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Städtebaulicher und freiraumplanerischer Wettbewerblicher Dialog | 03/2024

Klimavorzeigestadtteil Rothneusiedl in Wien (AT)

2. Preis

StudioVlayStreeruwitz ZT-GMBH

Stadtplanung / Städtebau

DnD Landschaftsplanung

Landschaftsarchitektur

FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH

Tragwerksplanung

IPJ Ingenieurbüro P. Jung GmbH

Bauphysik

Weatherpark GmbH Ingenieurbüro für Meteorologie

sonstige Fachplanung

Erläuterungstext

Universum Rothneusiedl - Land findet Stadt

Weder Stadt noch Land, sondern ein noch nie dagewesener Ort, der Vorhandenes erneuert, indem er das Neue in die Ressourcen des Vorhandenen hineinarbeitet. Das Ländliche und das Städtische entdecken sich neu: Die Weite des Feldhorizonts verschwindet nicht. Sie verschränkt sich mit klimasensiblen Dichten und urbanen Erlebniswelten – eine magische Tabula-Non-Rasa.

Beurteilung durch das Preisgericht

Städtebaulich-freiraumplanerisches Konzept

Die Projektverfasser*innen entwickeln das Konzept sehr feinfühlig aus der Überzeugung heraus, die wertvollste Ressource – den Boden – möglichst zu schonen. Auf die konkrete Situation bezogen, folgern die Verfasser*innen, dass die wertvollsten Böden im Norden des Areals vor der Bebauung freigehalten werden müssen. Folgerichtig bilden sie daher die höchste bauliche Dichte im Süden aus, wo eine markante Kante ausgebildet wird, wohingegen sich im Norden die Bebauung analog zu einem „Fingern-Prinzip mit abnehmender Dichte sanft in die Landschaft schmiegt.

Eine enge Verzahnung von Freiraum und Bebauung bildet eine explizit grüne, landschaftlich aber auch stadtlandwirtschaftlich geprägte Adresse, die als identitätsstiftend wahrgenommen wird. Diese hat durchaus das Potenzial, eine Symbolkraft zu entwickeln mit dem Anspruch, hier einen Klimavorzeigestadtteil zu erschaffen, der unter anderem die essbare Stadt und die klimaresiliente Stadt propagiert.

Die Prägnanz dieser Idee ist nicht nur im Plan vorhanden, sondern ebenso stark räumlich erlebbar, zum Beispiel bei der Einfahrt mit der U-Bahn ins Quartier oder in der prägnanten Höhenentwicklung von Norden nach Süden. So sehr der sensible Umgang mit der bestehenden Landschaft gewürdigt wird und diese Haltung auch viel Anklang bei der Bevölkerung findet, wird umso mehr bedauert, dass durch die starke Verdichtung im Süden des Gebiets sehr unterschiedliche Voraussetzungen in Bezug auf Wohn- und Lebensqualitäten entstehen. So haben die Bewohner*innen im Süden des Stadtteils nicht nur zu akzeptieren,dass sie gegenüber einem Infrastrukturgebiet wohnen, sondern hier ist zudem die größte Dichte vorgesehen, teilweise mit direktem Blick auf die Hochspannungsleitung. Im Norden entstehen extrem bevorzugte Wohnlagen, die eine geringe Dichte aufweisen und direkt an den Freiraum mit seinen Erholungs- und Freizeitangeboten angrenzen. Die im Süden als Ausgleich angebotene „Rambla“ wird einem
sehr hohen Nutzungsdruck ausgesetzt, wobei auch durch die Nähe zur U-Bahnstation mit zusätzlichem Druck aus dem Umland zu rechnen ist.

Obwohl diese konzeptionell bedingte Diskrepanz die Umsetzbarkeit des Projektvorschlags stark mindert, werden ansonsten im Projekt zahlreiche sehr interessante, qualitätsvolle Vorschläge für einen Klimavorzeigestadtteil gemacht, die Ausdruck eines starken und kompetenten Bearbeitungsteams sind.

Die städtebauliche Vernetzung im Kontext erscheint gelungen. Der Ankunftsort im Zentrum mit dem ausgebildeten Boulevard und dem Platz ist überzeugend. Die parallel dazu verlaufende „Kleine Rambla“ bietet Aufenthaltsqualität und Luft im ansonsten dichten Süden. Allerdings kann auch ein gewisses Überangebotan zu belebenden Flächen entstehen.

Der Übergang der Bebauung im Osten ist in Bezug auf seine Höhe und Struktur überzeugend. Auch die Ausformulierung des Übergangs zum Betriebsgebiet im Westen mit der sogenannten „Rosa Zone“ und einem Mix aus Wohnen und Arbeiten erscheint zukunftsweisend. Die Infrastrukturzone ist in der Form grundsätzlich machbar, allerdings entsteht im Bereich der Krümmung der „Super-Rambla“ eine ungünstige Engstelle. Die Bildungsstandorte sind in Bezug auf Nachbarschaft und Freiraumanbindung gut gewählt.

Das Projekt schlägt grundsätzlich offene Bebauungsstrukturen vor. Sie gewährleisten eine gute Durchlüftung. Ein besonderes Augenmerk wird auf klimagerechte Gebäudetypologien gelegt. Es werden unterschiedliche Höhen und Tiefen vorgeschlagen, die es ermöglichen, auch alternative Materialien wie Holz und Lehm einzusetzen. Dennoch ist festzustellen, dass insbesondere im Süden eine hohe Anzahl an 35 m hohen Bauten entstehen sollen, welche die Qualitäten de Freiräume im Umfeld beeinträchtigen.

Grün- und Freiraumsystem

Der Freiraum setzt sich intensiv mit dem Ort, dessen Besonderheit, Identität und Geschichte auseinander.
Ziel ist es, wertschätzend die agrarisch genutzte Fläche zu transformieren und diese auch im neuen Klimavorzeigestadtteil erlebbar zu machen. Das dichte Grün- und Freiraumnetz setzt dabei auf die Integration von vorhandenen Freiraumelementen wie „Waldläufer“ und im Norden auf Zitate der Agrarlandschaft wie unter anderem die Verwendung alter Obstsorten, Beweidung durch Schafe und vielfältige Anbauflächen. Nach Süden ändert sich der Charakter der Freiräume. Die Freiräume werden ruhiger, gepflegter und parkähnlicher. Die „Super-Rambla“ im Süden bildet als Aktivband mit integriertem Grünkorridor einen Grünpuffer zwischen der Betriebszone und dem Abschluss der Wohnbebauung.

Die Programmierung und Atmosphäre der einzelnen Bestandteile des Grün- und Freiraumnetzes sind sehr detailliert ausgearbeitet und in ihrer Verortung zum Großteil nachvollziehbar dargestellt. Hauptkritikpunkt bleibt aber die aus dem städtebaulichen Konzept resultierende ungleiche Verteilung der Freiflächen zwischen dem „gut versorgten“ Norden und dem deutlich „unterversorgten“ Süden. „Frühes Grün“ lässt sich damit nur in den nördlichen Bereichen realisieren.

Trotz der guten Freiflächenversorgung des Nordens wird die Nutzungsmöglichkeiten der grünen Finger kritisch diskutiert. Besonders die wachsende Privatheit nach Süden durch den immer geringer werdenden Abstand zu der angrenzenden Bebauung, die unklare Abgrenzung zwischen den öffentlich, privat und halböffentlich genutzten Freiflächen, die geringe Freiraumvernetzung der Finger untereinander und das fehlende Weitegefühl lassen den Freiraum der grünen Finger mehr zum trennenden als zum verbindenden
Grünraum werden. Die vier landwirtschaftlich genutzten Höfe an den Fingerspitzen werden begrüßt, es ist aber zu befürchten, dass diese eine starke Privatisierung der Freiflächen auslösen.

Dem südlichen Stadtteil stehen als Angebote im Freiraum Quartiersplätze, „Große“ und „Kleine Waldläufer“, „Kleine-Rambla“ und „Super-Rambla“ zur Verfügung. Vermisst werden hier jedoch größere zusammenhängende Grünflächen, die in kurzer Distanz erreichbar sind oder in die Bebauungsstruktur eingebettet sind. Im Bereich der Langhöfe sorgt der durchlässige Rand zwar für eine gute Durchlüftung, aus Sicht der Orientierung konterkariert jedoch die klare Ablesbarkeit des öffentlichen Raums. Die kleinteilige
Konfiguration der Bebauung erschwert die Platzierung von Kinder- und Jugendspielplätzen sowie die Unterbringung von Kindergärten und deren entsprechenden Freiräumen. Die „Super-Rambla“ wird in Ihrer Programmierung und der fehlenden Freiflächenvernetzung kritisch diskutiert.

Mobilitätskonzept / Verkehr

Die U-Bahnstation mit den Umsteigemöglichkeiten zur Stadt-Regio-Tram und einem Teil der Buslinien sind auf dem Stadt-Land-Boulevard angeordnet. Vom Siedlungsgebiet her ist diese Station zu Fuß auf relativ kurzen Wegen erreichbar. Dieses ist ein Erfolgsfaktor des Mobilitätskonzeptes und damit ein wichtiger Beitrag zur Mobilitätgestaltung in einem Klimavorzeigestadtteil. Eine weitere Bushaltestelle befindet sich im Bereich des zweiten Zugangs zur U-Bahn. Daraus resultiert ein relativ langer Umsteigeweg zur
Stadt-Regio-Tram und den lokalen Buslinien, was die Attraktivität reduziert.

Die Stellplätze für die privaten PKWs werden in vier Mobilitätshubs untergebracht. Die Ver- und Entsorgung des Stadtteils durch Einsatzfahrzeuge, Müllentsorgung, Rettung, Umzüge, Handwerker und weitere Dienste erfolgt über ein Netz von Quartierstraßen. Für die Quartierstraßen wird eine Breite von 5,25 m vorgeschlagen. Ladebuchten erlauben die Anlieferung von Gütern und die Zufahrt von Einsatzfahrzeugen sowie für mobilitätseingeschränkte Personen. Die Funktionalität wird kritisch hinterfragt.

Auf dem Stadt-Land Boulevard wird die Stadt-Regio-Tram im Mischverkehr-Prinzip geführt, was angesichts des geringen Autoverkehrs und einer Reduktion der Trennwirkung im Siedlungsgebiet zukunftsfähig erscheint. Die „Kleine Rambla“ stellt eine zweite West-Ost-Verbindung dar. Diese steht in einer gewissen Konkurrenz zum Boulevard.

Auf der Himberger Straße sind die Schienen auf einer eigenen Trasse geplant. Offen ist, ob eine solche Trasse nötig ist. Zudem fehlt das Anpassen des Straßencharakters von einer außerörtlichen Situation hin zu den zukünftigen innerörtlichen Verhältnissen im Sinne einer städtischen Straße.

Das Projekt schafft mit Ausnahme der Umsteigeverhältnisse gute Voraussetzungen für einen klimagerechten Umgang mit der Mobilität und damit für einen Klimavorzeigestadtteil.

Energie, Klima und Regenwassermanagement

Die vielfältigen Themen der Klimagerechtigkeit und Klimaresilienz werden intensiv bearbeitet und werden im Konzept sehr vernetzt betrachtet.

Die Konfiguration der Baukörper ermöglicht ein gutes Mikroklima auf der Quartiers- und Straßenebene. Durch die kleinteilige Struktur der Baufelder und die relativ geringe Tiefe der einzelnen Baublöcke ergibt sich auch auf der Wohnungsebene eine gute Belichtung sowie durch die Möglichkeit der Quer- und Über- Eck Belüftung eine generell gute Belüftung für den Großteil der Wohnungen. Dieses trägt positiv zu einem hohen thermischen Komfort bei.

Ebenso positiv hervorzuheben sind die Überlegungen hinsichtlich des Bodenmanagements und der Kreislaufwirtschaft. Besonders zu würdigen sind vor allem auch die größeren Geschosshöhen, die weitgehend nachhaltige Baukonstruktionen ermöglichen.

Das Energiekonzept ist sehr schlüssig, enthält innovative Ansätze und adressiert die wesentlichen Aspekte einer nachhaltigen und erneuerbaren Energieversorgung für den Stadtteil.

Das Regenwassermanagement erfüllt die Anforderungen der Ausschreibung.

Fazit

Insgesamt wird auf den verschiedenen Ebenen – von der „Grünen Adresse“, über klimaresiliente Bewegungsräume bis hin zu Themen der essbaren Landschaft und des Regenwassermanagements, aber auch der Gebäudetypologien für nachhaltige Baukonstruktionen – ein in die Zukunft weisender Städtebau entwickelt. Leider werden durch die ungleiche Dichteverteilung die Nachteile im Süden noch verstärkt. Es wird eine Grundstruktur angeboten, die zu B- und C-Lagen führt und soziale Disbalancen generiert, was die Jury sehr bedauert. Ansonsten werden der poetische Ansatz des Entwurfes und seine Verankerung in der örtlichen DNA als sehr gelungen empfunden.