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Offener Wettbewerb | 07/2020

Internationaler Städtebaulicher Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070

Landschaft der Unterschiede

4. Preis

Preisgeld: 24.000 EUR

TSPA

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

fabulism

Architektur

nuko

Landschaftsarchitektur

Melissa Gómez - Beraterin für nachhaltige Mobilität und urbane Innovation

Sachverständigenwesen

Marcus Andreas - Berater für Nachhaltigkeit

Sachverständigenwesen

Florian Strenge - Berater für Urbanismus & Design Prozesse

Sachverständigenwesen

Erläuterungstext

Das Projekt wurde im Rahmen des Internationalen Städtebaulichen Ideenwettbewerb für die Zukunft von Berlin-Brandenburg 2070 zum 100-jährigen Jubiläum des Großraums Berlin entwickelt. Die Wettbewerbsjury hat es, unter den 55 International besten Einsendungen, mit dem 4.Preis ausgezeichnet.

Es ist vergebens, die politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Entwicklungen der nächsten 50 Jahre vorherzusagen. Um dies zu erkennen, genügt ein Blick in die Vergangenheit.

Es gibt jedoch langfristige Herausforderungen, von denen wir wissen, dass sie weit über 2070 hinaus reichen werden. Wir wissen, dass sich das Klima verändern wird und dass Brandenburg im Schnitt wärmer und trockener werden wird. Wir wissen, dass dies Folgen für Nahrungsmittelproduktion und Biodiversität haben wird und dass sich Strukturen in Industrie, Land-, und Energiewirtschaft anpassen werden müssen. Auch Landschafts-, Wasser- und Biosysteme werden sich wandeln. Diese Transformation wird Jahrzehnte erfordern. Sie kann auf den Stärken Berlin-Brandenburgs Landschaft aufbauen: Die Seen und Flüsse als Rückgrat einer Kulturlandschaft, die sich durch Heterogenität und Polyzentralität auszeichnet.

Landschaften der Unterschiede schlägt vor, einen langfristigen Transformationsprozess dieser Systeme anzustoßen, um eine widerstandsfähige und produktive Zukunft Brandenburgs und Berlins sicherzustellen. Diese Transformation schafft den Rahmen, in denen sich das Leben der Bürger in seinen gesellschaftlichen und ökonomischen Facetten frei, und zukunftssicher entfalten kann. Beginnend mit den Ökosystemen Brandenburgs bildet sie die Grundlage für systemischen und nachhaltigen Wandel. Dieser Transformationsprozess schlägt sich in vier Landschaften nieder.

Wasserlandschaft
Die Wasserlandschaft prägt und verbindet Brandenburg und Berlin in Hinsicht auf Industrie, Biodiversität, Landwirtschaft, Energie und Verkehr, sowie was den Charakter der Kulturlandschaft, ihrer Seen und Flüsse betrifft.

Gleichzeitig weist das Einzugsgebiet der Elbe, in dem Brandenburg weitgehend liegt, die zweitgeringste Wasserverfügbarkeit pro Kopf in Europa auf. Der Klimawandel wird dies verschärfen: Durch verringerte Niederschläge und erhöhte Verdunstung im Sommer wird Brandenburg noch trockener werden, unterbrochen von vermehrt auftretenden Starkregenereignissen, was wiederum Gewässer und Böden belastet.

Daher denken wir die Struktur Berlin-Brandenburgs als Netz von Wasserkreisläufen und rücken das tägliche Leben mit dem Wasser in den Vordergrund. Ein System von Grünkorridoren geschützter Lebensräume für die Tier- und Pflanzenwelt erhöht die Biodiversität. Es werden Gewässer und Moorlandschaft noch weitergehender geschützt; monokulturelle großflächige Landwirtschaftsflächen zu klimafesten Landwirtschaftsbetrieben gewandelt. Dies sind die Elemente einer Kreislaufwirtschaft für eine nachhaltige, respektvolle und profitable Nutzung des Landes.

Stadtlandschaft
Berlins Hauptverkehrsstränge haben die sternförmige Siedlungsstruktur Berlins bedingt, was Freiräume erhalten und durch die Verdichtung entlang der ÖPNV-Achsen dem Verkehrskollaps vorgebeugt hat. Doch der Siedlungsstern allein wird dem vielfältigen Charakter der Berliner und Brandenburger Region nicht gerecht. Es braucht eine flexiblere und vielfältigere Struktur.

Daher durchdringt und stützt das Netz der Wasserlandschaft den Siedlungsstern des 19. und 20. Jahrhunderts. Es entstehen Schnittpunkte, an denen neue starke Zentren entstehen, die zu Netzen zusammenwachsen: Berlin und Brandenburg, Natur und Stadt werden zu einer Landschaft der Unterschiede natürlicher und menschengemachter Räume verknüpft. Der Zersiedelung wird ein Ende gemacht, und die bestehende Siedlungsstruktur gezielt an existierenden und neuen Knotenpunkten verdichtet und transformiert: Dies sind die Zentren von morgen – Keine Außenstädte, sondern Mittelpunkte mit einzigartiger Lebensqualität, urbaner Lebendigkeit, in der Natur und am Wasser.

Energielandschaft
Die Dezentralisierung findet auch energetisch statt: Energie wird effizient aus Wind, Sonne, und Wasser gewonnen. Sonnenkollektoren und Windturbinen werden gezielt in die Landschaft integriert, wo Windgeschwindigkeit, Bodenbeschaffenheit, Topografie und Siedlungsstruktur dies am sinnvollsten erscheinen lassen, nicht mehr funktionale Industriegebiete dienen der dezentralen Speicherung der Energie als Wasserstoff, Wasserwärme oder in Pumpspeichern.

Kurze Wege vermeiden Transportverluste, Dezentralität erhöht die Resilienz, Überschüsse werden ins Netz eingespeist, Öl und Gas spielen keine Rolle mehr, CO2-Neutralität ist Normalität. Bürgerstrom und Energiegemeinschaften auf Grundlage eines intelligenten Netzsystems machen Energieproduktion allen zugänglich.

Mobilitätslandschaft
Die heutige Durchschnittsgeschwindigkeit motorisierten Verkehrs in Berlin liegt bei 20km/h. Das schafft man auch mit dem (E-)Fahrrad. Berliner Haushalte besitzen im Schnitt weniger Kraftfahrzeuge als in anderen deutschen Städten. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die leeren Straßen der Coronakrise haben eine ahnen lassen, was sein kann: Straßen, die Spiel und Sport Raum geben, mehr Ruhe.

Aber: Die technische Entwicklung ist unklar. Wir wissen nicht, welche Lösungen sich durchsetzen werden. Was klar ist, ist dass sich Mobilität wandeln wird, dass Auto und Individualverkehr nicht mehr die Hauptrolle spielen werden, dass autonomes Fahren zunehmen wird.

Daher schaffen wir die Voraussetzungen für eine nachhaltigere Mobilität. Das heißt, das Radwegenetz weiter auszubauen und auch für schnelle E-Mobilität zu eignen, Raum für Intermodalitätspunkte zum Umsteigen zwischen Verkehrsmodi (gemeinschaftlich, öffentlich, individuell) zu schaffen, den motorisierten Individualverkehr einzuschränken, Schwerverkehr gezielt auf Transportachsen und Wasserwege zu leiten und dadurch gewonnene Flächen als öffentliche Räume umzunutzen, sowie Straßenräume als Shared Surfaces für verschiedene Mobilitätsmodi der Zukunft zu ertüchtigen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser legen ihren Schwerpunkt auf den Strukturwandel und die Vernetzung der Wasser‐, Land‐ und Energiewirtschaft sowie die Vernetzung von Verkehrssystemen. Dieser Gedanke, die Lösung der gestellten Aufgabe primär im Umgang mit Wasser zu sehen, wird von der Jury gewürdigt. Denn vor allem der Klimawandel wird Berlin und Brandenburg dazu zwingen, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Deshalb sucht die Arbeit nicht in erster Linie durch Neubauten der Aufgabe gerecht zu werden, sondern in einem den Landschaftsraum und die Grünräume der Stadt betreffenden Ansatz.

Die Verfasser meinen, dass der Siedlungsstern allein dem vielfältigen Charakter der Berliner und Brandenburger Region nicht gerecht wird, da die Gefahr einer Zersiedlung der Ränder gesehen wird. Deshalb wollen sie ein Netz von Wasserwegen und ‐landschaften mit dem Siedlungsstern eng verknüpfen. So verfolgen sie den positiven Gedanken, an den Schnittpunkten der beiden Systeme Zentren entstehen zu lassen.

Am Beispiel von Oranienburg zeigt die Arbeit, wie neue Kanäle durch die bestehenden Quartiere geführt werden und damit auch ein zusätzliches Erschließungs‐ bzw. Bewässerungssystem entstehen kann. Unter klimatechnischen Gesichtspunkten ist diese Strategie gut gewählt und verhilft dem Quartier auch zu einer wesentlichen atmosphärischen Verbesserung. Im südlichen Teil soll ein neuer Bezirk entstehen, in den unterschiedliche Wasserflächen eingebracht werden. Kritisch beurteilt wird die vorgeschlagene Gebäudestruktur, die nur bedingt zu öffentlich benutzbaren Räumen führt.

Mit dem zweiten Vorschlag, der mit der Bezeichnung „Kreuzberger Konfetti“ überschrieben ist, wird die Strategie im Umgang mit den Hochbauten klarer. Den Verfassern geht es hier lediglich um die Eingriffe als Ergänzungen einzelner Gebäude im Sinne einer Konturerweiterung von Gebäudetypen. Dies wird von der Jury positiv interpretiert, da eine zusätzliche Versiegelung nur bedingt stattfindet. Weniger positiv beurteilt wird der zunächst gut gemeinte Vorschlag, die Lennésche Wasseranlage bis unmittelbar an den Landwehrkanal fortzuführen. Lennés Gedanke einer linearen stadträumlichen Behandlung wird dabei durch scheinbar romantisierende, formale Veränderungen des Wasserlaufs konterkariert.

Mit dem dritten Schwerpunkt zeigt die Arbeit, wie in Brandenburg die Anlage eines Regionalparks gelingen kann. Auch hier beschränkt sich die Arbeit im Wesentlichen auf den Umgang mit Wasserflächen, die den Landschaftsraum prägen. Wie hochbauliche Verdichtungen oder Quartiere entstehen können, wird von den Verfassern nicht formuliert. Auch der Vorschlag kleiner Energiegemeinden beruht nur auf einer pauschalen Darstellung und zeigt nicht, was tatsächlich räumlich entstehen könnte.

Insgesamt handelt es sich um einen sehr guten Denkansatz im Umgang mit der Klimaproblematik und dem damit verbundenen Umgang mit Wasser in der Stadt und der Region. Die Hypothese, die Seen und Flüsse als Rückgrat einer Kulturlandschaft zum Thema zu machen, gelingt den Verfassern auf eindrückliche Weise.