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Award / Auszeichnung | 03/2023

Aus­zeich­nung Vor­bild­licher Bauten im Land Hessen 2023

Übernachtungsstätte für Obdachlose in Frank­furt am Main

DE-60385 Frankfurt am Main, Ostparkstraße 16

Auszeichnung im Bereich sozialer Infrastrukturen

hks architekten BDA

Architektur

STUDIO MC

Architektur

Adolf Gerber Baumanagement Gesellschaft mbH

Projektsteuerung

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Wohnungsbau

  • Projektgröße:

    1.800m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 06/2015
    Fertigstellung: 12/2022

Projektbeschreibung

Lage und Historie

Der Ostpark in Frankfurt am Main liegt zwischen der Bahntrasse in Richtung Hanau und dem Bornheimer Hang im Ostteil der Stadt. Die öffentliche Grünanlage wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts nach einem Entwurf von Carl Heicke als Volkspark angelegt und steht heute unter Denkmalschutz. Seit über 100 Jahren ist der Ostpark mit seinen Wiesen, Sportanlagen, dem Bürgergarten und einem Weiher ein beliebter Ort für Sparziergänge, Picknicks, Sport- und Freizeitaktivitäten. Seit mehr als 25 Jahren ist der Park aber auch Heimat einer Übernachtungsstätte für Obdachlose des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten e.V.
Aus einem anfänglichen Zeltlager erwuchs zunächst eine Containeranlage, die ab 2017 in zwei Bauabschnitten durch einen Neubau ersetzt wurde. Mit Fertigstellung von Café und Vereinsheim wurde Ende 2022 der letzte Baustein des Gebäudeensembles fertig. So konnte der Verein für soziale Heimstätten sein größtes Neubauvorhaben abschließen, der ortansässige Sportverein FFC Olympia 07 e.V. erhielt im Rahmen der Baumaßnahme ein neues Vereinsheim. Auch die Besucher des Ostparks profitieren von der Fertigstellung, da neben einem kleinen Kiosk auch ein öffentliches Café samt WC Platz im Neubau fand.


Gestaltung

Der Gebäudekomplex gliedert sich in fünf zweigeschossige Häuser, die unter einem mäandrierenden Dach und im 1. Obergeschoss durch einen Laubengang miteinander verbunden sind. Den Abschluss bildet das als eingeschossiger Solitär ausgebildete Café (Haus 6), das sich mit seinen öffentlichen Funktionen zum Park zeigt. Schon die Gebäudeform selbst verbirgt für den vorbeigehenden Parkbesuchenden die sensiblen Wohnbereiche und schafft dadurch einerseits wichtige Rückzugsräume für die Bewohnenden. Andererseits sind alle Bereiche durch das Personal gut einsehbar und übersichtlich gestaltet und werden so dem Schutzbedürfnis der Bewohnenden gerecht.

Der schlangenartige Grundriss des Ensembles verzahnt die einzelnen Häuser mit der denkmalgeschützten Parklandschaft und bildet drei Höfe. Zwei dieser Höfe sind mit Sitzelementen, Bäumen, Büschen und Gräsern als Rückzugs- und Begegnungsräume für die Bewohnenden gestaltet. Der zentrale Hof hingegen dient als kleiner Vorplatz, um den sich der Außenbereich des Cafés, sowie die Büros und dienenden Räume der Übernachtungsstätte gruppieren. Die Treppenhäuser und Laubengänge aus verzinktem Stahl verbinden die einzelnen Häuser und erlauben dank durchlässiger Gitterroste unterschiedliche Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Höfen.

Die Fassaden sind entsprechend ihrer Ausrichtung gestaltet: So zeigt sich das Haus zum Park und gegenüber der Öffentlichkeit mit einer Lochfassade aus unterschiedlich glänzenden grün-bläulichen Edelstahlschindeln. Dieser „schuppige Panzer“ spiegelt die umgebende Parklandschaft und verbirgt sicher die Rückzugsräume der Bewohnenden. Damit sich die Fassaden in den denkmalgeschützten Park integrierten, wurde die Auswahl der Farben und Reflexionsgrade der Inox-Schindeln in einem aufwendigen Prozess anhand von 2x2m großen Fassadenmustern zusammen mit der Denkmalpflege und der Stadt festgelegt (vrgl.: Abschnitt „Prozessqualität“).
In den inneren Höfen bietet sich ein vollkommen anderes Bild. Hier öffnet sich das Haus und zeigt sich mit einer Fassade aus unterschiedlich dicken, sägerauen Lärchenholzbrettern. Dazwischen öffnen sich rhythmisch die Fenster und Zugänge zu den Wohnbereichen. Nur der breite Dachabschluss, der den Laubengang vor der Witterung schützt, ist mit den schuppigen Edelstahlschindeln bekleidet und lässt erahnen, dass das Haus zwei Gesichter hat.
Nur Café und Vereinsheim unterwerfen sich nicht dieser Gestaltungsordnung, sondern zeigen sich allseitig in ein Holzkleid aus sägerauer Lärche und großen Glasflächen gehüllt. Hier wird schnell klar, dass Besucher:innen willkommen sind.


Funktionale Qualität

Die Übernachtungsstätte bietet mit ihren 96 Zimmern insgesamt Platz für 202 Bewohnende. Um sie optimal zu versorgen, gibt es Gemeinschaftsküchen, Duschräume, Behandlungszimmer, Büros für Sozialarbeiter:innen und das Café. Für die Mitarbeitenden der Einrichtung wurden an zentraler Stelle eine Pforte, sowie Büros nebst Teeküche und einem Aufenthaltsraum angeordnet.

Die Unterkünfte selbst sind als Zwei- oder Vierbettzimmer gestaltet und teilen sich pro Flur mit maximal sechs Bewohnenden je ein WC. Durch die Erschließung von höchstens drei Wohneinheiten direkt aus dem Freien, entsteht ein hoher Freiheitsgrad für die Bewohnenden. Dies ermöglicht die Betreuung besonders verhaltensauffälliger Personengruppen, die ansonsten schwer in anderen Hilfeeinrichtungen zu integrieren wären. Um auch im Inneren Angsträume zu vermeiden, sind die kurzen Zugangsflure zu den Zimmern durch raumhohe Fenster belichtet. Damit dennoch die gewünschte Intimsphäre gewahrt wird, wurde transluzentes Glas eingesetzt.

Im Vorfeld der Planung fand ein partizipativer Gestaltungsprozess statt, bei dem die zukünftigen Bewohnenden selbst ihre Wünsche und Erfahrungen in die Planung einbrachten (vrgl: „Prozessqualität“). Das Ergebnis ist ein Einrichtungskonzept für die Zimmer, das optimal auf die Bedürfnisse der Bewohnenden zugeschnitten ist. Einbaumöbel mit integrierten Stockbetten, abschließbarem Stauraum und einem Kühlschrank sind die Kernausstattung der Wohneinheit. Es gibt Leselampen und Nischen mit Steckdosen zum Aufladen der Handys. Darüber hinaus sind die Zimmer mit Stühlen, einem Tisch und einem Fernseher ausgestattet. Alle Materialien sind dauerhaft, robust und leicht zu reinigen. Die Farbgebung der Möbel wurde im partizipativen Gestaltungsprozess von den Bewohnenden selbst festgelegt.

Das Café und Vereinsheim im parkzugewandten Kopfbau unterscheiden sich durch die allseitige Holzfassade und die großen Glasflächen nicht nur optisch vom Rest der Notunterkunft, sondern auch funktional. Hier sind alle öffentlichen Funktionen untergebracht und auch die zufälligen Parkbesucher:innen willkommen. Dieser erste Eindruck setzt sich im Inneren fort, wo die sichtbare Brettsperrholzdecke und die verspielt angeordneten Akustikelemente in Kombination mit den Hängeleuchten einen behaglichen Innenraum mit Aufenthaltsqualität kreieren. Auch auf sozialer Ebene spielt das Café eine entscheidende Rolle für die Bewohnenden. Neben einem kleinen Taschengeld, das sie sich durch die Arbeit im Café dazuverdienen können, ist die Integration in die Gesellschaft und die Kommunikation mit Besucher:innen ein wesentlicher Aspekt des Hauses.


Ökologische Qualität

Bereits zu Projektbeginn wurden einige Entwurfsprämissen für den nachhaltigen und kostenoptimierten Betrieb der Notunterkunft festgelegt (vergl.: „Funktionale Qualität“ und „Technische Qualität“). Das betrifft etwa langlebige, robuste Materialien, Vermeidung von Energie- und Wasserverschwendung oder leichte Wartungsarbeiten.
Café und Vereinsheim wurden komplett in Holzständerbauweise errichtet und besitzen eine Brettsperrholzdecke. Für diesen Bauabschnitt konnte durch das Tragwerk und die Holzfassade eine sehr gute Klimabilanz erreicht werden.
Mit der Bekleidung der Hoffassade und als Unterkonstruktion für die Edelstahlfassade wurde mit Holz ein nachwachsender Rohstoff eingesetzt, der sägerau und ohne zusätzliche Beschichtung verbaut wurde und sich positiv auf die Klimabilanz des Gebäudes auswirkt.
Sämtliche Dachflächen sind extensiv begrünt und verbessern dadurch das Mikroklima, binden Feinstaub, fördern die Artenvielfalt (insbesondere bei Insekten) und entlasten die Kanalisation bei Starkregenereignissen.


Ökonomische Qualität

Eine Notunterkunft für obdachlose Menschen ist kein Prestigeobjekt, sondern eine soziale Einrichtung, die unter hohem wirtschaftlichem Druck steht. Insofern entstand der Entwurf unter der Prämisse, neben den funktionalen und bauordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen, den Bau aus ökonomischer Sicht zu optimieren. Neben der Verwendung von robusten und der Nutzung angepassten, langlebigen Materialien, wurde dabei großer Wert auf die Flächeneffizienz gelegt. Ziel war es, möglichst viele Zimmer auf dem begrenzten Grundstück unterzubringen. Die dienenden Funktionen, wie Duschräume und Gemeinschaftsküchen, wurden zentral angeordnet und die Ausstattung der Zimmer auf das Wesentliche beschränkt (vrgl.: „Funktionale Qualität“).
Langlebige, robuste Materialien und ein ausgefeiltes TGA-Konzept erlauben dem Verein für soziale Heimstätten überdies einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlage.


Technische Qualität

Das Gebäude ist seiner Nutzung entsprechend angemessen technisch ausgestattet: Sanitäranalgen, Duschräume und Gemeinschaftsküchen sind robust und langlebig gestaltet. Um Verschwendung und Bedienungsfehler zu vermeiden, wurden sämtliche Armaturen und Kochfelder mit Zeitschaltautomatiken ausgestattet, die Lichtsteuerung erfolgt über Bewegungsmelder, als Leuchtmittel wurden ausschließlich LEDs verbaut. Alle Verschleißteile und die zu wartenden Anlagen sind gut zugänglich und im Bedarfsfall nachrüstbar.
Für die Verwaltung und das Café wurde eine angemessene Ausstattung auf mittlerem technischem Niveau umgesetzt. Auch hier wurde Bewegungsmelder und Abschaltautomatiken eingebaut und ein hoher Wert auf gute Wartungsmöglichkeit und Betriebsfreundlichkeit gelegt.


Prozessqualität

Im Vorfeld der Planung stand ein partizipativer Gestaltungsprozess. Hier wirkten neben den zukünftigen Bewohnenden und dem Architekturbüro auch eine Vielzahl von weiteren Akteur:innen mit, etwa die Künstler Heiner Blum und Jan Lotter. Der zeitintensive und erkenntnisreiche Austausch mündete schließlich in einem 1:1-Pappmodell einer Wohneinheit und einer umfassenden Beschreibung der Ausstattungen und Anforderungen an das Gebäude.
Im weiteren Verlauf wurden die genehmigenden Behörden und Ämter in die Planungsprozesse einbezogen, da die Lage der Notunterkunft im denkmalgeschützten Ostpark eine aufwändige Abstimmung mit Denkmal- und Grünflächenamt erforderte. So wurden drei unterschiedliche, jeweils 2x2 Meter große Fassaden-Mock-ups vor Ort aufgestellt, um Reflexionsgrad und Farbigkeit der Edelstahlschindeln der Fassade abzustimmen. Auch die Freiflächengestaltung wurde intensiv mit den Behörden koordiniert und entsprechende Auflagen, wie zum Beispiel die partielle Fassadenbegrünung in den Entwurf integriert.

Zwischen allen Beteiligten herrschte eine sehr offene und transparente Kommunikationskultur, die es auch in schwierigen Situationen ermöglichte, eine gemeinsame Lösung zu finden. Der respektvolle Umgang und die soziale Integration der besonders hilfsbedürftigen Nutzer:innengruppe einer Übernachtungsstätte stand dabei stets im Vordergrund.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Übernachtungsstätte für Obdachlose ist ein wildes Biest.

Hier ist was los! Mitten im Stadtpark wird gewohnt – nicht privilegiert, wie man vermuten könnte. Nein, hier leben bis zu 150 Menschen, die am untersten Ende der sozialen Schichtung angekommen sind.

Dass die Stadt Frank­furt ihnen diesen Ort und dieses wunderbare Gebäude zur Verfügung stellte, grenzt an ein Wunder und lässt einem das Herz höherschlagen.

Wenn wir es als Gesellschaft schaffen, unsere am wenigsten privilegierten Menschen so zu behandeln wie an diesem Ort, ihnen mit Würde und tatkräftiger Unterstützung zu begegnen und ihnen diese feine Behausung zur Verfügung zu stellen, dann ist doch einiges in Ordnung.

Das Gebäude macht Freude, weil es so gut funktioniert. Seine farbig glänzende Hülle wirkt im Park von weitem wie ein Gewächshaus mit kunterbunten Blumen. Der mäanderförmige Grundriss schafft Privatheit in Nischen, generiert Außenhaut für die vielen kleinen Übernachtungsräume. Mehr als kleine Schlafräume sind da nicht. Auf minimalem Raum kann man schlafen und dank der geschickten Hauskonfiguration dort auch zu Hause sein. Ein wenig jedenfalls und gerade so viel, wie jede*r will.

Die Qualität und Wertigkeit der Konfiguration und damit des ganzen Hauses sind beispielgebend und, soweit die Jury das beurteilen konnte, einmalig: in Frank­furt, in Hessen und in der ganzen Welt.

Dass die Mitarbeitenden vor Ort die Qualität dieses Hauses schätzen und dieses Haus auch Ihre Arbeit positiv beeinflusst, mag ein Nebeneffekt sein, ist aber vielleicht die Hauptsache.