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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2023

Umgestaltung Kaiserstraße in Friedberg (Hessen)

Blick über den Neuen Markt

Blick über den Neuen Markt

2. Preis

Preisgeld: 47.840 EUR

LAVALAND Laura Vahl

Landschaftsarchitektur

TREIBHAUS Landschaftsarchitektur Berlin/Hamburg

Landschaftsarchitektur

ZIV – Zentrum für integrierte Verkehrssysteme GmbH

Verkehrsplanung

Erläuterungstext

NEUER MARKT
FRIEDBERG

Geschichte(n) neu erleben!
Die Kaiserstraße – als lebendiger Ort des Austausches und des Miteinanders gewann vor allem durch die Tuchproduktion im Mittelalter und des damit einhergehenden Handels des „Weißen Friedberger Tuches“ an Bedeutung. Zukünftig wandelt sich der derzeitig vor allem stark durch Verkehr geprägte Raum wieder zu einem Marktplatz, der insbesondere an die aktuellen Bedürfnisse angepasst ist und eine Plattform für Interaktion, Partizipation, Spiel und Ökologie bietet und sowohl Gewerbe als auch nicht kommerzielle Angebote verwebt. Letztlich versteht sich die Marktstraße als vitale Lebensader Friedbergs, die sich von der Burg im Norden nach Süden erstreckt und weiter über den Europaplatz bis zum Wartturm (Verknüpfung der Entwicklung „Ray Barracks“ und inhaltlicher, visueller Bezug Elvis-Presley-Platz) gedacht werden kann und das Stadtgefüge verbindet Dadurch entsteht ein Treffpunkt für ALLE – sowohl für die Friedberger als auch darüber hinaus!
Marktplätze - Verbinden, ordnen und betonen.
Ausgangspunkt der Gestaltung bilden die Einmündungen der historischen Gassen, die das Raumgefüge (vor-)strukturieren, zumeist autoarm, wenn nicht autofrei gestaltet sind und Bezüge mit der umliegenden Altstadt und der angrenzenden Seewiese (Ost-West-Verbindungen) schaffen. Dazwischen entstehen kleinere Sequenzen, die sich nachbarschaftlich stärker über den Straßenraum zusammenbinden. Des Weiteren wird der Baumbestand, soweit möglich, erhalten und der Alleecharakter weiter ausformuliert, welcher gleichfalls auf die Fassaden als auch städtebaulichen Aufweitungen der Kaiserstraße mit angepassten Abständen und Baumtypologien reagiert.

Quelle des Lebens!
Der Brunnen bzw. das Wasser als kollektives Gut ist über die Jahrhunderte hinaus tief gesellschaftlich verankert. Daher gilt es die ehemaligen Brunnenanlagen (Waag- und Pleetzenbrunnen) und ihre Bedeutung wieder an die Oberfläche zu führen und gleichsam das Thema in der Wahrnehmung der Nachbarschaft, Nutzer- und Besucher*innen zu positionieren bzw. Anknüpfungspunkte in die Umgebung, z.B. zum Judenbad (Mikwe) zu schaffen. Zudem müssen die Potentiale aus stadtökologischer und mikroklimatischer Perspektive ausgeschöpft werden. Als unbedingt erforderliche Maßnahme in der Kaskade von Antworten zu diesem Thema zählt zweifelsfrei die Vermeidung des Ableitens von Regenwasser ins Netz der Entsorger. Dazu könnte ebenso das anfallende Regenwasser, bevor es versickert und im Grundwasser „verloren“ geht, zurückgehalten und zur Bewässerung der Vegetationsflächen bzw. der Speisung von Wasser- und Brunnenelementen genutzt und damit der Verdunstung (und Kühlung!) zugeführt werden. Bevor es versickert und im Grundwasser „verloren“ geht. Die Kuppenlage der Kaiserstraße ermöglicht eine intelligente Kopplung des (unterirdischen) Wassermanagementsystems, welches das Wasser auf ganzer Länge des Marktes verteilt. Bei Extremwetterereignissen erfolgt ein Notüberlauf in den Burggraben und die Seewiese. Ein zusätzlicher Baustein könnte die Nutzung des anfallenden Regenwassers der angrenzenden Gebäude (Dachflächen) sein.

Better together!
Der Entwurf schlägt die Ausführung der Kaiserstraße als verkehrsberuhigten Geschäftsbereich (ausgeschildert als „Tempo 20-Zone“ per StVO-Zeichen 274.1-20 und 274.2-20) und die Reduzierung des ruhenden Verkehrs um 60 % vor, um den Charakter als Aufenthalts- und Einkaufsstraße zu stärken und gleichzeitig die Erreichbarkeit von Geschäften und Gastronomie mit dem Kfz sicherzustellen. In dieser Zone werden Fußgänger und Fahrzeuge sowohl baulich als auch verkehrsrechtlich getrennt geführt – Fußgänger auf Plätzen und Wegen, Rad und Kfz-Verkehr fahren gemeinsam auf der Fahrbahn, was aufgrund der dann unwesentlichen Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Mobilitätsarten als sicher gilt. Weiterhin wird die Kaiserstraße durch Bus- und Linienverkehr bedient. Nun sind jedoch die Haltestellen auf der Fahrspur angeordnet, was den übrigen Verkehrsfluss zusätzlich verlangsamt. Fußgängerquerungen der Fahrbahn werden zur Sicherstellung der Barrierefreiheit weiterhin an mehreren Stellen Fußgängerschutzanlagen vorgehalten. Eine Querung dazwischen ist zudem durch die reduzierte Fahrgeschwindigkeit leichter möglich als heute.
Die Parkraumnachfrage wird zum einen über die öffentlichen Großanlagen in der Nähe des Bahnhofs und der Seewiese (Unterstützung durch neues Parkleitsystem) und der Parkierungsbereiche der Kaiserstraße sichergestellt. Diese sind in modularer Form angeordnet, sodass besonderer Bedarf (Behindertenparken) und maßgebliche Einkaufsbereiche abgedeckt sind. Gekoppelt sind die Park-Module an Abstellanlagen und Reparaturstationen für den Radverkehr, sowie Sitz- und Aufenthaltsangeboten.

Nachhaltigkeit und Identität – ein Raum für alle(s)!
Die Gliederung der verschiedenen Bereiche und Ansprüche des Marktes erfolgt über die Materialwahl der Bodenbeläge. Aus Nachhaltigkeitsaspekten wird die teilweise Weiternutzung der Asphaltfahrbahn, wenn auch in reduzierter Fahrbahnbreite, optional vorgeschlagen. Auch aus Sicht des Bauablaufes ist dieses Vorgehen Sinnvoll. Die Bereiche mit reduzierten Geschwindigkeiten hingegen sind gestalterisch durch eine Kleinsteinpflasterung geprägt – die Mobilitätscluster mit dem historisch geprägten, dunklen Basalt, die Gasseneinmündungen, Plätze und Wege im hellen Naturstein (Albedo-Effekt), der sich farblich an die Gestaltung des Elvis-Presley-Platzes anlehnt und inhaltlichen Bezug zum „Weißen Friedberger Tuch“ herstellt – die Idee kann im Sinne eines Gestaltungsleitfadens (z.B. die einheitliche Verwendung von weißen Markisen) weiter entwickelt werden.
Das Stadtmobiliar wird durch großzügig angelegte Decks ergänzt, welche zum einen Ökosystemdienstleistungen abdecken, zum anderen über ein vielfältiges Angebot an Sitz- und Liegemöglichkeiten einbetten. Unterschiedliche Sitzhöhen, Loungeelemente, Aufstehhilfen und Spielelemente, wie beispielsweise Balancier- und Hüpfelemente fügen sich zu einer Möbelfamilie nach dem Prinzip Design-for-All.

Voller Leben!
Das Konzept „Neuer Markt“ versteht sich als optimal in sein Umfeld integrierten Lebensraum (One-Health-Ansatz), der das Wohlempfinden von Mensch, Tier und Umwelt eng zusammen denkt. Die Biodiversität der Pflanzung schafft nicht nur neuen Lebensraum für Insekten und Tiere, sondern auch ein gesundes Lebensumfeld. Andersherum profitieren die menschlichen Nutzer*innen von dem funktionierenden Ökosystem der Außenräume - u.a. Regulierung des Mikroklimas, Wasserspeicherung, Schattenspende - einen kleinen, aber bedeutsamen Beitrag zum Artenschutz, und dem Fortbestehen unseres Planeten, leistet. Das Projekt ist ganzheitlich im Sinne der Nachhaltigkeit angelegt: von der lokalen, diversen Pflanz- und Materialauswahl über die Schaffung flexibel nutzbarer, langlebiger sozialer Begegnungsräume bis hin zur Wirtschaftlichkeit und Vorausschau bei der Materialwahl.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit stellt einen überzeugenden Beitrag zur Transformation des heute autodominierten Straßenraums der Kaiserstraße in einen Ort mit sehr hoher Aufenthaltsqualität dar. Insbesondere die Ausbildung raumwirksamer Elemente und deren systematische Platzierung im Straßenraum (Stadtmobiliar und Sitz- und Verweilmöglichkeiten, Wasser) wird gewürdigt. Als sehr eigenständig und identitätsbildend wird die vorgeschlagene Ausstattung mit langen Bänken und Holzpodesten um die Beete herum bewertet.

Der Alleencharakter wird beibehalten. Neupflanzungen werden von der Fassade abgerückt, so dass diese gut zur Geltung kommt, wobei allerdings die Systematik der Baumstellung in Bezug auf die historischen Fassaden nicht ganz nachvollziehbar ist.

Die Grünausstattung wird durch sogenannte Schwammbeete gestärkt. Gewürdigt wird die Idee, das Regenwasser nicht in die Kanalisation abzuleiten, sondern vor Ort zu halten, Vegetationsflächen zu bewässern und Brunnen zu speisen. Das Prinzip der Schwammstadt wurde hier konsequent umgesetzt. Dennoch sind nur 10 Prozent der Flächen unversiegelt. Damit wird der Anteil an unversiegelter Fläche gegenüber dem Bestand nur unwesentlich erweitert.

Sehr gut gelingt, über die Kaiserstraße hinweg, die historische Altstadt mit der Seewiese zu vernetzen. Diese Vernetzung zeigt sich insbesondere in den Querungsmöglichkeiten an der Einmündung der historischen Gassen.

Das Mobilitätskonzept sieht einen verkehrsberuhigten Geschäftsbereich vor, in dem der fließende Kfz- und der Radverkehr verträglich miteinander geführt werden. Die Gestaltung und Zonierung der Verkehrsflächen fördern eine stadtverträgliche Geschwindigkeit, in der die gegenseitige Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmenden gestärkt wird. Dies wird durch die unterschiedlichen Materialien unterstützt, die die Plätze Elvis-Presley-Platz und Burgplatz, aber auch den Auftakt von Süden gegenüber der Fahrbahn hervorheben. Für die Querung der Kaiserstraße werden unterschiedliche Elemente angeboten, z.B. Signalisierungen an besonders wichtigen Stellen. Die Wertschätzung des Fußverkehrs wird durch ein konsequentes Leitsystem für Mobilitätseingeschränkte unterstützt.

Der ruhende Kfz-Verkehr ist gegenüber heute deutlich reduziert und wird in Form von Querpark-Pockets auf beiden Straßenseiten gleichmäßig verteilt. Diese Pockets bieten darüber hinaus weitere multimodale Angebote wie Lade- und Servicestationen und Fahrradständer. Die Bushaltestellen sind konsequent barrierefrei ausgebaut. Deren Platzierung auf der Fahrbahn reduziert die Geschwindigkeiten weiter.

Kontrovers diskutiert wird die Ausbildung des Burgvorplatzes als versiegelte Fläche, die einerseits gute Möglichkeiten für größere Veranstaltungen bietet und das Entree in Szene setzt, aber ohne Schattenangebote als Aufenthaltsfläche ungeeignet erscheint.

Im Gesamten stellt die Arbeit einen zukunftsweisenden Beitrag zur Umgestaltung der Stadtmitte von Friedberg dar. Die aktuellen Themen Klimaresilienz, Mobilitätswende und die Aufwertung des öffentlichen Raumes werden konsequent adressiert.
Einbindung in die Umgebung

Einbindung in die Umgebung

Prinzipien

Prinzipien

Ökologisches Konzept

Ökologisches Konzept

Mobilitätskonzept

Mobilitätskonzept

Umgang mit Regenwasser

Umgang mit Regenwasser

Lageplan 1_200

Lageplan 1_200

Blick über den Pferdemarkt

Blick über den Pferdemarkt

Übersichtsplan 1_500

Übersichtsplan 1_500