassade des Hofgebäudes wurde deren bauzeitliche Farbfassung bei der Sanierung beibehalten.

An der Südfassade des Hofgebäudes wurde deren bauzeitliche Farbfassung bei der Sanierung beibehalten.