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Award / Auszeichnung | 07/2014

Fritz-Höger-Preis 2014 für Backstein-Architektur

Neubau St. Marien Kirche am Meer

DE-26434 Schillig, Jadestrasse 34

Winner Silver / Kategorie Öffentliche Bauten, Sport und Freizeit

Königs Architekten

Architektur

g+h Architekten henckel+otto PartG mbB

Architektur

Arup Deutschland GmbH

Tragwerksplanung

Gruppe Ingenieurbau - Donker + Dammmann GmbH

Bauingenieurwesen

Lichtplanung A. Hartung Planungsbüro für Kunstlicht / Tageslicht

Lichtplanung

ISRW - Institut für Schalltechnik, Raumakustik, Wärmeschutz Dr.-Ing. Klapdor GmbH

Bauphysik

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Sakralbauten

  • Projektgröße:

    624m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2010
    Fertigstellung: 02/2012

Projektbeschreibung

Die neue Pfarrkirche St. Marien befindet sich unmittelbar an der Nordseeküste, vom Wattenmeer nur durch den Deich getrennt. In der Aufsicht von oben wird die Einfachheit der räumlichen Typologie erkennbar: Es handelt sich um eine klassische Kreuzform, die in ein Rechteck eingeschrieben ist. Bei der Kirche am Meer ist dieses Rechteck auf den Sockelbau begrenzt, so dass die Kreuzform des Hauptraumes sich aus dem Sockel heraus entwickelt.
Die simple Extrusion der Kreuzfigur hätte jedoch nur wenig formale Qualität erzeugen können. Für die Entwicklung der Komplexität der Gestalt ist eine weitere Komponente entscheidend: Mit einer Bogenlinie schneiden wir dem extrudierten Körper einen oberen Teil so ab, dass eine überraschend vielfältige Gestalt entsteht. Der Begriff des “Schneidens” ist im Rahmen des Entwurfsfindung prozessual zu verstehen, ähnlich einer booleschen Operation. Die Gestalt gebenden drei Teilsysteme a) Rechtecksockel, b) Kreuzfigur und c) Bogenlinie erzeugen eine komplexes Raum- und Gestaltgefüge, welches vielfältige Bezugnahmen sowohl zum Kontext “Meer” als auch zur Typologie “Kirche” herstellt. Trotzdem bleibt bei der Gestalt der Kirche am Meer deren Einfachheit lesbar, was eine gewisse Selbstverständlichkeit erzeugt. Gleichzeitig erzielt die Gestalt eine facettenreichen und uneindeutigen Abstraktionsgrad, die es dem Betrachter erlaubt, “offene Bilder” hineinzulegen.

Die Außenwand besteht aus einer tragenden Betonwand, der eine Klinkerschale mit zwischenliegender Dämmung vorgehängt ist. Dies ist einerseits durch die Notwendigkeit einer optimalen Wärmedämmung begründet, andererseits soll der Innenraum sich in seiner Materialität von der Außenschale unterscheiden. Der gewählte Klinker wurde im Oldenburger Format 220x105x52 mm im wilden Verband verlegt. Dieser hochfeste Stein muss den extremen Wetterbedingungen an der Nordseeküste widerstehen, soll sich der ortstypischen Ziegelbauweise annähern aber gleichzeitig von Ihr angemessen unterscheiden und den Geometrieverlauf ermöglichen und unterstützen.
Die Einfachheit der Materialwahl des seit Jahrhunderten als Baustoff bekannten Ziegels steht scheinbar im Gegensatz zum komplexen Anforderungsgeflecht. Es bedarf wiederum einer Überformung, ähnlich der oben beschriebenen Gestaltfindung, um aus Einfachheit Komplexität zu erzeugen. Der Backstein wurde speziell für dieses Bauvorhaben zweifach gebrannt. Nach dem ersten Brand wäre der Backstein eigentlich technisch gesehen fertig, aber für die oben beschriebenen Anforderungen noch nicht geeignet. Ihm fehlt die extreme Festigkeit, die Besonderheit und die Unterstützung der Geometrie. Der zweite Brand besteht aus der Technologie des “Dämpfens”. Das Tonmaterial wird im Ofen während des Brandes unter vollständigem Sauerstoffentzug von Außen gehalten. Dadurch entzieht das Feuer dem Backstein Sauerstoffanteile, die im Material gebunden sind. Der Stein nimmt nicht die typische Rot-Braunfärbung an, sondern wird durchgehend schwarz, manchmal kristallisieren sich Salze an der Oberfläche, er schillert teilweise bläulich – grünlich oder wirkt wie ein silbrig-metallisches Stück Eisen. Dieser Prozess erzeugt den Mehrwert, der die oben beschriebenen Kriterien vollumfänglich unterstützt.

Mit der Lichtführung wurde über die Dachkonstruktion auf einer weiteren Ebene die prozessuale Strategie eingesetzt um Komplexität zu erzeugen. Durch die beschriebene Boolesche Operation wurde eine geschwungene Fläche erzeugt, die mit einem komplett gläsernen Dach belegt wurde. Diese Fläche ist gleichzeitig geneigt und gebogen, aber trotzdem nur einachsig gekrümmt. Für die angestrebte Lichtführung im Innenraum bedurfte es einer weiteren Komponente, ähnlich der des zweiten Brandes beim Ziegelmauerwerk. Die Träger die das Dach überspannen sind nicht linear geformt, sondern verjüngen sich zur Mitte und verbreitern sich wieder zum gegenüberliegenden Rand. Diese Formabweichung wurde nicht linear additiv auf alle Träger überragen sondern akkumuliert sich über dem Zentrum der Kreuzform und läuft in der Längsachse allmählich aus.
Das Ziel dieser Formgenerierung liegt in der Tageslichtführung, die einen dynamischen Verlauf von Licht und Schatten während eines Tages und während der Jahreszeiten erzeugen soll. Das Licht fällt durch die kurvenförmig sich aufweitenden Trägerzwischenräume und trifft auf die ebenfalls kurvenförmig geschwungenen Wandflächen. In dieser geometrischen Überlagerung von zwei Kurvenflächen, die orthogonal zueinander angeordnet sind entstehen sich dynamisch verzerrende wellenförmige Lichtbänder, die dem Kirchenraum atmosphärisch bestimmen. Entscheidend dabei ist, das der Betrachter nur bei genauer Analyse der Gegebenheiten in der Lage ist, das Phänomen der Lichtwellen an der Wand zu entschlüsseln – im barocken Idealfall lässt er sich auf die Eindrücke einer “Kirche am Meer” ein, ohne deren Konstruktion zu hinterfragen.