Als die Bundesstiftung Baukultur im Juni 2020 ihren neuen Baukultur-Bericht präsentierte, war dieser so aktuell wie kaum ein Bericht zuvor. Mit dem Leitmotiv "Menschen prägen Räume – Räume prägen Menschen" verlieh er der durch die Pandemie angetriebenen Diskussion um die Nutzung von Freiräumen zusätzlichen Treibstoff. Ihre Expertise in den Bericht eingebracht hat auch die Landschaftsarchitektin Andrea Gebhard. Die ehemalige Vorsitzende des Bund Deutscher Landschaftsarchitekten ist ehrenamtlich Vorsitzende des Beirats der Bundesstiftung Baukultur. Sie skizziert im Gespräch mit unserer Redaktion, welche Punkte bei der Freiraumentwicklung angegangen werden müssen, und erklärt, wieso sich Architekt*innen gerade jetzt ehrenamtlich engagieren sollten.

competitionline: Frau Gebhard, Ihr Büro, mahl gebhard konzepte, ist im diesjährigen Ranking um satte 31 Plätze bis auf Rang zwölf hochgeschossen – woran liegt das?

Andrea Gebhard: Wir haben an mehreren Wettbewerben teilgenommen. Unser Team wurde im vergangenen Jahr aufgestockt, und auch mein Mann und ich haben uns ein bisschen mehr Zeit für die Mitarbeit im Wettbewerbsteam freigeschaufelt. Schon seit meiner Zeit in der Verwaltung sind Wettbewerbe für mich ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit Ich bin seit 36 Jahren Landschaftsarchitektin und glaube manchmal zu wissen, dass es Zeiten gibt, da trifft man den Zeitgeist. Oder es gibt Phasen, in denen man Pech hat und nichts gewinnt und trotzdem nicht verzweifeln darf.

Auch in meiner Tätigkeit als Preisrichterin habe ich gerade eine gute Zeit, da die Arbeiten, die mich überzeugen, in der Preisgruppe landen. Noch vor ein paar Jahren hatte ich nicht so viel Freude daran, weil ich fand, dass immer Kompromisse gewinnen. Ich bevorzuge Lösungen, die ein bisschen sperrig sind und wirklich kreativ mit den Fragestellungen umgehen.

Kommen wir zu Ihrem Fachgebiet: Landschaft und Freiraum. Wie hat sich deren Stellenwert in der Corona-Zeit verändert?

Langsam wird jede*m Politiker*in klar, wie wichtig der öffentliche Raum ist. Gerade in der Pandemie haben wir gesehen, wie gut es uns tut, uns in öffentlichen Räumen zu treffen. Und wenn das nicht geht, weil wir nicht genug Flächen haben, vermissen wir es schmerzlich. Corona und die Wertschätzung von freien Landschaften muss man in Korrelation denken. Die Pandemie verändert die Sichtweise unserer Gesellschaft auf Freiflächen und die Akzeptanz für diese enorm. Diesen Boost müssen wir nutzen.

Vita

Andrea Gebhard hat Geographie, Soziologie, Landschaftsentwicklung und Landschaftsarchitektur in Berlin, Hannover und Marburg studiert. 1984 begann sie ihre Karriere in zwei Architekturbüros, bevor sie im Planungsreferat der Landeshauptstadt München die Leitung der Abteilung Grünplanung übernahm. 2006 gründete sie das Büro gebhard-konzepte in München. 2007 wurde sie als erste Frau zur Präsidentin des BDLA gewählt. Sie ist Vorsitzende der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) und Vorsitzende des Beirats der Bundesstiftung Baukultur. Für ihre Verdienste und ihr ehrenamtliches Engagement erhielt sie 2015 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Ist das denn wirklich ein Corona-Effekt oder hat diese Entwicklung nicht schon ein, zwei Jahre früher eingesetzt etwa durch Klimabewegungen wie Fridays For Future?

Die Frage, wie viel Fläche wir in Städten begrünen sollten, hat auf jeden Fall schon die Klimabewegung vor Corona in den Fokus gerückt. Aber die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig Grünflächen für unsere Erholung sind. Ich komme gerade aus einer Diskussion in einer Kleinstadt. Diese möchte den öffentlichen Raum stärken und sucht nach Wegen. Dort fragt man jetzt nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren: “Ist das wirklich notwendig oder können wir den Park nicht kleiner machen?” Grünflächen als Teil der Stadt sind gesetzt. Das ist definitiv auch eine Folge der Pandemie.

Für mich stehen solche Fragen seit 36 Jahren oben auf der Tagesordnung. Ich habe schon meine Diplomarbeit über Stadtklima in Hannover geschrieben. Nach der Uni bekam ich die Chance, in der Planungsverwaltung zu arbeiten, und konnte eine eigene Abteilung aufbauen. Die anschließende Tätigkeit als Geschäftsführerin einer Bundesgartenschau hat es mir ermöglicht, die nachhaltige Entwicklung eines neuen Stadtteils zu thematisieren.

Dafür wurden wir damals belächelt, weil es zu intellektuell sei. Aber die Fragen, die wir an das Projekt gestellt haben, brennen uns heute unter den Fingernägeln – und das eigentlich nicht erst seit Fridays For Future. Großes Kompliment an die Truppe! Toll, dass jetzt die Politik auch die Notwendigkeit sieht und die Dinge anpackt.

Was genau muss angepackt werden?

Man erkennt langsam, dass die europäische Stadt eine hohe Dichte hat und dass diese Dichte auch notwendig ist. Der nächste Schritt ist zu fragen: “Wie schaffe ich es, wenn ich Städte verdichte, genug Freiräume zu schaffen?” Dazu ist ein Freiraumentwicklungskonzept notwendig, das gesetzlich verankert werden sollte.

Nehmen wir München als Beispiel: Dort konnte ich damals als Leiterin der Abteilung Grünplanung eine Freiflächengestaltungssatzung auf den Weg bringen. Seit 1995 muss zu jedem Bauantrag ab drei Wohneinheiten ein solcher Plan eingereicht werden.

Freiflächen-Entwicklungskonzepte greifen natürlich auch in einem größeren Maßstab – in ganzen Stadtquartieren. Untersucht werden muss: Wo sind Verdichtungsmöglichkeiten beziehungsweise wo sind Möglichkeiten, um neue Freiräume zu entwickeln, die auch einen ökologischen Beitrag leisten?

Siegerentwurf von Felix + Jonas Architekten und mahl gebhard konzepte im Wettbewerb um Urbanes Leben Am Papierbach in Landsberg am Lech.

Siegerentwurf von Felix + Jonas Architekten und mahl gebhard konzepte im Wettbewerb um Urbanes Leben Am Papierbach in Landsberg am Lech.

Wie kann man den befeuern?

Indem man viele Gespräche führt. Wir Architekt*innen müssen Verantwortung tragen. Wir müssen Ideen entwickeln und diese gemeinsam als Berufsgruppe voranbringen! Denn gerade unser Berufsstand hat eine große Freiheit, Gedanken zu entwickeln, die nicht monetär verankert sind. Und solche Visionen stoßen gerade jetzt auf offene Ohren. Im Wahljahr sollten wir uns umso mehr für unsere Belange starkmachen. Es lohnt sich, mit anzupacken!

Gute Ideen entwickelt man häufig, indem man das, was an anderen Stellen gut läuft, zusammenführt. Wo finden wir denn im Ausland gute Ansätze, um der Klimakrise planerisch zu begegnen?

Nehmen wir die skandinavischen Länder. Allen voran Dänemark. Die gehen konsequent den Weg der Fahrradstädte, in denen der Autoverkehr zurückgedrängt wird und Platz für neue Freiräume entsteht. Oder auch Hotspots, an denen viele vom Fahrrad in die U-Bahn wechseln. Da entstehen große Plätze mit fantastischen Grünanlagen.

"Wir Architekt*innen müssen Verantwortung tragen. Denn gerade unser Berufsstand hat eine große Freiheit, Gedanken zu entwickeln, die nicht monetär verankert sind."
Andrea Gebhard

Oder die USA. Die haben inzwischen hervorragende Strukturen für nachhaltige Flächenentwicklung. Der Hotspot dafür ist natürlich New York. In Deutschland können wir noch viel davon lernen, wie die mit öffentlichem Raum umgehen. Seit Jan Gehl sie beraten hat, ist die Entwicklung phänomenal.

Was bringt die Zukunft? Wird Freiraum weiter auf der Agenda stehen oder wird das jetzige Hoch wieder abflachen?

Das Thema wird ganz sicher nicht verschwinden. Ich bin keine Wahrsagerin, aber das ist ja jetzt nicht nur der Corona-Boost, der die Freiflächen in den Fokus rückt. Selbst wenn die Pandemie in ein, zwei Jahren vorbei sein sollte: Die Klimakrise sitzt uns viel stärker im Nacken. Sie ist sehr gefährlich für unsere Spezies, denn Dürren und Starkregen bekommen wir nicht so einfach in den Griff. Daher müssen wir uns fragen, wie das Thema der Biennale "How will we live together" umzusetzen ist.

Frau Gebhard, vielen Dank für das Gespräch.