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Nichtoffener Wettbewerb | 10/2022

Gestaltung einer Stätte der Erinnerung und Mahnung für die Opfer des Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) in Erfurt

Miteinander reden

Anerkennung

Jozef Legrand

Kunst

glaßer und dagenbach landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

„MITEINANDER REDEN…“ an einem Tisch im Park

„Miteinander reden…“ ist ein Bildraum des Gedenkens und Mahnens, den Opfern der NSU-Gewalt gewidmet, ein Ort des gesellschaftlichen Dialogs.

Die NSU-Morde stellen eine Zäsur im demokratischen Selbstverständnis und Funktionieren der Bundesrepublik dar. Die Attentate, der Umgang mit den Opfern und deren Angehörigen, das Versagen vieler Behörden machten deutlich, dass das demokratische Funktionieren und Handeln aller Personen und Instanzen in der Gesellschaft niemals als selbstverständlich betrachtet werden darf. Es bedarf immer eines Engagements des Einzelnen und von Gruppen, um die Demokratie zu gestalten, zu schützen und sie weiterzuentwickeln. Demokratie ist nie statisch, sondern immer prozessual.

Die NSU-Attentate haben nicht nur in die Öffentlichkeit mit extremer Gewalt eingegriffen, sondern in sehr nachhaltiger Weise in das Private der Opfer, in den Kontext ihrer Familien und allen, die ihnen begegnet sind. Die rechte Gewalt hat eine gewaltige Schockwelle quer durch die Gesellschaft ausgelöst, die bis heute nicht die Grenze ihrer Ausdehnung erreicht hat.

„Miteinander reden…“ verhandelt als künstlerische Gesamtinstallation die zwei gesellschaftlichen Ebenen, das private und das öffentliche Miteinander. „Miteinander reden…“ besteht aus vier interagierenden Argumenten. Die Besucher, die den Dialog an dem Ort des Gedenkens und Mahnens führen, sind das wichtigste Argument. Durch sie findet die Auseinandersetzung statt. Erst durch sie wird der Dialog lebendig und immer wieder anders.
Zentral steht die konkretisierte Einladung, sich an die uns bekannten Opfer in einem Dialog zu erinnern, am großen Tisch auf dem Erinnerungsteppich. Der Erinnerungsteppich ist der Platz, der als Mahn-Gedenkraum anschließend an den Landtagsvorplatz eingerichtet wird.

Auf dem monumentalen Tisch sind in einer dialogischen Inszenierung individuelle Gedenk- und Erinnerungstafeln für die 10 Opfer positioniert. Auf diesen Tafeln werden die jeweilige Lebenssituation, der Tathergang der Attentate und die Auswirkungen auch auf das Umfeld der Opfer, infolge der falschen Verdächtigungen der Opfer thematisiert. Es werden einzelne Themenbereiche benannt, die Teil der komplexen öffentlichen/privaten NSU-Thematik sind.

„Miteinander reden…“ ist ein beruhigender Bildraum und leiser Ort des Gedenkens an die Opfer der rechten NSU-Gewalt, an unschuldige Mitbürger, ihre Verwandten, Nachbarn, Bekannten und an all diejenigen, die hier nicht namentlich genannt werden können. Sie wurden durch die Gewalt physisch und psychisch verletzt und tragen unübersehbare Narben vom Geschehen und dem gesellschaftlichen Umgang davon. „Miteinander reden…“ ist ein einladender, freundlicher, poetischer Dialograum und innovatives Modell für das Gedenken und Mahnen an dem Landtag.

Der erweiterte politisch-gesellschaftliche Komplex wird auf einer Informationsstele am Rande des „Teppichs“ auf dem Vorplatz vom Landtag thematisiert. Mehrsprachig wird hier der gesellschaftliche Kontext der NSU-Morde und das Versagen bei deren Aufklärung erläutert sowie die Gründe und die Ziele, die der Landtag mit
diesem Ort des Mahnens und Gedenkens verfolgt

Es gibt keinen besseren Ort, um miteinander zu reden, als an einem großen Tisch im Park, „on common ground“. Die künstlerische Gesamtinstallation kann nur hier wegen des eindeutigen Bezugs zum Landtag als Ort der öffentlichen Repräsentanz und Verkörperung unserer demokratischen Gesellschaft verortet werden. Es entsteht ein Gesamt-Ensemble, ein Bildraum, der das Verhältnis zwischen dem individuellen und dem kollektiven Handeln zum Thema eines öffentlichen und offenen Dialogs macht.

In diesem Kontext ist es wichtig, Hannah Ahrend zu zitieren, die das nicht immer einfache Verhältnis vom Kollektiven und Individuellen in Bezug auf die Verantwortung thematisiert. Hannah Ahrend warnte lautstark vor der Idee der „Kollektivschuld“, die den Deutschen nach 1945 eine unverhoffte Entlastung in Aussicht stellte: „Wo alle schuldig sind, ist es keiner.“
Das Vorhergehende berührt Grundsätze des demokratischen Handelns. Es gibt immer eine individuelle Verantwortung, da es immer die Möglichkeit des individuellen Handelns gibt. Die kollektive Ebene ist immer darauf bezogen zu sehen, dass sie aus dem individuellen Handeln heraus erst gestaltet wird und überhaupt ihre Legitimität generiert, im politischen durch eine demokratisch legitimierte Delegation.

Wie wir, individuell oder kollektiv, jetzt und in Zukunft mit vergleichbaren Geschehnissen umgehen wollen und können sind Themen, die wir miteinander im Dialog in „MITEINANDER REDEN…“ an einem Tisch im Park, dem Mahn und Gedenkort am Landtag verhandeln.


mit meiner Familie den Abend genießen
zuhören, wie meine Kinder vom Tag erzählen
meiner Liebsten zuflüstern, wie sehr ich sie liebe
mit Freunden den Tag gut sein lassen
mich über kleine Dinge ärgern
mich mit Leidenschaft mit dir streiten
mich mit Herz versöhnen.
mich in deinen Augen verlieren.
deine Haut, mein Zuhause berühren

„MITEINANDER REDEN…“ an einem Tisch im Park