modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Nichtoffenes, zweiphasiges kooperatives Gutachterverfahren | 10/2023

Entwicklung Blau.Quartier in Ulm

2. Rang

ADEPT

Architektur

Erläuterungstext

Mit der Umgestaltung des Blautal-Centers in Ulm wollen wir ein neues, hochattraktives Wohnumfeld schaffen, das sowohl von großartigen Grünflächen und Flussufern umgeben ist, als auch ein wichtiger zentraler Anlaufpunkt für die umliegenden Quartiere im Ulmer Westen wird. Die unmittelbaren Fragen lauten: Kann die vorhandene Gebäudemasse zu einer Zukunft mit einer stärker auf das Wohnen ausgerichteten Entwicklung beitragen, können wir eine nachhaltigere Entwicklung erreichen, indem wir mehr als nur die Untergeschosse erhalten, und wenn ja, welche spezifischen Teile eignen sich gut für eine Umnutzung? Mit anderen Worten: Wie können wir auf möglichst vielen vorhandene Ressourcen aufbauen und sie ins Spiel bringen, um eine bessere zukünftige Entwicklung zu schaffen?

Planung nach Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft
Unser Ansatz für die Umgestaltung des Blautal Centers in Ulm basiert auf den drei Prinzipien der Kreislaufwirtschaft: Reduzieren, Recyceln und Regenerieren. Die Umsetzung wird nicht nur die nachhaltigen Aspekte des Projekts stärken, sondern auch eine hochqualitative Stadtentwicklung schaffen, die neben ökologischer Verantwortung auch ökonomische Aspekte und damit auch eine soziale Verantwortung adressiert.

Recyceln: Nachhaltige Neubauten können nicht annähernd die CO2-Reduktion erreichen, die durch die Rettung bestehender Strukturen erreicht wird. Mit anderen Worten: Die nachhaltigsten Quadratmeter sind die, die wir nicht zu bauen brauchen. Die bestehende Struktur auf dem Gelände ist nur 26 Jahre alt, und daher liegt es nicht in unserem Bewusstsein als Architekten, einen vollständigen Abriss aller oberirdischen Gebäude vorzuschlagen. Unser Vorschlag sieht daher vor, dass mehr als 50% der bestehenden Konstruktion erhalten bleiben. Dazu gehören das gesamte Untergeschoss und zwei Teile der größeren oberirdischen Gebäudestruktur. Die oberirdische Betonstruktur wird an zwei Stellen beibehalten, wodurch zwei solitäre Gebäude entstehen. Wir schlagen vor, die bestehenden Strukturen für Nichtwohnfunktionen des Gebiets zu nutzen. Die Solitärbauten werden mit neuen Fassaden und neuen Innenräumen nachgerüstet, um modernen Standards zu entsprechen.

Reduzieren: Um die CO2-Emissionen des Neubaus zu reduzieren, schlagen wir eine Kombination aus optimiertem Gebäudevolumen, effizienter modularer Struktur und der Verwendung von kohlenstoffarmen Materialien vor. Darüber hinaus haben wir die neue Wohnanlage sorgfältig auf dem bestehenden Kellergeschoss-Raster an den am besten geeigneten Stellen platziert. Das bedeutet, dass wir drei rationelle, einfache und gleichartige Wohnblöcke schaffen können, die den Umfang zusätzlicher Bauinitiativen in Form von tragenden Balkenkonstruktionen im Erdgeschoss minimieren. Die drei neuen, in Holzbauweise errichteten Blöcke sowie der vorgeschlagene 20-stöckige Turm in Hybridbauweise enthalten ausschließlich wohnungsbezogenes Programm. Durch die Wahl von Holz als primärem Konstruktionsmaterial wollen wir die Kohlenstoffbelastung des Neubaus erheblich reduzieren. Das geringe Gewicht von Holz ist auch ein Vorteil bei der Reduzierung der Auswirkungen auf die Größe des Fundaments.

Regenerieren: Unser Vorschlag beinhaltet eine Regenerationsstrategie für die natürlichen Qualitäten des Geländes. Vor allem im Süden, am Flussufer, gibt es ein großes Potenzial für die natürliche Regeneration. Wir schlagen vor, das grüne Flussufer zu vergrößern und es in die bebauten Bereiche unseres Geländes fließen zu lassen. Auf diese Weise können wir die südlichen Bereiche für die Natur und die Tiere erhalten, ohne dass der Mensch zu sehr eingreift, und gleichzeitig mehr grüne Qualitäten zum Nutzen der neuen Bewohner schaffen. Die größere Anzahl von Bäumen wird die Ökosystemleistungen unterstützen und dazu beitragen, die Temperatur zu senken und die West- und Südwinde abzuschirmen, wodurch ein ganzjährig angenehmes Mikroklima für die Nutzer entsteht.

Gebäude
Der Plan sieht drei einfache Gebäudetypen vor: einen Turm, zwei größere erhaltene Gebäudestrukturen und drei neue Baublöcke. Das Ensemble aller Gebäude ist eine Mischung aus Neuem und Altem, eine Mischung aus Beton- und Holzbau und eine Mischung aus Wohn- und Nichtwohnfunktionen. Zusammen bilden die gemischten Bereiche eine interessante Abfolge von Typologien, die sich gut in das bereits gemischte Stadtgefüge einfügt. Der Turm markiert mit seinen 20 Stockwerken ein Entree zur Stadt und wird für verschiedene Wohnformen mit hoher Tageslicht- und Ausblicksqualität genutzt und ist gut von Lärmbelästigungen abgegrenzt. Die beiden bestehenden Gebäudestrukturen enthalten alle öffentlichen Funktionen - eine davon ist für büroorientierte Funktionen vorgesehen, die andere für gemischte Dienstleistungs- und Gemeinschaftsfunktionen. In den drei neuen Blöcken sind Wohnungen untergebracht. Jeder Block ist so konzipiert, dass er den Lärm von Norden abschirmt und den Tageslichteinfall von Süden und Westen optimiert. Die Blockrandbebauung mit beidseitigem Rettungsweg ist eine robuste Typologie, die Wohneinheiten mit klaren Qualitäten und flexiblen Größen bietet.


Unter Nutzung moderner Bautechniken werden unsere Wohnblöcke unter Verwendung von Brettsperrholzelementen (Cross-Laminated Timber, CLT) als primäre strukturelle Grundlage hergestellt. CLT, das für seine Stärke und Nachhaltigkeit bekannt ist, bildet die Grundlage unserer Wohnblöcke. Diese Grundstruktur bietet eine außergewöhnliche Tragfähigkeit bei gleichzeitiger Minimierung der Umweltauswirkungen und gewährleistet ein Gleichgewicht zwischen struktureller Integrität und umweltbewusstem Design, das sich in das bestehende Konstruktionsraster vor Ort einfügt. Bei unseren Wohneinheiten steht die Qualität durch eine übersichtliche Aufteilung im Vordergrund, bei der eine beträchtliche Anzahl von Wohnungen durch eine minimale Anzahl von Kernen effizient bedient wird, wodurch die Nutzung der Quadratmeter maximiert wird. Darüber hinaus sind die einseitigen Wohnungen überwiegend nach Süden und Westen ausgerichtet, um den Bewohnern stets eine ansprechenden Wohnqualität zu bieten. Alle Wohnungen verfügen über ruhige, vom Lärm der Blaubeurer Straße abgewandte Räume, und eine beträchtliche Anzahl von Wohnungen bietet zudem einen schönen Blick auf die Grün- und Blaubereiche im Süden.

Öffentlicher Raum
In der Siedlung gibt es eine klare Unterscheidung zwischen öffentlichen, halbprivaten und privaten Außenbereichen. Die neuen Blocks stehen auf erhöhten Grüninseln, die einen Übergang von den öffentlichen Räumen zu den privaten Wohnungen und dem begrünten Innenhof bilden, der den Bewohnern zum Treffen, Spielen und Erholen dient. Eine grüne Übergangszone entlang des Wohngebäudes sorgt für Privatsphäre und bietet Windschutz für die privaten Außenbereiche der Bewohner. Die öffentlichen Räume bestehen aus einer Kombination von Grün- und Pflasterflächen. Grün, das die Ränder des Geländes dominiert, und gepflasterte Flächen unterstützen die aktiveren öffentlichen Räume. Durch die Einführung einer großen Anzahl neuer grüner Lebensräume soll ein positiver Effekt in Form von Schatten und Abkühlung in wärmeren Perioden und Windschutz im Winter erzielt werden. Die grünen Lebensräume zeichnen sich durch einen mehrschichtigen Aufbau aus, der aus Bäumen, Sträuchern, blühenden Büschen, Stauden und Kräutern sowie mehreren Felsbrocken besteht. Die Auswahl der Arten für die Neupflanzungen umfasst eine Vielzahl einheimischer europäischer Arten sowie einige nicht einheimische Arten, um die Artenvielfalt zu erhöhen. Das Regenwasser wird oberflächlich in tief liegende Gräben oder Rückhalteflächen am Rande des Geländes geleitet. Größere Pufferflächen in Ufernähe sorgen für die Rückhaltung des Wassers bei größeren Regenfällen. Das Wasser wird in das Landschaftsbild des Gebiets integriert.

Mobilität und Verbindungen
Das Gebiet ist im Allgemeinen autofrei, mit Ausnahme des Eingangsbereichs im Norden. Rettungsfahrzeuge haben überall Zugang über breite Fußgängerwege, auch im Inneren der Höfe. Die Zufahrt mit dem Auto bleibt an ihrem jetzigen Standort erhalten. In diesem Bereich befindet sich ein spezieller „Kiss and Ride“-Parkplatz, der Zugang zum unterirdischen Parkhaus bietet, in dem alle vorhandenen Parkplätze erhalten bleiben. Zusätzliche Carsharing- und Behindertenparkplätze sind im Erdgeschoss vorgesehen. Doppelnutzung und ein integriertes Carsharing-Konzept werden den relativ geringen Anteil an Privatparkplätzen unterstützen. Darüber hinaus wird der Mikromobilität eine hohe Priorität eingeräumt und in den Plan integriert. An allen Eingängen wurde eine Station für Mikromobilität eingerichtet, die einen einfachen Zugang zu den öffentlichen Verkehrsknotenpunkten in der Umgebung ermöglicht. 4000 Fahrradabstellplätze sind im Plan verteilt, so dass es keine Ausrede gibt, das Fahrrad nicht regelmäßig zu benutzen. Die Hälfte der Fahrräder ist direkt an den Gebäudeeingängen und entlang wichtiger Radwege platziert. Die andere Hälfte befindet sich in den Kellern und Erdgeschossen von Wohngebäuden, um eine sichere Abstellmöglichkeit für Fahrräder zu bieten.

Willkommen in der Blaustadt!
Mit der Blaustadt wollen wir eine nachhaltigere Zukunft durch die Kreislaufwirtschaft anregen, die sich an dem orientiert, was bereits vorhanden ist. Ausgehend von dem Ort und seinen spezifischen Bedingungen, seiner Geschichte und der Zukunftsvision haben wir uns zum Ziel gesetzt, ein Projekt zu schaffen, das auf natürliche Weise aus dem Kontext und den Bedingungen, in denen es verwurzelt ist, erwächst. Unser Ansatz wird die Reduzierung des CO2-Ausstoßes erheblich unterstützen. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass die Kombination von bestehenden, nachgerüsteten Betonstrukturen mit neuen, nachhaltigen Konstruktionen und natürlicher Regeneration dem Gebiet eine neue, dynamische Identität verleihen wird. Ein Entwurf, der zu einem Musterbeispiel dafür werden kann, wie ein kreisförmiger Ansatz nicht nur dazu beiträgt, unseren CO2-Fußabdruck zu verringern, sondern gleichzeitig neue, ungeahnte städtebauliche und architektonische Qualitäten fördern kann. Mit dem menschlichen Maßstab und der Beziehung zwischen neuen und alten Gebäuden als Maßstab haben wir einen Ort entworfen, an dem Kreislaufwirtschaft, pragmatische Entwicklung und Ortsgestaltung Hand in Hand gehen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die auf einer konsequenten Nutzung des Bestandes und der Berücksichtigung der statischen Notwendigkeiten aufbauende hochbauliche Form wird ausdrücklich gewürdigt. Der Maßstab der Gebäude entspricht damit nicht nur dem gegenüberliegenden Stadtregal, sondern passt gleichermaßen gut ein in die übrige Umgebung. Die Platzierung und einfache Gliederung in die drei Bausteine Hochpunkt, Bestandserhalt und Block wird auf der städtebaulichen Ebene zielgerichtet umgesetzt. Die hochbauliche und freiraumplanerische Ausarbeitung bleibt allerdings weit hinter den Möglichkeiten zurück. Obwohl der partielle Erhalt der Bausubstanz als Signal konzeptionell gewürdigt wird, wird angezweifelt, ob er gerechtfertigt ist bei der Notwendigkeit der Schaffung einer ganz neuen Gebäudehülle.

Die Qualität der Gestaltung der eher rudimentär durch Sportangebote und Stellplätze ergänzten Erschließungsfläche südlich der Blaubeurer Straße wird hinterfragt. Auch reicht die Breite der TG- Erschließung nicht aus. Insgesamt werden hier trotz guter stadträumlicher Geste keine angemessenen Ideen für eine Bespielung dieses potenziell adressbildenden Raums gezeigt. Die Gebäude definieren langgestreckte Freiräume von Straße zu Fluss, an denen wenig zum Verweilen einladende Orte angeboten werden, zumal auch die aktuell zu erwartenden Emissionen und Ausstrahlung der Verkehrsachse tief ins neue Quartier einwirken würden. Ausnahme bildet ein Quartiersplatz, der wiederum als bauliche Nutzung unverständlicherweise an die Kita anstatt an gastronomische Angebote anschließt.

Die erst einmal (öko)logisch herbeigeleiteten hohen Geländeaufschüttungen an den Blöcken, welche einer üppigen Begrünung dienen können, werden bezüglich ihrer sonstigen Funktionalitäten hinterfragt. Sie erschweren die Erschließung, insbesondere die barrierefreie, sodass die Visualisierungen mit gezeigtem charmantem Charakter der Zuwegungen und Hauseingänge nicht glaubwürdig erscheinen. An den Hofzugängen/-fahrten werden analoge Problemstellungen der Höhenabwicklung erwartet.

Die Durcharbeitung der neuen Blockbebauung überzeugt nicht. Zum Beispiel sind die ost-west ausgerichteten Wohnungen mit den ca. 2,4 m breiten Wohn- und Schlafräumen nicht möglich. Die Qualität des Innenhofs wird durch die vielen Fahrradstellplätze und durch die Notwendigkeiten der Erschließung für die Feuerwehrsehr in Mitleidenschaft gezogen werden und nicht den Darstellungen in Lageplan und Visualisierung entsprechen. Die vorgesehenen Durchfahrten und Durchwegungen scheinen unterdimensioniert zu sein. Obwohl viele Fahrradstellplätze dargestellt sind, wird angezweifelt ob die genannten 2.000 Abstellplätze im Freiraum unterzubringen sind, ohne diesen gänzlich zu verunstalten. Insgesamt klafft zwischen konzeptioneller Kraft des Projektes und unzulänglicher Ausarbeitung eine große Lücke.