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Award / Auszeichnung | 07/2017

Beispielhaftes Bauen: Landkreis Tübingen 2011-2017

Hauptansicht zum Marktplatz hin

Hauptansicht zum Marktplatz hin

Sanierung, Restaurierung und Umbau Rathaus Tübingen

DE-72070 Tübingen, Am Markt 1

Auszeichnung

arabzadeh.schneider.wirth architekten

Architektur

Universitätsstadt Tübingen

Bauherren

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Staatliche und kommunale Bauten

  • Projektgröße:

    4.550m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 11/2015

Projektbeschreibung

Sanierung, Restaurierung und Umbau Rathaus Tübingen

Die prächtigen Sgraffito - Malereien von 1876 an der Außenfassade des Tübinger Rathauses ziehen nach den Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten wieder die Blicke vieler Touristen aus aller Welt auf sich. Das Rathaus „Am Markt“ ist eines der bedeutendsten historischen Gebäude in Tübingen und in der Region. Als Sitz von Oberbürgermeister, erster Bürgermeisterin und Gemeinderat stellt das Rathaus die Zentrale der Stadtverwaltung und gesellschaftliches Zentrum für viele städtische Veranstaltungen dar. Die hochwertige Gestalt des Rathauses wird besonders im Ratssaal und Trauzimmer, dem Öhrn, sowie in der imposanten Baukonstruktion und der herausragend gestalteten Ostfassade sowie der astronomischen Uhr deutlich.
1435 wurde das Gebäude erstmals als Markthalle erwähnt. In der Funktion als Mark für Bäcker, Metzger und Salzhändlern im Erdgeschoss und der „Lederbühne“ im 1. Obergeschoß, einem Verkaufsraum für Lederwaren mit separaten Zugang von der Haaggasse aus.
1495 ließ Graf Eberhard im Barte das dritte Stockwerk mit dem "Hofgerichtssaal" aufsetzen, ohne Rücksicht auf die Gesamtstatik zu nehmen. Der Saal war zur Bauzeit der größte stützenfreie Raum in Württemberg. Das Hofgericht war das höchste Landesgericht. Die kommunalen Gerichte tagten in den beiden Bohlenstuben im 2. Obergeschoss, der Öhrn war das gemeinsame Foyer
1965 – 1969 wurde großflächig in den Bestand eingegriffen und das Erdgeschoss mit Technikeinbauten zugestellt, der originale Grundriss war fortan nicht mehr zu erkennen.
Akuter Handlungsbedarf bestand seit der Jahrtausendwende aufgrund funktionaler, statischer und technischer Mängel sowie des Brandschutzes. Zusätzlich sollte das historische Gebäude energetisch verbessert und der Energieverbrauch nachhaltig reduziert werden.
Architektonisches Ziel der Sanierungsmaßnahmen war, vorgefundene räumliche Strukturen sowie die wertvolle historische Bausubstanz zu erhalten und sie gleichzeitig durch behutsame Maßnahmen der Neugestaltung zu stärken. Wesentlicher Eingriff in die Raumstruktur war die „Befreiung“ des ursprünglich als Markthalle mit drei Verkaufsräumen genutzten Erdgeschosses von seiner damaligen Nebenraumnutzung. So wurden großzügige, offene, transparente und repräsentative Räume für ein zukünftiges Bürgerforum geschaffen. Dafür wurde die Tragstruktur aus den Umbaumaßnahmen der 60er-Jahre entfernt und die historische Tragstruktur reaktiviert. Die Atmosphäre der dann hohen, hellen und attraktiven Räumlichkeiten setzt sich in der anschließenden Treppenhalle sowie im Foyer des Ratssaals fort. Beim verbindenden Sandsteinbelag sowie bei sonstigen Naturwerksteinarbeiten wurde auf Material aus der unmittelbaren Umgebung zurückgegriffen bzw. Bestandsmaterial aus den 60er Jahren wiederverwendet. Kleinteilige Bürostrukturen vor dem Ratssaal wurden zugunsten einer großzügigen Cafeteria aufgelöst. Sie wird bei Veranstaltungen und Empfängen oder bei größeren Hochzeiten genutzt und bietet durch die Arkadenfenster besonders schöne Ausblicke zur historischen Umgebungsbebauung
Im Ratssaal wurden störende Eingriffe in die historische Bausubstanz aus der Umbauphase der 60er-Jahre zurückgebaut. Durch die Neugestaltung des Holzbelages und der Deckenverkleidung wird in Zusammenhang mit einem neuen Lichtkonzept eine spürbare atmosphärische Verbesserung erzielt. In der historischen Raumfolge (Enfilade) aus Trauzimmer, Öhrn und Büro Oberbürgermeister wurden im Wesentlichen Sicherungs- und Konservierungsmaßnahmen an den bedeutsamen Farbfassungen durchgeführt. Durch die Neugestaltung des gemeinsamen Foyers in Zusammenhang mit einem neuen Lichtkonzept entsteht eine deutliche Aufwertung dieser historisch bedeutsamen Räume.
Der historische Hofgerichtssaal wurde in den 50er-Jahren kleinteilig in mehrere Büroeinheiten unterteilt. Im Zuge der Sanierung konnte durch die Befundsituation von Farbresten der Farb- und Raumeindruck der Zeit um 1907/1908 zurückgewonnen werden.
Der Sanierung der historischen Räume gingen umfangreiche Eingriffe in den Bestand voraus: Die brandschutztechnischen Anforderungen an die Tragkonstruktion sowie die Fußbodenkonstruktionen mussten gesichert werden, u.a. durch die Einbauten von zusätzlichen Brandschutzdecken. Die Tragkonstruktion insgesamt musste im Zuge der Baumaßnahme abgefangen, zurückgebaut und ergänzt werden. Um den Bereich der historischen Eichenholzstütze (EG, heutiges Bürgerforum) wurde der historische Altbau kurzzeitig angehoben, um die Stütze auszubauen, zu sanieren und anschließend wieder einzubauen.
Immer wieder wurden bauzeitliche Funde entdeckt: Beim Stemmen von Sondierungsschlitzen für neue Lüftungskanäle wurde z.B. eine eingemauerte bauzeitliche Stütze gefunden. Architektonisch wurde durch die Verlegung des Zugangs zum Ratssaal reagiert, um die wiederentdeckte Stütze wirkungsvoll zur Geltung zu bringen und die Zugänglichkeit des Saales zu verbessern.
Fehlende Abtrennungen der Nutzungseinheiten zum zentralen Treppenhaus wurden mit filigranen Brandschutzelementen (Holz-Glas-Konstruktion) ergänzt. Die gesamte Elektroinstallation sowie das EDV-Netz wurden ausgetauscht, neue Brandabschottungen durch Wände und Decken hergestellt. Das bestehende Einrohrsystem der Heizung wurde ausgetauscht und raumbezogene Regelungstechnik integriert. Die Lüftungsanlage für Ratssaal, Trauzimmer und Öhrn war irreparabel beschädigt und wurde neu sensibel in den historischen baulichen Kontext integriert.
Im gesamten Gebäude wurden der Trittschallschutz, aber auch raumakustische Maßnahmen in Form von absorbierenden Oberflächen stets unter Berücksichtigung des historischen Kontextes verbessert. Die energetische Ertüchtigung umfasste zusätzliche Dämmschichten in der obersten Geschossdecke bzw. am Fußboden gegen Außenluft sowie der Einbau von wärmetechnisch verbesserten Fensterkonstruktionen bzw. der Aufrüstung vorhandener historischer Fensterelemente (Sonderisoliergläser).
Der CO2-Ausstoß des Altbaus reduziert sich durch diese energetischen Maßnahmen und die Modernisierung der Technik bis zu 60 %. Das neue Blockheizkraftwerk versorgt neben dem Rathaus auch die Nachbarbebauung mit Wärme.
Moderne Dienstleistungen für die Bürgerschaft bietet das sanierte Tübinger Rathaus in einem spannenden Kontext historischer Räume und moderner Architekturergänzung an. Unsichtbar bleiben die weitreichenden Eingriffe in die historische Bausubstanz als Folge der vorgefundenen technischen und statischen Unzulänglichkeiten durch die aufwändig entwickelten sensiblen neuen Lösungen.
Am sichtbarsten sind die Eingriffe im Erdgeschoss: Statt kleinteiliger Technikräume lädt das großzügige transparente Bürgerforum heute zur Kommunikation zwischen Bürgerschaft und Verwaltung ein. Das übergeordnete Ziel, die wertvolle, historische Bausubstanz mit luftigen und transparenten Räumlichkeiten zu ergänzen, spiegelt sich somit im Bürgerforum auf besondere Weise wider.
Fassadendetail mit dem wiederhergestellten Arkadengang

Fassadendetail mit dem wiederhergestellten Arkadengang

Querschnitt durch das Rathaus am Markt

Querschnitt durch das Rathaus am Markt

Das Foyer im Erdgeschoß mit vorgelagertem Arkadengang zum Marktplatz hin

Das Foyer im Erdgeschoß mit vorgelagertem Arkadengang zum Marktplatz hin

Das neue Bürgeforum im Erdgeschoss, befreit von technischen Einbauten und gewachsenen Raumunterteilungen

Das neue Bürgeforum im Erdgeschoss, befreit von technischen Einbauten und gewachsenen Raumunterteilungen

Eines der vier Ziffernblätter mit dem zentralen Uhrwerk im Dach

Eines der vier Ziffernblätter mit dem zentralen Uhrwerk im Dach

Der Ratssaal im 1. Obergeschoß, noch ohne Möblierung

Der Ratssaal im 1. Obergeschoß, noch ohne Möblierung

Der Ratssaal möbliert für die Ratssitzungen

Der Ratssaal möbliert für die Ratssitzungen

Der Ratssaal im 1. Obergeschoss

Der Ratssaal im 1. Obergeschoss

Ein moderner Eingriff im Treppenhaus

Ein moderner Eingriff im Treppenhaus

Das heutige Trauzimmer im 2. Obergeschoß, bauzeitlich die Große kommunale Gerichtstube und anschließender Nutzung als kleiner Sitzungssaal

Das heutige Trauzimmer im 2. Obergeschoß, bauzeitlich die Große kommunale Gerichtstube und anschließender Nutzung als kleiner Sitzungssaal

Detail der aufgefrischten Bemalung im Trauzimmer

Detail der aufgefrischten Bemalung im Trauzimmer

Der Öhrn im 2. Obergeschoss mit den Gerechtigkeitsbildern. Er wurde historisch wiederhergestellt, früher diente der Öhrn als Empfangssaal für die beiden kommunalen Gerichtsstuben

Der Öhrn im 2. Obergeschoss mit den Gerechtigkeitsbildern. Er wurde historisch wiederhergestellt, früher diente der Öhrn als Empfangssaal für die beiden kommunalen Gerichtsstuben

Ein rekonstruierter Flur in der Farbfassung von 1907

Ein rekonstruierter Flur in der Farbfassung von 1907

Der wiederhergestellte Hofgerichtssaal im
3. Obergeschoß nach Entfernen der Trennwände für spätere Büroeinbauten

Der wiederhergestellte Hofgerichtssaal im 3. Obergeschoß nach Entfernen der Trennwände für spätere Büroeinbauten

Die Abhängung für die Decke des Hofgerichtssaales im Dach mit der Lastableitung auf die Außenwände

Die Abhängung für die Decke des Hofgerichtssaales im Dach mit der Lastableitung auf die Außenwände

Historische Ansicht aus den 50-60 er Jahren

Historische Ansicht aus den 50-60 er Jahren