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Partizipativer Planungsprozess | 09/2023

Neuordnung altstadt.raum Bielefeld

Strukturplan

Strukturplan

Würdigung

Bockermann Fritze IngenieurConsult GmbH

Verkehrsplanung

Kortemeier Brokmann Landschaftsarchitekten GmbH

Stadtplanung / Städtebau

Erläuterungstext

altstadt.liebe

Historische Fassaden aus unterschiedlichen Epochen, wertige Bodenbeläge, idealerweise aus Naturstein aus regionalen Vorkommen, attraktive Raumsituationen mit engen Gassen oder das kleine Café mit ein paar Stühlen vor der Tür, die Bank unter dem Baum auf der Straßenecke – das macht die besondere Atmosphäre von Altstädten aus. Auch diversifizierter Gastronomie-, wie auch Geschäftsbesatz trägt zur Attraktivität bei.

  • In der Bielefelder Altstadt lassen sich schon jetzt viele dieser Faktoren finden. Diese gilt es wieder hervorzuheben, behutsam weiterzuentwickeln und natürlich auch zu ergänzen.

Die Altstadt soll aber auch als Ort gesamtstädtischen Lebens weiterentwickelt werden – mit dem Ziel, die Identität aller BielefelderInnen und Bielefelder mit IHRER Altstadt zu stärken! Die Stadt Bielefeld ist die flächenmäßig elftgrößte Stadt in Deutschland. Durch die Gebietsreformen von 1930 und 1973 wurden die oftmals selbständigen Gemeinden mit eigenen Identitäten zu Stadtteilen der oftmals anonymen Großstadt.

  • Der Entwurf altstadt.liebe ist identitätsstärkend. Er enthält immer wieder Verweise auf Historisches und Markantes aus den Bezirken; z.B. im Bodenbelag, in der Möblierung und auf Tafeln. Zudem war Bielefeld lange Jahre Zentrum der Textilindustrie, des Leinenhandels. Auch dieser geschichtliche Verweis soll sich vielfältig innerhalb der Altstadt wiederfinden lassen.

Weniger Fläche für Autos, mehr Grün und Aufenthaltsqualität, Raum fürs Rad und zu Fuß Gehende – gleichzeitig eine Erreichbarkeit der wichtigen Parkhäuser und privaten Parkplätze – die Befahrbarkeit der Altstadt mit Autos muss erhalten bleiben. Der Entwurf altstadt.liebe versucht, vieler dieser Ziele zu vereinbaren; häufig durch Umnutzung vorhandener Straßenräume.


>> Fußgängerfreundliche Straßenräume. Die bauliche Trennung zwischen Fahr- und Gehflächen wird auf 3 cm Höhenversatz reduziert. Fußgänger sollen zu jeder Zeit Gelegenheit bekommen, die Fahrbahnen queren zu können. Die Gehbereiche weisen ein Mindestmaß von 2,00 m Breite zur problemlosen Begegnung auch mobilitätseingeschränkter Personen auf. Die Schaffung von Barrierefreiheit ist selbstverständlich.

>> Fahrräder und Mobilstationen. Zwei Ost-West-Routen sowie eine Nord-Süd-Route durchqueren die Altstadt und werden in angemessener Breite für den Radverkehr ausgebaut. Neben der Mobilstation am Niederwall 8 (Radhaus) wird eine weitere Station mit Serviceangebot am Waldhof, etwa gegenüber L‘ Osteria oder am Kunstforum Hermann Stenner vorgeschlagen.

>> Verkehrsführung. Es wird ein System von Einbahnstraßen vorgeschlagen, wodurch Fahrbahnbreiten reduziert, Bäume, Beete, Abstellanlagen für Fahrräder, Flächen für die Gastronomie und offene Aufenthaltsbereiche ermöglicht und trotzdem nahezu alle Bereiche mit dem Auto erreichbar bleiben. Die Hauptachse „Am Bach“ bleibt wegen der höheren Verkehrsbelastung und Erschließung für zwei Parkhäuser von Osten bis zur Einfahrt Conti-Park/Altstadt-Carré in beide Richtungen befahrbar.

>> Klima und Starkregen. Die Altstadt ist derzeit ein Hotspot aus klimatischer Sicht. Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung sind zwingend erforderlich. Viele Bereiche sind aufgrund fehlender Begrünung überhitzt und insbesondere für die Fortbewegung oder den Aufenthalt an zunehmend mehr Hitzetagen nicht geeignet. Topografisch bedingt sind zudem etliche Straßenzüge bei Starkregenereignissen überflutungsgefährdet. Beide Aspekte werden im Entwurf altstadt.liebe deutlich verbessert.

>> Begrünung. Die Ausweisung von Einbahnstraßen schafft Platz für ca. 220 neue Klimabäume, wie z. B. Feld-Ahorn, Hopfenbuche, Blumen-Esche oder Gleditschie. Dazwischen liegen Beete, Flächen für die Gastronomie, den freien Aufenthalt, das Abstellen von Rädern, aber auch noch 60 PKW-Parkplätze, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, an Arztpraxen sowie Haltemöglichkeiten für Hol- und Bringdienste.

>> Niederschlagswasser. An Baumstandorten und Beeten im Straßenraum werden Baumrigolen und Retentionsräume zur unterirdischen Rückhaltung von Niederschlagswasser vorgesehen, auf dem Klosterplatz sowie dem Altstädter Kirchplatz hingegen Senken zur oberirdischen Rückhaltung.

>> Übergeordnete Maßnahmen. Um die Altstadt in der Heterogenität des städtischen Gefüges als in sich zusammenhängenden Stadtraum wahrnehmbar zu machen, hat eine reduzierte Materialwahl und Gestaltsprache oberste Priorität.


Belagsauswahl. Für die Bodenbeläge der öffentlichen Räume in der Altstadt wird ein Farb-, und Materialkanon entwickelt. In Ergänzung der Pflasterung der Fußgängerzonen und im Kontrast zur Fußgängerzone Bahnhofstraße und dem Jahnplatz sollen neue Straßen-, und Platzflächen Beläge in einem farblich identischen Material (gelb, beige, ocker) erhalten. Während in Abhängigkeit der Intensität der Befahrung mit den Belägen der befahrenen Flächen innerhalb einer gewissen Range „gespielt“ werden kann, schlagen wir jedoch die zwingende Festlegung auf ein spezifisches Gehweg-, bzw. Platzmaterial, sowie eine spezifische Einfassung (z.B. Rundbord aus Naturstein) vor. Diese Bauteile sollten in jedem Straßenraum zu finden sein.

Möblierung und Beleuchtung. Zur Herausstellung des Altstadtraums wird auf Stadtmöbel und Beleuchtungskörper zurückgriffen, die im Stadtraum noch nicht vorzufinden sind, aber zusammen mit der Ausstattung der Fußgängerzone ein stimmiges Gesamtbild abgeben. Für die Einbauten wie z.B. Kleinkunstbühne, Kiosk, bespielbares Retentionsbecken, Rundbänke, Wasserspender und Beschilderung wird eine eigenständige Serie „altstadt.liebe Bielefeld“ entwickelt. Diese orientiert sich am Thema „Leineweber“ und verweist auch subtil auf die einzelnen Bezirke der Stadt mit charakteristischen Bauwerken, Landschaftsformen oder Merkmalen.


  • Klosterplatz. Der Klosterplatz soll als begrünter, aber gleichsam vielfältig nutzbarer Stadtplatz weiterentwickelt werden. Der Großbaumbestand bleibt erhalten und wird partiell ergänzt. An der nordwestlichen Ecke wird eine Sitzstufenanlage implementiert. Diese dient, auch im Zusammenhang mit der benachbarten Gastronomie als Bühne städtischen Lebens. Der Platz erhält zudem drei neue „Intarsien“. Ein aus Gründen der Retention von Niederschlagswässern vertieft liegendes Spielfeld, welches von den Schülerinnen und Schülern der benachbarten Schule intensiv bespielt werden kann. Einen Kiosk, der Versorgungsfunktion übernehmen, und als kommunikativer Treffpunkt im Alltag dienen kann. Eine Kleinkunstbühne gegenüber der Sitzstufenanlage, die das Potential hat, im Rahmen von kleinen Veranstaltungen (z.B. Poetry-Slam, Klassik Matinee, etc.) kulturelle Aktivitäten auf den Platz bringen zu können und auch schulisch genutzt werden kann.

  • Süsterplatz. Der Süsterplatz erhält zum einen eine vegetative Abgrenzung zum nördlich gelegenen Straßenraum, zum anderen wird er mit weiteren Bäumen überstellt.

  • Bunnemannplatz. Der Bunnemannplatz wird – ebenfalls wie der Süsterplatz – als Platz für Gastronomie weiterentwickelt. Die bestehende, vor der heterogenen Kulisse des Hotels kaum wahrnehmbare, Brunnenanlage wird durch ein flächenbündig eingebautes Wasserspiel ersetzt. Das Wasserspiel hat Potential, diesen vergessenen Raum insbesondere im Sommer mit Leben zu füllen. Gleichsam stellt es kein Hindernis für eine Bespielung z.B. bei Stadtfesten dar. Große Sitzbänke bieten Platz zu Aufenthalt unter Bäumen.

  • Altstädter Kirchplatz. Der Altstädter Kirchplatz wird als grüner Altstadtplatz weiterentwickelt. Wegebeziehungen werden optimiert und Aufenthaltsbereiche (bezahlpflichtig und nicht bezahlpflichtig) vergrößert. Der Leineweberbrunnen als Schwerpunkt des Platzes erhält einen angemessenen vegetativen Rahmen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit „altstadt.liebe Bielefeld“ versucht konzeptionell an die Historie und den als wertvoll erachteten Bestand der Altstadt anzuknüpfen. Wertvoll sind die Hinweise auf besondere historische Bauwerke und Fassaden, attraktive Raumsituationen etc., markiert durch Herzen im Lageplan – „das macht die besondere Atmosphäre von Altstädten aus“ und soll weiterentwickelt und ergänzt werden. Die Jury kann sich dieser Bewertung und diesem Ziel zunächst uneingeschränkt anschließen. Jedoch findet sich in den Plänen deutlich zu wenig räumlich-gestalterische Übersetzung bzw. können die wenigen visualisierten Vorschläge für identitätsstiftende Elemente im öffentlichen Raum nicht als tragfähige Basis einer zukunftsfähigen Weiterentwicklung der Altstadt überzeugen.

Gewürdigt wird, dass die Themen Entsiegelung und Regenwasserversickerung, Baumpflanzungen und Integration von Vegetationsflächen sowohl punktuell als auch straßenbegleitend, z.B. in der Ritterstraße, in den Wallanlagen und in den Lupenräumen vorgesehen werden. Nach Aussage der Verfassenden sind dank der neuen Einbahnstraßen ca. 220 neue „Klimabäume“ möglich. Der zentrale Bereich der Altstadt um den Altstädter Kirchplatz bleibt – der Historie entsprechend – im Kontrast weitgehend steinern.

Das vorgeschlagene Baukastensystem bleibt leider unverständlich, scheint es doch lediglich eine piktogrammatische Übersetzung allgemeiner Nutzungsvorschläge zu sein, nicht ein modular entwickelter, flexibel anwendbarer Gestaltungskatalog.

Die vier Lupenräume zeigen den Anspruch mehr Aufenthaltsqualität zu generieren und dabei wohltuend „aufgeräumtere“ und multifunktional nutzbare Räume anzubieten. Die Jury gewinnt durchaus den Eindruck, dass versucht wird am Bestand anzusetzen. So ist beispielsweise am Klosterplatz die Topografie in eine Sitzstufenanlage übersetzt, die den Platzraum zoniert und informelle Angebote befördert. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich allerdings doch zahlreiche Kritikpunkte und es mag nicht so recht Begeisterung entstehen: Kritisch betrachtet wird die nördliche und westliche „Einrahmung“ des Klosterplatzes durch konventionelle Kfz-Fahrbahnen. Die eingeschriebene Platzfigur sitzt etwas fremd im spannungsvollen Raum.

Am Altstädter Kirchplatz wird die vorhandene Hecke gerodet um dann, wenige Meter versetzt nach Norden, neu gepflanzt zu werden. Dies ist schwer nachzuvollziehen, zumal eine offenere Gestaltung „von Fassade zu Fassade“ angesichts der verkehrlichen Transformation möglich wäre.

Süsterplatz und Bunnemannplatz erfahren eine recht zurückhaltende Erneuerung, die überwiegend dem erweiterten gastronomischen Angebot dient. Hier irritiert die starke Begrenzung durch Heckensegmente als Rahmung des Süsterplatzes bzw. der Austausch des Wasserspiels für den Bunnemannplatz.

Die Anforderung gleichwertiger Erreichbarkeit der Altstadtbereiche für Fußverkehr, Radverkehr und KfzVerkehr wird erreicht durch eine Sektorerschließung für den Kfz-Verkehr ohne Durchfahrmöglichkeiten mit der Ausnahme des Straßenzuges Waldhof-Am Bach. Letzteres wird begründet mit der Erreichbarkeit der beiden wichtigsten Parkgaragen. Allerdings wird nicht klar, wie der Straßenraum altstadtgerecht gestaltet werden könnte.

Charakteristisch für den Entwurf sind Einbahnstraßen und in Folge dessen zahlreiche Sackgassen, die allerdings nur Anliegern und den Parkgaragen dienen sollen. Insofern relativiert sich die Frage nach Wendemöglichkeiten. Reduziert werden durch die Einbahnregelungen die Fahrbahnflächen zugunsten breiterer Gehwege, entsiegelter Flächen und Baumpflanzungen.

Parkstände im öffentlichen Raum werden zugunsten von Entsiegelung und anderen Nutzungen, wie Vegetationsflächen oder Gastronomie, sehr stark auf nur noch 60 reduziert. Das ist bei Reserven in den Parkgaragen im Prinzip richtig, scheint aber in Hinblick auf mobilitätseingeschränkte Menschen, Taxis, Vorfahrten bei Arztpraxen etc. sehr sparsam.

Die Fußverkehrszonen werden erweitert und Querungen durch Autoverkehr z. B. durch den Straßenzug Altstädter Kirchplatz - Hagenbruchstraße vermieden. Für den Radverkehr werden zwei Ost-West und eine Nord-Süd-Verbindung vorgesehen. Letztere verläuft partiell durch eine Fußverkehrszone, was kritisch gesehen wird. Mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, auch Lastenräder sind vorgesehen.

Kfz-Verkehr soll reduziert werden, was durch den gewählten Ansatz erreicht wird, allerdings auf recht konventionelle Art. Wie ein Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden erreicht werden könnte, wird nicht deutlich. Es bleibt bei der Trennung von Fahrbahn und Gehweg, allerdings durch auf 3 cm abgesenkten Bordstein zur Barrierefreiheit, die als selbstverständlich vorausgesetzt wird.

Insgesamt handelt es sich um eine solide Arbeit, jedoch ohne besondere Höhepunkte und inspirierende Ausblicke in die Zukunft der Bielefelder Altstadt.
Klosterplatz | Perspektive

Klosterplatz | Perspektive

Klosterplatz

Klosterplatz

Altstädter Kirchplatz | Perspektive

Altstädter Kirchplatz | Perspektive

Altstädter Kirchplatz

Altstädter Kirchplatz

Süsterplatz | Perspektive

Süsterplatz | Perspektive

Süsterplatz

Süsterplatz

Konzeptherleitung

Konzeptherleitung