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Hochbauliches Werkstattverfahren | 04/2023

Quartiersentwicklung mit Schwerpunkt Circular Economy im Wilhelmsburger Rathausviertel

Grüner Innenhof

Grüner Innenhof

1. Rang

Behnisch Architekten

Architektur

TREIBHAUS Landschaftsarchitektur Berlin/Hamburg

Landschaftsarchitektur

knippershelbig GmbH

Tragwerksplanung

Transsolar Energietechnik GmbH

Energieplanung

Gruner Deutschland GmbH

Brandschutzplanung

Erläuterungstext

Zirkularität und Nachhaltigkeit allein auf den Einsatz von Materialien und Baustoffen zu reduzieren reicht nicht mehr aus, um Klimaneutralität im Bausektor zu erzielen. Das gilt auch für die Nutzung von erneuerbaren Energien und die Tendenz, energieeffiziente Gebäude ausschließlich mit Hilfe technischer Systeme und hochisolierter Gebäudehüllen zu erreichen. Umfassendere Strategien auf einer höheren Ebene sind notwendig, um die Herausforderungen des Klimawandels in der Bauindustrie bewältigen zu können.
CIRCuIT ist ein EU-Forschungsprojekt, das umfassende städtebauliche und bauliche Instrumente für einen vollständig regenerativen, ressourcenschonenden und kreislauforientierten Wendepunkt im Bauen entwickelt und bereitstellt. Partner aus der gesamten Wertschöpfungskette sind beteiligt, sodass die Ergebnisse direkt wieder darin einfließen können und Wissen verknüpft wird. Innovative Lösungen sollen den Rückbau von Gebäuden zur Wiederverwendung von Materialien demonstrieren, sollen Möglichkeiten des Umbaus und der Sanierung von Gebäuden aufzeigen sowie Konzepte für demontierbares und flexibles Bauen entwickeln. Ziel ist es, die Regenerationskapazität zu erhöhen, den Verbrauch an neuen Rohstoffen in neu gebauten Umgebungen zu senken und Kosteneinsparungen zu erzielen.
Mit CIRCuIT haben sich die vier Städte Kopenhagen, Hamburg, Helsinki und London zusammengeschlossen, um Wissen zu verknüpfen, innovative Lösungen aufzuzeigen und Instrumente für den zirkulären Umbau ihrer baulichen Umwelt bereitzustellen. In Hamburg sind neben der Hansestadt die TU Hamburg, die Otto Wulff Projektentwicklung GmbH, Eggers Tiefbau GmbH, Otto Dörner GmbH & Co. KG und das Büro e-hoch-3 eco impact experts GmbH & Co. KG aus Darmstadt beteiligt. Ebenso greift die diesjährige Architekturbiennale in Venedig das Thema der Zirkularität auf, im Deutschen Pavillon unter dem Titel „Open for Maintenance“.

„Circular economy im Wilhelmsburger Rathausviertel”
CIRCuIT Hamburg ist verbunden mit dem realen Pilotprojekt „Circular economy im Wilhelmsburger Rathausviertel”, einem zentral gelegenen Quartier auf dem IBA-Gelände in Hamburg, wo ein neues durchmischtes Wohngebiet entstehen wird. Unser Konzept steht für ein ganzheitliches zirkuläres Entwerfen und Planen. Es umfasst weit mehr als nur auf den Gebäudebetrieb bezogene Energieeffizienz durch neue Technik, Materialien und Re-Newables, sondern berücksichtigt den gesamten Lebenszyklus unserer Gebäude. Daneben zeigt es, wie leicht anpassbare Gebäude entworfen werden können, die soziale Aspekte und Bedürfnisse der NutzerInnen in den Mittelpunkt rücken und so zu einer hohen Akzeptanz und Identifikation mit der gebauten Umgebung führen.

Stadt und Mobilität im Wandel
Zirkularität und nachhaltiges Bauen beginnen schon mit einer ökologisch ausgerichteten städtebaulichen Struktur. Das neue Herz des Stadtteils bietet qualitativ hochwertige, gemeinschaftlich nutzbare Außenräume mit Grün- und Freizeitbereichen entlang der Rathauswettern. Ein direkter Anschluss an den ÖPNV mit Bus und Bahn, der Radschnellweg und der Wilhelmsburger Loop sind die Voraussetzung für ein geändertes Mobilitätsverhalten.
Unser Konzept reagiert dementsprechend bewusst auf eine „Mobilität im Wandel“. Der Individualverkehr wird nicht in das Gebiet hineingezogen, sondern von der Mengestraße in eine zur Hälfte eingegrabene Parkspange geleitet, die so natürlich belichtet und belüftet werden kann. Durch die Wahl der Konstruktion und das Freistellen der Ostfassade können Aushub und Betonmenge erheblich reduziert werden. Auch eine einfache Umnutzung als Fläche für Wohnen oder Gewerbe ist möglich. Die Nutzung von Fahrrädern wird besonders attraktiv gestaltet durch Fahrradräume im Erdgeschoss der Wohnungen, ausleihbare Lastenräder für Geschäfte und Bewohner und eine Fahrradwerkstatt. All das begünstigt die hohe Identifikation der Bewohner mit ihrem Viertel und befördert Nachbarschaften, die das Sicherheitsempfinden erhöhen und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der unmittelbaren Umgebung führt.

Grünes Quartier und Gemeinschaft
Das Quartier unterstreicht mit grünen Innenhöfen, Fassaden und Dachterrassen eine naturnahe Gestaltung, die Mikroklima und Biodiversität begünstigt. Auf versiegelte Flächen wird weitgehend verzichtet und Innenhöfe werden nicht unterbaut, um mittelgroße Zukunftsbäume in Kombination mit Wiesen- und vielfältigen Grünflächen pflanzen zu können. Fassaden erhalten eine bodengebundene Begrünung mit pflegearmen, standortgerechten Arten. Terrassen und Spielflächen mit Objekten aus Naturholz gliedern die grüne Mitte des Quartiers. Es entstehen flexibel nutzbare, qualitativ hochwertige Räume, die durch Urban Farming und gemeinschaftlich nutzbare Dachterrassen zusätzliche Synergien ergeben. Das Angebot an Co-Working- und Co-Using-Bereichen wie Werkstätten und Waschsalons schafft Begenungszonen und ist Flächeneffizient.
„Herz des Quartiers“ und kommunikative Schaltzentrale für alle BewohnerInnen wird das bestehende zweigeschossige Brückenelement der ehemaligen Wilhelmsburger Reichsstraße. Direkt an den Rathauswettern gelegen dient es zunächst als Infopunkt und Starterbox für alle Entwicklungen im Viertel sowie als Ausstellungsfläche für zirkuläres Bauen. Ausgestattet mit einer Pergola, Sanitäranlagen und Küche kann die Brücke später zum Treffpunkt für alle, als Ort für die Gemeinschaft weiterentwickelt werden.

Gebäude und Wohnung als Organismus

Mit dem Konzept eines „Gebäudes als Organismus“ sollen Grundrisse leicht anpassbar für sich wandelnde Wohn- und Lebensformen und flexible Nutzungen gestaltet werden. Singles, Familien, Patchwork, Erwachsenenwohngemeinschaften sind nur einige Modelle mit unterschiedlich großem Platzbedarf, wobei die Varianten auch zukünftig nicht abshbar sind.
Das neue Prinzip der Switch-Wohnungen nimmt auf diese Entwicklung Rücksicht. Es ermöglicht eine flexible Anpassung der Wohnungsgrößen, sodass Einheiten horizontal oder vertikal u.a. über Verbindungsgänge ohne Umbauten miteinander gekoppelt werden können. So ist für die Menschen ein Verbleib in der gewohnten Lebensumgebung ohne Umzug möglich, der Quadratmeterverbrauch pro Person kann reduziert und dem Haus somit eine möglichst lange Lebensdauer garantiert werden (Super-Use). Auch die Erschließung ist neu gedacht: Außenliegende Laubengänge anstelle von Fluren bieten zusätzlich Treffpunkte und Orte für die Gemeinschaft.

Zirkuläres Planen und parametrische Modellierung
Grundlegend für eine Zirkularität in größerem Maßstab ist eine präzise Planung. Schon im Gebäudeentwurf ist es wichtig, eine Abwägung zwischen ökologischem Fußabdruck, Ressourcen-verbrauch, Flexibilität, Re-Use-Potential und Platzbedarf vorzunehmen. Verschiedene Parameter wie die Wahl von Material, Konstruktion, Spannweiten oder Fügung müssen bewusst aufeinander abstimmt (Pre-Use), sparsam einsetzt (Reduce) und demontierbar gestaltet (Post-Use) werden. Ein weiterer Aspekt ist die regionale Verfügbarkeit. und somit ein großes zirkuläres Potential beinhaltet

Low-Tech und konstruktive Lösungen
Möglichst natürliche Materialen in ihrer Reinform wie Vollholz und unbeschichteter Stahl garantieren ein gutes Recycling. Mit der Rückbesinnung auf konstruktive Lösungen wie z.B. bei Dachaufbauten und Entwässerung können komplizierte, technisch aufwendige Lösungen vermieden werden. Die Wärmeversorgung erfolgt über Fernwärme, für solare Einstrahlung geeignete Dach- und Fassadenflächen erhalten PV-Elemente. Maßnahmen wie thermische Pufferzonen, natürliche Be- und Entlüftung, effizienter Sonnenschutz und Nachtluftspülung unterstützen das Low-Tech-Konzept.

Reduce, Reuse und Recycling von Baustoffen und Urban Mining
Als Primärstruktur ergab sich als günstigste Lösung ein Skelettbau aus Holzstützen und durchlaufenden, deckengleichen Stahlträgern, die einen sparsamen Materialverbrauch und eine spätere Wiederverwendbarkeit ermöglichen. Geschossdecken bestehen aus dazwischen gespannten Holzdecken, je nach Belastung als Brettstapel- oder Holzbalkendecken ausgeführt. Diese und alle weiteren Verbindungen sind grundsätzlich trennbar ausgeführt.
Die Außenwände bestehen aus einer in Elementen vorgefertigten Holzrahmenbaufassade, die zur Hälfte zwischen die Geschossdecken eingestellt wird. Das spart 75% Holz gegenüber einer Massivholzwand und reduziert Stahlbauteile. Das Zwischendämmen erlaubt den Einsatz verschiedenster Dämmungsarten und ebenso die Verwendung von Dämmungsresten. Innenwände werden in Holzständerbauweise ausgeführt und bei den Wohnungstrennwänden mit Lehmziegeln ausgemauert. Alle Beplankungen bestehen aus Lehmbauplatten.
Oberste Prämisse war es, eine Fassade zu entwickeln, deren Elemente bei einem Rückbau eins zu eins beim nächsten Gebäude eingesetzt werden können. Rahmen mit immer gleichen Aufhängungsdetails bilden die Basis, um sie mit unterschiedlichen Re-Use Materialien (Klinker, Holz, Metall, usw.) füllen zu können. Sie werden entsprechend ihrer Bewitterungsfähigkeit eingesetzt. Elemente aus Ziegelsplitt kommen zum unterschiedliche Materialien machen den zirkulären Gedanken des Gebäudes auch nach außen ablesbar. Im Entwurf vorgesehene Orte mit geringer Anforderung bieten die Möglichkeit, beispielsweise alte Fenster bei Loggien einzusetzen, die als Wintergarten genutzt werden können.
Grundlegend für unser Konzept war ein holistischer Ansatz, der das zirkuläre Prinzip auf alle Bereiche und den gesamten Lebenszyklus unserer Gebäude anwendet, der die Bedürfnisse des Menschen in den Mittelpunkt stellt und so eine lebenswerte gebaute Umwelt gestaltet.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf vom Büro Behnisch Architekten hat aus den Vorgaben des Bebauungsplans mit festgelegten Gebäudekörpern eine eigene sehr ansprechende Architektursprache erarbeitet, die zusammen mit den Außenräumen zu einem interessanten und lebenswerten Quartier in Wilhelmsburg und für ganz Hamburg werden kann. Die Infragestellung einer vollständigen Unterkellerung durch eine Tiefgarage führt zu zusammenhängenden, attraktiven Grünflächen und schafft einen unversiegelten Innenhof. Das verbindende Brückenbauwerk ist gut eingebunden für eine Gemeinschaftsnutzung. Die den großen Innenhof umschließende Gebäudearchitektur vermittelt einen interessanten Wohnungsmix („Zirkuläres Wohnen“). Die Grundrisse sind mit dem Gedanken eines Switch-Systems konzipiert und lassen eine zukünftige Flexibilität durch Zusammenschlüsse und Trennungen zu. Besonders positiv hat die Jury den Vorschlag gewertet, einen Teil der vertikalen Erschließung mit vier Treppenhaustürmen mit Fahrstühlen in den Innenhof zu setzen, was die Fassaden gut gliedert und für das Quartier eine gute soziale Kommunikation erzeugt.

Die Grundrisse auf Baufeld 14 sind in ihrer gezeigten Vielfalt mit unterschiedlichen Nutzung gut ausgearbeitet. Die vorgeschlagene Hybridkonstruktion aus vertikalen Holzstützen und horizontalen Stahlträgern erlaubt eine große Vorfertigung und Flexibilität bei der Montage und Demontage. Die Fassaden lassen sich mit dem Rastersystem und unterschiedlichen Materialien vielseitig gestalten. Die Wiederverwertbarkeit überzeugt genauso wie die Vorfertigung.

Der Entwurf hat die Jury in seiner hoch detaillierten Ausarbeitung insgesamt sehr überzeugt.

Themenschwerpunkt "Circular Ecomony"
Der Entwurf von Behnisch Architekten überzeugt die Jury neben einer guten Ausarbeitung der räumlichen Qualitäten durch einen sehr durchdachten konstruktiven Entwurf, bei dem das richtige Material für den richtigen Zweck eingesetzt wird. Dank der materialeffizienten, zirkulären Konstruktion und der geschickten Erschließung wird der Betoneinsatz und der Klimafußabdruck minimiert. Die Verbindungstechniken und die sortenreine Trennbarkeit der Materialien lassen sich in der Planung weiterverfolgen. Auf der räumlichen Ebene bringt der Entwurf mit den „Switch-Wohnungen“ und der einseitig belichteten Tiefgarage gute Voraussetzungen für eine flexible Nutzung mit.

Lageplan

Lageplan

Grundriss Erdgeschoss

Grundriss Erdgeschoss

Schnitte

Schnitte

Konzept Erschließung

Konzept Erschließung

Zusammensetzung Gebäude mit CO2 E Bilanz

Zusammensetzung Gebäude mit CO2 E Bilanz