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Mehrfachbeauftragung | 03/2022

Neugestaltung Innenraum Heiliggeistkirche Heidelberg

Querschnitt

Querschnitt

3. Rang

WANDEL LORCH GÖTZE WACH

Architektur, Innenarchitektur

Erläuterungstext

 

Heiliggeist bleibt Heiliggeist

Heiliggeist Heidelberg ist schon seit Jahrhunderten ein wichtiger Markstein in der geistlichen und der weltlichen Silhouette Heidelbergs. Die Gründung der Universität, die Nutzung der Kirche als Ort der wissenschaftlichen Lehre, die Einrichtung der Bibliotheca Palatina und viele andere Ereignisse verorten Heiliggeist als Kirchort auch in der säkularen Welt und sind bis heute Sinnbild für das ausgeprägte weltliche und geistliche Repertoire des Hauses und seiner Gemeinde. Eine Kirche, die die Wissenschaft nicht als Konkurrent um die Welterklärung fürchtet, sondern sie als Ergänzung des Glaubens zu interpretieren weiß, Widersprüchlichkeiten und Diskussionen nicht fürchtet und der Wissenschaft, nicht nur im übertragenen Sinn, einen Raum gibt: Heiliggeist war schon vor der Aufklärung ein Ort der Zukunft des 21. Jahrhundert. Es bedarf heute daher nicht eines Konzepts der Erneuerung oder gar des Neuanfangs, sondern eines der Bestätigung und Affirmation.

Die zentrale Idee der vorliegenden Arbeit ist daher die Kräftigung und die Herausstellung des Vorhandenen. Die Entwicklung, Kultivierung und Kommunikation eines starken Bildes von Heiliggeist, das aber aus sich selbst heraus entsteht, ohne fremde Hinzufügungen. Hierzu bedarf es neben der Stärkung vorhandener Qualitäten auch der Erschließung ungenutzter Potentiale. Es bedarf einer behutsamen und bruchfreien, dabei dennoch kraftvollen Eingliederung der weltlichen Funktionen in die geistliche Umgebung. So sollen Aneignungsräume für alle Besucher und Gläubigen geschaffen bzw. erhalten werden.

Massive bauliche Eingriffe, die die sensible und denkmalgeschützte Substanz schwächen werden in der ersten Konsequenz vermieden. Einzig für die Rampen zwischen Hauptschiff und Seitenschiffen muss der Fußboden örtlich angepasst werden. Alle weiteren Maßnahmen und Hinzufügungen sind reversibel und darüber hinaus auch gestalterisch so zurückhaltend angelegt, dass eine Gestaltkontinuität bewahrt wird. Die bestehenden Möglichkeiten zur Bestuhlung werden durch die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht eingeschränkt.

Wegeführung

Die Anordnung der Funktionsorte sieht eine konzeptionelle Wegeführung für unterschiedliche Nutzergruppen vor, die insbesondere Besucher außerhalb von Gottesdiensten in einem Rundgang den Angeboten und Besonderheiten des Hauses näherbringt. Der Zutritt zum Haus erfolgt über das Westportal. Hier wird ein niedrigschwelliger Empfangsbereich eingerichtet, der Orientierung ermöglicht und die unterschiedlichen Angebote vermittelt. Neben der kirchlichen Nutzung sind das die Turmbesteigung, die Besichtigung der Palatina Ausstellung sowie der Hauptrundgang durch die Kirche im Erdgeschoss. Dieser Rundgang beginnt am Hauptportal und folgt zunächst der Logik der Wegekirche durch die Mitte ins Hauptschiff wo der Besucher auf die lichtdurchflutete Chorhalle und den Triumphbogen mit dem Kunstwerk Harry MacLeans aus den 1950er Jahren zuläuft. Der direkte Durchgang in den Chorinnenraum soll der Andacht vorbehalten bleiben. Touristische Besucher werden unter dem Engelskonzert - Gemälde aus dem 15. Jahrhundert in das nördliche Seitenschiff umgelenkt. Hier werden die Grablege und die Epitaphien thematisch gruppiert. Abweichend von der bislang geplanten Besucherführung führt der Rundgang aus dem Seitenschiff in den Chorumgang. Auf dem Weg um den innenliegenden Altarbereich kann der Besucher die wechselnden Perspektiven in der beeindruckenden Chorhalle erleben und die historische Architektur zu sich sprechen lassen. Nur auf diese Weise wird dem Besucher die Herrlichkeit der Kirche vollends gewahr. Erstes Highlight der Chorumrundung ist das neu eingerichtete „Heidelberger Fenster“, eine temporäre Kunstinstallation an der Stelle der alten Orgel (genauere Beschreibung hierzu im Objekttext unten). Entlang des Wegs durch den Chorraum werden Orte des stillen Gebets, der Andacht und der Rast angeboten. Opferlichter, Kerzen und Fürbitten unterstreichen die Einladung zum Gebet und zur Andacht. Am Ende des Chorumgangs laufen die Besucher unter dem Wappenfriesgemälde auf der Trennwand hindurch in das südliche Seitenschiff. Hier wird der Wechselausstellungsbereich durchschritten und der Ort der Wissenschaft passiert. Dieser Bereich dient auch als temporäre Ergänzungsfläche für die Ausstellung auf den Emporen. Beim Verlassen der Kirche durch das Südwestportal wird der Shop durchschritten. Hier können die typischen Erinnerungsstücke, aber auch Ausstellungskataloge, Kunstdrucke, Faksimiles und Merchandise des Heidelberger Fensters erstanden werden.

Ergänzend zum Kirchenrundgang ermöglicht die Treppe im nördlichen Westwerk die Erschließung der Empore und den Turmzugang. Hier wird auch die Position für einen Aufzug zur barrierefreien Erschließung vorgeschlagen.

Die Ausstellung „Raub und Vertreibung“ teilt sich in didaktisch in zwei Teile, die auf die beiden Emporen verteilt werden. Die Emporen durch eine kleine Brücke im Bereich der Orgel erschlossen. Alle geführten Bereiche der Kirche sind barrierefrei zugänglich.

Ausstellung „Raub und Vertreibung“

Die Wissensvermittlung ist der zentrale Schlüssel für den Erfolg der Ausstellung. Sie muss an die Erwartungen und das Vorwissen unterschiedlicher Besuchertypen anschließen und Langeweile oder Überforderung gleichermaßen verhindern. Die Ausstellungsthemen Bibliotheca Palatina, die "Raub und Vertreibung"- Kuration und Heiliggeist selbst, bieten viele starke Erzählstränge an, die in der Auslobung auch bereits skizziert wurden. Die vorgeschlagene Ausstellungsdidaktik greift diese Ideen auf und ermöglicht die Erschließung unterschiedlicher Wissensebenen. Vom eiligen und kursorischen Verschaffen eines bildstarken Überblicks bis zum vertieften inhaltlichen Studium der Digitalisate. Die Details zu den einzelnen Ausstellungselemente sind in den Objekttexten beschrieben.

Der Zugang zur Ausstellung erfolgt über den Aufgang auf die nördliche Empore. Als Auftakt wird in direkter Nähe des Turmaufgangs eine Installation platziert, die anhand von audio-visuellen Medien das Ausstellungsthema vermittelt. Hieran schließt sich die virtuelle Bibliotheca Palatina an. In diesem Element ist die gesamte digitalisierte Bibliothek einfach zugänglich und mit didaktischen Zusatzinformationen erweitert. Der Faksimileschrank ergänzt das virtuelle Angebot um eine haptische Erfahrung. Er bietet die Möglichkeit in Nachdrucken zu blättern und wertwolle Faksimiles zu bestaunen. Möglicherweise kann eine der zurückgegebenen deutschen Ausgaben aus dem Originalbestand hier als Dauerleihgabe präsentiert werden.

Während dieser erste Teil der Ausstellung einen einfachen und schnellen Zugang zur Bibliotheca Palatina und dem Themenschwerpunkt Raub und Vertreibung ermöglichen soll können im zweiten Teil auf der Südempore die Inhalte bis zur wissenschaftlichen Arbeit vertieft werden. Hierzu gibt es unterschiedliche Angebote, die die Geschichte der geistlich-wissenschaftlichen Synergie in Heiliggeist aufgreifen und wieder einen Ort für die Wissenschaft etablieren. Am historischen Standort der Bibliothek wird ein Lernort eingerichtet, der nicht nur der Erforschung der Palatina gewidmet ist und über die vorhandenen Datenbanken Einblick in die umfangreichen Forschungen, Forschungsverweise, Zitierungen und Annotationen Zugriff erlaubt, sondern ein Lernort, der in der Tradition Ottheinrichs, Bibliotheken zusammenführt: An Bibliotheksterminals werden die digitalen Bibliotheken der ganzen Welt zugänglich gemacht. Hierfür gibt es unterschiedliche Lizenzsysteme, die in Kooperation mit Bildungsinstituten erworben werden können. Die Einrichtung des Lernorts kann auch unabhängig von der Ausstellung dauerhaft Bestand haben. Der historische Ort der Bibliothek wird zum Ort der Lehre und zum Ort des Studiums – inmitten der Hauptkirche Heidelbergs. Heute denkbar und im 15. Jahrhundert schon einmal Realität gewesen.

Die Ausstellung kann mit Augmented Reality erweitert werden. Dazu werden unterschiedliche Inhalte wie etwa computergenerierte „historisches“ Bilder mit dem Kamerabild des Smartphones live überlagert. Auch Ton und andere Medien können individuell eingespielt werden. Anders als bei der Virtual Realtity bleibt die Betrachtung auf diese Weise an den originalen echten Ort gebunden, was sich angesichts des hochwertigen Bauzustands anbietet. Die Einspielung der Inhalte auf die persönlichen Endgeräte der Besucher erfolgt hier und an anderen Stellen des Rundgangs über den Einsatz der Beacon-Technologie.

Beacon Technologie

Es wird vorgeschlagen die touristischen Rundgänge und die Ausstellungen mit einem Beacon-System zu unterstützen. Ein Beacon (dt. Leuchtfeuer) ist ein Kurzdistanz-Sender, der beliebige Inhalte auf Empfangsgeräte überträgt. Die Beacons können an allen relevanten Stellen der Besucherführung ohne Aufwand, flexibel und reversibel installiert werden. Nach der einmaligen Bestätigung durch den Besucher senden die Beacons automatisch die gewünschten Medien - Töne, Texte, Fotos oder Augmented Reality - auf das Endgerät der Besucher, sobald diese sich dem Beacon nähern. Dabei finden auch barrierefreie Technologien Berücksichtigung und ermöglichen so ein hohes Maß an Inklusion. Konkrete Vorschläge für einzelne Beacons sind im Rahmen dieser Arbeit in den nachstehenden Objekttexten zu finden.

Materialkonzept

Für alle Hinzufügungen wird ein durchgängiges Materialkonzept vorgeschlagen. Elemente herausgehobener Bedeutung, wie die sakrale Ausstattung, werden in Oberflächen aus Messing, dienende Funktionselemente in Holz hergestellt. Einzelne Objekte werden auch in einer Kombination der beiden Materialien vorgeschlagen. Messing fügt sich harmonisch in die lichte Materialwelt des Innenraums ein. Die wertige Ästhetik ermöglicht die Nobilitierung einfacher und funktionaler Formen, so dass eine zurückhaltend spannungsvolle und angemessene Gestaltung der sakralen Ausstattung gelingt. Das gebräunte Buchenholz greift die Materialität der vorhandenen Möblierung auf. Die Bräunung macht das Holz widerstandsfähiger und gibt ihm eine zurückhaltende, warme Oberfläche.

Orgel

Der wahrnehmbarste Eingriff in die Gestalt des Innenraums ist die Verlegung der Orgel. Sie wird auf die Westempore verlegt und flankierend zum Westportalfenster aufgestellt. Orgeln sind stolze Instrumente, die eine kräftige Präsenz mit sich bringen - optisch, aber besonders akustisch. Die Orgel erhält den ganzen Kirchenraum als Klangkörper zurück. Die Optik der Orgel wird, etwas weniger Präsenz ausbildend als symmetrische und geordnete Reihung der Prosepektpfeifen vorgeschlagen, die eine zurückhaltende nur sanft expressive Gestalt ergeben.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit knüpft ihren Ansatz an die Wissenschaftstradition des Protestantismus, die in der Heiliggeistkirche auf der Doppelempore ihren originalen historischen Ort hat. 

Dieser historisch-räumlichen Einmaligkeit wird versucht, durch eine wandorientierte Themenabfolge in Kirchenschiff und Chor, gerecht zu werden, was durch die vorgeschlagenen Einzelbausteine aber nicht überzeugend gelingt. Der hohe Anspruch findet in den eher gewöhnlichen Ausformulierungen der Möbel und Einbauten keine angemessene Entsprechung; ein roter, konzeptorientierter Faden lässt sich nicht erkennen. 

Die vorgeschlagene Ausbildung des Außenaufzugs ist denkmalbezogen nicht glücklich, die Kerzenorte eher falsch orientiert. Die vorgeschlagenen Rampenlösungen erscheinen eher zufällig und zu kurz. 

Die Möblierungsvorschläge für die Emporen sind dagegen sehr konzeptioniert, detailliert und materialistisch durchdacht. Die Orgeldisposition ist grundsätzlich denkbar, wäre aber im Weiteren zu ergänzen.

Insgesamt ist der sehr ambitionierte und begrüßenswerte Ansatz nicht in eine entsprechende, konsequente räumliche Konzeption und Ausformulierung weitergeführt worden.

Raum- und Wegekonzept

Raum- und Wegekonzept

Grundriss Erdgeschoss

Grundriss Erdgeschoss

Grundriss Empore

Grundriss Empore

Detail Möblierung

Detail Möblierung