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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2022

Gesamterneuerung Gewerbliches Berufs- und Weiterbildungszentrum in St.Gallen (CH)

3. Rang / Ankauf

Preisgeld: 25.000 CHF

EM2N

Architektur

Balliana Schubert Landschaftsarchitekten AG

Landschaftsarchitektur

Archipel Generalplanung AG

Projektsteuerung

Schnetzer Puskas Ingenieure AG

Tragwerksplanung

Abicht Gruppe

TGA-Fachplanung

Lemon Consult AG

Bauphysik, sonstige Fachplanung

Abicht Zug AG

Brandschutzplanung

Mebatech AG

Fassadenplanung

Indievisual AG

Visualisierung

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Projekt ANNA verfolgt eine konsequente Strategie des Weiterbauens. Mit viel Sorgfalt versuchen die Verfasser, die bestehende Anlage behutsam zu erweitern. Mit minimalsten Eingriffen und äusserst kleinem Fussabdruck werden mit Hilfe einer «einfachen» Verdoppelung des Haupttraktes (AN+NA) die bestehenden Organisationsprinzipien beibehalten und eine Art «Raumregal» geschaffen. Es entstehen grosse zusammenhängende Geschossflächen, die ein Maximum an Flexibilität in der Nutzungsverteilung zulassen.

Das Projekt schafft es mit einer beindruckenden Leichtigkeit, die räumlichen Voraussetzungen für eine zukünftige Nutzung zu schaffen. Dem Beitrag liegt eine furchtlose Zuneigung zum baulichen Erbe der 70er Jahre zu Grunde. Man spürt keinerlei Bedürfnis, die vorgefunden räumlichen Gegebenheiten in irgendeiner Weise zu verbessern oder aufzufrischen. Mit einer grossen Portion Coolness werden die bestehenden Materialien und architektonischen Details liebevoll weitergeführt. Das schafft einerseits viele Freiheiten, wirft aber andererseits auch einige Fragen auf. Wo fängt das Neue an und wo hört das Alte auf? Spielt das überhaupt eine Rolle? Vermutlich nicht, denn das Spiel mit genau diesen Fragen macht einen Teil des Reizes dieser Strategie aus. Doch ist der räumliche und organisatorische Gewinn mit dieser Minimalstrategie gross genug? Die wenigen Eingriffe, wie die neue dreigeschossige Halle im Eingangsbereich und die neue Haupttreppe, sind vergleichsweise zögerlich und nur von bescheidenem Mehrwert. Man spürt den Wunsch, den Themen und dem Charme des Bestands gerecht zu werden. Für die Haupterschliessung mit hunderten von Personenbewegungen wünschte man sich definitiv mehr Mut und vor allem Grosszügigkeit. Die selbstgewählte Strenge gipfelt in der formalen Repetition der endständigen Fluchttreppenhäuser.

Bei der Konstruktion der Erweiterung kommt die Ökologie und mit ihr die Vernunft ins Spiel. Die Wahl von Holzelementflachdecken mit integrierten Hauptträgern ist aus Flexibilitätsaspekten sehr geschickt. So können, genau wie im Bestand, Räume ohne jegliche Konflikte mit allfälligen Tragrippen frei eingeteilt werden. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die bestehenden Raumhöhen so ideal sind, dass sie ohne weiteres übernommen werden sollten und ob die vorgeschlagenen Spannweiten mit der gewählten Holzkonstruktion problemlos erreicht werden können.

Ungeachtet dessen ist die Einfachheit, mit der die bestehende Struktur des Haupttraktes in einen hölzernen Zwilling übersetzt wird, äusserst bestechend. Doch spätestens bei der Materialwahl der neuen Gebäudehülle wird man mit einer Unschärfe des Projekts konfrontiert. Die klare Kubatur des neuen Unterrichtsschiffs lässt kaum Brüche zu und zwingt dem Projekt eine Fassade aus Betonelementen auf. Das führt zu einem sehr einheitlichen und beinahe nostalgischen Gesamtbild, welches in den Visualisierungen ungefiltert und selbstbewusst dargestellt wird. So konsequent dieses Bild sein mag, es bleibt dieses seltsame Gefühl eines konzeptionellen Widerspruchs.

Dank des haushälterischen Umgangs des Neubaus mit dem Boden, bleiben südlich des Gebäudeensembles grosszügige Freiräume erhalten. Hier wird ein Sträuchergarten vorgeschlagen. Im Sinne des Mikroklimas und der Aufenthaltsqualität wären jedoch grössere Bäume wünschenswert. Auch ist die Gartentypologie dem Kontext, dem Standort und der Funktion wenig angemessen. Stimmiger wäre eine parkartige Gestaltung, wie sie in Elementen wie dem geschwungenen Wegenetz, dem Retentionsweiher und dem Pavillon bereits anklingt. Aus Freiraumsicht unverständlich ist die aufwändige Erschliessungsschlaufe für die Anlieferung der Mensa: Diese Barriere zwischen dem Gebäude und seinem Park birgt das Risiko, dem Park die Ausstrahlung einer Gebäuderückseite zu geben. Auch die Parkplätze im Grünraum sind grundsätzlich zu hinterfragen. Auf der Terrasse wird die bestehende Gestaltung erhalten und vor dem Neubau weitergeführt. Was man im Sinne der Ressourcenschonung nachvollziehen möchte, ist eher eine vertane Chance, diese nicht originale Freiraumgestaltung aufzuwerten, besser an heutige Nutzungsbedürfnisse anzupassen und dabei wieder näher an die Gestaltungssprache des Architekturbestands heranzuführen.

Das Projekt ANNA trifft unbestritten den Nerv der Zeit. Nicht bauen ist am nachhaltigsten. Neu bauen war gestern. Der Bestand ist DIE Ressource, wir müssen sorgsam damit umgehen. Das setzt voraus, dass wir die Qualitäten und den Wert des Bestands erkennen oder vielleicht auch lieben lernen müssen. Das Projekt führt uns dies exemplarisch vor Augen.

Es zeigt uns aber auch die Grenzen des Weiterbauens auf. Wir müssen vermehrt bereit sein, Kompromisse einzugehen. Etwas behalten, nicht weil es uns gefällt, sondern weil es schon da ist. Denn wir befinden uns nicht auf der grünen Wiese. Vieles ist bereits vor uns gedacht, entschieden und mit viel grauer Energie in gebaute Wirklichkeit gegossen. Die Suffizienz, also die Genügsamkeit, kollidiert leider oft mit dem Wunsch nach etwas Neuem. Eine Vision verlangt nach neuen Bildern. Das klingt so banal wie ernüchternd.

Das beinahe revolutionäre neue Betriebskonzept stellt die bisherige Vorstellung, wie an einer Berufsschule unterrichtet wird, auf den Kopf. Die Schule wünscht sich nicht bloss eine räumlich gute Umsetzung des Konzepts. Nein, sie erhofft sich einen neuen Ort mit grosser Strahlkraft für die Zukunft, kein Verharren im Gestern oder im Heute. Nostalgie hilft hier nicht weiter, sie trübt den Blick nach vorn. So ökologisch vernünftig und architektonisch stimmig das Projekt ANNA sein mag, so kann es doch den entscheidenden Schritt in die Zukunft nicht machen, den sich die Schule erhofft.

Das Projekt ist aufgrund eines baurechtlichen Höhenverstosses von der Preiserteilung ausgeschlossen. Mit einem Ankauf und einem dritten Rang möchte das Preisgericht diesen wertvollen und relevanten Beitrag dennoch gebührend würdigen. ANNA hat die Debatte bereichert und wichtige Fragen aufgeworfen zum Umgang mit unserem baukulturellen Erbe.