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Dialogverfahren im selektiven Verfahren | 03/2023

Basel Nauentor (CH)

Visualisation

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Teilnahme

Nissen Wentzlaff Architekten BSA SIA AG

Architektur

Degelo Architekten

Architektur

Salomé Gutscher Architektur

Architektur

Bryum GmbH

Landschaftsarchitektur

bfm büro für mobilität

Verkehrsplanung

Bollinger+Grohmann

Tragwerksplanung

Amstein + Walthert AG

TGA-Fachplanung

Denkstatt sàrl

sonstige Fachplanung

Zirkular GmbH

Nachhaltigkeitskonzept

RISAM AG | Risk- & Safety Management AG

Brandschutzplanung

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf ist einfach nachvollziehbar und in seiner inneren Struktur angenehm übersichtlich. Die städtebauliche Grossform ist, wie vom Bebauungsplan vorgezeichnet, als eine architektonische Einheit formuliert: aus dem horizontalen, die Geleise überspannenden Körper wachsen die drei Türme. Die so artikulierte Figur kann deshalb als selbstverständlich und unaufgeregt bezeichnet werden. Sie erscheint wohl auch deshalb als sehr selbstverständlich und irgendwie vertraut, weil sie in ihrer einheitlichen Gestaltung über ein nur leicht variiertes Raster sehr stark an städtebauliche Grossprojekte der Nachkriegsmoderne, wie wir sie aus vielen europäischen Städten kennen, erinnert. Irgendwie glaubt man sie zu kennen (nicht zuletzt von der heutigen Situation am Nauentor). Da liegt vielleicht aber auch ein bisschen das Problem. Diese vertraute Bild ist zwar sehr elegant, es wirkt aber auch etwas monoton und hermetisch. Entsprechend gross ist die Herausforderung, sich von aussen ins Innere der Anlage zu versetzen und plausible Zugänge in diese Grossform hinein zu formulieren.

Denn das Projekt verfügt in seinem Innern eigentlich über ein Angebot an grosszügigen öffentlichen Räumen: es gibt einen langestreckten Innenhof und auf dem Dach einen grossen Garten. Die Verfasser:innen sprechen in Bezug auf diese Orte von klassischen urbanen Räumen wie Platz und Park. Und sie vergleichen diese mit öffentlichen Plätzen in der Basler Innenstadt (etwa dem Münsterplatz) und stellen so einen konzeptionellen typologischen Bezug zum Kontext her. Die Besonderheit (und gleichzeitig der fundamentale Unterschied zu den historischen Referenzen) der im Projekt vorgesehenen Räume ist allerdings, dass sie in beträchtlicher Höhe über dem natürlichen Stadtniveau liegen. Und da liegt wohl auch ein wesentliches, weiteres Problem des Entwurfs: der architektonisch, räumliche Aufwand, den Stadtplatz auf +9.0 m Höhe zu erreichen (u. A. zu steile Velorampen!), erscheint als unverhältnismässig gross und ist für die Besucher:innen wohl nicht so selbstverständlich zu leisten, wie es die Verfasser:innen beschreiben. Die Verbindung mit den angrenzenden Quartieren bleibt schwierig.

Besonders deutlich wird dies auf der Seite an der Nauenstrasse. Hier wird eine riesige Rampe, gleichsam an das Gebäude angeschüttet, zur Überwindung des Höhenunterschieds vorgeschlagen. Stadträumlich erscheint diese Massnahme als höchst problematisch. Auch die daraus folgende Abschottung der dahinter liegenden Innenräume stellt einen wesentlichen Nachteil dieser Anordnung dar und verstärkt den Eindruck einer urbanen «Problem-Ecke». Die Rampe auf der Gundeldinger Seite wirkt dagegen räumlich plausibel. In jedem Fall bleiben Zweifel, was die Belebung und Bespielung des grossen Freiraums im Innern des horizontalen Baukörpers anbelangt. Die Bilder zeigen zwar angenehm proportionierte und atmosphärisch ansprechende Räume, dass sie an diesem Ort aber wirklich so wie auf den Bildern funktionieren, muss aufgrund ihrer abgehobenen Lage sowohl aus logistischen als auch aus soziologischen Gründen bezweifelt werden. In Bezug auf die Nutzungsverteilung sind die Zuordnungen innerhalb der Anlage klar und nachvollziehbar. Von Seiten der Auftraggeberinnen wird allerdings bemängelt, dass der Wohnanteil gesamthaft etwas zu gering und aufgrund der ausschliesslichen Anordnung in den Türmen allenfalls zu wenig divers ist. Die Flexibilität der gesamten Nutzflächen im horizontalen Teil ist aufgrund der über weite Strecken erhaltenen grossmassstäblichen Tragstruktur des Bestands gegeben.

Architektonisch machen die Verfasser:innen diese bestehende Struktur zum Leitmotiv ihres architektonischen Entwurfs und inszenieren das leicht variierte Raster der unterschiedlichen Teile (Festlandteil und Reiter) sowohl im Innern als auch als Projektion auf den Fassaden. Sie sprechen dabei vom Ausdruck eines «robusten Regals». Dieses Bild des industriellen Regals wird mit einer starken Präsenz von Pflanzen und Naturelementen angereichert und kontrastiert. Sowohl auf den Rampen wie auch im Hof und dann ganz besonders auf dem Dach, aber teilweise auch an den Fassaden wächst das Grün. Gemäss den technischen Berichten kommt dies der ökologischen Performance des Gesamtprojekts durchaus zugute. Allerdings muss man sich an einigen Stellen fragen, ob die Bepflanzung und Begrünung auch wirklich in dem dargestellten Masse gelingen kann.

Die Auftraggeberinnen attestieren dem Projekt eine zweckmässige Nutzungsallokation- und Verteilung mit mehrheitlich sinnvoller Clusterung und guter sozialer Durchmischung. Die Adressierung und Auffindbarkeit im Perimeter sind demgegenüber von unterschiedlicher Qualität. Im Festlandteil sind die Retail- und Gewerbeflächen stark verzettelt, wodurch sich die Kundenströme (Frequentierung) nur schwer bündeln lassen.

Die Nutzung von Medical City erstreckt sich über fünf Geschosse im gesamten Perimeter, auf der Festlandseite mit grossen Raumtiefen, wenig Licht und somit ohne die geforderte Nutzungsflexibilität. Durch die (zu) wenigen und unpräzise gesetzten Erschliessungskerne gilt das gleich auch für die Büro- und Dienstleistungsflächen, denen es aufgrund der Raumaufteilung/-tiefen ebenfalls an Flexibilität fehlt. Im Postreiter werden die schwer zugänglichen Flächen auf der Ebene 1 konsequent mit Nebennutzungen belegt, welche entlang der Hochstrasse mit sinnvollen Nutzungen ergänzen werden. Die Belebung der Magistrale erfolgt über die Bespielung des Innenhofs und eine grosse Vielfalt an publikumsorientierten Nutzungen. Die Wohntürme mit nur je einem Erschliessungskern versprechen eine gute Wirtschaftlichkeit, wenngleich der enge Stützenraster wenig Flexibilität für Veränderung bietet. Die Arbeitsnutzungen werden deutlich überschritten, während die Wohnnutzungen hinter den geforderten Geschossflächen zurückliegt.

Das Hochhaus SBB hängt mit dem Gesamtprojekt zusammen und funktioniert nicht autonom. Spezifisch erkennbar erscheint es im 4.Obergeschoss, Büronutzungen vermischen sich im Gesamtareal, was nicht der Aufgabenstellung entspricht. Der Anteil an Arbeitsnutzungen ist hoch. Die geforderte und gewünschte Fläche an Wohnnutzungen wird nicht eingehalten. Aus dem Projekt kann nicht herausgelesen werden, wie die Anlieferung des Gebäudes erfolgt.

Das Planungsteam skizziert hinsichtlich Erschliessung einige sinnvolle Ansätze, die jedoch nicht bis ins letzte Detail zu überzeugen vermögen. Die Durchwegung für den Fussverkehr ist grundsätzlich gelungen. Sie erfolgt hauptsächlich auf Niveau 06 – der starke Höhenunterschied kann über Rampen und Treppen aus allen Richtungen überwunden werden. Die angebotenen Veloverbindungen erfüllen grundsätzlich die gestellten Anforderungen, wobei die gewählte Anbindung der Nord-Süd-Verbindung auf Seite Gellert an die Nauenstrasse nicht optimal erscheint und die Konfliktfreiheit zwischen Velo- und Fussverkehr im Bereich des Postreiters nicht gewährleistet ist. Veloabstellplätze sind in allen Gebäudeteilen nachgewiesen. Die Rampe ab der Gartenstrasse für den motorisierten Individualverkehr und den Lieferverkehr wird neu angeordnet, um den Ansprüchen gerecht zu werden und sie für die vorgesehene Nutzung zu optimieren. Dies ist zweckmässig und führt zu einer günstigen Anordnung und Flächenaufteilung in den Untergeschossen. Die Anforderungen an den motorisierten Individualverkehr sowie an den Lieferverkehr werden erfüllt.

Die Angaben zum Brandschutz sind mehrheitlich nachvollziehbar. Insbesondere die Wegführung auf dem Stadtplatzebene (2. Obergeschoss) stellt für die Fluchtwegführung aus den «niedrigeren» Gebäuden eine grosse Chance dar. Die Ausgänge aus den Hochhäusern (notwendige vertikale Fluchtwege/Treppenhäuser) führen im Erdgeschoss über die Eingangshallen, was mit den Plänen teilweise im Widerspruch steht. Die Ausgänge aus den notwendigen vertikalen Fluchtwegen (Treppenhäusern) sind je Ebene entsprechend zu klären.

Das innovative Energiekonzept mit PV-Anlagen auf dem Dach und den Fassaden, einer Grundlastheizung/-Kühlung mit einem Erdsonden-Anergie-Ring sowie einer Spitzenlastabdeckung mittels Fernwärme weist noch Optimierungspotential auf. Die Zentralen und Steigzonen sind prinzipiell dargestellt und plausibel. Die reine Abluftanlage im Hochhaus mit Nachströmung und Fensterlüftung wird kritisch hinterfragt. Die mehrheitlich optimierten Fensteranteile bilden eine gute Basis für Nachhaltigkeitsstandards und den sommerlichen Wärmeschutz.

Im Quervergleich verfügt das Projekt über die tiefsten Geschoss- und Gebäudehüllflächen. Daraus resultiert eine gute Kompaktheit, welche zum tiefsten Fassadenanteil und zu tiefen Kosten führt. Trotz der tiefen Geschossfläche verfügt das Projekt über einen auffällig hohen Anteil an Aussengeschoss- und Erschliessungsflächen. Insgesamt verfügt das Projekt, aufgrund der auffällig tiefen Geschoss- und Fassadenfläche, über die im Quervergleich tiefsten Erstellungskosten. Die geforderte Geschossfläche in Bezug auf das Wohnen wird nicht erfüllt. Im Weiteren wird die Wirtschaftlichkeit massgebend durch die Baukostensteigerung, sowie die generell steigenden Zinsen beeinflusst. Um die Wirtschaftlichkeit positiv beeinflussen zu können bzw. um die wirtschaftliche Tragbarkeit sicherzustellen, würde es eine Reduktion der Aussengeschossflächen, eine Überprüfung der Hybridbauweise inkl. Raster, eine Erhöhung des Wohnanteils sowie eine grundsätzliche Optimierung des Nutzungsmixes benötigen.

Das Konzept der Tragstruktur basiert auf dem nachhaltigen Grundsatz die bestehende Tragstruktur wo immer möglich zu belassen und weiterzuentwickeln. Im Fall des Reiter-Gebäudes werden die grossen Spannweiten des Bestands mit den neuen Aufbauten übernommen und mit einem wirtschaftlichen statischen System fortgesetzt. In den Hochhäusern wird eine effiziente Holzbeton-Verbundkonstruktion um die massiven Erschliessungskern in Beton vorgesehen. Die Gebäudestabilität wird in den Hochhäusern über die Erschliessungskerne und im Reitergebäude über die Deckenscheiben, welche die Kräfte an das Festlandgebäude abgeben, gewährleistet. Der horizontale und vertikale Lastabtrag ist konsequent durchlaufend organsiert was eine Materialreduzierte Tragstruktur ermöglicht. Es ist jedoch nicht erkennbar, wie die Kastenträger im Bereich des Reitergebäudes durchdrungen werden. Die gewählte Materialisierung ist wirtschaftlich und durch die grossen Spannweiten entstehen flexibel nutzbare Räume.

Die konzeptionelle Weiterentwicklung des Konzepts im Hinblick auf die wiederverwertbaren Betonelemente sowie die ausführlich dokumentierten baulogistischen Massnahmen werden vom Fachexperten positiv bewertet und zeigen eine plausible Grundlage für den Bauablauf und die Etappierung des Gesamtensembles aus auf.

Das Projekt erfüllt trotz einiger Herausforderungen die komplexen Nachhaltigkeitsanforderungen gut, insbesondere durch das synergetische Energiekonzept und den Einsatz von Photovoltaik in den Brüstungen der Türme. Die Erfüllung des SIA Effizienzpfads Energie 2040 wird knapp möglich durch den Erhalt des Bestands sowie durch die Verwendung von kompakten Baukörpern. Dabei werden auch Fassadenbauteile des heutigen Bestands integriert, was sich einschränkend auf die Stromproduktion mit PV auswirkt. Stadtklimatisch profitiert das Projekt von der intensiven Begrünung der Dächer des Reiters und des Festlandteils und sorgt dabei für ein angenehmes Mikroklima. Allerdings schränkt die Darstellung der Freiflächen als begehbare Parklandschaft die Fähigkeit der Dächer als Retentionsfläche ein. Einziger Wermutstropfen ist die Tatsache, dass eine gute Durchlüftung der Innenhöfe nicht gegeben ist. Insgesamt kann das Projekt als vielversprechender Schritt in Richtung Nachhaltigkeit betrachtet werden.

Der Entwurf ist wohltuend einfach und in seiner inneren Struktur angenehm übersichtlich. Die städtebauliche Grossformwird wird gekonnt als architektonische Einheit formuliert und weisst in verschiedensten Teilbereichen interessante und vielversprechende Ansätze auf. Es stellt sich jedoch im Grundsatz die Frage, ob die moderne Grossform über den Geleisen topografisch und ökologisch so überformt werden kann, dass sie langfristig zu einem natürlichen Teil der Stadt wird? So schön das Versprechen ist, bleiben dem Beurteilungsgremium doch auch fundamentale Zweifel.

Visualisation

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Situation

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