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Award / Auszeichnung | 04/2022

Otto-Borst-Preis 2022

Hafenumfeld Bad Karlshafen

DE-34385 Bad Karlshafen

Sonderpreis / Kategorie "Freiraumgestaltung"

GTL Landschaftsarchitektur Triebswetter, Mauer, Bruns Partner mbB

Landschaftsarchitektur

Oppermann GmbH

Bauingenieurwesen

Ulrike Brandi Licht

Lichtplanung

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Landschaft und Freiraum

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 03/2020
    Fertigstellung: 12/2021

Projektbeschreibung

1699 wurde die barocke Planstadt mit dem heutigen Namen „Bad Karlshafen“ von Landgraf Carl von Hessen mit dem Ziel gegründet, zwischen Weser und Diemel eine Industrie- und Handelsstadt in Nordhessen zu etablieren. Im Herzen der Stadt liegt das Hafenbecken, welches seit dem 20. Jahrhundert nicht mehr als Hafen genutzt wurde und inkl. der Schleuse verfiel, da der Diemelkanal nie bis Kassel gebaut werden konnte. Der Hafen hat seine Funktion als Kern der barocken Altstadt verloren. In den vergangenen Jahren war das Hafenumfeld maßgeblich von ruhendem sowie Park-Such-Verkehr geprägt. Die Reaktivierung des Hafenbeckens begann mit der Wiederanbindung des Hafens durch den Neubau der Schleuse an die Weser und mündet in die Neugestaltung des Hafenumfelds.
K O N Z E P T. Das Ziel des Entwurfes ist es, das Hafenbecken inkl. umgebendem Hafenplatz als Herz der barocken Altstadt in seiner historischen Bedeutung und identitätsstiftenden Wirkung zu reaktivieren. Dabei steht v.a. die historische Nutzung als Marktplatz und Treffpunkt im Vordergrund. Die Gestaltung der Freiflächen fügt sich harmonisch in das historische Gebäudeensemble ein und erhöht zugleich die Aufenthaltsqualität der Gesamtanlage durch großzügige und barrierefreie Räume. Die gesamte Formensprache ist dabei durch Symmetrie an den Barock angelehnt. Dennoch werden die neuen funktionalen Anforderungen an den Hafenbetrieb, an den ruhenden Verkehr sowie an eine barrierefreie Gestaltung, an den Klimaschutz und an die Aufenthaltsqualitäten für Gäste und Anwohner berücksichtigt. Um das historische Stadtzentrum zu reaktivieren, wurden die Verkehrsanlagen und Parkflächen massiv reduziert und auf einen in der Nähe befindlichen Parkplatz verlegt. Dadurch wird ein großzügiger Raum geschaffen, der in seiner Flächenaufteilung eine multifunktionale Nutzung zu lässt. Gegliedert wird dieser durch die bestehenden dachförmigen Linden und die symmetrische Ergänzung dieser auf der gegenüberliegenden Seite vor dem Rathaus. Dadurch werden auf beiden Seiten des Hafens zusammenhängende Plätze mit Aufenthaltsbereichen, Flächen für Gastronomie und Platz für Veranstaltungen geschaffen. Durch die Promenade entlang des Hafenbeckens wird dies erlebbar gemacht.
M A T E R I A L I T Ä T. Die Oberflächen des Hafenumfelds bestanden bereits vor dem Umbau aus Wesersandsteinplatten entlang der Gebäude und Segmentbogenpflaster in den Park- und Fahrflächen. Für die Kanalsanierung und die neue Flächenaufteilung wurden die Beläge werterhaltend aufgenommen und gereinigt. So wurden die Parkstreifen beispielsweise komplett aus vorhandenem roten Großsteinpflaster gebaut. Das vorhandene Kleinsteinpflaster 8/10 wurde mit neuem Material aus den nur 10 km entfernten Steinbrüchen in Wülmersen und Helmarshausen / Bad Karlshafen ergänzt. Die Mischung aus alten und neuen, sowie roten und grauem Wesersandstein wurde nach historischem Vorbild im Segmentbogen verlegt und ergibt ein harmonisches Bild. Zudem erzeugen die Platten aufgrund ihrer geflammten Oberfläche und per Hand bearbeiteten Kanten ein lebendigeres Bild und passen optische zu den vorhandenen Platten. Durch die Wiederverwendung des vorhandenen Materials wurde eine ressourcenschonende, kostengünstige und nachhaltige Methode gewählt, um das historische Umfeld zu sanieren. Die neuen Steine und Platten passen optisch sehr gut zum Bestand, ohne diesen zu imitieren. Da der Wesersandstein in Bad Karlshafen bereits seit Jahrhunderten verwendet wird, ist eine lange Haltbarkeit der neu hergestellten Oberflächen gesichert. Eine Besonderheit ist der verwendete schwedische Granit für die Borde und Treppenstufen aufgrund der höheren Festigkeit. Es wurde ein hellgrauer Stein mit roten Einschlüssen gewählt. Dieser passt optisch zum Weserstandstein und hebt sich gleichzeitig ab.
L I C H T. Die barocke Planstadt mit Innenstadthafen erhielt eine Effektbeleuchtung um wichtige Gebäude und die Treppenabgänge in der Hafenmauer mit einem dezenten Lichtschimmer in Szene zu setzen. Zusammen mit der neuen Straßenbeleuchtung ergibt sich ein harmonisches Bild in den Abendstunden.
Die Neugestaltung des Hafenumfelds in Bad Karlshafen reagiert auf bestehende und zukünftige Veränderungen. Die Innenstadt wird belebt und ein Ort für zukünftige Generationen. Die regionalen Natursteine werden recycelt, der Rad- und Fußverkehr gefördert und es wird behutsam mit der Historie, unter Beachtung moderner Bedürfnisse, umgegangen. Das Projekt ist ein gutes Beispiel für die nachhaltige Sanierung und Reaktivierung einer historischen Innenstadt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Bad Karlshafen gehört zu den wenigen nachmittelalterlichen, barocken Planstädten in Deutschland, und wurde 1699 durch den Landgrafen von Hessen für hugenottische Glaubensflüchtlinge symmetrisch um ein Hafenbecken als Mittelpunkt angelegt. Mit diesem Wasserbecken im Zentrum als zentraler öffentlicher Raum, der von einer Weserschleife unmittelbar nebenan den Zufluss erhält, steht die Stadt einzig da. Sie ist auch die einzige barocke Planstadt, die nicht explizit als Residenz- sondern als Wirtschafts- und Bürgerstadt angelegt wurde: In zentraler Randlage des Wasserplatzes befindet sich als städtebauliche Dominante das ehemalige Packhaus in Form des Corps de Logis eines Barockschlosses, heute das Rathaus der Stadt. Mit der Anlage der Stadt untrennbar verbunden war ein pharaonisches Raumplanungs- und merkantilistisches Wirtschaftsprojekt zur Anlage eines Kanals bis zur Lahn und in Richtung Rhein (Landgraf-Carl-Kanal), um den Weserzoll im landesfremden Hannoversch Münden zu umschiffen, wo die Weser eine Schleife außerhalb des Herrschaftsgebiets der Grafschaft zieht. Das zur Weser schleusenregulierte Hafenbecken und die Stadt sollten als Lade- und Umschlagplatz den Warentransport über den neuen Kanal ein- bzw. ausleiten. Die barocke Stadt wurde in drei Ausbauphasen bis Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend wie geplant errichtet, der Kanalbau kam nach drei Jahrzehnten und rund 20 km komplett fertiggestellter Infrastruktur zum Erliegen.  


Seit den 1930er Jahren war das Hafenbecken allerdings von der Weserzufahrt abgetrennt. Durch Bevölkerungsund Gästerückgänge kam es zu Leerständen und einer Abwertung dieses Bereiches. Auslöser der umfassenden Erneuerung war die dringend sanierungsbedürftige Hafenmauer. Daher hat die Stadt ein städtebauliches Gesamtkonzept erstellt, um durch eine Wiederanbindung des Hafens an die Weser, die denkmalgerechte Neugestaltung des gesamten Hafenumfeldes und Revitalisierungsmaßnahmen in der Barockstadt den denkmalgeschützten Stadtkern aufzuwerten. Die Schleusenbaumaßnahme wurde als „Nationales Projekt des Städtebaus“ durch Bund und Land hoch gefördert, die Hafenmauer durch das Land Hessen saniert und für das Flächendenkmal eine Fördermöglichkeit im Rahmen des Sanierungsprogramms „Städtebaulicher Denkmalschutz – Lebendige Zentren“ geschaffen. Der Hafen wurde mit einem gut eingefügten neuen Schleusenbauwerk zu einer Weser-Marina aktiviert, die auch auf dem Wasser mit Pontons Veranstaltungen ermöglicht. Der gesamte öffentliche Uferbereich und die anschließenden Straßen wurden sehr sensibel und materialgerecht wesersandsteinrot in Rot saniert und umgebaut, viele Häuser instandgesetzt. 


Die Disposition der barocken Anlage – mit ihren roten Stadtböden zu den pastellweißen Gebäuden ringsum den Wasserspiegel, in der Talschleife der Weser vor grünen Hängen – hat an sich schon etwas Phantastisches. Heute würde man sagen: instagrammables… So ließ sich die Kritik an dieser Maßnahme (hohe Kosten, Fällung der alten Bäume, technisch anmutendes Schleusenbauwerk) aushalten. Auch gab es Probleme mit einer Veralgung des Beckens. Dennoch ist es der Stadt gelungen, mit diesem städtebaulichen – in den Einzelbereichen sich ergänzenden Maßnahmen – einen traumhaften Ort wiederzuerwecken, eine sehr hohe Aufenthaltsqualität im Bereich des Hafenbeckens zu schaffen und die Attraktivität der Innenstadt und für den Fremdenverkehr (Bootsanleger, Flanierzonen, Marina usw.) zu steigern. Die Anstrengungen, die eine Stadt mit 4.000 Einwohnern dazu unternommen hat, zeugen von bemerkenswerter Verantwortung der Stadtpolitik. Insofern handelt es sich um einen außerordentlichen Beitrag zum Erhalt und zur Fortschreibung einer ungewöhnlichen Stadtpersönlichkeit, der eine positive Würdigung verdient hat. 

Lageplan

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