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Offener Wettbewerb | 09/2021

Städtebauliche Entwicklung Gaswerkareal und Brückenkopf West im neuen Berner Aarequartier (CH)

Perspektive Brückenkopf

Perspektive Brückenkopf

5. Rang / 3. Preis

Preisgeld: 25.000 CHF

yellow z urbanism architecture

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

Westpol Landschaftsarchitekten GmbH

Landschaftsarchitektur

Schneiter Verkehrsplanung AG

Verkehrsplanung

Sofa*p | Soziologie für Architektur und Planung

sonstige Fachplanung, Stadtforschung

Grolimund & Partner AG

Immissionsschutzplanung

Beurteilung durch das Preisgericht

Städtebauliche Beurteilung
Das Projekt sticht heraus mit einem doppelten Akzent: Les Tours Bijou, zwei Türme in Zwillingsform markieren den Brückenkopf West der Monbijoubrücke sehr selbst bewusst. Im Modell wird deutlich, dass die Türme sich mit der Verdoppelung gegenseitig stützen, aber auch inhaltlich konkurrenzieren. Das Hochhaus auf dem Gaswerkareal steht dem Zwilling am Brückenkopf vor Son ne und Aussicht. Konsequenterweise schlägt das Projekt vor, auf der Schwemmebene die marktorientierten Wohnungen zu realisieren und die preisgünstigen im Hochhaus am Brückenkopf. Die Konzentration der Wohnnutzung in zwei Türmen schafft auf der Schwemmebene viel Platz. Der Raum unter der Brücke bleibt unverbaut als «Korso»-Abfolge von verschiedenen Veranstaltungsplätzen und Sportbereichen und schafft so eine auch räumlich attraktive Verbindung bis zur Aare. Die an den Korso logisch angelagerten Sporthallen schirmen den Wohnbereich gleichzeitig ge gen die lärmige Aktivitätszone ab. Davon proftieren allerdings die vielen Turmwohnungen an der ebenfalls lärm belasteten Brücke nicht. Neben dem Hochhaus sind drei weitere Gebäude um einen ruhigen Hof – «Grüne Mitte» angeordnet, alle mit Atelier-/Gewerbenutzung im Erdgeschoss. Ein weiterer Grünbereich «Urban Gardening» schafft Distanz zum Gaskessel und Umraum für dessen Zugang auf der Nordseite. Das hier propagierte «dicht belebte Zentrum» ist im Plan nicht nachvollziehbar. Zwischen den Gaswerk-Wohnbauten und dem Park verläuft bis zum Gaskessel ein grosszügiger Boulevard. Er übernimmt die Rolle als parallel zur Aare geführten Flaniermeile, die alle Teilräume des Gaswerkareals verbindet. Weiter nach Süden reduziert sich der Boulevard auf einen Weg am Waldrand, der die neue Wohnbebauung ans Areal anbindet. Die Bauten im Süden sind als zusammenhängende Grossform gestaltet, was einen maxi malen Schutz des Baumbestands und gleichzeitig eine preisgünstige Bauweise ermöglicht.

Aussenraum
Die kompakte Setzung der Bauvolumen erzeugt einen grosszügigen, zusammenhängenden Freiraum mit einer Vielzahl an informellen Orten und Aneignungsfächen. Diese Orte, inkl. die Gemeinschaftsgärten, sind gut integriert und erlauben ein hohes Mass an dynamischen, veränderbaren Flächen. Die wohnbezogenen Freiräume sind gut proportioniert und sehr gut in das Gesamtare al integriert. Die Freiräume um die Ryff-Fabrik wirken gleichmässig verteilt. Vermisst wird dort ein ortsspezifischer Ausdruck.

Naturwerte
Hier fällt besonders der grosszügige, frei gehaltene Mittelteil zwischen den Bebauungsstrukturen im Süd- und Nordbereich auf. Zudem gibt die Wegführung dem Wald und dem Waldvorland viel Raum. Die Bauten sind günstig und mit genügendem Abstand gesetzt, sodass in den Zwischenflächen sowohl eine Aneignung als auch eine naturnahe Gestaltung möglich wird. Dieses Projekt bildet eine gute Antwort auf die Erhaltung und Kompensation der vorhandenen Naturwerte und zeigt eindrücklich die Absicht, den Charakter des Ortes erhalten zu wollen.

Sozialraumplanung
Die Verfasser/ innen entwickeln zwei neue Teilquartiere mit je eigenständiger Identität. Der Raum unter der Monbijoubrücke bleibt von Verbauung frei und lädt zu Begegnung und allerlei sportlichen Aktivitäten ein. Die Turnhallen und das Beachcenter südlich der Monbijoubrücke sind sinnvolle funktionelle Ergänzungen, ein direkter Zugang zur Beachhalle und zum Boulevard schafft eine neue horizontale Anbindung und einfache erste Orientierung auf der Schwemmebene. Dieser vom Entwurfsteam als «Brückenkorso» bezeichnete Raum stellt ausserdem die wertvolle und direkte Verbindung für den Langsamverkehr zum Aareufer sowie ins neue, angrenzende Quartier her.
Die historische Ryff-Fabrik wird nachverdichtet; anknüpfend an die grossen Volumina am Brückenkopf West platzieren die Verfassenden hier ein Hochhaus, das auf der Schwemmebene an der Sandrainstrasse in unmittelbarer Nähe zur Monbijoubrücke mit einem zweiten Hochhaus ein Vis-à-Vis erhält (Les Tours Bijou). Die zwei Hochhäuser sind aus sozialplanerischer Sicht kritisch zu beurteilen, nicht nur wegen ihrer Höhe und Nähe zueinander, auch bezüglich des Ermöglichens von Aneignung und Nachbarschaften und der Herausforderung, auch preisgünstiges Wohnen anbieten zu können. Ihre Setzung lässt zudem Fragen der Aufenthaltsqualität der öffentlichen Flächen auf der Schwemmebene offen. Die öffentlichen Nutzungen und Gastro-Angebote beim Brückenkopf und unter der Monbijoubrücke dürften aufgrund der Verschattung und der Wahrnehmung der hohen Türme schwierig sein. Durch die am Brückenkopf konzentrierte sehr hohe Dichte, können die übrigen im Programm geforderten Flächen für Wohnen und Gewerbe in niedrigeren Volumen nach gewiesen werden. Aufgrund des geringeren Massstabssprungs gelingt so, die Bestandsbauten auch hinsichtlich ihrer Volumina einzubinden. Im südlichen Teilperimeter sieht der Entwurf ein reines Wohnquartier mit zweiseitig orientierten, massiven Zeilenbauten vor. Richtung des Boulevards im Osten bieten sie gemeinschaftliche Nutzungen, nach Westen zur Hangkante ist eine bewusst ruhige Wohnlage mit «familiärem Wohnumfeld» prägend. Es stellt sich aus sozialräumlicher Perspektive aber die Frage, wie hier eine eigene, gemeinsame Identität gefördert werden kann. Ebenso offen bleibt, wer diese Räume mitgestalten, sich aneignen und gemeinschaftlich nutzen kann und wie öffentlich die Durchwegung ist. Die Qualitäten für die Bewohnenden sind im Entwurf noch nicht ablesbar. Zusammenfassend zeigt der Entwurf sozialräumlich eine ansprechende Qualität. Er fördert Alltagsbegegnungen und erlaubt Besucher/ innen wie Bewohner/ innen und Gewerbetreibenden eine einfache Orientierung, lässt auch auf den Dächern vielfältige Freiräume zur Aneignung und bietet mit grosszügigen Allmend- und Urban-Gardening-Arealen auch konkrete Nutzungen an. Das heutige Gasbahntrassee wird zum lebendigen «Boulevard», der als zentrale Erschliessungsachse für den Langsamverkehr Bedeutung erhält und der die Teilräume der Schwemmebene miteinander verbindet. Besonders positiv beurteilt die Jury – auch im Vergleich mit anderen Wettbewerbsprojekten – den vorgeschlagenen, integrativen Ansatz zur An- und Einbindung des Gaskessels.

Gaskessel
Dem Entwurfsteam gelingt es, den Gaskessel und seinen unmittelbaren Aussenraum mit der nördlichen Bebauungsstruktur zu verfechten, ohne dass die Gebäudevolumen zu nahe an das Jugendkulturzentrum liegen. Der Freiraum rund um den Gaskessel bietet die Möglichkeit einer doppelseitigen Ausrichtung, der neue Hauptzugang wird im Projekt nordseitig angelegt. Die zurückhaltende Anordnung der Gebäude gegenüber des Gaskessels ermöglicht diesem sogar eine allfällige zukünftige Volumenerweiterung. Die Besuchenden werden via zwei Hauptwege zu und weg vom Gaskessel geführt: einmal über den Boulevard auf Seite Zirkusplatz auf den Veranstaltungsplatz unter der Monbijoubrücke. Dort führen am Brückenkopf vertikale Erschliessungen auf das Niveau der Brücke. Der Boulevard als Hauptachse und die Querachse nördlich des Gaskessels werden beide als 24/7-Raum definiert und demensprechend wird davon ausgegangen, dass dort eine hohe Lärmbelastung entsteht. Naheliegender wird aber sein, dass sich Besuchende von der Vertikalerschliessung am Brückenkopf auf direktem Weg über die Sandrainstrasse zum Gaskessel bewegen und sich der Lärm entlang der Sandrainstrasse ausbreitet. Die neue Buswendeschlaufe sollte optimalerweise dort liegen, wo der 24/7-Raum auf die Sandrainstrasse trifft, und nicht vom Gaskessel durch den Grünraum, dem «Kesselpark» abgetrennt sein. Parkplätze und Anlieferung sind rund um den Gaskessel angeordnet. Diese und vor allem auch die Zufahrt für die Blaulichtorganisationen müssen optimiert werden. Der Aussenraum im Süden des Gaskessels ist in ähnlicher Qualität wie bisher vorhanden, es wird jedoch eine zu kleine Aneignungsfläche definiert. Die Urban-Gardening-Flächen bieten Synergien und einen Anknüpfungspunkt zwischen Quartier und Jugendkulturzentrum. Der grosse Anteil Grünraum rund um den Gaskessel bietet zudem noch viel mehr Flächen, die sich als Kulturbiotop eignen würden, als dies vom Entwurfsteam bereits vorgesehen wurde.

Fazit
Les Tours Bijou, das wohl allzu grossstädtische Motiv der Zwillingstürme, ermöglicht viel Spielraum im übrigen Gaswerkareal; in der gewählten Anordnung zerfällt das neue Quartier allerdings tendenziell in drei inselartige Einzelteile ohne überzeugenden Zusammenhalt.
Lageplan gesamt und Ausschnitt Gaswerkquartier

Lageplan gesamt und Ausschnitt Gaswerkquartier

Schwarzplan

Schwarzplan

Nutzungsverteilung

Nutzungsverteilung

Axonometrien Teilräume

Axonometrien Teilräume

Geländeschnitte

Geländeschnitte