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Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb gemäß UVgO | 05/2023

Neugestaltung Brandplatz und Schlossgasse in Gießen

Ansicht Sichtachse Neues Schloss

Ansicht Sichtachse Neues Schloss

2. Rang

SHK+ Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Bestand Ausgangssituation
Der Brandplatz als ein für die historische Identität der Stadt Gießen wichtiger Ort, als Keimzelle der Universität (das im 17. Jahrhundert errichteten Collegium Ludovicianum wurde wegen baulicher Mängel abgebrochen und 1839 durch einen Neubau ersetzt, der wiederum im 2. Weltkrieg zerstört wurde), Geburtsort der Stadt Gießen (das Alte Schloss steht auf der ersten Befestigung der Stadt und war früher Teil der Wasserburg) und ehemaliger Sitz der Landgrafen im Neuen Schloss, welches eines der bedeutendsten Fachwerker in Hessen ist, wird seiner städtebaulichen Bedeutung mit der aktuellen monofunktionalen Gestaltung als Parkplatz, der zwei Mal in der Woche mit einem kleinen Markt bespielt wird, nicht gerecht.
Weiter ist die Schlossgasse als wichtige Verbindungsachse in die Innenstadt und zwischen den zwei Standorten des Mittelhessischen Museums (Altes Schloss / Wallenfels‘sches Haus / Leib‘sches Haus) in einem desolaten Zustand.
Dennoch haben beide Orte, Brandplatz und Schlossgasse, ein großes Potential, durch die geplante Neugestaltung ein integrativer Begegnungsraum zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe zu werden, in dem gezielt Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität und Klimaresilienz umgesetzt werden können.
Gemäß Fließpfadkarte Gießen ist der Brandplatz bei Starkregenereignissen extrem stark überschwemmungsgefährdet. Auch hier besteht durch die Umgestaltung die große Chance Gießen bei Starkregenereignissen sicherer zu machen.

Gestalterische Grundidee
Generell: Konsequente Planung aus Nutzerperspektive
Dabei soll konsequent der Leitgedanke der Schwammstadt umgesetzt werden und ein leistungsfähiger Freiraum, der innenstadtrelevante Mehrfachnutzungen und Funktionen ermöglicht, entstehen. Bei der Planung wurde von dem Leitbild „maximale dauerhafte Begrünung bei größtmöglicher Nutzungsintensität und Flexibilität“ ausgegangen.
Zukünftig soll das Planungsgebiet in drei Teilbereiche gegliedert werden:
• Schlossgasse / „grüne Verbindungsachse“
• Schlossplatz / “Stadtbühne“
• Brandplatz / „grüne Agora“
Die nachstehenden Punkte waren den Entwurfsverfassern besonders wichtig:
• Sicherstellung der Teilhabe älterer Menschen durch gleichberechtigte Nutzungsmöglichkeiten der Freiräume
• Schaffung von ausreichend vielen schattigen Aufenthaltsflächen
• Schaffung von adäquaten Sitzmöglichkeiten, insbesondere mit Rückenlehne
In Anlehnung an die Marktlauben wurden die zwischen den Hochbeeten entstehenden Marktnischen entwickelt, die zu Marktzeiten eine geordnete Aufstellung der Stände ermöglichen und außerhalb der Markttage attraktive Sitzplätze anbieten, die zum Beobachten, Ausruhen, Austauschen, Lernen und Nachdenken einladen.
Durch das ca. 30 cm abgesenkte Rasengeviert, die „grüne Agora“, entsteht ein zusätzliches individuelles Sitzangebot. Gleichzeitig kann in dem Senkgarten bei einem Starkregenereignis ausreichend viel Regenwasser schadlos zurückgehalte werden.
Die Sichtbeziehungen / Sichtachsen Wallenfels‘sches Haus mit Leisb‘schen Haus zum Alten Schloss sowie Brandplatz zum Neuen Schloss / Zeughaus werden bewusst freigehalten bzw. in der Schlossgasse durch eine Baumreihe betont.
Für Veranstaltungen ergeben sich mindestens drei mögliche Aufstellflächen für Bühnen, bei denen immer entweder das Alte oder Neue Schloss als Kulisse dienen.

Brandplatz / „grüne Agora“ / Marktnischen
Mit der ca. 30 cm tiefer liegenden „grünen Agora“, den durch eine wassergebundene Wegedecke gekennzeichneten Aufenthaltsbereichen sowie den raumgliedernden Hochbeeten, entstehen übersichtliche Rückzugsorte. Im Nordwesten führen zwei Stufen auf das untere Niveau und für Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind an den Seiten zwei Rampen auf die Rasenfläche vorgesehen. Die auf den restlichen drei Seiten vorgesehene Sitzmauer mit ca. 40 cm Höhe (10 cm über dem angrenzenden Belag) dient gleichzeitig als Anfahrschutz und als Sitzmauer und lädt zum Balancieren, Springen oder Verstecken ein.
Die geplante Baumreihe sowie die Bestandsbäume des Botanischen Gartens spenden im Sommer ausreichend Schatten und durch Verdunstung der Bäume wird die Temperatur an heißen Tagen spürbar um mindestens 1 – 2 Grad gesenkt.
Die für die Marktnutzung notwendige Infrastruktur wird in die Hochbeete eingebettet. Leuchten, Fahrradstellplätze, Abfallbehälter usw. werden in das Raster der „Marktnischen“ integriert.

Schlossplatz / Stadtbühne / Wasserspiel
Das Alte Schloss mit dem Mittelhessischen Museum wird über eine kombinierte Rampen-/Treppen-Anlage zukünftig barrierefrei erschlossen. Gleichzeitig lädt die Treppenanlage mit interessanten Ausblicken über den Brandplatz bis zum Kirchenplatz zum Verweilen ein, so wird der Platz zur städtischen Bühne.
Ein Wasserspiel, als Reminiszenz an die ehemalige Wasserburg und Gestaltungselement zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität im Sommer, stellt eine Verbindung zum Wasserspiel auf dem Kirchenplatz her.
Das im Alten Schloss beheimatete Restaurant bekommt die Möglichkeit den Platz als Außengastronomie zu nutzen.
An Markttagen bietet der Schlossplatz ausreichend Fläche für größere Marktstände. Die Bäume führen die Baumachse der „grünen Agora“ weiter und dienen als Bindeglied / Gelenk zur „grünen Achse“ der Schlossgasse. Wie die Bäume in der Schlossgasse, sind die Baumstandorte als Rigole zum Auffangen von Regenwasser konzipiert.

Schlossgasse / „grüne Verbindungsachse“ / Aufenthaltsbereiche
Um die Baulücke an der südlichen Straßenseite zu schließen und das anfallende Regenwasser aufzunehmen, wird die geforderte Begrünung der Straße mit Bäumen auf der Südseite vorgesehen. Außerdem ist die Nordseite der Straße wesentlich attraktiver vom Fassadenbild her.
Die mit Stauden bepflanzten Baumrigolen werden wie auf dem Brandplatz mit Sitzbänken/-mauern gefasst. Die hierdurch entstehenden Aufenthaltsbereiche werden ebenfalls durch eine wassergebundene Wegedecke betont. Auch hier werden Fahrradständer, ein Behinderten-Stellplatz sowie Ausstattungen wie Beleuchtung, Abfallbehälter usw. zwischen den Staudenbeeten platziert.

Schwammstadt / klimatische Anpassung der Innenstadt / Regenwassermanagement
Die notwendigen Rückhaltevolumina für Einleitbeschränkung sowie Starkregenereignisse für die drei Bereiche wurden durch HS Ingenieure ermittelt und durch SHK in die Planung übernommen. Diese Berechnungen basieren auf einem 5-jährigen Regenereignis und einer Drosselabflussspende von 10 l(s·ha).

Retentionsvolumina:
• Brandplatz: 44 m³
• Schlossplatz: 29 m³
• Schlossgasse: 17 m³

Eine Bemessung für ein echtes Starkregenereignis ist unwirtschaftlich, da die anliegenden Kanäle nicht für solche Ereignisse ausgelegt sind. Die Einleitung von Niederschlagswasser in das geplante Volumen des Brandplatzes sowie der Baumrigolen sollte möglichst oberflächlich erfolgen.
Im vorliegenden Fall wurde sich auf die Lenkung der Notwasserwege forciert. Die Fließpfadkarte der Stadt Gießen gibt einen Überblick über mögliche Überflutungsrisiken im Starkregenfall. Bei außergewöhnlichem Starkregen sucht das Niederschlagswasser seinen Weg zu den tiefergelegenen Stellen. Aus der Karte wird deutlich, dass der Brandplatz einmal von einem Fließpfad gekreuzt wird. Hier werden Straßen und Wege zu Gewässern und Häuserzeilen mit Bürgersteigen zu Ufermauern. Die 30 cm abgesenkte „grüne Agora“ reduziert diese Überflutungsrisiken.
Weiter wurden die nachstehenden Leitsätze bei der Planung umgesetzt:
• Befestigte Flächen aufbrechen und reduzieren (wassergebundene Wegedecke)
• Regenwasser aufnehmen und nutzen (Baumrigolen)
• Sukzessives Abgeben von bei Starkregen zurückgehaltenen Regenwasser (Rückhalterigolen)
• Aufnahme und Verdunstung von Regenwasser durch die neue Freiraumgestaltung im Kontrast zu steinernen Plätzen die sich schnell und stark
aufheizen (Baum- und Staudenpflanzungen)

Verkehrsplanung
Alle Zufahrten und Anlieferungsverkehr sind für die Feuerwehr erreichbar. Die Andienung der „Marktnischen“ erfolgt im Einbahnstraßensystem. Die Fahrradwegeverbindung Innenstadt / Stadtpark Wieseckaue ist über die nordwestliche Straße entlang der Grundstücksgrenze auch an Markttagen nutzbar.
An strategisch gut erreichbaren Eingangssituationen sind insgesamt 36 Fahrradabstellplätze ausgewiesen. Ansonsten soll der gesamte Bereich zukünftig als verkehrsberuhigte Fläche ausgewiesen werden.

Denkmalschutz
Nach Abwägung der Belange des Denkmalschutzes, Naturschutzes, der Nutzung als öffentlicher Freiraum mit kommerzieller Marktnutzung überwiegt die zukünftige demokratische Vereinnahmung des Ortes, weshalb auf die Nachzeichnung alter Stadtgrundrisse verzichtet wird.
Das Alte Schloss wurde rekonstruiert. Früher, zu Zeiten als es sich um eine Wasserburg handelte, befand sich der Zugang sicherlich nicht an der heutigen Stelle. Dies wurde mit Umbau zu einem Schloss sowie der Verlandung der Wassergräben möglich
Der barrierefreien Erschließung des Mittelhessischen Museums im Alten Schloss wird eine höhe Gewichtung als dem Denkmalschutz gegeben, da es sich bei dem Alten Schloss auch um eine Rekonstruktion handelt.

Gestaltungselemente / Nutzungsbereiche
Befestigte Flächen / Material: Um im Stadtbild nicht ein neues Material zu verwenden, wird vorgeschlagen, auf bereits in der Umgebung verwendete Bodenbeläge zurückzugreifen. Wie die in der Fußgängerzone verwendeten ´Bänderungen´ aus Basaltpflaster und in den angrenzenden Bereichen verlegte Betonpflastersteine mit Natursteinvorsatz.
Ansonsten sollen Pflasterseine und wassergebundene Wegedecke wie auf dem Kirchenplatz und in der Marktlaubenstraße verwendet werden.
Hochbeete / Sitzbänke: Die Hochbeete-/Bank-Kombinationen sollen analog zum Seltersweg aus Stahl lackiert und aus Holz hergestellt werden.
Ausstattung: Auch bei der Ausstattung mit Abfallbehältern, Fahrradparkern, Beleuchtung usw. wird vorgeschlagen, die gleichen Modelle wie im Seltersweg bzw. Kirchplatz zu verwenden.

Bepflanzungskonzept / Ökologie
Innenstadtbäume stehen unter Stress: verdichtete Böden, Luftmangel, Trockenstress, Schadstoffemissionen sowie die Folgen der Klimaveränderung mit hohen Lufttemperaturen, länger anhaltende Trockenperioden, mehr Starkregenereignisse und Stürme. Daher werden ausschließlich die nachstehenden sogenannten „Klimabäume“ vorgeschlagen. Dabei wird gestalterisch und technisch unterschieden in
• Brandplatz: rote Herbstfärbung - Acer rubrum, Faxinus americana ‚Autumn purple‘, Liquidambar styraciflua
• Schlossplatz: Frühjahrsblüher - Magnolia kobus und für Baumrigolen geeignete - Alnus x spaethii
• Schlossgasse: für Baumrigolen geeignet (Überflutung vertragend), schmalkronig - Ulmus ‚Lobel‘, Carpinus betulus ‚Frans Fontaine‘

Staudenmischung / Stadtgrün
Stauden bieten einen kleinen Lebensraum und gutes Nahrungsangebot für die lokale Fauna. Die Hochbeete werden im Bereich Brandplatz mit einer vorwiegend rot blühenden Prärie-Staudenmischung und in den Baumrigolen am Schlossplatz und der Schlossgasse mit Staudenmischungen, die einen hohen Anteil Geophyten und Gräser beinhalten, bepflanzt. Die Staudenmischung verändert sich in den verschiedenen Jahreszeiten, so dass immer wieder neue attraktive Vegetationsbilder entstehen. Die Unterhaltung ist nach einer Etablierungsphase geringer als bei einer herkömmlichen ´repräsentativen´ Bepflanzung. Die verschiedenen Stauden bieten einen kleinen Lebensraum und gutes Nahrungsangebot für die lokale Fauna.

Planerische Berücksichtigung von Belangen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen
Alle befestigten Oberflächen werden unter Beachtung der geltenden Anforderungen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen geplant und hergestellt. Ein taktiles Leitsystem lässt sich gut in die vorliegende Planung integrieren, Lückenschlüsse im Leitsystem z.B. im Bereich der Übergänge können gut über Einbauten oder technische Einrichtungen wie Entwässerungsrinnen realisiert werden.

Urban Mining / Nachhaltigkeit
Das Abbruchmaterial aus der notwendigen Baufeldfreimachung soll separat entsorgt und dem Stoffkreislauf wieder zugeführt werden. So kann der Asphalt und Beton sehr gut recycelt werden.
Für den Unterbau sollte im Vorfeld schon untersucht werden, ob der vorhandene Unterbau / Boden als Frostschutzschicht geeignet ist und vor Ort wieder eingebaut werden kann.
Für den Neubau sollen nur Pflastersteine und andere Materialien mit einem Recyclinganteil eingesetzt werden.

Ansicht Sichtachse Kirchplatz

Ansicht Sichtachse Kirchplatz

Lageplan Brandplatz / Schlossgasse

Lageplan Brandplatz / Schlossgasse

Strukturplan

Strukturplan