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Award / Auszeichnung | 07/2014

Bayerischer Landeswettbewerb 2014 'Modellhafte Stadt- und Ortssanierung - Lebensräume für die Bürger'

Vom Pendlerort zum Weinkulturort inkl. Weinkulturhaus Bürgstadt

DE-63927 Bürgstadt

Besondere Anerkennung

Büro für Städtebau und Architektur Dr. Holl

Architektur

Markt Bürgstadt

Bauherren

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Landschaft und Freiraum

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 10/2009

Projektbeschreibung

Weinkulturort Bürgstadt - Kreis Miltenberg
Der Ort zeigt, wie mit einem ganzheitlichen Planungsansatz im Rahmen öffentlicher Förderung (Städtebauförderungsprogramm und EFRE-Programm) die städtebauliche und soziale Entwicklung eines ganzen Ortes vorangebracht werden kann.

Ausgangslage
Die Marktgemeinde Bürgstadt ist ein vor der Stadt Miltenberg gelegener Weinort (4202 EW) mit einem gut erhaltenen in Teilen jedoch sanierungsbedürftigen Ortskern. Problematisch ist der zunehmende Funktionsverlust im Ortskern. Die Funktionen Landwirtschaft, Einzelhandel und Wohnen sind gefährdet. Zugleich führen Umbaumaßnahmen dazu, dass die typischen Bauweisen im Ortskern zurückgedrängt werden und der Ort seinen ursprünglichen Charakter verliert. Bemerkenswert ist die enge siedlungsstrukturelle und wirtschaftliche Verflechtung Bürgstadts mit der angrenzenden Stadt Miltenberg. Wichtig ist vor allem, die sich für die touristische Entwicklung ergebenden Chancen der interkommunalen Zusammenarbeit zu nutzen. Mit der Bildung der Tourismusgemeinschaft Miltenberg - Bürgstadt - Kleinheubach ist ein wichtiger Schritt erfolgt. Unter der Marke Churfranken haben sich 20 Kommunen im Dreiländereck Bayen, Hessen und Baden-Württemberg zusammengefunden. Sie sind für die regionale und touristische Vermarktung der Region Churfranken verantwortlich.

Ansätze
Ein für Bürgstadt bedeutendes Potenzial stellt der Weinbau dar, der heute besondere Chancen im touristischen Bereich eröffnet. Der Nahbereich Miltenberg verfügt aufgrund der attraktiven Mainlandschaft sowie der unmittelbaren Nähe zu Spessart und Odenwald über ein hohes Naherholungs- und Tourismuspotenzial. Miltenberg hat 100 000 Übernachtungen im Jahr. Um zukünftig Tagesbesucher und Kurzurlauber anzulocken, wird im Landkreis Miltenberg insbesondere eine Verbesserung für Wanderer und Radfahrer angestrebt. Diese Angebote sollen verstärkt mit Angeboten in den Bereichen Wein- und Kulturtourismus gekoppelt werden.

Strategien
Im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms wurde in einem umfangreichen Bürgermitwirkungsprozess ein integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK) erarbeitet, in dem die Themenschwerpunkte, Handlungsfelder und Projekte festgelegt wurden. In Zukunftswerkstätten konnten die Ortsbewohner an einem Ortsmodell im Massstab 1:1000 selbst die ihrer Meinung nach erforderlichen Um- und Neubaumaßnahmen darstellen. Den Ortsbewohnern wurde so ein unmittelbares Mitgestaltungsrecht eingeräumt.

Realisierung
Mit wenigen Impuls- und Schlüsselprojekten hat der Weinbauort Bürgstadt in den letzten Jahren eine Verwandlung erlebt.
Mit einer intensiven Bürgerarbeit wurden die auseinanderstrebenden Bürgermeinungen zusammengeführt.
Mit der Neugestaltung der ehemaligen Ortsdurchfahrt wurde in der Ortsmitte ein platzartiger Aufenthaltsraum geschaffen.
Die Implantation eines Weinkulturhauses am historischen Renaissance-Rathaus schuf eine neue Ortsmitte.
Viele Bürger haben ihr Haus renoviert und erneuert. Der Gestaltungsleitfaden und das kommunale Förderprogramm haben dazu wesentlich beigetragen.
Bei einer alljährlich im Juni stattfindenden Weinkulturnacht beteiligen sich alle Winzer und Gastronomen mit eigenem Kulturprogramm.

Impulsprojekt verkehrsberuhigter Aufenthaltsraum
Durch den Bau der Umgehungsstraße St 2310 am westlichen Ortsrand wurde der Durchgangsverkehr aus dem Ortskern herausgenommen. In einem umfangreichen Straßenbauprojekt wurden die Hauptstraße und Freudenberger Straße (2800 m²) neu gestaltet. In einem weiterem Abschnitt wurde auch die Martinsgasse umgebaut. Durch den niveaugleichen Ausbau - Gehwegbereiche sind nur durch eine Muldenrinne von der Fahrbahn getrennt - wird das Geschwindigkeitsniveau des KFZ-Verkehrs gesenkt (30 km/h). Die Fahrbahn wurde auf 6 m verschmälert und die Aufenthaltsqualität der Fußgänger verbessert. Mit einem einheitlichen Pflasterbelag aus gesägtem Granit und einem sparsam gesetzten Mobiliar sowie einem Beleuchtungskonzept wurde der ehemalige Dorfinnenraum mit seinen erhaltenswerten Baufluchten und den differenzierenden Verengungen und Erweiterungen wieder erlebbar. Teil des Konzepts der Straßenraumgestaltung ist auch die Neuordnung des ruhenden Verkehrs einschließlich eines Parkraumkonzeptes für den gesamten Ortskern. Sammelparkplätze an den Ortsrändern fangen den Verkehr ab. Im Ort befinden sich Kurzzeitparkplätze, die mit ihrer wechselseitigen Aufstellung am Fahrbahnrand zur Verkehrsberuhigung beitragen. Im Bereich der Bushaltestellen halten die Busse auf der Fahrbahn.

Impulsprojekt Ortsmitte und Weinkulturhaus
Mit dem Neubau des Weinkulturhauses im historischen Ortskern wurde in Bürgstadt ein multifunktioneller Saalbau für Vinothek, Touristinformation und Bistro sowie für Kulturveranstaltungen errichtet. Zusammen mit der erdgeschossigen Halle im Rathaus stehen 310 m² für öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung. Das Konzept der Vinothek wurde in enger Abstimmung mit der Winzerschaft von Bürgstadt erarbeitet.
Der Platzraum vor dem historischen Rathaus wird mit dem Gebäude erweitert und mit der Aufstellung des alten Ratsbrunnens aus Sandstein als Aufenthaltsraum aufgewertet. Eine besondere Schwierigkeit der Bauaufgaben war es, das Gebäude des Weinkulturhauses in unmittelbarer Nachbarschaft zum Renaissancebau des alten Rathauses in das historische Ensemble einzufügen. Andererseits sollte es sich mit einer zeitgemäßen Architektur absetzen und zugleich seine Zugehörigkeit zur örtlichen Architektur demonstrieren. Mit einer interessanten Lichtinszenierung mit LED- Strahlern wird das Weinkulturhaus auch abends zum Anziehungspunkt. (Lichtkonzept Brandi Licht Hamburg)
Die Beheizung des Weinkulturhauses über eine Geothermieanlage mit Fernwärmeversorgung des benachbarten Rathauskomplexes ist Teil eines umfassenden Energiekonzeptes, das für die gesamte Ortschaft erstellt wurde. Die Beheizung des Weinkulturhauses erfolgt mittels einer elektrisch betriebenen Kompressions-Wärmepumpe. Als Wärmequelle dienen acht vertikale Erdsonden mit jeweils etwa 100 Meter Tiefe, welche auf dem Grundstück gleichmäßig verteilt wurden.

Innerhalb der touristischen Infrastruktur stellt die Einrichtung einer Vinothek ein wichtiges Element der Infrastruktur Churfrankens dar.

Werkzeugkasten Baugestaltung
Für den Ortskern der Marktgemeinde Bürgstadt besteht das grundsätzliche Ziel, die Bausubstanz in ihrem ortsbildprägenden Charakter zu erhalten. Dieses Ziel lässt sich nur mit der Anwendung von mehreren Maßnahmen erreichen: Erhaltungssatzung, Gestaltungssatzung, kommunales Förderprogramm mit Richtlinien zur Förderung, kostenlose Bauberatung und Betreuung von Baumaßnahmen durch den Sanierungsarchitekten, Broschüre „Leitfaden Baugestaltung“.
Die Erhaltungssatzung und Gestaltungssatzung bieten vor allem eine rechtliche Handhabe, um Verunstaltungen zu verhindern. Die Gestaltungssatzung unterscheidet zwischen bestehender Bausubstanz und Neu- bzw. Zubauten, für die weniger strenge Regeln gelten.
Mit Hilfe eines kommunalen Förderprogrammes unterstützt die Gemeinde private Bauherren bei der Erneuerung ihrer Gebäude durch Zuschüsse. In einer Broschüre „Leitfaden Baugestaltung“ sind die verschiedenen Instrumente zusammenfassend dargestellt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Problematik des Funktionsverlustes des Ortskerns war Ausgangspunkt für eine umfassende Strategie. Aus dem Potential dieses Ortes wurde nach der Verlegung der Hauptstraße sehr sensibel, aber gleichzeitig kraftvoll eine neue Mitte mit dem Weinkulturhaus und dem vorgelagerten neu gestalteten Platz geschaffen. Die damit verbundene Steigerung der Attraktivität von Bürgstadt für den Tourismus wurde vielgestaltig und qualitätsvoll mit einem Weinlehrgarten, Erhalt der Obstwiesen, der Neugestaltung des Mainuferparks und einem Servicegebäude für Radwanderer unterstützt. Insgesamt ist ausgehend von dem integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK) und der damit verbundenen intensiven Bürgerbeteiligung, die von Bürgerwerkstätten bis zur Diskussion an Arbeitsmodellen alle Facetten aufweist, ein höchst niveauvolles und zukunftsweisendes Projekt entwickelt worden. Der zudem erarbeitete Werkzeugkasten der Baugestaltung ermöglicht es der Gemeinde, private Bauherren in die Gestaltung des Ortsbildes einzubinden, sodass aus dem Impuls ein großes Ganzes entsteht.