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Award / Auszeichnung | 06/2023

BDA Preis Niedersachsen 2023

Holzrotonda

DE-27356 Rotenburg-Wümme

Auszeichnung

Wirth = Architekten

Architektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Wohnungsbau

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    In Vorbereitung

  • Termine:

Projektbeschreibung



„Die Stadthäuser sind wahrhaft nobel, glanzvoll und zweckmäßig eingerichtet, muss der Edelmann doch all die Zeit in ihnen wohnen, die er für die Verwaltung der Republik oder für die Erledigung eigener Dinge benötigt. Aber nicht geringeren Nutzen und Erholung wird er vielleicht aus den Villen ziehen, wo er den übrigen Teil seiner Zeit damit verbringt, seine Besitzungen im Auge zu haben und sie zu vervollkommen sowie mit Fleiß und mit Hilfe der Kunst der Landwirtschaft sein Vermögen wachsen zu lassen.“
Andrea Palladio
450 Jahre nach dem der in Padua geborene Architekt Andrea Palladio sich über die Unterschiede von Stadt- und Landhäusern ausgelassen hat, sind aus Edelmännern Bauherr:innen geworden, aus der Villa ein „größeres, (…) am Stadtrand liegendes Einfamilienhaus“, wie der Duden anno 2021 zu berichten weiß. In Deutschland nimmt die Zahl dieser freistehenden Wohnhäuser, die längst nicht mehr nur von einer Familie, sondern von Lebensgemeinschaften verschiedenster Konstellationen bewohnt werden, seit 2001 kontinuierlich zu. Inzwischen stehen hierzulande 16,02 Millionen dieser Gebäude (Stand 2020) und jedes von ihnen benötigt Boden. Diese, bei einer Großzahl der Deutschen immer noch beliebteste Wohnform steht also in einem Gegensatz zum Wissen um die Endlichkeit der zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Die Holzrotonda trägt dem Rechnung, in dem ihr Fußabdruck im wahrsten wie im übertragenen Sinne minimiert ist. Jedes herkömmliche Haus berührt mit dem Erdgeschoss den Boden, dringt in einigen Fällen mit einem Keller in ihn ein. Deswegen reduziert der Entwurf den umbauten Raum im Erdgeschoss und nimmt um eine zentrale, gewendelte Treppe eine Garderobe, ein Gäste-WC und ein Abstellraum auf. Auch der CO2-Fußabdruck der Holzrotonda ist klein. Durch die geringe Standfläche konnte der Einsatz von Beton und Dämmstoff auf ein Mindestmaß reduziert werden. Die Fassade verzichtet bewusst auf den ortstypischen Chic schwerer, gebrannter Verblendmaterialien, die in Herstellung und Anlieferung negative Einflüsse auf die Gesamtenergiebilanz der Holzrotonda hätten. Im Inneren wurden weder Installationsschichten noch Verkleidungen mit Gipskarton verbaut. Dies und der Verzicht auf Verbundwerkstoffe macht einen potenziellen Rückbau und eine Anschlussverwertung im Sinne des Cradle-to-Cradle-Prinzips möglich. Der Low-Tech-Gedanke zieht sich durch das gesamte Gebäude: nicht brennbare, günstige Fassadenplatten kommen unbehandelt zum Einsatz, Baustandards wurden so weit wie möglich reduziert. So wurde etwa der Fußboden im Sinne der Recyklierbarkeit und zur Kostenminimierung nicht mit einem aufwendigen Bodenaufbau ausgeführt. Dafür konnten an anderen Stellen architektonisch-räumlich relevante Dinge möglich gemacht werden. Im Obergeschoss gliedern sich die Wohnräume um die mittige Erschließungsrotunde. Große Fenster verbinden die teils bis unter das Dach reichenden, großzügigen Wohnräume mit dem Außenraum. Die großen Fenster bieten nicht nur schöne Ausblicke, sondern sorgen für solare Gewinne in der kalten Jahreszeit. Im Sommer stellen metallbedampfte Vorhänge durch ihre reflektierende Oberfläche den Wärmeschutz sicher. Eine Stiege führt unter das Dach, wo über den eingeschossigen Wohnräumen Abstellräume angeordnet sind und zwei Nischen, kleinen Studioli gleich, zu Rückzug und Einkehr mit Blick auf die Rotunde einladen.
Der mit einer Eternithaut bekleidete Holzbau wird durch eine Erdbohrung mit Geothermie versorgt, über die natürlich entstehende Thermik innerhalb der Rotunde können alle Räume passiv über eine zentrale Laterne auf dem Dach entlüftet werden. Auf weitere technische Einbauten wurde verzichtet, sodass die Baukosten ebenso reduziert werden konnte, wie das Risiko ehedem mit veralteten oder nicht mehr lieferbaren Komponenten das Klima-Konzept des Hauses einzuschränken.
Statt also Boden durch ein vollbebautes Erdgeschoss und ein zusätzliches Garagengebäude zu versiegeln, dient der weite Überstand des Obergeschosses vor allem als Möglichkeitsraum. Ohne Versiegelung läuft der Boden bis an den Schaft des Hauses und bietet Raum, um als Freisitz und überdachter Spiel- oder Grünraum genutzt zu werden – oder schlicht als regensichere Parkgelegenheit für verschiedene Fahrzeuge vom Fahrrad bis zum Auto. Kräutergarten und andere blühende Pflanzen tragen damit einen Teil zum Erhalt der Biodiversität bei, wo sonst umbauter Raum und versiegelte Fläche wären. So leistet die Holzrotonda einen Beitrag zur Diskussion, was ein Wohnhaus am Stadtrand heute sein kann.


Beurteilung durch das Preisgericht

Nachhaltigkeit, Klimaneutralität, Reduzierung des Flächenverbrauchs und Ressourceneffizienz sind zentrale Herausforderungen in der heutigen Zeit. Architekten und Bauherrschaft sind sich dieser Verantwortung bewusst. Allerdings fehlt es an positiven Beispielen, wie dieses Umdenken konsequent umgesetzt werden kann. Da der Wunsch nach Einfamilienhäusern trotz besseren Wissens auch weiterhin bestehen bleiben wird, braucht es einen Diskurs zu Treibhausgas- Emissionen und Lebenszykluskosten und neuen Formen des Wohnens. Dazu liefert das Projekt Holzrotonda von Wirth Architekten mit seiner geringen Flächenversiegelung, rezyklierten und rezyklierbaren Baumaterialien, Wärme aus erneuerbaren Energien sowie sehr niedrigen und damit wirtschaftlichen Baukosten einen sehr visionären und auch gewollt provokanten Beitrag. Der Kontrast zur umgebenden klassischen Bebauung in einem Einfamilienhausgebiet in Rotenburg (Wumme) spiegelt die beispielgebende Auseinandersetzung wider, der sich Bauherrschaft und Architekten hier gestellt haben.
Rotonda - Holzrotonda

Rotonda - Holzrotonda

1. OG

1. OG

EG

EG

Dachgeschoss

Dachgeschoss

Schnitt

Schnitt

Lageplan

Lageplan