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Einladungswettbewerb | 05/2023

Quartiersentwicklung Ostermundingen (CH)

1. Rang

Preisgeld: 55.000 CHF

Holzer Kobler Architekturen

Stadtplanung / Städtebau

YEWO LANDSCAPES

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Das industrielle Bauen ist von dem Verständnis geprägt, dass der Bestand als Ressource in die Weiterentwicklung integriert, angepasst und erst dann – möglichst zerstörungsfrei – zurückgebaut wird, wenn eine Weiternutzung nicht mehr plausibel möglich ist. Der weitere Entwicklungsprozess orientiert sich in der Folge an dem Potential des Vorhandenen. Die Transformation von ausschließlich gewerblich genutzten Arealen zu einem lebendigen und attraktiven Wohnquartier benötigt die dringende Auseinandersetzung mit diesen Potentialen des Bestands, der nicht nur Rohstoffe bindet, sondern auch Atmosphären und Erinnerungen. Mit einer Architektur des Veränderns kann die Identität und Kontinuität von Orten und Bauten einer neuen Nutzung, einer neuen Zukunft nähergebracht werden. Die Identität eines Ortes entwickelt sich aus der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Betrachtung der Gegenwart und der Entwicklung einer zukunftsgerichteten Vision. Die Auseinandersetzung mit dem Bestand muss insofern als offener und nicht abschließender Prozess gedacht werden, in dem die Stärken eines Gebäudes immer auch als ein spezifisches Talent zu betrachten ist, das zur Identitätsbildung beiträgt. Monokulturelle Arealformen gehören der Vergangenheit an. Die Rückkehr zu einem Verständnis der Bildung von Urbanität durch Mischung unterschiedlicher Nutzungs- und Wohnformen ist für ein lebendiges Quartier eminent. Das neue Miteinander von Wohnen und Arbeiten wird als Ausprägung eines veränderten Selbstverständnisses von Wohnformen und Arbeitsweisen erkannt und bildet eine Bereicherung für neu entstehende Quartiere. Die bauliche Dichte ist in diesem Zusammenhang als Möglichkeit der Schaffung von unterschiedlich geprägten sozialen Räumen zu verstehen. Die entstehende Vielfalt von Nutzungen und Atmosphären deckt die diversen Bedarfe und Bedürfnisse der Akteur:innen und Nutzer:innen des neu zu schaffenden Werkquartiers. Öffentliche Räume erweitert sich durch Aneignung zu «Möglichkeitsräumen», die durch spezifische Angebote kuratiert oder durch frei bespielbare Fehlstellen zum unberechenbaren Kalkül eines sich verändernden Quartiers einbezogen werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Auf der Basis einer fundierten städtebaulichen Betrachtung sowie einer intensiven Aufgaben- und Bestandsanalyse wird ein Bebauungskonzept vorgeschlagen, welches einen Teil der bestehenden Rohbaustruktur weiterverwendet und diese zur «Keimzelle» für die Entwicklung der Neubauteile erklärt. Die Projektverfasser:innen leiten ihren Entwurfsansatz stringent aus der formulierten Zielvorstellung eines Werkquartiers ab und verweisen dabei - neben den naheliegenden Argumenten im Hinblick auf die Nachhaltigkeit - auch auf die atmosphärische Kraft und den Erinnerungswert des Bestands.

Die Verfasser:innen schlagen einen räumlichen Dreiklang vor, der den dreieckigen Zuschnitt des Areals gut ausnützt und sich hervorragend in den räumlichen Kontext einfügt. Die Anlieferung für das Gewerbe ist pragmatisch im Bereich des bestehenden Gebäuderücksprungs gegen die Obere Zollgasse platziert und stellt über das neue, grosszügige Vordach eine wettergeschützte Andienung der Gewerbeflächen sicher. Die geschäftige Anlieferung wird so zusammen mit der bildhaften Rampe zum neualten Gesicht des Werkquartiers und bildet durch die Verlängerung auf der Gebäudesüdseite auch die nördliche Begrenzung der Industriegasse. An dieser Haupterschliessungsachse, welche die drei Arealbereiche «Werkstatt», «Allmend» und «Drüegg» verbindet, liegen auch die beiden wichtigen öffentlichen Freiräume: der Quartierplatz und der offen gelegte Lötschenbach. Im Baubereich «Werkstatt» bildet der L-förmige Bürobau des Bestands den Rücken für den daran anschliessenden, gestaffelten Neubau entlang der Geleise, welcher die Lärmabschottung übernimmt. Die elegante Volumetrie des gestaffelten Baukörpers dürfte jedoch aus Sicht des Beurteilungsgremiums gegen Norden einen expliziter ausformulierten, städtebaulichen Auftakt für das Areal bilden. Durch die gewählte Bautypologie gelingt es, gegen die Bahn eine lebendige Wirkung zu erzielen, welche Einblicke in die Tiefe des Werkquartiers zulässt. Zwischen dem schmalen Neubauvolumen und dem Bestandsbau ergibt sich ein dichter, städtischer Innenhof, welcher durch die geschickte Grundrissorganisation trotz seiner Enge eine differenzierte Wohnqualität erwarten lässt. Bis auf eine Einheit verfügen sämtliche Wohnungen neben der Ausrichtung auf den Innenhof auch über wertvolle Ausblicke in die Weite. Währenddem die Bauten in den beiden Baubereichen «Werkstatt» und «Allmend» in ihrer Orthogonalität der Ausrichtung des Bestands folgen, wird das «Drüegg» geschickt an die leicht abgedrehte Orientierung der südlich anschliessenden Mehrfamilienhäuser ausgerichtet. Durch diese einfache Massnahme gelingt es den Projektverfasser:innen einerseits, die stätebauliche Neubaustruktur dieses Baufelds über die Tiefenmöslistrasse hinweg mit dem Quartier zu verweben. Andererseits wird durch die typolo gische Verwandtschaft zur gestaffelten Bebauung auf dem Baufeld «Werkstatt» auch der Bezug zu den nordwestlich anschliessenden Bauten entlang der Geleise hergestellt. Das hier platzierte, freistehende Einzelgebäude verhindert jedoch im Bereich des offen gelegten Lötschenbach eine landschaftliche Grosszügigkeit und Offenheit gegen die südlich anschliessende Nachbarschaft. Das Baufeld «Allmend» wird geprägt vom L-förmigen Neubau, welcher den Quartierplatz zusammen mit dem würfelförmigen Solitärbau fasst. Die im Erdgeschoss angesiedelten Handwerksbetriebe sorgen für eine lebendige Atmosphäre und für einen fliessenden Übergang von der geschäftigen «Werkstatt» ins ruhigere, der Wohnnutzung vorbehaltene «Drüegg». In Bezug auf die Etappierung müsste für den zentral über der Sektorengrenze platzierten Solitärbau in Baufeld B eine Absprache unter den verschiedenen Eigentümerschaften erfolgen. Ansonsten bietet das Projekt aufgrund des grossen Bestandserhalts vielfältige Möglichkeiten der Etappierung. Für die Fassadengestaltung werden industrielle, repetitive Konstruktionen vorgeschlagen, welche jedoch für jeden Gebäudetypus individualisiert werden und so die Vielfältigkeit der dahinter liegenden Wohn-und Arbeitswelten nach aussen tragen. Die privaten Loggien werden auf mehreren Gebäuden durch gemeinschaftlich genutzte Dachterrassen ergänzt und runden das vielfältige Aussenraumangebot ab.

Der offengelegte Lötschenbach fungiert als verbindendes Element der drei Baubereiche und bildet die freiräumliche Mitte des Areals. Als gleichzeitig trennendes und vermittelndes Element verleiht er dem Areal eine eigenständige Identität und eine stimmungsvolle innere Adresse. Der nicht unterbaute Quartierplatz ist mit kräftigen Bäumen bewachsen und lässt sich von allen Seiten her gut aneignen. Er kann aber weder an der vorgeschlagenen, zentralen Lage noch durch die angedachte, landschaftsgestalterische Ausformulierung als zusammenhängende grüne Spielfläche dienen. Holzschnittartige Diagramme umreissen hingegen ein überzeugendes Gedankengerüst der Freiraumkonzeption. Präzise Referenzbilder bilden den vertrauenserweckenden Stimmungsteppich des künftigen Settings.

Der offene Lötschenbach wird aus Sicht Wasserbau gut in den Siedlungskontext eingebunden und die Anschlusspunkte sind eingehalten. Die Sohlenlage ist in der Weiterbearbeitung zu validieren. Der Gewässerraum ist eingehalten und wird zumeist extensiv (Bäume, Büsche, Trittsteine) genutzt und gestaltet. Einige Materialsierungen und Möblierungen (z.B. Spiel- und Sitzmöglichkeiten, Stufen, Trittsteine) sowie Durchwegungen sind hinsichtlich Bewilligungsfähigkeit und Standortgebundenheit noch zu vertiefen. Der Zugang für Unterhaltsarbeiten mit dem Saugwagen ist weiter zu optimieren.

Eine klare Nutzungsverteilung mit erdgeschossig platzierten Flächen für Gewerbe, Gemeinschaft und Wohnateliers wird ergänzt von den zweigeschossigen und flexibel erweiterbaren Gewerbeflächen in den ersten beiden Obergeschossen der „Werkstatt“. Die restlichen Ebenen sind der Wohnnutzung vorbehalten. Ein beeindruckend breites Spektrum an Grundrisstypologien reagiert spezifisch auf die unterschiedliche Lage im heterogenen Kontext und spricht eine entsprechend diverse Mieterschaft an. Geschickt werden unterschiedliche Angebote auch innerhalb der einzelnen Häuser gemischt, um dadurch die Bildung von Gemeinschaften über die soziale Gruppenzugehörigkeit hinweg zu fördern. Durch die gewählte Stützenstruktur und den Ausbau in Leichtbauweise sind spätere Anpassungen an die jeweilig vorherrschende Marktsituation einfacher zu realisieren.

Der Fussverkehr ist gut entflechtet und vernetzt. Die Veloabstellplätze sind über das ganze Areal verteilt und nahe bei den Zugängen angeordnet. Bei der Anzahl Veloabstellplätze ist eine Diskrepanz zwischen Tabelle und Plan aufgefallen; in den Plänen ist die geforderte Anzahl nicht vollumfänglich ersichtlich. Für die Veloabstellplätze im östlichen Baubereich ist eine Liftlösung vorgesehen. Die angebotene Menge an Abstellplätzen scheint insgesamt somit eher knapp bemessen zu sein. Die Einstellhalle, die notwendigen Parkplätze und Zufahrt für den motorisierten Verkehr sind nachgewiesen. Jedoch vermögen die an der nördlichen Parzellenspitze platzierte Tiefgarageneinfahrt und die dort vorgesehenen Parkplätze sowohl aus verkehrstechnischer als auch aus städtebaulicher Sicht als Arealauftakt gestalterisch noch nicht zu überzeugen. Die Anzahl und Anordnung (Senkrechtparkierung) der oberirdischen Parkplätze entlang der Oberen Zollgasse ist zudem bezüglich Verkehrssicherheit zu überprüfen. Die Anlieferung ist für alle Fahrzeugtypen zentral gelöst und an ein Rampensystem angebunden, über welches die Verteilung effizient erfolgt.

Das Projekt verfügt im Quervergleich über die tiefsten Erstellungskosten, die tiefste Geschossfläche und auch über das kleinste Gebäudevolumen. Auffällig ist die hohe Flächeneffizienz, welche über den geforderten Zielwerten liegt. Die Effizienz der Einstellhalle liegt im Durchschnitt der beurteilten Projekte, was den Verbrauch von Geschossfläche pro Parkplatz betrifft. Ebenfalls durchschnittlich schneidet das Projekt in der Kompaktheit ab. Es werden überdurchschnittlich viele Teile des Bestandes weiterverwendet. Die Konstruktionsart ist ein Massivbau. Dieser wirkt sich aus Kostensicht nicht negativ aus und wird als effizient beurteilt. Insgesamt liegt das Projekt in der Beurteilung der Erstellungskosten, durch seine hohe Flächeneffizienz und den hohen Anteil an weiterverwendetem Bestand, unter dem Durchschnitt aller Teilnehmenden.

Für den Beitrag wird ein überdurchschnittliches wirtschaftliches Erfolgspotenzial eingeschätzt. Die hohe Nutzflächenausbeute mit einem durchschnittlichen Wohnanteil und die gesamthaft mittlere bis höhere Markttauglichkeit tragen zu einer hohen Ertragseinschätzung bei. Das resultiert in einem mittleren Marktwert mit einer überdurchschnittlichen Renditeerwartung. Die unterdurchschnittlichen Gesamtlagenkosten können durch den Marktwert gedeckt werden und das Projekt wird unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – vorbehältlich gewisser Kostenoptimierungen – als realisierbar beurteilt.

Bei diesem Entwurf wird hoher Wert auf den Erhalt des Bestands gelegt. Ein substanzieller Teil soll ohne grosse Eingriffe in die Tragstruktur weitergenutzt werden. Dadurch werden die Treibhausgasmissionen in der Erstellung deutlich reduziert und sind überdurchschnittlich gut. Mit dieser Gutschrift ist es den Verfasser:innen möglich, grössere Fensterflächenanteile auf Ebene Erstellung zu kompensieren. Auf Ebene Betrieb sind überdurchschnittliche Werte zu erwarten. Die Stromproduktion mittels Photovoltaik wird als Herausforderung angesehen. Viele kleine Dachflächen mit unterschiedlichen Höhen erfordern eine behutsame Anordnung. Dadurch ist die Umsetzung von SIA 2040 zwar leicht erschwert aber weiterhin gut möglich. Das Thema Mikroklima wurde sehr gut bewertet. Ein grösserer Bereich entlang des offengelegten Bachs ist nicht unterkellert. Die Öffnung gegen Süden könnte hinsichtlich einer besseren Vernetzung grösser gestaltet werden. Auch bei der Gestaltung der Spielfläche wurde darauf geachtet, dass diese nicht unterkellert ist.
Dementsprechend sind hier grössere Baumpflanzungen realistisch, was jedoch in funktionalem Konflikt steht mit den Anforderungen an die zusammenhängende, grüne Spielfläche.

Die Lücke zwischen den beiden bahnbegleitenden Riegeln ist sehr gross gewählt. Es besteht eine relevante Lärmbelastung für das dahinterliegende Gebäude im Innenhof. Die von der Lärmbelastung betroffene Eckwohnung ist noch problematisch, kann aber optimiert werden. Es ist weitergehend zu prüfen, ob die über der Anlieferung platzierten Wohnungen durch das geplante Vordach ausreichend gegenüber den zu erwartenden Lärmemissionen abgeschirmt werden.

Das Projekt erfüllt sowohl im Freiraum wie auch in der Nutzungsanordnung in den Gebäuden alle Anforderungen der Störfallvorsorge. Zu beachten ist aber, dass die relativ grossen Freiflächen im östlichen Bereich nicht für sensible Nutzungen zur Verfügung stehen, wie dies im Projektbeschrieb vorgesehen ist.

Grundsätzlich erfüllt das Projekt die Anforderungen bezüglich der NISV, da im Falle einer bestehenden Bauzone und bei deren Umzonung – wie vorliegend - vor dem Inkrafttreten der NISV im Jahre 2000 der Anlagegrenzwert nicht eingehalten werden muss.
Der Projektvorschlag besticht mit einem zeitgemässen und zukunftsweisenden Umgang mit dem Bestand und zeigt beispielhaft auf, wie durch eine dezidierte Wertung und eine stringente Ergänzung des Bestands die Basis für eine geschichtsbewusste Weiterentwicklung des Areals gelegt werden kann. Eine Transformation weg von der monofunktionalen Gewerbenutzung hin zu einem lebendigen und identitätsstiftenden Wohn- und Arbeitsplatz, der das gesamte Quartier mit seiner Urbanität bereichern und eine vielfältige Mieter:innenschaft anziehen wird. Das breite Angebot an verschiedenartigen Wohn- und Arbeitsräumen, die atmosphärisch gekonnte Bearbeitung und Differenzierung der unterschiedlichen Baubereiche überzeugt ebenso wie die Integration und die ökologisch wertvolle Offenlegung des Lötschenbach. Durch die Weiterverwendung eines bedeutenden Teils des Bestands zeigt das Projekt «Stadthybrid» einen vorbildlichen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen auf und bietet das Potenzial, zum Leuchtturmprojekt für die im Rahmen der «Räumlichen Entwicklungsstrategie RES» angestrebten Entwicklungen im Gewerbegebiet zu werden.