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Nichtoffener Wettbewerb | 05/2014

Gedenkort Rummelsburg

Engere Wahl

ON architektur

Architektur

ErlÀuterungstext

Die stadtrĂ€umliche Gliederung des ehemaligen Arbeits- und Verwahrhauses Rummelsburg folgt einem autoritĂ€ren Leitgedanken: Die Hauptachse der Anlage dient der reprĂ€sentativen Positionierung ordnender und „gemeinnĂŒtziger“ Institutionen wie Direktorenhaus, Kirche, Badehaus oder Lazarett. Die GebĂ€ude seitlich der Achse hingegen dienen zur Unterbringung der „Corrigenden“, „Hospitaliten“ und „HĂ€uslinge“ - Die Frauen sĂŒdlich und die MĂ€nner nördlich der Achse. Den geometrischen Mittelpunkt „Verbesserungsstadt“ nimmt die Kirche fĂŒr sich in Anspruch. Ordnung, Kontrolle, Religion, Reinheit und Gesundheit drĂ€ngen sich den Bewohnern dieser Anlage als prĂ€gende Aspekte der Alltagswahrnehmung auf. Ein Wertemodell im Zentrum eines hermetisch geformten Stadtraumes, dessen Bewohner am Rand untergebracht sind. So setzt sich innerhalb des Arbeits- und Verwahrhauses die gesellschaftliche Ausgrenzung, Diskriminierung und Stigmatisierung fort, die die Bewohner zuvor im Alltag erfahren haben.

Der zukĂŒnftige Gedenkort soll sich auf dem Vorplatz an der Hauptstraße befinden, der vom Direktorenhaus und den seitlichen BeamtenhĂ€usern am Eingang der Anlage gebildet wird. Hier befindet sich mit dem Direktorenhaus der reprĂ€sentative Kopf der Hauptachse, ĂŒber die das Areal frĂŒher erschlossen wurde. Auf der rechten Seite des Direktorenhauses befand sich mit der Schranke des „PortierhĂ€uschens“ der Zugang zur Anlage. Diese Barriere wurde nach 1945 in eine Schleuse umgebaut, die aus zwei hohen Stahltoren bestand. Zeitgleich wurde das Areal bei der Umwandlung vom Verwahrhaus zur „Strafvollzugsanstalt“ um zusĂ€tzliche Barrieren, Mauern und WachtĂŒrme erweitert.

Die Barriere als versperrendes und störendes Element soll den Gedenkort auf dem Platz vor dem Direktorenhaus prĂ€gen. Der Entwurf sieht hier eine 12,00 Meter lange und 3,50 Meter hohe Stahlwand vor, die asymmetrisch in die ‚Machtachse’ vor das Direktorenhaus gestellt werden soll. Diese Stahlwand versperrt den Blick auf die symmetrisch proportionierte Fassade des Direktorenhauses und rĂŒckt einen anderen Aspekt der ehemaligen Verwahranstalt in den Vordergrund: Die Vorderseite der Stahlwand zeigt Fotografien und Biografien der HĂ€ftlinge und Opfer dieser Anstalt - Landstreicher, Prostituierte, Homosexuelle oder politisch Verfolgte - jenseits des Wertesystems der Hauptachse. Die RĂŒckseite dieser Barriere informiert ĂŒber die vier historischen Epochen der Haftanstalt. Ein Modell auf einem Tisch in unmittelbarer NĂ€he der Barriere veranschaulicht die autoritĂ€re Struktur der baulichen Anlage. Um ausreichend Raum fĂŒr diese Barriere herzustellen, werden die bestehenden PflanzflĂ€chen im vorderen Platzbereich verkleinert und die vorhandenen vier BĂ€ume in asymmetrischer Anordnung an die Platzkante umgesetzt.

Die Barriere besteht aus einer Stahlwand, die aus vier Segmenten zusammengesetzt ist. Die leicht versetzte Anordnung dieser Segmente, ihre Höhe sowie die hellgraue Lackierung nehmen auf Details der ehemaligen Schleuse mit ihren Schiebetoren Bezug. Auf der Vorderseite der Barriere sollen die HĂ€ftlinge und Opfer dieser Anlage hervorgehoben werden. Über Fotos und Biografietexte sollen die individuellen CharakterzĂŒge und Lebenswege derjenigen in den Vordergrund gestellt werden, die als „asozial“ stigmatisiert an den Rand der Gesellschaft geschoben wurden. Die Metalltafeln mit den Fotografien sollen in linearer Anordnung mit geringem Abstand auf der Stahlwand befestigt werden, wobei unterschiedliche Formate und Abmessungen der Tafeln auf die IndividualitĂ€t der Opfer und HĂ€ftlinge verweisen sollen. Die Biografietexte unter den Fotografien sollen direkt auf die Stahlwand gedruckt werden. Die Anzahl der ausgestellten Biografien ist flexibel und kann je nach Forschungsstand zu spĂ€teren Zeitpunkten erweitert werden. Auf der RĂŒckseite der Barriere soll die wechselvolle Geschichte der Anlage wiedergegeben werden. Dabei dienen die vier Segmente der Stahlwand zur Vermittlung je einer historischen Epoche. Pro Segment befindet sich in der RĂŒckseite eine horizontal angeordnete Nische, in der eine Ausstellungstafel aus Metall angebracht wird. Links der Ausstellungstafel kennzeichnen große Jahreszahlen, auf die RĂŒckwand der Nische aufgebracht, deutlich die jeweilige historische Epoche.

In unmittelbarer NĂ€he von der Stahlwand soll optional ein Tisch aufgestellt werden, der ein Modell der baulichen Anlage zeigt. Dieses wird analog zur baulichen Anlage ausgerichtet und ermöglicht so eine einfache Orientierung vor Ort. Es soll den Originalzustand der Anlage sowie die zahlreichen baulichen VerĂ€nderungen fĂŒr den Besucher erkennbar und unterscheidbar zeigen. Eine detaillierte Legende beschreibt die, mit Kennzahlen versehenen, unterschiedlichen GebĂ€ude, ordnet sie den jeweiligen baulichen Epochen zu und gibt Auskunft ĂŒber ihre historischen Funktionen.

Die historischen GebĂ€ude der Anlage werden jeweils ĂŒber ein ca. 1 Meter hohes, schmales Pultschild gekennzeichnet, das in einem geeigneten Bereich der Freianlagen vor dem entsprechenden GebĂ€ude aufgestellt werden soll. Auf der PultflĂ€che des Schildes soll neben einer Kennzahl ein Kurztext (max. 800 Zeichen) aufgebracht werden, der das jeweilige GebĂ€ude beschreibt. Denkbar wĂ€re auf dieser FlĂ€che auch die Platzierung eines QR-Codes, mit dem die Informationen der „Rummelsburg-App“ ĂŒber ein internetfĂ€higes Mobiltelefon abgerufen werden können.

Ein Leitbild fĂŒr das Material der Barriere (Stahlwand) und des Modelltisches sind die Stahltore der ehemaligen Eingangsschleuse der Haftanstalt. Eine glatte und kalte OberflĂ€che sowie ein militĂ€risch anmutender grauer Farbanstrich verleihen der Stahlwand den Charakter einer unĂŒberwindbaren Barriere. Die gelben FarbflĂ€chen in den Nischen der RĂŒckseiten, auf der TischflĂ€che des Modells und dem Pultschild dienen zur Kennzeichnung der Bereiche mit historischen Informationen.


ON architektur 2014

Bearbeitung: Christian Fuchs
Mitarbeiterin: Daniela Mehlich

Beurteilung durch das Preisgericht

Die von den Verfassern vorgeschlagene Barriere, die sich als Zitat des ursprĂŒnglichen Eingangstores zentral auf dem Vorplatz befindet, ist von der Straße deutlich sichtbar und entwickelt zeichenhafte Wirkung. Die gewĂ€hlte MaterialitĂ€t hebt sich deutlich von der historischen Substanz ab. Positiv wird der Informationsgehalt bewertet, der auf dem Vorplatz konzentriert wird, wenngleich es auch nicht der Schwerpunkt des Zugangs zum GelĂ€nde ist. Hier werden sowohl die Biografien als auch die historischen Epochen berĂŒcksichtigt, die das GelĂ€nde geprĂ€gt haben. Die in dem gesamten Areal befindlichen Kennzeichnungen historischer GebĂ€ude sind dagegen verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig unauffĂ€llig und wenig informativ, es sei denn, man benutzt mittels des QR-Code den Online-Zugang, was entsprechende Technik der Besucher und Besucherinnen voraussetzt. Das optionale modellhafte Relief der Gesamtanlage könnte auch von Sehbehinderten ertastet werden.

Der Hauptschwerpunkt wird allerdings nicht im GelÀnde gesehen, daher lÀdt die Arbeit wenig
dazu ein, sich ĂŒber das GelĂ€nde zu bewegen oder sich Informationen zu erwandern. Die grafische Gesamtgestaltung und das Zusammenwirken von Text und Bild werden als weniger gelungen beurteilt. Mit der FlĂ€che der „Barriere“ mĂŒsste spannungsreicher umgegangen werden, so dass sowohl Nah- als auch Fernwirkung gewĂ€hrleistet wĂŒrden. Auch die Gestaltung der kleineren GebĂ€udemarkierungen wird eher kontrovers beurteilt.