Wohnbauten des Jahres 2023

20 Jahre nach der Sanierung Klein Venedigs wurde eine letzte Brache am Eyachufer Balingens repariert und ein neues Stadtquartier geschaffen. Aufbauend auf einer historischen Analyse entwickelt der Entwurf die kleinparzellierte städtebauliche Struktur des ehemaligen Gerberviertels weiter. Im Planungsgebiet lässt sich eindrücklich die bewegte Stadtgeschichte Balingens nachvollziehen. An keiner Stelle der Stadt treffen die noch vorhandenen mittelalterlichen Strukturen so unmittelbar auf die der klassizistischen Neuordnung des frühen 19. Jh.. Entlang der Eyach greift die neue Wohnbebauung das Motiv der alten Gerberhäuser auf, welche sich giebelständig zum Fluß orientierten. Sensibel komplettieren sie die Stadtsilhouette. Dahinter erstreckt sich ein drittes Haus am ehemaligen Standtort der Herrenmühle, welches den Abschluss zweier öffentlicher Räume, dem Mühltorplatz mit Fischaufstieg und einem Wohnanger, bildet. Schließlich ergänzt der Anbau „Beim Mühltor“ das Ensemble und zeichnet den Verlauf der inneren Stadtmauer nach. Gebäudevolumina und Hausformen orientieren sich an der umgebenden Bebauung, resultieren aus Flurgrenzen oder historischen Kanalläufen. Am Rande der Altstadt entsteht so eine neue städtische Wohnbebauung, eingebettet in ein öffentliches Platz- und Raumgefüge.

Nach dem großen Stadtbrand im Jahr 1809 wurde der mittelalterliche Stadtgrundriss von Balingen begradigt und ein strenges Straßenraster angelegt. Nur dort, wo die Eyach im Bogen die Altstadt passiert, ist der mittelalterliche Stadtgrundriss ablesbar geblieben. Hier hatten die Gerber, die für ihre Arbeit viel Wasser benötigten, ihre Häuser und Werkstätten. 2014 gewannen nbundm* Architekten einen Wettbewerb zur Beplanung eines Geländes im Bereich des längst verschwundenen Mühltors. Ihr Entwurf versucht, den Übergang von der Planstadt des 19. Jahrhunderts zur mittelalterlichen Stadt ablesbar zu machen und entwickelt sich entlang der mittelalterlichen Stadttopografie. Am Flussufer entstanden vier giebelständige Häuser, die die im Süden angrenzende ältere Bebau - ung aufgreifen. Dahinter platzierten sie einen großen Baukörper auf unregelmäßigem Grundriss, der den Platz der im 17. Jahrhundert abgebrannten Herrenmühle einnimmt. Zwischen den beiden Gebäudegruppen haben nbundm* einen neuen Platz angelegt, dessen trapezoiden Grundriss sie aus dem dort einst verlaufenden Mühlkanal herleiten. Dieser Platz er - weitert sich an einem Ende zum wiederhergestellten Mühltorplatz, dem Platz vor dem verschwundenen mittelalterlichen Stadttor. Bemerkenswert an dem städtebaulichen Entwurf von nbundm* ist nicht allein die Sensibilität, mit der sie den neuen Stadtbaustein in die Umgebung einfügen. Ganz nebenbei demonstrieren sie auch, wie attraktiv städtischer Raum sein kann, wenn er nicht nach dem Diktat des Individualverkehrs geplant wird.