Heute können sie darüber lachen, über ihre Sorgen und Ängste, über die nervenaufreibenden Baugruppensitzungen, die Verhandlungen mit den Banken. Sie haben es geschafft. Das Haus in der Friedrichstraße 23 ist fertig. Ihr gemeinsames Projekt, liebevoll Frizz23 genannt, das alle Beteiligten in den Ruin hätte treiben können und das auch ein bisschen Stadtbaugeschichte geschrieben hat. Nun schauen sie aus ihren großen Fenstern und genießen den Anblick: wie der Fernsehturm die Wolken kratzt, wie die Dächer von Berlin sich bis zum Horizont erstrecken, wie die warme Luft, das Licht und die Sonne hereinströmen.

Ein Teil der Kreativen, der über 60 Baugruppensitzungen durchgehalten hat, wird nun mit einem freien Blick über Berlin belohnt.

Ein Teil der Kreativen, der über 60 Baugruppensitzungen durchgehalten hat, wird nun mit einem freien Blick über Berlin belohnt.

Hier stand bis 1913 Schinkels Berliner Sternwarte, von der aus der Neptun entdeckt wurde. Die nachtblaue Aluminium-Fassade mit karbonisiertem Lärchenholz ist eine Reminiszenz an dieses Erbe.

Hier stand bis 1913 Schinkels Berliner Sternwarte, von der aus der Neptun entdeckt wurde. Die nachtblaue Aluminium-Fassade mit karbonisiertem Lärchenholz ist eine Reminiszenz an dieses Erbe.

„Dieses Haus ist schon etwas Besonderes“, sagt Arno Löbbecke. Er ist ein langer, schlanker Kerl mit kurzen Haaren und Brille. Jetzt sitzt er an einem gestreckten Konferenztisch, an dem abends auch mit Freunden getafelt wird. Im Nebenraum sind Fotografen vom Spiegel zugange. Noch einen Raum weiter arbeiten die Mitarbeiter der Architekturzeitschrift Arch+ an der neuen Ausgabe. Und zur anderen Seite, nur durch eine Schiebetür getrennt, da wohnen sie, Arno Löbbecke und sein Lebenspartner, Anh-Lin Ngo, Herausgeber von Arch+. Wohnen und arbeiten? Öffentliches und Privates? Das trennen die beiden nicht mehr. In ihrer Wohnung gibt es überall Türen und Durchgänge, die beides miteinander verbinden. „Alles ist im Fluss, wie wir wohnen und arbeiten ist Ausdruck dessen“, sagt Arno Löbbecke. Und mit Frizz23 ist das erst möglich gemacht worden.

Fühlt sich nach vier Jahren Geschäftsführung der Baugruppe wie ein Politiker: der Architekt Arno Löbbecke in den neuen Räumen der arch+.

Fühlt sich nach vier Jahren Geschäftsführung der Baugruppe wie ein Politiker: der Architekt Arno Löbbecke in den neuen Räumen der arch+.

„Jede Wohnung und jeder Gewerberaum in diesem Haus ist individuell nach den Wünschen der jeweiligen Eigentümer gestaltet“, erzählt Löbbecke. Das macht das Haus einzigartig. Dennoch sei das eines der Dinge, die er als Baugruppen-Geschäftsführer so nicht noch einmal machen würde. „Ein irrer Aufwand. Für uns Mitglieder, für die Architekten, aber auch für die Handwerker.“

Das Frizz23 ist das erste und bisher einzige Bauprojekt in Deutschland, das von einer gewerblichen Baugruppe realisiert wurde. 2464 Quadratmeter Grundstücksfläche. 5648 Quadratmeter Nutzfläche. 18.160.000 Euro Gesamtbrutto Baukosten. Das Besondere an dieser Baugruppe: Sie besteht aus kleinen Unternehmen und Gewerbetreibenden, die überwiegend in der Kreativwirtschaft angesiedelt sind.

Baut unter Hochdruck an seinem nächsten Projekt: der Bühnenbildner und Medienkünstler Achim Naumann d'Alnoncourt vor seinem neuen Wohnmobil (und Frizz23).

Baut unter Hochdruck an seinem nächsten Projekt: der Bühnenbildner und Medienkünstler Achim Naumann d'Alnoncourt vor seinem neuen Wohnmobil (und Frizz23).

„Baugruppe für kulturelles Gewerbe“, so lautete die Arbeitsüberschrift, mit denen sie 2011 für ihre Idee und Vision warben. Damals schrieben der Berliner Liegenschaftsfonds und die Berliner Großmarkt GmbH ein Konzeptvergabeverfahren für die insgesamt drei Grundstücke an der ehemalige Blumengroßmarkthalle aus. Es war das erste Verfahren dieser Art, dass das Land Berlin hier anstrengte. Die Idee von Deadline Architekten: Berlin braucht nicht nur Wohnen, sondern auch Räume für Gewerbe. Gerade für das kreative und das kleine Gewerbe wird es jedoch immer schwieriger in der Berliner Innenstadt zu bleiben. Gewerbemieten und Bodenpreise steigen rasant. Nur noch die großen Player können sich das leisten.

Doch keiner hatte Vertrauen in ihre Idee und in ihre Baugruppe. Egal, wen sie fragten, Anwälte, Projekteentwickler, Banker, viele prognostizierten ihnen, dass das nichts werden würde. Wohnbaugruppen, das kenne man, das klappt. Gewerbebaugruppe, nein, das gebe es bisher nicht, das Risiko sei viel zu hoch. Was ist, wenn die Baupreise durch die Decke gehen? Was ist, wenn plötzlich eines der Mitglieder Insolvenz anmelden muss und die Kredite nicht bedienen kann?

Engagieren sich für das Miteinander im neuen Kiez: die Architektin und Projektkoordinatorin der Bauhütte Südliche Friedrichstadt, Kathy Schroth, und Architekt Assaf Kopper.

Engagieren sich für das Miteinander im neuen Kiez: die Architektin und Projektkoordinatorin der Bauhütte Südliche Friedrichstadt, Kathy Schroth, und Architekt Assaf Kopper.

„Hier mitzumachen war eine Art der Selbstverteidigung“, sagt Arno Löbbecke. Entweder einsteigen oder nach etwas anderem am Rande der Stadt suchen. „Doch das wollten wir nicht. Wir gehören in die Stadt.“ Löbbecke ist Miteigentümer, aber auch einer der drei Geschäftsführer des Projekts. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war und ist es, dafür zu sorgen, dass die insgesamt 38 Mitglieder miteinander diskutieren und sich auch streiten dürfen. Nur juristisch durfte es dabei nie werden. Es wäre das Ende der Baugruppe gewesen und damit ein existenzbedrohendes Risiko für jeden Beteiligten.

Deswegen plante Löbbecke auch jede Baugruppensitzung wie ein Bundestagsplenum, generalstabsmäßig, mit Beschlussvorlagen, mit Dramaturgie und sorgfältig ausgearbeiteten Excel-Tabellen, mit denen er stets der „Herr der Kosten“ blieb. Keine Steckdose, kein Kabel, keine Handwerkerstunde, die da nicht drinstanden.

Hat in ihrem Werkstattladen direkt neben dem Eingang von Frizz23 alle Hausbewohner im Blick: die Taschendesignerin und Gründerin des Labels bolsos berlin, Britta Eppinger.

Hat in ihrem Werkstattladen direkt neben dem Eingang von Frizz23 alle Hausbewohner im Blick: die Taschendesignerin und Gründerin des Labels bolsos berlin, Britta Eppinger.

Löbbecke zeigt auf die Decke. Glatt, grau, an manchen Stellen etwas fleckig. „Wir wollten in guter, langlebiger Qualität bauen, aber ohne Schnickschnack und Luxus.“ Deswegen bestehen Boden, Wände und Decken aus nacktem Beton. Einige Baugruppenmitglieder stießen sich an den Flecken und wollten die Platten farbkosmetisch verschönern lassen. Doch weil die Mehrheit nicht bereit war, Geld dafür auszugeben, blieb es dabei. „Wir waren immer sehr pragmatisch. Da viele Entscheidungen direkte Auswirkungen auf die Kosten hatten, wurde stets genau überlegt, was man sich leisten will und was nicht. Was allgemeine Kosten sind oder individuelle Wünsche.“ Die Flecken zu beseitigen, wurde zu den individuellen Wünschen erklärt, genauso wie mögliche Parkettböden oder andere Ausstattungsmerkmale.

Das war einfach zu lösen. Schwieriger wurde es bei den Balkonen. Die Frage war, wie viele und wie groß diese sein dürfen, ohne die darunterliegenden Einheiten zu stören. Also entwarfen Löbbecke und die beiden anderen Baugruppengeschäftsführer ein Gesetz. Jeder darf einen Balkon haben. Dieser darf eine bestimmte Breite nicht überschreiten. Position und Größe müssen relativ zur Einheit sein. Und: Es gibt kein Recht auf einen Zweitbalkon. „Das bekam eine hohe Zustimmung“, erzählt Löbbecke. Am Ende dieser Zeit, er war fast vier Jahre in dieser Position, fühle er sich wie ein Politiker, der Meinungen einholen, Vorgespräche führen, Deals aushandeln musste.

Die Kleinteiligkeit im Innern lässt sich auch an der Fassade ablesen: Jede Einheit durfte nur einen Balkon haben, dessen Position und Größe wiederum relativ zur Einheit sein mussten.

Die Kleinteiligkeit im Innern lässt sich auch an der Fassade ablesen: Jede Einheit durfte nur einen Balkon haben, dessen Position und Größe wiederum relativ zur Einheit sein mussten.

Von außen sieht Frizz23 aus wie ein einziges Gebäude. Tatsächlich aber besteht das Gebäude bautechnisch aus drei verschiedenen Häusern und hat auch drei Adressen, drei Eingänge und drei völlig unterschiedliche Nutzer. Hinter dem ersten Aufgang befindet sich das Forum Berufsbildung: Erdgeschoss und vier Stockwerke mit großen und kleinen Lehr- und Seminarräumen und auf dem Dach eine große Terrasse zum Entspannen.

Hinter dem zweiten Eingang befinden sich die vielen verschiedenen Büros, die Wohnungen und im Erdgeschoss der Einzelhandel. Hier wohnen und arbeiten Autoren und Musiker, Architekten und Verlage, Stadtplaner und Designer, Karikaturisten und Konzertmanager. Auch mit einer Dachterrasse für gemeinsame Grillnachmittage sind sie ausgestattet. Hinter dem dritten Eingang verbergen sich ein Gästehaus mit Miniappartements, Co-Working-Plätze und ein Café, an dem gerade noch gebaut wird.

Blick auf Frizz23 von Deadline Architekten, das neue taz-Verlagsgebäude von E2A Architekten sowie die am südlichen Ende der Friedrichstraße gelegenen Wohntürme rund um das Hallesche Tor.

Blick auf Frizz23 von Deadline Architekten, das neue taz-Verlagsgebäude von E2A Architekten sowie die am südlichen Ende der Friedrichstraße gelegenen Wohntürme rund um das Hallesche Tor.

Blick in das Foyer des Forum Berufsbildung. Veranstaltungen und Ausstellungen sollen das Viertel auch abends und am Wochenende beleben.

Blick in das Foyer des Forum Berufsbildung. Veranstaltungen und Ausstellungen sollen das Viertel auch abends und am Wochenende beleben.

Die Dreigliedrigkeit liegt in der Geschichte des Grundstücks und des Projekts. Um das besser zu verstehen, besucht man am besten Helmut Riethmüller. Er ist der Geschäftsführer und Mitgründer vom Forum Berufsbildung, einem der größten privaten aber gemeinnützigen Bildungsanbieter Berlins. Andere sagen über ihn, dass er einer ist, der Ideen anschiebt und Leute dazu bringt, aktiv zu werden. Er ist ein kleiner, freundlicher Mann, der gerne erzählt, immer ein Lachen in den Augenwinkel trägt und anscheinend so gefragt ist, dass er während des Interviews ständig Gespräche am Handy wegdrücken muss.

Seit dem Ende der 1990er-Jahre kämpft er dafür, in dieser Nachbarschaft öffentliche und für viele Menschen nutzbare Räume für Kunst, Kultur und Bildung zu schaffen. Damals war das hier Niemandsland. Zum einen war da die Berliner Blumengroßmarkthalle, die mittlerweile dem Jüdischen Museum als Akademie dient und im hinteren Teil gerade zum Kindermuseum nach Plänen von Olson Kundig Architekten und EiSat ausgebaut wird. Zum anderen standen da, wo Kreuzberg endete und Mitte anfing, viele Grundstücke einfach leer. Noch ein paar Jahre zuvor teilte hier die Mauer die Stadt.

Unkommerzieller Raum für Kunst, Kultur und Bildung und das mitten in der Stadt – das war Riethmüllers Traum. Deswegen gründete er Initiativen und runde Tische, die sich für eine andere Stadt- und Bodenpolitik einsetzten. Doch er und seine Mitstreiter rannten gegen verschlossene Türen in Politik, Wirtschaft und Kultur. Als aber 2010 der Berliner Blumengroßmarkt in einen anderen Stadtteil umzog und seine Halle und drei dazugehörige umliegende Grundstücke veräußern wollte, schlug Riethmüllers Stunde.

Helmut Riethmüller, der Vorkämpfer einer Konzeptvergabe auf den Liegenschaften der ehemaligen Blumenmarktgroßhalle, gemeinsam mit Matthew Griffin (l.) und Britta Jürgens (r.) von Deadline Architekten und dem verstorbenen ehemaligen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Hans Panhoff (2. v. l.), bei der Präsentation von Frizz23 im qualifizierenden Verfahren des Konzeptvergabeverfahrens.

Helmut Riethmüller, der Vorkämpfer einer Konzeptvergabe auf den Liegenschaften der ehemaligen Blumenmarktgroßhalle, gemeinsam mit Matthew Griffin (l.) und Britta Jürgens (r.) von Deadline Architekten und dem verstorbenen ehemaligen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Hans Panhoff (2. v. l.), bei der Präsentation von Frizz23 im qualifizierenden Verfahren des Konzeptvergabeverfahrens.

Der gebürtige Schwabe traf auf Britta Jürgens und Matthew Griffin von Deadline-Architekten, die wie er „Stadt neu denken“ wollten und von sich selbst als „urbane Aktivisten“ sprechen. Rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt bildete sich eine Gruppe von Machern und Vordenkern, die „lebendige Stadt“ als eine „Stadt für viele“ interpretieren. Unter ihnen war auch der Stadtsoziologe Florian Schmidt (Bündnis90/Grünen), heute Bezirksstadtrat von Kreuzberg/Friedrichshain, der die Diskussion um eine veränderte Liegenschaftspolitik vorantrieb. Oder Andreas Krüger, der ehemalige Modulor-Mitgründer und Mastermind hinter dem Aufbau Haus, ein Kreativzentrum am Berliner Moritzplatz.

Und nun war auch das politische Klima soweit gediehen, dass sich der Berliner Liegenschaftsfond alternative Modelle der Grundstücksvergabe vorstellen konnte, erinnert sich Helmut Riethmüller. Eine entscheidende Rolle spielte dabei allerdings auch der damalige Geschäftsführer des Berliner Großmarktes, Andreas Foidl. Er bestand darauf, dass die Grundstücke des ehemaligen Blumengroßmarktes nicht meistbietend an Investoren verkauft werden. Gemeinsam schafften sie es, den Liegenschaftsfond davon zu überzeugen, die Grundstücke rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt in Konzeptvergabeverfahren zu veräußern. Das heißt: Den Zuschlag erhielten Bewerber mit den für die Entwicklung des Sanierungsgebiets Südliche Friedrichstadt vielversprechendsten Konzepten. So wurde etwa der Standort der taz in dem Kiez gesichert, Kultur- und Nachbarschaftsflächen im „Metropolenhaus“ geschaffen und eben auch eine Zukunftsperspektive für KMU und Selbständige der Bildungs- und Kreativwirtschaft im Frizz23.

Die Baufelder rund um die ehemalige Blumenmarktgroßhalle, die heute die Akademie des Jüdischen Museum beherbergt und ab 2020 auch sein Kindemuseum.

Die Baufelder rund um die ehemalige Blumenmarktgroßhalle, die heute die Akademie des Jüdischen Museum beherbergt und ab 2020 auch sein Kindemuseum.

Matthew Griffin und Britta Jürgens von Deadline-Architekten trifft man im dritten Aufgang von Frizz23. Hier haben sie „Minilofts“ und ein Cafe eingerichtet. 14 Appartements sind es insgesamt, die sie als Gästezimmer vermieten. In zwei der 14 Minilofts gibt es einen Holzofen, ansonsten wirken die Zimmer edel und spartanisch zu gleich. Übersichtlich, rau, mit großen Fenstern zu allen Seiten.

„Wir haben Anfang der 2000er schon davor gewarnt, dass aufgrund der Gewerbemietpreisentwicklung kleine und mittlere Gewerbe aus der Stadt gedrängt werden würden“, erinnert sich Griffin. „Mit dem Frizz23 wollten wir beweisen, dass man Stadt auch selber gestalten kann und nicht darauf warten muss, dass das jemand anderes für einen tut.“ Zusammen mit Helmut Riethmüller entwarfen er und Jürgens ein Konzept und reichten es beim Konzeptvergabeverfahren ein. Darin festgeschrieben steht eine Eigentums-Mischnutzung mit den Schwerpunkten Bildung (32 Prozent), Kreativwirtschaft (22 Prozent), Einzelhandel (15 Prozent), Miniloft (15 Prozent), Kunst (12 Prozent) und Gastronomie (4 Prozent). Dieser Mix muss bei Strafzahlung beibehalten werden, auch wenn sich die Besitzverhältnisse für die einzelnen Einheiten im Laufe der Jahre verändern sollten.

Über 60 Mal traf sich die Baugruppe um über alle Belange des Neubaus zu diskutieren – von der Aufnahme neuer Mitglieder, Finanzierungsfragen, Vertragsklauseln bis hin zur Auswahl der Türklinken oder den genauen Farbton der Fassadenelemente.

Über 60 Mal traf sich die Baugruppe um über alle Belange des Neubaus zu diskutieren – von der Aufnahme neuer Mitglieder, Finanzierungsfragen, Vertragsklauseln bis hin zur Auswahl der Türklinken oder den genauen Farbton der Fassadenelemente.

Griffin und Jürgens erinnern sich, dass ihr Konzept eigentlich nur als politisches Statement gedacht war. Sie hatten nie gedacht, dass sie den Zuschlag auch bekommen würden und dann in der Position sind, ihre Ideen realisieren zu können. Dass sie tatsächlich mal in einem ihrer Minilofts mit Blick über die Stadt sitzen und über all das erzählen würden. Draußen im Treppenhaus stapeln sich in allen Ecken Bücher zum Mitnehmen aus ihrem Keller und machen das öffentliche Gästehaus zu einem privateren Ort.

Mit dem Zuschlag brauchten sie auf einmal Mitstreiter, die so ein Vorhaben finanziell und zeitlich auch stemmen konnten. Schließlich musste das Grundstück gekauft werden – zu 1000 Euro pro Quadratmeter. 2013/2014 war das. Dann mussten die Baukosten aufgebracht werden. Dafür brauchten sie einen Kredit und eine Bank.

„Heute glaubt man es kaum, aber es fand sich keine Bank, die bereit war, das mitzutragen“, sagt Britta Jürgens. Keines der Geldinstitute hatte Erfahrung mit einer gewerblichen Baugruppe. Zu groß schien das Risiko. Zu groß der Aufwand alle beteiligten Gewerbe auf Kreditwürdigkeit zu prüfen. Am Ende war die alternative GLS-Bank die einzige, die Lust und Mut hatte, etwas Neues auszuprobieren.

Von Potsdam nach Kreuzberg: Peter Eibenstein schätzt den Standortvorteil der neuen Geschäftsadresse seiner Werbe- und PR-Agentur Peperoni.

Von Potsdam nach Kreuzberg: Peter Eibenstein schätzt den Standortvorteil der neuen Geschäftsadresse seiner Werbe- und PR-Agentur Peperoni.

„Für uns Architekten war das gut, dass es etwas länger dauerte, so hatten wir noch mehr Zeit mit unseren Planungen“, erzählt Griffin. Zeit, die sie brauchten, denn Baugruppenmitlieder mussten gesucht und gemeinschaftlich ausgewählt werden. Und jedes Mitglied brachte neue Wünsche dazu, vor allem was den flexiblen und individuellen Innenausbau anging. 2016 schließlich war die letzte Einheit vergeben, alle Wünsche berücksichtig, mit den Nachbarn und dem Kiez geredet, die Pläne der Öffentlichkeit vorgestellt, der Kredit von der GLS-Bank genehmigt und alle Baugenehmigungen eingeholt. Der Bau konnte beginnen. „Wir wollen mit unserem Haus eine Stadt in der Stadt und mit den unterschiedlichen Höhenebenen eine Silhouette darstellen. Lebendig und kreativ soll es sein und nicht einfach eine Scheibe, die den Park verdunkelt, mit rangeklatschter anonymer Fassade“, sagt Architektin Britta Jürgens. Die Frizz23-Fassade ist tatsächlich etwas Besonderes und hebt sich von der Umgebung ab. Sie besteht aus angebranntem Holz. Es ist ein starkes, nachhaltiges Material, das mindestens 70 Jahre halten soll. „Die Baugruppe hat sich ein selbstbewusstes Haus gewünscht mit einer selbstbewussten Fassade“, so Jürgens. Mal wirke die Farbe des Holzes schwarz, dann wieder lila oder silbern, je nachdem wie das Licht darauffalle. Dabei gibt die Fassade dem Gebäude eine Einheitlichkeit und einen Zusammenhalt, obwohl es ja eigentlich aus drei unterschiedlichen Häusern besteht.

Glücklich, dass er auf seinen Bauch gehört und trotz der Risiken mitgemacht hat: der Pianist und Konzertmanager Pietro Massa.

Glücklich, dass er auf seinen Bauch gehört und trotz der Risiken mitgemacht hat: der Pianist und Konzertmanager Pietro Massa.

Man könnte jetzt noch weiter durch die Etagen ziehen. Da wohnt und arbeitet zum Beispiel Pietro Massa. Er ist Pianist und leitet gleichzeitig eine eigene Konzertagentur. Er ist als einer der Ersten zu der Baugruppe gestoßen. Und eigentlich wollte er gar nicht. Er erinnert sich noch, wie er das zwar alles sehr sympathisch fand, sich aber nicht auf das Risiko einlassen wollte. Er rief an, um abzusagen. Doch während des Gesprächs sagte er spontan zu, aus dem Bauch heraus, denn an den Stadtrand wollte er nicht ziehen. Er, der internationale Musiker, der um die Welt jettet, kann nicht in der Berliner Periphere wohnen.

Heute sitzt er in seiner 120-Quadratmeter-Wohnung, ein einziger großer Raum mit Parkettboden. An dem einen Fenster steht sein Flügel, in der Mitte ist sein Schreibtisch mit dem Computer, an dem anderen Fenster sein Bett, gegenüber die Einbauküche mit Tisch. Das war’s. Das Piano steht auf einem schallisolierten Podest. Ein Boden im Boden sozusagen, so überträgt sich der Schall nicht über den Beton ins restliche Haus. Sollte sich dennoch jemand gestört fühlen, würde er eine Raum-in-Raum-Lösung bauen. 338.000 Euro Kosten waren einkalkuliert für seine Wohnung. Knappe 400.000 sind es am Ende geworden. 60.000 mehr, eine Menge Geld für Pietro Massa. So war er auch immer derjenige, der in den Baugruppensitzungen am meisten zur Sparsamkeit mahnte.

Für competitionline-Gründerin Angelika Fittkau-Blank ist Frizz23 als Standort ein geschäftsentscheidender Faktor im Wettbewerb um fähige Köpfe mit finanzkräftigen Investoren wie Google und Co.

Für competitionline-Gründerin Angelika Fittkau-Blank ist Frizz23 als Standort ein geschäftsentscheidender Faktor im Wettbewerb um fähige Köpfe mit finanzkräftigen Investoren wie Google und Co.

Würde man jetzt noch zum competitionline Verlag oder zur Städteplanerin Sonja Beeck gehen, könnte man von ihnen hören, wieviel Energie und Zeit man aufwenden muss, um solch ein Baugruppenprojekt voran und dann auch zu Ende zu bringen. 60 Sitzungen gab es. Dazu musste alles gelesen, verhandelt und abgesprochen werden. Doch es sind eine Zeit und eine Energie, die sich für sie gelohnt haben. „Nun haben wir eigene Räume an der Schnittstelle vom kreativen, rebellischen Kreuzberg zum Regierungsviertel. Verlegerviertel meets Politik und Wirtschaft sozusagen“, erzählt competitionline-Gründerin Angelika Fittkau-Blank im Interview. Für einen Verlag wie competitionline, der als Arbeitgeber in direkter Konkurrenz zu Google und Co. um die besten Köpfe stehe, sei ein attraktiver Standort geschäftsentscheidend. Und Sonja Beeck ergänzt: „Wir wünschen uns, dass wir ein Vorbild für andere Gewerbetreibenden sein können. Damit auch diese sich zusammenschließen und den Mut haben, etwas Gemeinsames aufzubauen.“

Dieser Artikel erschien erstmals am 28. Juni 2019 auf competitionline.