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Offener Wettbewerb | 09/2023

Neugestaltung Dorfzentrum in Stallikon (CH)

3. Rang / 1. Ankauf

Preisgeld: 12.000 CHF

Atelier Scapin

Stadtplanung / Städtebau

GERSBACH LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

Landschaftsarchitektur

Timbatec Holzbauingenieure

Tragwerksplanung

Erläuterungstext

Kopf
Wo bin ich?

Laut aktuellen Studien des Bundesamts für Umwelt (Wandel der Landschaft, 2017) Wünscht sich rund 70% der Schweizer Bevölkerung ein Dorf als Wohnort. So ist es auch nicht erstaunlich, dass 2020 ca. 68% der Bevölkerung (BFS) in einer Gemeinde mit weniger als 20 000 Einwohnerinnen lebten. Dieser Trend scheint auch in Zukunft anzuhalten, zumal die Pandemie und das aufkommende Homeoffice ein weiterer Treiber für ebendiese Entwicklung sein könnte.

Das Idealbild vom Einfamilienhaus im Grünen, in der Nachkriegszeit entstanden, scheint bis heute anzuhalten und veränderte die Landschaft nachhaltig. Durch die voranschreitende Industrialisierung, war plötzlich ein Leben auf dem Land möglich, ohne das Land selbst beackern zu müssen. In der Folge wird das „Land“ heute anderweitig konsumiert. So wird die Landschaft zur Kulisse des eigenen Hauses, zum Landschaftspark für Spaziergänge und zur Sportarena. Die daraus entstandene Zersiedelung des Mittellandes und Ihre Folgen sind mittlerweile gut bekannt und beinahe seit einem halben Jahrhundert Thema. Diese Entwicklung scheint sich immer mehr zuzuspitzen und der Unmut über den stetigen Landschaftskonsum wächst.

Ein Befreiungsschlag scheint nötiger denn je. Die Einfamilienhauszonen aus den 50ern und 60er Jahren werden allmählich aufgezont und die letzten Baulandreserven mit höchstmöglicher Ausnützung versehen, in der Hoffnung mehr Bewohnerinnen auf weniger Bodenfläche unterbringen zu können und so der Zersiedelung entgegen zu wirken. So entstehen neue Wohngebäude weiter jahresringartig um den Dorfkern und erstrecken sich immer weiter ins offene Feld hinaus. Alle auf der Suche nach dem „freien Blick“, der mit den nächsten Siedlungsringen nach und nach wieder verschwinden wird. Dabei bringt die Zersiedelungsmechanik ähnliche Probleme mit sich, wie es auch Touristen auf der Suche nach der unberührten Natur wiederfinden – nämlich nur Seinesgleichen

Herz
Wohin?

Richtet man den Blick darauf, worauf auch die meisten Wohnhäuser ausgerichtet sind: auf die Landschaft und mit Blick ins Grüne, scheint der Fokus der Bewohnenden längst klar. Den Hintergrund und die Basis, die in der Stadt der Wohnblock leistet, bildet hier die Landschaft. Diesen Fokus sollte auch das Leitbild und das Baurecht zum Ausdruck bringen. Weg vom Gebauten, hin zum unbebauten Landschaftsraum. Deshalb soll hier in Stallikon die Landschaft als städtebauliches Herzstück vorrangig entwickelt werden. Sie wird zum Ausgangspunkt und zum Regelwerk für das Gebaute und soll ein wohnen in der Landschaft wieder möglich machen, ohne Sie zu konsumieren. Vielmehr muss die Landschaft mit den Gebäuden mitgebaut werden.

Den geologischen und historischen Gegebenheiten folgend, wurden rund um Stallikon fünf Landschaftstypen – um den Dorfkern herum – erarbeitet, die in ihrer Addition den spezifischen Landschaftsraum ausmachen Es wurde nicht zwischen natürlicher Landschaften und Kultur-Landschaften unterschieden. Felder, Weiden, Mais, Soja, Raps,... sind ebenso landschaftsbildend. Entscheidend ist jedoch die Ausdehnung dieser Landschaftstypen, die sich kaum auf einzelne Parzellen beschränken lässt.

Landschaftstypen, 5+1:
Die Streuobstwiesen um den Dorfkern
Das offenes Feld im Talboden
Die Flussaue entlang der Reppisch
Die Bachtobel am Hang, senkrecht zum Tal
Der Wald an den Hangflanken
Die Kernzone, kein Landschaftstyp, die Ausnahme

Innerhalb des Bearbeitungsperimeters befinden sich zwei Landschaftstypen und der Dorfkern, die im folgenden thematisiert werden. Für alle weiteren Typen könnten in der Folge, Fallstudienartige Projekte erarbeitet werden, die mögliche weitere Reaktionen von Gebäuden und Landschaft aufzeigen. Denkbar wären beispielsweise halbhohe Waldrandhäuser im bestehenden Einfamilienhausquartier ganz im Süden des Dorfs, die nebst dem tollen Waldblick auch den Ökologisch wertvollen Waldsaum wieder aufwerten würden. Um solche neuen Gebäudetypen zu entwickeln scheint sich der Projektwettbewerb als bereits bekanntes Mittel bestens zu eignen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Projekt Habitat ist in der 2. Stufe konsequent weiterbearbeitet worden und seinem Anspruch treu geblieben. Es geht sehr sensibel und wertschätzend mit dem Landschaftsraum Stallikon um, nimmt sich zurück, um so möglichst wenig Raum zu beanspruchen. Der Preis dafür ist die Nichterfüllung des Raumprogrammes – das Projekt bietet anstelle der geforderten 58 Wohnungen lediglich 44, weshalb es von der Preisverteilung ausgeschlossen werden musste.

Das «Obstwiesenhaus» mit seiner langen Form schafft es, die Wiesenlandschaft in die neue Siedlung einfliessen zu lassen und sich der Topografie anzupassen. Spannend ist auch der Gegensatz dieser beschriebenen Weite gegenüber der mit den übrigen Häusern geschaffenen Dichte und Geborgenheit. So überzeugt die Anordnung von Gemeinschaftsraum, Ateliers, Gemeinschaftspraxis und Wohnungen um den sogenannten Werkhof. Ungezwungen entsteht ein kleines Siedlungszentrum, das mit seiner räumlichen Dichte einen schönen Kontrast zur Weite des Landschaftsraumes schafft. Unbearbeitet und kaum grafisch dargestellt ist der südliche Zugang zum Werkhof von der Dorfstrasse.

Ein echter Gewinn im ortsbaulichen Kontext ist das Freihalten des Bereiches vor Pfarrhaus, Waschhaus, Stützmauer und Kirche. Damit wird dieses wertvolle Ensemble von der Reppischtalstrasse her wahrnehmbar und stärkt die Identität des Ortes. Sorgsam freigetauscht enttäuscht der Vorschlag aber bei der Umsetzung, die keine glaubhaften Nutzungsvorschläge zu bieten hat und damit zum verschenkten Potenzial im Zentrum von Stallikon wird.

Die Frage, wie mit diesem Vorschlag umzugehen sei, beschäftigte das Beurteilungsgremium nachhaltig. Wären genügend Menschen vorhanden, um diese Leerstelle mit Leben zu füllen? Wäre der Gewinn dieses Freiraumes zu rechtfertigen in Anbetracht des Gebotes unsere Zeit, dicht zu bauen, wenn wir schon bauen? Müsste die Freihaltung gesichert werden – mitten in der Kernzone? Wäre es denkbar, dass die Genossenschaft der Gemeinde diesen Teil des Areals zurückgibt? Tatsache ist, dass auch dies die inakzeptable Unwirtschaftlichkeit des Vorschlages nicht annähernd genügend verbessern würde.

Der Umgang mit der Reppischtalstrasse folgt der minimalistischen Grundhaltung des Projektes. Das «grosse Haus» schafft am richtigen Ort vis-a-vis von Post und Bäckerei eine Engstelle und belegt das Erdgeschoss mit dem Dorfladen – ohne Berührungsangst mit der Strassensituation und der Tiefgarageneinfahrt, aber auch mit etwas gar wenig Umraum. Zudem wird versucht, die bauliche Härte der Strasse mit sanften Böschungen in die Landschaft einzubinden.

Die gelungenen Volumina der Wohnhäuser wurden in der 2. Stufe zur Erhöhung der Ausnutzung ohne zusätzlichen Landschaftsverbrauch vergrössert. Insbesondere das Gebäude an der Strasse wirkt nun aber für Stallikon etwas überdimensioniert. Mit der vermutlich aus den gleichen Gründen gewählten auskragenden Form des Obstwiesenhauses werden Nachteile bei der Belichtung und einer effizienten Statik in Kauf genommen. Zudem erstaunt in Anbetracht der steilen Topografie die symmetrische Schnittfigur. Zwar wurde so mehr Wohnraum geschaffen, eine wirtschaftlich annährend tragbare Anzahl an Wohnungen aber nicht erreicht.

Die Grundrisse sind zweckmässig, nutzungsneutral und dennoch räumlich attraktiv. Sie ermöglichen die erwünschte hohe Belegungsdichte und sind insgesamt sorgfältig erarbeitet. Einige Wohnungen sind leider ohne Entrée-Bereich und das Clusterwohnen mit seiner einseitigen Ausrichtung für Ältere wenig geeignet. Die Tiefgarage liegt konsequent unter den Gebäuden, weist aber ein zu grosses Gefälle auf und liegt aus ökonomischer Sicht problematisch tief eingegraben im Hang. Dies verschärft die ungenügende Wirtschaftlichkeit noch zusätzlich. Die baurechtlichen Anforderungen sind nicht vollständig erfüllt. Der Flächenabtausch findet rechtskonform statt. Der Zonentausch ist jedoch nicht flächengleich. Um Zonenkonformität herzustellen, braucht es eine Anpassung der Parzellierung, der alle am Gestaltungsplan beteiligten Grundeigentümer zustimmen müssten.

Die Hoffnung der Jury, den sorgsamen und grosszügigen Umgang mit der Landschaft mit den Anforderungen nach einer wirtschaftlich tragbaren Dichte in der 2. Stufe zu verbinden, konnte das Projekt leider nicht erfüllen. Trotzdem wird der Beitrag, der mit lediglich drei Neubauten eine kräftige Ordnung und spannungsvolle Freiräume schafft, in seiner Konsequenz und Schlichtheit bewundert.
Landgarten - Blatt1

Landgarten - Blatt1

Landgarten - Blatt2

Landgarten - Blatt2

Landgarten - Blatt3

Landgarten - Blatt3

Landgarten - Blatt4

Landgarten - Blatt4