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Eingeladenes, zweiphasiges städtebaulich-hochbauliches Entwurfsgutachten | 11/2022

Quartiersentwicklung Freiburger Straße in Stade

Visualisierung

Visualisierung

2. Rundgang

Architekten Ingenieure PSP

Stadtplanung / Städtebau

Lisa Brunnert | Freischaffende Landschaftsarchitektin u. Urban Designerin

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Leitbild und Name

Die Planung findet ihren Ursprung in den bestehenden Strukturen von Stade. Stade hat eine angenehme Mischung aus Dichte und Dimension, es finden sich viele Grüne und biodiverse Oasen, es gibt Raum für Aneignung, es ist vielfältig und besitzt eine starke Identität. Aus diesem „Lernen von Stade“ wiederum leitet die vorliegende Planung ihr Leitbild ab. Hierbei versucht diese nicht das Bestehende zu kopieren, sondern die bekannten, positiven Aspekte in ein zeitgemäßes Quartier zu überführen und zusätzlich mit der Thematik der Klimaresistenz zu verknüpfen. In der Mitte steht die behagliche Stadt, welche alle Dimensionen des miteinander Lebens sowie die zukünftigen Herausforderungen miteinbezieht und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das neue Quartier, welches an einem geschichtsträchtigen Ort entsteht, soll einen Namen erhalten, welcher Stade (die behagliche Stadt) widerspiegelt. Gleichzeitig soll dieser Bezug nehmen auf das Entstehende und das hierfür definierte Leitbild.
Stades Identität ist vielerorts ablesbar. Geprägt wird diese sowohl durch das (vielmals in der Kommunikation reproduzierte) Stadtbild sowie durch die regional-spezifische Sprache Niederdeutsch und die damit verbundene Einzigartigkeit. Übersetzt man das Vorgefundene, das Behagliche ins Niederdeutsche, so stößt man auf den Begriff „moje“. Ergänzt man die entwickelte städtebauliche Figur, welche zwei Höfe ausbildet, wird daraus MOJE HÖFE. Die MOJE HÖFE sind sowohl verbunden mit der Identität und Tradition der Stadt als auch ein Hinweis auf die entstehende Struktur und das Leben in dieser.

Freiraum

Die städtebauliche Figur bildet zwei Höfe aus, welche unterschiedliche Charaktere erhalten. Während der südliche Hof mit eventueller Hotelnutzung an der Spitze, städtisch geprägt ist, ist der nördliche Hof primär durchzogen von Grün. Der im Süden sitzende Solitär, als Gegenspieler zur „Kaufland-Architektur“ erhält ein Tableau. Dieses fasst den Baukörper und bildet gleichzeitig einen Raum für die angrenzende Nutzung (Hotel). So findet sich auf dem Tableau der Anlieferungsbereich, zum Burggraben ist zudem eine Nutzung durch Außengastronomie möglich. Der städtisch geprägte Hof erhält zwei Plätze, zur gemeinschaftlichen Nutzung durch die Anwohner:innen und zum Spielen. Große Sitzelemente und Holzdecks laden zum Verweilen ein. Sonnensegel und Gehölze spenden Schatten. Die privaten Wohnungen erhalten Gärten mit mind. zwei Meter tiefen Terrassen, welche durch Hecken begrenzt werden. Im nördlichen Hof findet sich eine großzügige Grüninsel mit Topografie und einem Spielschwerpunkt sowie der sogenannte „Klimagarten“, welcher eine biodiverse Grünfläche mit üppiger Pflanzung und Gehölzen darstellt. In direkter Nachbarschaft erhalten die Bewohner:innen die Möglichkeit zum gemeinschaftlichen Gärtnern. Die angrenzenden Privatwohnungen erhalten ebenfalls, durch Hecken begrenzte Gärten mit mind. zwei Meter tiefe Terrassen. Zudem bildet der Hof den Übergang zur Kerstensstrase. Durch die Öffnung der städtebaulichen Figur, entsteht eine „untergeordnete“, von Grün gesäumte Wegeverbindung. Gleichzeitig wird ein ebenfalls grüner, mit Sträuchern und Stauden bepflanzter Rahmen ausgebildet, der einen angemessenen Abstand zur Nachbarschaft erzeugt und an die südlich der Kerstensstrase bestehende Struktur der Vorgärten anknüpft.

Die (öffentliche) Mitte der MOJE HÖFE bildet der sogenannte Wohnweg. Er verknüpft das Quartier und die Freiburger Straße mit einem Mobilitätspunkt und bindet den östlichen Teil des Entwicklungsgebietes an. Im Westen zum Burggraben weitet er sich zum sogenannten „Kesselplatz“ auf. Hier ist eine Belebung der Erdgeschosszone angedacht sowie ein Ort, welcher die Historie der Gummiwarenfabrik erlebbar machen soll. In Ermangelung geeigneter historischer Artefakte, wird vorgeschlagen eine Künstler:in zu beauftragen und eine „neue“ Erinnerung zu schaffen. Hier wäre ein Bodenrelief genauso denkbar wie eine Skulptur. Am Platz entsteht zudem ein Zugang zum Wasser bzw. ein Ort am Wasser. Gleichzeitig stellt der Wohnweg einen Knotenpunkt dar und verknüpft die MOJE HÖFE mit dem bestehenden Wegesystem. Im Übergang zum öffentlichen Grün entsteht zudem der sogenannte „Spielgarten“.
Im gesamten Quartier werden Gehölze gepflanzt. Hierbei wird das Prinzip der Baumdiversifizierung verfolgt, um einen größtmöglichen Beitrag zur Biodiversität zu leisten. Da das Quartier unterbaut ist, werden die Gehölze im südlichen Hof in Aufkantungen und im nördlichen Hof sowohl in Aufkantungen als auch in einer Geländetopografie gepflanzt. So wird eine mindestens ein Meter hohe Substratschicht ermöglicht.

Die Dächer der Staffelgeschosse werden begrünt und gleichzeitig zur Retention bzw. Bewässerung genutzt. Auf der Tiefgaragendecke wird ebenfalls eine Regenrückhaltung vorgesehen. Im südlichen Hof anfallendes Wasser wird hier drainiert und in einen oberflächennahe Entwässerungseinrichtung im Wohnweg überführt (das Sichtbarmachen des Wassers wird hier als gestalterisches Element betrachtet). Von dort kann das Wasser gedrosselt in den Burggraben eingeleitet werden. Im nördlichen Hof wird das anfallende Regenwasser in Zisternen gesammelt und zur Bewässerung der Grünflächen bereitgestellt, um den Ressourcenkreislauf zu schließen. Ziel ist es möglichst viel Regenwasser zurückzuhalten und das Quartier als Baustein des Schwammstadt-Prinzips zu entwickeln. Es ist zudem geplant, die Versiegelung auf ein Minimum zu reduzieren und Beläge versickerungsfähig auszubilden.

Städtebau

Das Plangebiet befindet sich im Spannungsfeld zwischen der historischen Altstadt und der Großstruktur des Kauflands im Süden, den von Grün umgebenen, hohen Villengebäude mit dem Burggraben im Westen, sowie der gewachsenen Ein- und Mehrfamilienhausstruktur entlang der Freiburger Straße im Osten und entlang der Kerstensstraße im Norden.
Der Entwurf schlägt unter Berücksichtigung dieses Spannungsfeldes und vor dem Hintergrund des Leitbildes vor, die prägnante, dichte, aber auch diverse Blockrandbebauung der behaglichen Altstadt mit ihren gewachsenen grünen Innenhöfen zum Vorbild zu nehmen und diese städtebauliche Typologie im Kontext der Nachbarschaft in ein zeitgemäßes Quartier zu überführen. Es entstehen westlich der Freiburger Straße zwei Hofsituationen, die im Norden durch vier Gebäude und im Süden durch drei Gebäude geformt werden. Entlang der Grenze des Plangebiets entstehen so klare Raumkanten, die die bestehende städtebauliche Struktur auf den anderen Straßenseiten fortführt und den Straßenraum schließt. Im Bereich des Wohnwegs sowie im nördlichen Anschluss an die Kerstensstraße werden die Raumkanten gebrochen um eine Erschließung des Plangebiets zu ermöglichen.
In der Gebäudehöhe orientiert sich der Entwurf behutsam an der benachbarten Bebauung. Der Wohnblock entlang der Kerstensstraße ist mit zwei Vollgeschossen geplant und ist damit niedriger als das höchste dort bereits vorhandene Gebäude. Entlang der Freiburger Straße orientieren sich die Gebäudehöhen ebenso an den Firsthöhen der gegenüberliegenden Straßenseite, wobei von Norden Richtung Süden die Geschossigkeit von drei auf vier Vollgeschosse ansteigt. Entlang des Burggrabens ist aufgrund des weiten Abstands zur vorhandenen Bebauung und der Höhe der Villen inklusive des Baumbestands auf der anderen Seite des Burggrabens durchgehend eine Bebauung mit vier Vollgeschossen geplant. An der südlichen Spitze soll mit 8 Vollgeschossen (maximale Gebäudehöhe von 27,50m) ein auf einem Sockel geplanter Solitär den markanter Abschluss des Quartiers darstellen. Alle Gebäude bis auf der Solitär sind mit Staffelgeschossen geplant, wobei die Staffeln entlang der Straßenkanten in Art eines Mansarddachs ausgebildet werden um die optische Höhe zu minimieren und die Morphologie der bestehenden Gebäude mit den Satteldächern aufzugreifen. Die jeweiligen Baukörper sind in Anlehnung an die Diversität und Kleinteiligkeit der Stader Altstadt und die Nachbarbebauung in kleinere Volumen gegliedert, die sich durch unterschiedliche Materialität und vor- bzw. zurückspringende Fassaden ablesen lassen.

In Summe entsteht westlich der Freiburger Straße eine Bebauung von insgesamt 18.530 m² BGF (davon ca. 2.360 m² BGF Staffelgeschoss), was bezogen auf die Grundstücksgröße von rund 9.200 m² einer GFZ von 1,75 entspricht.
Vor dem Hintergrund der Klimaresistenz, der Nähe zur Stader Altstadt und zu diversen Möglichkeiten der Nahversorgung soll mittels eines Mobilitätskonzepts der Stellplatzschlüssel auf 0,8 PKW-Stellplätze je Wohneinheit minimiert werden, sodass sämtliche notwendige 156 PKW-Stellplätze für die Wohnungen und das Hotel in der eingeschossigen Tiefgarage nachgewiesen werden können sodass das Quartier oberirdisch autofrei geplant werden kann.
Um die Kleinteiligkeit und Diversität der Stader Altstadt und auch der Nachbarbebauung aufzugreifen sind die jeweiligen Baukörper mit einer Mischung unterschiedlicher Materialien geplant. Ein Großteil der Fassaden ist mit rotem Klinker in unterschiedlichen Farbnuancen geplant. Teilweise sind hier moderne Muster im Mauerwerk oder die Verwendung von Tonschindeln denkbar um den Gebäuden einen modernen Ausdruck zu verleihen. Auch die Mansarddächer sind mit diesen Materialien denkbar. Die Steinfassaden sollen partiell um Holzfassaden ergänzt werden um die Ansprüche an ein nachhaltiges Quartier zu unterstreichen.
Die Grundrisse der Gebäude sind so angelegt, dass für die Konstruktion die Außenwände, die Sanitärkerne und die vertikalen Erschließungskerne von statischer Relevanz sein werden. Die übrigen Wände sind dadurch variabel herstellbar und ermöglichen ein hohes Maß an Flexibilität in der Grundrissgestaltung.
Im Sinne der Energieeffizienz ist das Einhalten staatlich geförderter Vorgaben zur Energieeinsparung sowie das Erfüllen von Zertifizierungskriterien aus Nichtregierungsorganisationen (z.B. DGNB – Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) ist im weiteren Planungsverlauf unter anderem in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit zu untersuchen. Generell sollte im Sinne der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit (Folgekosten) ein möglichst geringer Energieverbrauch durch die jeweiligen Nutzungen angestrebt werden. Die einzelnen Gebäude sind daher kompakt geplant, sodass ein möglichst gutes Außenhüllen-Volumen-Verhältnis (0,267 im Durschnitt aller Gebäude) entsteht. So lässt sich der spezifische Energiebedarf pro m³ beheiztem Raum reduzieren. Eine Möglichkeit zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen bilden beispielsweise Photovoltaikelemente auf den Dachflächen.
Neben den zum Freiraum bereits erwähnten Aspekten der Nachhaltigkeit soll bei der Umsetzung des Entwurfs unter anderem auf die Verwendung nachhaltiger Materialien geachtet werden (z.B. Holzfassaden, ggfls. Holz-Hybrid-Konstruktionen, Verwendung regional erzeugter Baustoffe, Möglichkeit zur Trennung von (Verbund-) Baustoffen bei späterem Rückbau.)
Neben der energetischen Nachhaltigkeit findet auch das Soziale starke Berücksichtigung. So sind alle Wohnung barrierefrei erreichbar und die Bäder sind in ihren Größen so angelegt, dass eine barrierefreie Nutzung eingerichtet werden könnte. In Haus 6 (mittig der Freiburger Straße) ist ein Teil mit Wohnungen für Servicewohnen/ betreutes Wohnen geplant. Die Wohnungen werden ergänzt durch einen multifunktional nutzbaren Gemeinschaftsbereich im Erdgeschoss.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf wurde nach der Zwischenpräsentation nur noch geringfügig verändert und verwendet weiterhin das Motiv zweier Höfe mit einem Solitär an der Südspitze. Das gewählte Grundmuster ist verständlich und gut sortiert, die Architektur erscheint jedoch eher konventionell und wenig einladend und die Maßstäblichkeiten fügen sich zu wenig in den Kontext ein. Der aufgezeigte Bezug zur differenzierten, kleinteiligen Bebauungsstruktur der Altstadt mit unter‐ schiedlichen Räumen ist im Detail zu wenig ablesbar. Stattdessen verwendet der Entwurf zusammenhängende Volumen mit großen Längen am Burggraben und der Freiburger Straße, die eine schwierige Maßstäblichkeit zeigen. Der Versuch das städtebauliche Versäumnis durch unterschiedliche Ziegelfarben einzulösen, wird von der Jury als nicht überzeugend bewertet.

Positiv kommentiert wird der Umgang mit den beiden Höfen und die vorgeschlagene Raumbildung. Die Unterscheidung der Freiräume zwischen öffentlich und privat ist den Verfasser:innen sehr gut gelungen. Die beiden Höfe sind gut ausformuliert und der Hochpunkt ist gut proportioniert und an der Stelle gut eingefügt. Besonders positiv bewertet die Jury die Idee, einen attraktiven Platz am Wasser zu entwickeln. Durch seine Lage und die Sichtbarkeit vom Burggraben wird die Öffentlichkeit eingeladen und an der richtigen Stelle ins Quartier geleitet. Der gewählte Standort muss von den Gebäuden am „Kesselplatz“ bespielt werden um zu funktionieren, dies wird durch die Jury als realistisch umsetzbar erachtet.
Lageplan

Lageplan

Wettbewerbsbeitrag, Blatt 01

Wettbewerbsbeitrag, Blatt 01

Wettbewerbsbeitrag, Blatt 02

Wettbewerbsbeitrag, Blatt 02