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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2023

Erweiterung Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Stadtallendorf

Eingangssituation

Eingangssituation

Anerkennung

Preisgeld: 4.200 EUR

ATELIER . SCHMELZER . WEBER Architekten PartGmbB

Architektur

QUERFELDEINS Landschaft | Städtebau | Architektur PartGmbB

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

VERWALTUNGSGEBÄUDE = TÄTERORT
Das heutige Aufbaugebäude wurde urspr. als Verwaltungssitz für die Sprengstoff- und Munitionswerke durch das NS-Regime in Allendorf errichtet. Sowohl für den Bau der Fabriken als auch im laufenden Betrieb waren mehrere tausend Zwangsarbeiter unfreiwillig beschäftigt – u.a. deportierte Juden aus dem KZ Auschwitz. Viele starben in den Werken an Unterernährung, Misshandlung und den auszuführenden Schwerstarbeiten. Das vorhandene Verwaltungsgebäude, welches im sog. Heimatstil errichtet wurde, steht symbolisch für die „Schreibtischtäter“, aber auch für die Täter in den Werken. Als Mahnmal soll es daher weiterhin eindeutig lesbar bleiben. Die Architektur des neuen Erweiterungsbaus für das DIZ soll es daher nicht verfälschen oder neu interpretieren, sondern eigenständig, subtil und dennoch gut wahrnehmbar ergänzen.
DAUERAUSSTELLUNG DIZ = OPFERORT
Die 1994 errichtete Gedenkstätte im Bestandsgebäude setzt sich inhaltlich und architektonisch mit den Opfern in den Werken auseinander. Die Ausstellung gilt als erste Gedenkstätte in Deutschland zum Thema Zwangsarbeit und war das Ergebnis eines demokratischen Wettbewerbsverfahrens. Die Ausstellungsgestaltung wird daher nicht abgeändert. Lediglich die Inhalte der ersten beiden Räume in der Remis zum Thema „Anfänge“ in Allendorf werden als neuer Auftakt in den Erweiterungsbau verlegt und sind somit barrierefrei zugänglich. Die Räume in der Remise werden gestalterisch nicht überformt und können als Besprechungs- und Büroflächen für die Mitarbeiter genutzt werden.
ERWEITERUNGSBAU DIZ = DEMOKRATISCHER ORT
Der neue Erweiterungsbau versteht sich als demokratischer Ort der Wissensvermittlung, des Austauschs und der Bildung. Er bildet eine Plattform für eine transparente Aufarbeitung der Geschichte des Ortes, aber auch für zukünftige Themen. Die pavillonartige Architektur besteht aus einer Recyclingglasfassade, welche diffuse Ein- und Ausblicke zulässt. Sie regt an in das Innere vorzudringen und die Geschichte des Ortes genau zu erfahren. Die sichtbaren zusammengesetzten Brüche in der Oberfläche des Recyclingmaterials korrespondieren mit den Brüchen der Stadtgeschichte. Die geschlossenen Bereiche im Innenraum werden durch Sichtbetondecken und -wände charakterisiert, welche dem Gebäude die notwendige Schwere, Rohigkeit und Substanz verleihen. Die Betonflächen sowie die rostige Oberfläche der Corteen-Stahl Treppe kommunizieren mit den Oberflächen in den vorhandenen Ausstellungsbereichen im UG der Bestandgebäude. Die äußere industrielle Erscheinung steht im Kontrast zur „Heimatarchitektur“ des historischen Aufbaugebäudes und schlägt zugleich eine Analogie zur „Fabrikarchitektur“ der Sprengstoffwerke als thematischer Ausgangspunkt. Der Eingangsbereich wird als transparentes „Schaufenster“ mit eindeutigen Verweisen auf die Themen des DIZ ausgebildet. Die schrägen Recyclingglaslamellen erlauben halbtransparente Durchblicke in Abhängigkeit des Standortes. Die zunehmende Diffusität und zugleich spürbare Transparenz bilden den Charakter des Hauses und seiner Funktion als Dokumentations- und Informationszentrum. Im Erdgeschoss werden ebenerdig der Foyer- und Zugangsbereich sowie die angrenzende Bibliothek sowie der Vortragsraum mit ebenerdigen Zugang zum Garten verortet. Der Übergang zum Altbau erfolgt über einen gläsernen Verbindungsgang mit vorgelagerten Stufen sowie einen Aufzug (Durchlader) zum Ausgleich der Niveauunterschiede.
FREIRÄUME = ORT FÜR ALLE
Die Freiräume des DIZ werden unter den Gesichtspunkten des verantwortungsvollen Umgangs mit Natur und Geschichte gestaltet. Der Ort mit seiner besonderen Bedeutung soll eine neue Ausstrahlung erhalten und ein kontemplatives und durchgrüntes Umfeld für alle Nutzenden darstellen. Angegliedert an das Grüne Band entsteht der „Museumsgarten“ im Westen und der „Stadtgarten“ im Osten des Aufbaugebäudes. Diese öffentlichen Gärten zeichnen sich durch einen hohen Grad an Durchgrünung aus und laden zum Aufenthalt, Lernen und Austausch ein. Im Sinne der Ressourcenschonung werden die Treppen- und Maueranlagen weitestgehend erhalten. Lediglich im nördlichen Bereich sorgen eine neue Rampe und ein neuer Treppenabschnitt im direkten Bezug zum neuen barrierefreien Zugang zum Neubau für eine sich öffnende städtebauliche Geste. Für die neue Zuwegung wird das Grauwacke-Kleinsteinpflaster des Aufbauplatzes wiederverwendet. Die befestigten Flächen in den öffentlichen Gärten werden mit Wassergebundener Decke versehen. Angelagert an den Gehweg entsteht ein kleiner Vorplatz, der z.B. von einem Foodtruck oder mobilen Kaffeewagen genutzt werden kann. Der „Museumgarten“ bindet nahtlos an den Neubau und das historische Aufbaugebäude an und schafft einen Aufenthaltsbereich zwischen beiden. Schollen aus hellem Beton akzentuieren den Garten und leiten zu den Exponaten im Freien. Ihre richtungslose Anordnung unterstützt die Besucher:innen beim Flanieren durch den Garten. Inhaltlich kann die Auseinandersetzung mit Themen wie Naturzerstörung durch Kriege durch Exponate und Bildquellen gezeigt werden. Der „Stadtgarten“ im Osten des Aufbaugebäudes wird zum beliebten Treff- und Aufenthaltsort. Mit seinen großen, sanft eingemuldeten Pflanzflächen entsteht eine naturnah anmutende Kulisse für das Aufbaugebäude. Bänke und lange Sitzauflagen an den Mauern laden zum Ausruhen und Treffen ein und fördern die Kommunikation des Lernortes. Im Sinne der Schwammstadt werden die Pflanzbereiche als begrünte Versickerungsmulden ausgebildet. Zusätzlich sorgen die „Versickerungstrichter“ für weitere Einstaumöglichkeiten des Regenwassers. Betonschollen zwischen teils intensiven naturnahen Pflanzungen stehen für die entstandenen Brüche zwischen Menschen und Umwelt und geben den Nutzenden die Möglichkeit den Garten auch spielerisch zu erkunden. Mittelgroße Gehölze und mehrstämmige Sträucher aus resilienten Arten überspielen den Garten und sorgen für angenehme Verschattung. Die Natur wird wieder sichtbar an diesem besonderen Ort und schlägt eine Brücke über viele Brüche zwischen Vergangenheit und Zukunft. Durch die ressourcenschonende Planung können die Außenanlagen mit dem Budget der Förderungen realisiert werden. In einer zweiten Phase kann die Mauer nach Süden erneuert und weitere Einbauten ergänzt werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Diese Arbeit platziert den Erweiterungsbau des DIZ als 2-geschossigen Kubus westlich des Altbaus, ein 3. Geschoss verbindet als UG die Ausstellungsbereiche. Der Neubau orientiert sich städtebaulich richtig über einen großzügigen Vorplatz zur Bahnhofsunterführung und damit zum Stadtzentrum. Rampen und Treppen überwinden die Höhendifferenz und leiten mit Mauern auf selbstverständliche Weise zum Eingang. Gleichwohl wird die etwas schematische, undifferenzierte Gestaltung dieses Bereiches kritisiert.

Die von den Verfassern vorgeschlagene Neuinterpretation der Außenbereiche in einen Stadtgarten und einen Museumsgarten wird positiv gewertet, wie auch die Einbeziehung bestehender Mauern und Treppe in die Gestaltung. Jedoch bleiben die Grünflächen + Wege in ihrem Zuschnitt vor allem auf der Westseite etwas beliebig und nehmen keinen Bezug zur bestehenden Eingangstreppe, die nach wie vor die wichtigste Zugangsfunktion des Bestandsgebäudes darstellt. Auch die Wahl einer wassergebundenen Decke für die befestigten Flächen in diesem Bereich wird hinsichtlich der Unterhaltung und Nutzbarkeit kritisch hinterfragt.

Im Gebäude selbst erscheint die Wegeführung nachvollziehbar und bietet eine gute Orientierung durch die zentrale Treppe. Das Foyer empfängt die Besucher und leitet von hier aus in die Dauerausstellung im Altbau oder zur Wechselausstellung im Obergeschoss. Funktionsbereiche sind sinnvoll angeordnet, insbesondere die Zuordnung von Bibliothek und Seminarraum zum Museumsgarten mit dem Trauraum als gegenüberliegendem Pendant wird gelobt. Der einfache Zuschnitt der Räume gewährleistet eine gute, flexible Nutzbarkeit. Auch die barrierefreie Überwindung der unterschiedlichen Niveaus des Ausstellungsrundgangs ist durch den Aufzug gut gelöst. Die Höhe der Ausstellungsräume erscheint jedoch zu niedrig.

Durch die beiden Treppenhäuser hat diese Arbeit jedoch einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Erschließungsflächen, was zu einer deutlichen Überschreitung der Flächen führt. Hier ist eine kompaktere Grundrissgestaltung notwendig, um die wirtschaftlichen Vorgaben einhalten zu können. Der schlichte Kubus mit einer Fassade aus Recycling-Glas spielt mit unterschiedlichen Transparenzen und kontrastiert mit dem Altbau. Die Materialwahl von Sichtbeton und Cortenstahl im Inneren setzt einen interessanten Kontrast. Es wird jedoch hinterfragt, ob der pavillonartige, leichte Charakter des Gebäudes einem nationalen Gedenkort angemessen ist.

Insgesamt eine Arbeit, die in vielen Teilaspekten überzeugende Antworten auf die gestellten Fragen bietet.
Lageplan

Lageplan

Ansichten/ Schnitte

Ansichten/ Schnitte