Architects for Future (A4F) plädieren für einen stärkeren Fokus auf Bauen im Bestand und haben sich mit Änderungsvorschlägen für die Musterbauordnung (MBO) an die Politik gewandt. In einem offenen Brief an die Bauminister*innen der Länder fordern die Aktivist*innen, das Gesetz an sieben Stellen zu ändern, denn: "Der Bausektor trägt eine große Verantwortung und enormes Potenzial, das jedoch derzeit noch durch gesetzliche Rahmenbedingungen gehemmt wird."

"Ohne eine Veränderung der aktuellen Praxis im Umgang mit Bestandsbauten werden wir die gesetzten Klimaschutzziele weit verfehlen."
Architects for Future

 

Als zentrales Hemmnis sehen A4F, dass "Bauen im Bestand und Bauen mit nachwachsenden, kreislauffähigen beziehungsweise sekundären Bauteilen und Baustoffen" aufwendige Einzelzulassungen erfordert, die Planungsunsicherheit schaffen würden. "Deshalb fordern wir Sie als Bauministerkonferenz auf, die aktuell gültige Musterbauordnung zu novellieren, hin zu einer Muster(um)bauordnung, die klimapositives Bauen fördert, klimaneutrales Bauen als Mindestmaß vorschreibt und Bauvorhaben, die diesem – und somit auch dem Pariser Klimaabkommen – entgegenstehen, nicht mehr zulässt", heißt es in dem Brief.

Die sieben Vorschläge:

  1. Da bei Umbau des Bestands dieselben Maßstäbe angelegt würden wie bei Neubauten, entstünden erhebliche Planungs- und Kostenunsicherheiten, so A4F. Sie fordern daher, die bisherigen Anforderungen flexibler anzuwenden. Als Beispiele führen sie unter anderem Baden-Württemberg an, wo es "klar definierte Kompensationsmaßnahmen" beispielsweise für den Brandschutz gibt, "sodass nicht jedes Projekt Abweichungen und Zustimmungen im Einzelfall benötigt". Auch verweisen sie auf den Umgang in Berlin mit Schallschutz: Beispielsweise für Aufzüge gelte ein "Verbesserungsgebot (Verhältnismäßigkeit)".

  2. A4F fordern zudem, dass der Abriss von Gebäuden immer eine Genehmigung braucht – "und diese nur nach Nachweis, dass ein Gebäude nicht sanierungsfähig ist (...), erteilt werden kann". Dies sollte beispielsweise dann gelten, wenn ein Gebäude "in der Lebenszyklusanalyse (LCA) schlechter abschneidet und Klimaneutralität nicht erreicht werden kann". Baustoffe dürften nur dann entsorgt werden, wenn in einem Rückbaukonzept die Wiederverwendbarkeit von Materialien ausgeschlossen wurde.

  3. Es braucht ein neues Mobilitätskonzept, denn: "Der Bau von Stellplätzen in Tiefgaragen kann bei Neubauten für bis zu 50 Prozent der Grauen Energie verantwortlich sein." Der Einsatz von CO2-intensivem Stahlbeton sei gerade bei unterirdischen Bauwerken derzeit alternativlos. A4F fordern daher, dass die Kfz-Stellplatzpflicht aus der Musterbauordnung herausgenommen werden sollte. Die Hamburger Bauordnung setze dies schon teilweise um: Stellplätze seien hier verboten, wenn das Baugebiet gut mit dem ÖPNV verbunden ist.

  4. Um den Flächenverbrauch bei der Nachverdichtung zu reduzieren, pochen A4F auf einen anderen Ansatz in der Stadtplanung: "Für eine klimaresiliente Stadtentwicklung ist eine qualifizierte Freiflächenplanung essenziell." Kurzfristig fordern sie daher einen verbindlichen Freiflächengestaltungsplan bei jedem Bauantrag – ähnlich wie es auch BAK-Präsidentin Andrea Gebhard im Interview mit competitionline formulierte. Langfristig plädieren A4F für eine Änderung des Paragrafen sechs und dafür, bisherige Regelungen zu Abstandsflächen neu zu formulieren: "Gesundes Wohnen (Belichtung, Belüftung, Brandschutz, ...) und Nachbarschaftsinteressen müssen gewahrt bleiben."

  5. Nach Paragraf 17 der Bauordnung dürfen in Deutschland nur Bauprodukte verwendet werden, die bereits am Markt eingeführt und bewährt sind. Aber: "Für Sekundärbaustoffe gibt es in vielen Fällen noch keine geregelten Prüfverfahren. Diese Einzelprüfungen sind einerseits Kostentreiber, andererseits können fehlende Prüfverfahren die Entwicklung hemmen", konstatieren A4F. Sie fordern daher, dass "nachhaltige und recycelte Baustoffe zum Standard werden müssen und nicht die Ausnahme bleiben dürfen". Dafür könnten öffentliche Auftraggeber*innen Sekundärbaustoffen Vorrang bei Vergaben einräumen oder eine Quote "weitere Anreize für hochwertiges Wiederverwenden und Recycling bieten".

  6. Zur Qualitätssicherung plädieren A4F für die Pflicht zur digitalisierten Baudokumentation: "Zur Unterstützung der Erfassung der vorhandenen verbauten Ressourcen im Gebäudesektor schlagen wir vor, die bautechnischen Nachweise (Paragraf 66 MBO) um einen Materialausweis zur Vervollständigung der Baudokumentation (Gebäudeausweis) zu ergänzen, die zur Nutzungsaufnahme in einheitlicher digitaler Form vorgelegt werden muss." Auch das geforderte Rückbaukonzept solle hier verknüpft sein.

  7. Beim Thema Serienfertigung pochen A4F darauf, dass Typengenehmigungen "nur für Vorzeigeprojekte im Neubau und bei Sanierungen" erteilt werden sollten. "Mit (…) Serienfertigung geht das Risiko einher, dass mit einer einzigen Genehmigung viele Gebäude errichtet werden, die zwar die aktuellen Mindestanforderungen, jedoch nicht den Anforderungen an Klimaresilienz und Klimaschutz entsprechen." Es sollte daher mit dem Antrag auf Typengenehmigung ein bautechnischer Nachweis eingereicht werden müssen, der "ökologische und energetische Standards, die mindestens den Anforderungen an den klimaneutralen Gebäudebestand gerecht werden", bescheinigt.

A4F verweisen darauf, dass ihre Initiative von mehreren Dutzend Verbänden unterstützt wird – unter anderem auch dem BDA, dem BDLA und dem BUND. Zudem haben 13 Wissenschaftler*innen ihren Brief mit unterschrieben, darunter unter anderem Professor Werner Lang vom Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen der TU München sowie Professor Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

BAK: Umbau als Normalfall

Auch die BAK unterstützt die Vorschläge von A4F. Umbau sollte zum "Normalfall" werden – "mit einer 'Umbaukultur', die dem Bauen im Bestand Vorrang gegenüber dem (Ersatz-)Neubau einräumt, können wir Ressourcen schonen und bestehende Potenziale der Baukultur und Nachhaltigkeit aktivieren", so Präsidentin Gebhard. Der Verband sehe in der Musterbauordnung des Bundes bzw. in den Länderbauordnungen "den passenden Rechtsrahmen, um die Voraussetzungen zu einer Privilegierung des Bestandsumbaus zu schaffen".

Im Detail, so Gebhard, sehe die BAK jedoch noch Klärungs- und Nachschärfungsbedarf. "So sollte genauer betrachtet werden, wie sich das Ziel einer Vorrangstellung von Bestandserhalt und Kreislauffähigkeit bei gleichzeitiger Vermeidung von Verteuerungen des (Um-)Bauens und von Verkomplizierungen des Planungs- und Bauprozesses erreichen lässt."

"Wirtschaftlichkeit für Bauherren und Praktikabilität für Planerinnen sind aus BAK-Sicht neben den vorgeschlagenen Maßnahmen wichtige Argumente, die über die Faktoren Zeit und Geld auch die Klimarelevanz von Bauvorhaben beeinflussen."
Andrea Gebhard Präsidentin der BAK

Die Politik reagierte bislang nicht inhaltlich auf die Vorschläge von A4F, die Mitte Juli übersandt wurden. Lediglich eine Eingangsbestätigung habe man bekommen, so A4F zu competitionline. Eine Anfrage unserer Redaktion beim Bauministerium blieb hingegen unbeantwortet. Die Bauminister*innen der Länder treffen sich am 18. und 19. November.

Der Artikel erschien erstmals am 2. August 2021 auf competitionline.com.